Rasim Marz erinnert an die historische Figur Kilic Ali Pascha

Ausgabe 207

(iz). Auch unter Muslimen kommt es früher oder später zum so genannten „clash of Zivilisation“ („Zusammenprall der Kulturen/Zivilisationen“), der zu einigen Missverständnissen führen kann. ­Sprache und Traditionen einer fremden Kultur können schnell für einen zu einem Buch mit sieben Sigeln werden, obwohl man sich zur gleichen Religion bekennt. So kommt es nicht selten vor, dass ein deutscher Muslim eine hermetische Gemein­schaft von Türken und Arabern vorfindet, in der die kulturelle Identität Eingang ins religiöse Leben gefunden hat oder durch diese stark beeinflusst ­wurde.

Der geneigte Leser soll jedoch nicht zu dem Trugschluss kommen, dass dies ein Phänomen des 21. Jahrhunderts ist. Vor 500 Jahren stand ein berühmter osmani­scher Admiral vor demselben Problem. Sein Name war Kilic Ali Pascha (1519-1587). 1519 im süditalienischen Kalabrien als Giovanni Dionigi Galeni geboren war er Fischer und geriet durch Korsaren in osmanische Gefangenschaft. Als Sklave auf einer Galeere, konvertierte er zum Islam, nahm den Namen Ali an und stieg zu einem der gefürchtetsten ­Piraten unter dem Banner des Sultans auf.

Seine militärische Laufbahn wäre der perfekte Stoff für ein Hollywood-Film: Vom Sklaven zum Statthalter von Algier und somit zum Herrn über ganz Nordafrika aufgestiegen, nahm er an der Belagerung von Malta teil, unterwarf Tunis und überlebte als einziger Admiral die Seeschlacht von Lepanto. Für seine Verdienste erhielt er den Titel „Kilic“ (dt. „Schwert“) und wurde Oberbefehlshaber der Flotte.

Der Leser wird wahrscheinlich vermuten, dass sich der treue Admiral des Sultans assimiliert hätte, um so eine Karri­ere hinzulegen, doch Kilic Ali Pascha blieb seiner Sprache und Kultur bis zum Ende treu. Aus den Chroniken wissen wir, dass er keinen Satz Osmanisch sprach und nur in Italienisch kommunizier­te. Wenn er auf den Wellen des Mittelmeeres seine Heimatlieder ­anstimmte, werden sicherlich einige osmanische Matrosen verdutzt geschaut haben.

Es sei noch erwähnt, dass er die italienischen Küsten und vor allem die kalabrische gerne mit seinen Piraten heimsuchte – schön wenn man Beruf und Heimweh in Einklang bringen kann. Schließlich ließ er sich als Oberbefehlshaber der Flotte in Konstantinopel nieder und gab beim Architekten Sinan eine Moschee in Auftrag, die später seinen Namen tragen sollte (Kilic Ali Pascha Camii).

Nach der Vollendung der Moschee, lud der Admiral alle Würdenträger des Reiches zum ersten Freitagsgebet ein. Nach dem Gebet traten mehrere Geistliche ­hervor, die ein Lob des Propheten ­an­stimm­ten. Anscheinend muss der Qur’anrezitator ziemlich exaltiert das Prophetenlob vorgetragen haben, denn Kilic Ali Pascha geriet in Wut, stand auf und schrie den Rezitator – wohl bemerkt auf italienisch(!) – an: „Was soll dieses gu, gu, gu und hin ku ku, sind wir hier in einem Weinhaus oder in meiner geliebten Boza-Schenke?“

Die versammelte Menge verstand die Aufregung des italienischen Paschas nicht und schließlich versuchte ein Wesir ihn zu beruhigen: „Mein Herr, es handelt sich um das Lob unseres erhabenen Propheten.“ Ali Pascha entgegnete: „J,a ist es denn möglich, dass man unseren Herrn Muhammed mit diesen gu gu gu loben kann?“ „Ja, mein Herr das ist möglich“, war schließlich die Antwort des Wesirs.

Einer der alten Weggefährten des Admirals klärte ihn schließlich auf, dass „es sich um eine Andacht zu Ehren des Propheten handelt, wie sie in ganz Anatolien zu hören ist.“ Aber ganz zu frieden gab er sich noch nicht. „Wie viele Goldstücke habt ihr dafür als Honorar ausgesetzt, schaut mal im Kassenbuch nach!“ – „Mein Herr, es sind 10 Goldstücke.“ Daraufhin sagte er: „Und auf diesem Predigtstuhl singt einer, der unseren großen Herrscher, Sultan Murad III. Han lobt. Wie viel kriegt er?“ – „Bei ihm sind es 40 Goldstücke.“ Verwundert fragte Ali Pascha: „Ist unser immer siegreicher Herrscher größer oder unser erhabener Herr Muhammed?“ Sie antworteten: „Mein Herr, der erhabene Muhammed ist größer!“ Da sprach der Admiral: „Dann legt rasch für den gu-gu-gu-Sänger unseres Herrn Muhammed ebensoviel Goldstücke, nämlich 40, fest, wie für den Sänger zum Gedenken unseres gütigen Herrschers, dem Schatten Allahs auf Erden.“

Kilic Ali Pascha schien sichtlich zufrieden zu sein. Seit diesem Tage nahm er nach jedem Freitagsgebet vor seiner Moschee Platz und verteilte Geldspenden an die Armen und Obdachlosen, aber immer mit einem Lied seiner italienischen Heimat auf den Lippen.