Sebastian Kocaman zur jüngst veröffentlichten Dissertation von Ali Özgür Özdil

Ausgabe 201

(iz). Initiiert durch gesellschaftspolitische Erwägungen befindet sich die Islamische ­Theologie und Religionspädagogik an deutschen Hochschulen gegenwärtig in ihrer Etablierungspha­se. Dass für eine derartige neue wissenschaft­liche Disziplin gesellschaftlicher Bedarf besteht und diesem auch wissenschaftspolitisch entsprochen wird, verschafft der jungen Isla­mischen Theologie deutschsprachiger Prove­nienz ihre gegenwärtige Berechtigung. ­Diese Legitimation ist für die gesellschaftlichen Anlehnungskontexte der Disziplin wichtig, doch ist es erforderlich, durch eine möglichst umsichtige, wissenschaftstheoretisch fundierte Programmatik für die primären operativen Bedingungen innerhalb des Wissenschaftssystems selber ebenfalls eine solide Basis zu etablieren.

Bislang, so erscheint es zumindest aus kritischer Perspektive, versuchen die Vertreterin­nen und Vertreter der Islamischen ­Theologie, das noch nicht vorhandene wissenschaftstheoretische Fundament ihrer Disziplin durch individuelle Höchstmotivation und persönli­ches Charisma zu kompensieren. Dies kann jedoch nur eine kurzfristige Starthilfe für ­diese Disziplin darstellen, für Generierung einer wissenschaftlichen Programmatik, die auch einer kritischen Untersuchung ihrer Pers­pek­tive, ihres Ansatzes, ihrer Methoden ­standhält (in der Art eines wissenschaftstheoretischen Stresstests), bedarf es einer Selbstreflexion, die möglichst freigehalten wird vom Gaukel­spiel charismatischer Strahlkraft und sich obwohl streng in den Banden einer dafür erforderlichen detranszendentalisierten Rationa­lität gehalten, die Demut der Gotteskontem­plation einnimmt.

In diesem Sinne leistet Ali Özgür Özdil mit seiner Dissertation für die Islamische Theolo­gie in Deutschland einen wichtigen Beitrag, denn er forciert die Beschäftigung der Diszip­lin mit sich selbst. Jenseits kurzfristiger gesell­schaftspolitischer Anforderungen fragt er grundlegend danach, welches ihre konstituie­renden Einflussgrößen sind und aus welchen Quellen sie sich speist. Erst danach wendet er sich pragmatischeren Fragen nach ihren Aufgaben zu, was sie zu leisten habe und was die Muslime und die Gesellschaft von ihr erwarten könnten.

Grundsätzlich stellt der Autor fest, dass Islamische Theologie eine begriffliche Neuschöp­fung darstellt, für ihn bietet sich dieser ­Begriff als Oberbegriff für die gesamte Lehre des ­Islams an. Grundlegend lässt sich Theologie als die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Religion bestimmen, dies ist jedoch nicht weiterführend, da dann eine Deckungsgleich­heit mit der Religionswissenschaft besteht – im Falle des Islams mit der Islamwissenschaft. Insofern wird unter Theologie gängiger ­Weise die deutende Auseinandersetzung mit der reli­giösen Tradition gefasst.

Interpretation bedarf aber immer einer Pers­pektive. Jenseits der Normativität gesellschaftspolitischer Vorgaben ist noch unklar, welche Perspektive dies sein soll. Die Vorschläge des Autors dafür können zum einen überzeugen, etwa wenn er meint, die Islami­sche Theologie könne einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, die Entspannung eines historisch gewachsenen, aber auch durch aktuelle Ereignisse verstärkten ­Spannungsfeldes zwischen Islam und Europa ­beziehungsweise des Islam in Europa bewirken.

Bei anderen wiederum schimmert die Gefahr der normati­ven Überfrachtung auf, wenn er zum Beispiel davon spricht, dass es eine zentrale Frage für die Islamische Theologie sein müsse, wie die Muslime in Deutschland sich vom Makel der sozialen Unterschicht und der kulturellen Minderwertigkeit befreien könnten. Um realistisch in den Ansprüchen zu bleiben, plädiert der Özdil schließlich für eine praktische Ausrichtung der Theologie, die sich nicht in abgehobenen Detailfragen verliert, sondern den Muslimen akademisch reflektierte aber eben auch konkrete ­Lösungen für ihre Glaubenspraxis in einem christlich-atheistischen Gesellschaftskontext anbietet.

So würde der Missstand überwunden, dass Muslime ihr reli­giöses Leben in der ­Diaspora dauerhaft durch Ausnahmeregelungen gestalten müssten, und sich die muslimische Religionsausübung in Deutschland weiter normalisieren würde.

Entscheidend trägt der Autor zur Selbstveror­tung der Disziplin bei, indem er ­verschiedene Ansätze Islamischer Theologie innerhalb und außerhalb Europas untersucht. Zunächst behandelt er Institutionen höherer religiöser Bildung in der Türkei, im Iran und in Ägypten, wobei der Oberbegriff „Ilahiyat“ unter dem in der Türkei die universitäre Imam-Ausbildung für den Staatsdienst firmiert, sowohl sprachlich als auch inhaltlich der hierzulande gewählten begrifflichen Neuschöpfung Islamischen Theologie am nächsten kommt.

Sodann wendet er sich den fast ausnahmslos in den 1990ern gegründeten Einrichtungen höherer islamischer Bildung in Europa zu. Diese Gründungswelle zeigt das Umdenken der Muslime in Europa auf, sich von der reli­giösen Lehre ihrer Ursprungsländer befreien zu müssen und eigene, speziell für ihre Anfor­derungen in Europa zugeschnittene Institutionen zu schaffen. Stets liegt sein Hauptaugenmerk auf den Lehrplänen, die ausführlich vorgestellt und diskutiert werden. Dies mit der Intention Beispiele und Impulse zu ­geben, wie die Herausforderung universitärer ­Lehre für Islamische Theologie und Religionspäda­gogik in Deutschland gestaltet werden könnte. Ein Vorschlag erscheint besonders interes­sant: Da die Islamische Theologie wohl langfristig auf Lehrstühle begrenzt sein wird und es nicht zur Gründung eigener Fakultäten und Departments kommen wird, könnten Lehrstühle mit Bezug zu Islamischer Theolo­gie über die gesamte Universität verteilt werden, sich zu einem Teil in die normale Forschung und Lehre ihrer Disziplin einbringen und zum anderen Teil für Studierende der Islamischen Theologie da sein. So würde sich über die gesamte Universität verteilt eine Reihe von Lehrstühlen befinden, die integriert in den Regelbetrieb auch einen Studiengang in Islamischer Theologie ermöglichen würden. Dadurch würden die zusätzlichen ­Kosten für einen weiteren Studiengang gering gehalten, weil die zusätzlichen Lehrstühle eben auch das Lehrangebot derjenigen Disziplinen ergänzen würden, in denen sie angesiedelt wären.

Es lässt sich festhalten, dass die vorliegende Publikation am Anfang einer innerdisziplinären Diskussion stehen könnte, in deren Verlauf sich der Gegenstand, die ­Perspektive, die Aufgaben und nicht zuletzt die erschließenden Methoden der Islamischen ­Theologie deutlicher werden. So wird sich zeigen, ob und wie diese imstande ist, die facetten- und traditionsreiche muslimische Gelehrsamkeit sinnvoll zu ergänzen.

Ali Özgür Özdil, Islamische Theologie und Religionspädagogik in Europa, Kohlhammer 2011. 340 S., 29.80 Euro