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Schlappe für die Schlapphüte

Foto: Anelo, Shutterstock

Journalisten erstreiten in Karlsruhe ein Grundsatz-Urteil zur massenhaften Ausspähung von E-Mails, Chats und Telefonaten. Die Überwachungsbefugnisse des BND müssen viel genauer geregelt werden. Trotzdem soll der Auslandsgeheimdienst handlungsfähig bleiben.

Karlsruhe (dpa). Der Bundesnachrichtendienst (BND) muss sich bei seinen weltweiten Überwachungsaktivitäten an deutsche Grundrechte halten. Das Fernmeldegeheimnis und die Pressefreiheit schützten auch Ausländer, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit einem am Dienstag verkündeten Urteil. Die Richter gaben einer Klage der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen und mehrerer ausländischer Journalisten gegen das Ende 2016 reformierte BND-Gesetz statt, das dies nicht berücksichtigt. Es muss nun bis spätestens Ende 2021 grundlegend überarbeitet werden. (Az. 1 BvR 2835/17)

Konkret geht es um die Vorschriften für die sogenannte strategische Fernmeldeaufklärung im Ausland. Dabei durchforstet der BND ohne konkreten Verdacht große Datenströme auf interessante Informationen.

Deutsche Bürger dürfen nicht auf diese Weise überwacht werden. Der BND versucht deshalb, ihre Kommunikation vor der inhaltlichen Auswertung auszusortieren. Die gewonnenen Daten werden auch für ausländische Partnerdienste ausgewertet oder an diese weitergegeben.

Seit Anfang 2017 gibt es im BND-Gesetz dafür zum ersten Mal eine rechtliche Grundlage. Menschen- und Bürgerrechtler hatten diese als völlig unzureichend kritisiert – zu Recht, wie nun das Urteil zeigt.

Danach bleibt die anlasslose Massenüberwachung grundsätzlich möglich. Der künftige Gerichtspräsident Stephan Harbarth rechtfertigte das bei der Urteilsverkündung mit dem „überragenden öffentlichen Interesse an einer wirksamen Auslandsaufklärung im Interesse der außen- und sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik“.

Die Richter sehen die Überwachung aber auch als schweren Eingriff, „weil mit ihr heimlich in persönliche Kommunikationsbeziehungen eingedrungen wird“. Problematisch sei vor allem die enorme Streubreite: „Sie ist anlasslos gegenüber jedermann einsetzbar.“

Der Gesetzgeber muss die BND-Befugnisse deshalb viel genauer regeln und begrenzen. Das betrifft eine Vielzahl an Einzelpunkten: Zum Beispiel muss das Volumen der abgegriffenen Daten von vornherein vorgegeben sein. Verbindungsdaten dürfen höchstens ein halbes Jahr gespeichert werden. Die vertrauliche Kommunikation bestimmter Berufsgruppen wie Anwälte und Journalisten muss besonders geschützt werden. Sehr private und intime Inhalte, die den BND-Mitarbeitern ins Netz gehen, müssen unverzüglich gelöscht werden.

Auch für den Datenaustausch und die Kooperation mit ausländischen Partnern machen die Richter Vorgaben. Sie pochen in ihrem gut 140-seitigen Urteil insbesondere auf die „Einhaltung elementarer menschenrechtlicher Grundsätze“. Außerdem muss es eine eigenständige, starke Kontrollinstanz geben, die dem BND auf die Finger schaut.

Die Richter des Ersten Senats entschieden zum ersten Mal, dass der deutsche Staat in seinem Handeln immer an die Grundrechte gebunden ist – „unabhängig davon, an welchem Ort, gegenüber wem und in welcher Form“. Sie begründen das mit den neuen technischen Möglichkeiten und der weltweiten Vernetzung. Gleichzeitig erkennen sie an, dass dadurch auch die Bedrohungen aus dem Ausland erheblich zugenommen haben.

Reporter ohne Grenzen sprach von einem großen Erfolg. „Wir freuen uns, dass Karlsruhe der ausufernden Überwachungspraxis des Bundesnachrichtendienstes im Ausland einen Riegel vorschiebt“, sagte Geschäftsführer Christian Mihr. Koordiniert hatte die Klage die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Der Vorsitzende Ulf Buermeyer erklärte: „Dass deutsche Behörden auch im Ausland an die Grundrechte gebunden sind, stärkt die Menschenrechte weltweit erheblich – und auch die Glaubwürdigkeit Deutschlands in der Welt.“