Insbesondere für junge Muslime ist es nicht immer einfach, an Wissen zu kommen

Ausgabe 214

(iz). Zu sagen man weiß nichts ist eine Weisheit“, sagte der Khalif Ali, Allahs Wohlgefallen auf ihm. Nicht selten hört man derartige Weisheiten, wie sie beispielsweise auch von Sokrates kamen. Etwas wissen, Wissen besitzen, wissen, was Wissen ist, zu wissen, wer das Wissen hat – Allah weiß es am besten.

Der große Imam Asch-Schafi’i, Allahs Wohlgefallen auf ihm, sagte, dass das Wissen ein Licht sei, das Allah in die Herzen der Menschen setzt. Ein Licht, das nur von Herz zu Herz, von Lehrer zu Schüler weitergegeben wird, so heißt es. Tatsächlich ist ‘Ilm (arab. für Wissen) eine komplexe Materie, die für den Menschen unendlich ist, was ihm zeigt wie endlich er selbst ist.

Die Gelehrten sind sich einig, dass ­Allahs Licht die Rechtleitung ist, welche wiederum stets im Wissen enthalten ist. „Darum glaubt an Allah und Seinen Gesandten und an das Licht, das Wir hernieder gesandt haben“, heißt es in Sura 64 ,Vers 8. Mit Licht ist hierbei laut Imam ibn Kathir der Qur’an gemeint, was verdeutlicht, wie allgemein eine spirituelle Offenbarung wie Licht für das Wissen steht. Ist ‘Ilm (Wissen) denn auch eine Wissenschaft?

Zunächst muss man klar unterscheiden zwischen ‘Ilm und Ma’lumat (Informationen). Beide Worte haben den gleichen Wortstamm, sind aber in ihrer Bedeutung stark differenziert zu betrachten. Während Ma’lumat trockene Fakten sind, ist ‘Ilm ein rechtleitendes Wissen. Es ist folglich unmöglich für Menschen, ohne Rechtleitung Herren über Wissen zu sein, denn es ist jenen vorbehalten, die Allah damit segnete.

So heißt es in Sura 35, Vers 28: „Wahrlich, es fürchten Allah nur die Wissenden unter Seinen Dienern“, was mich zum nächsten Punkt führt: Wissen ist eine Information, die man verinnerlicht und aufgrund der Ehrfurcht vor Gott auch anwendet. Der Prophet, Allahs Segen auf ihm, erklärte es zur Pflicht nach jenem Wissen zu streben, was in der heutigen Zeit zu einer außerordentlichen Heraus­forderung geworden ist.

Oft klagen jugendliche Muslime darüber, wie begrenzt ihre Möglichkeiten sind, sich bezüglich ihrer Religion weiter­zubilden und wie groß die Angst ist, sich zu missbilden, indem man unbewusst in die Fänge von Sekten gerät. Ein weiteres Dilemma auf der irreführenden Odyssee des einfachen muslimischen Jugendlichen – wo findet man das, nach dem man sucht?

Segen und gleichzeitig Fluch – das Internet. Segen, weil es zum Beispiels auch für Muslime in ländlichen Gebieten ohne eine Moschee in näherer Umgebung die Möglichkeit bietet, Informationen zu erlangen und/oder Bücher zu bestellen.

Fluch, weil es das Internet ist, das Internet, in dem jeder frei schreiben kann, was er möchte, was auch vermeidlich isla­mische Inhalte betrifft. Sheikh Hamza Yusuf, ein Gelehrter aus den USA, spricht vom „propaganda business“, einem neuartigen Machtinstrument. Während im Khalifat noch streng darauf geachtet wurde, dass der Konsens gewahrt wird und radikale Abspaltungen keinen Einfluss gewinnen konnten, ist es heute gar Seltenheit den Konsens im Internet vorzufinden.

Wer bewandert und geschult ist, lernt zu unterscheiden, aber was ist mit jenen Jugendlichen, die überhaupt erstmals geschult werden möchten? Wobei ­schulen ein gutes Stichwort ist, wenn man doch bedenkt, dass ein Großteil der vermeidlich Schulenden keine Lehrerlaubnis hat. Viele Jugendliche berichten, sie hätten keine andere Wahl, als jenes Risiko einzu­gehen, da ihnen schlicht der Bezug zu einer Gemeinde fehlt.

Da sehe ich bereits den Fehler ­unserer gesamten Gemeinschaft in Deutschland. Es mangelt an Organisation, geschweige denn, besitzen wir eine gesellschaftliche Infrastruktur. Schuld ist oftmals die kulturelle und politische Abhängigkeit von Gemeinden und Verbänden, die jene Struktur hätten organisieren sollen.

„Draußen in den vielen Moscheen fand ich keine klaren Linien und im Inter­net nur viele Extremen wie Lamya Kaddor oder Pierre Vogel, aber was soll ich damit denn anfangen? Erst seit dem ich bei der Menzil-Gemeinde bin, habe ich richtigen Halt und kann lernen“, sagt Seyda, eine Jurastudentin aus Frankfurt. Eine Aussage die für mich stellvertretend für den Großteil der Jugendlichen steht.

Muss man sich denn erst einer Gemeinde anschließen, um auf dem sicheren Weg zu sein? Mein guter Freund ­Olcay, ebenfalls Gemeindemitglied, sagte mir, was er auf die Worte Sheikh Mustafa Ismet Garibullahs stützt, es sei ­keine Pflicht sich einem Schaikh (geistiger Führer) anzuschließen, aber es nicht zu tun, macht den Prozess des Muslimseins erheb­lich schwieriger. Und so kann man auch wieder auf den Anfang zurückkommen – ohne Lehrer kein Wissen.

Besonders Konvertiten fällt es schwer, jene Lehrer zu finden, da es auf den ­ersten Blick stark an deutschsprachigen ­Imamen mangelt. Sie und einen wesentlichen Teil der Jugendlichen führt das zu den Büchern, einer altbewährten Informationsquelle. Nicht wenige verlassen sich nur noch ausschließlich auf die Übersetzungen des Quran und Prophetengschichten und -aussprüchen, um jeglichen Konflikt der Interpretationen zu vermeiden, wobei zu selten bedacht wird, dass die eigene Interpretation vielleicht auch ein Anlass zum Konflikt sein könnte.

Letztlich sind es die bekannten Wege – Unterricht, Bücher oder Internet. Der Schlaue unter uns wird sich nun sagen, man müsse die drei Wege kombinieren und versuchen, das Beste aus allem zu schöpfen. Gilt auch hier das klassische Sprichwort „wer sucht, der findet“? So sagte der Prophet, Allahs Frieden und Segen auf ihm: „Wer auf der Suche nach Wissen auszieht, der ist auf Allahs Pfad, bis er zurückkehrt.“

Islam ist nicht leicht. In einer säkularen Gesellschaft „Gott ergeben“ zu sein, ist wohl eine ähnliche Herausforderung, wie in einer polytheistischen Gesellschaft den Monotheismus zu verinnerlichen. Der Prophet, Allahs Frieden und Segen auf ihm, prophezeite und warnte uns ­davor, dass der Islam fremd entstand und fremd enden wird. Fremd dem ­weltlichen Leben, der Einfachheit des Daseins, dem Leichtsinn des Handelns, der Blindheit der Gier. Die Sunna stirbt immer ­wieder aus, weswegen Allah seine Freunde auf der Welt sie aufs Neue wiederbeleben lässt.

Der Islam muss lebendig gehalten und in jede Epoche mitgetragen werden, so schwer es auch den Außenstehenden ist, das Schleppen dieses scheinbar leblosen Wesens zu rechtfertigen. Das Wesen verstehen wird man erst, wenn es wieder lebendig ist und fähig ist, das Licht ­Allahs weiterzugeben. Von Herz zu Herz, von Lehrer zu Schüler.