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„Seitdem haben wir Eiszeit“

Ausgabe 303

(iz). Fast wäre mit Nurhan Soykan erstmals eine Muslimin ins Beraterteam der Abteilung „Religion und Außenpolitik“ des Auswärtigen Amts aufgenommen worden. Doch nur neun Tage nach Bekanntgabe der Personalie machte das Ministerium einen Rückzieher. Über Parteigrenzen hinweg hatten Politiker Soykan massiv kritisiert. Sie hatten das Auswärtige Amt aufgefordert, die Personalie rückgängig zu machen. Drei Wochen nach Beginn der Debatte meldete sich Nurhan Soykan selbst zu Wort.

Frage: Hatten Sie damit gerechnet, dass es Kritik an Ihrer Berufung zum Auswärtigen Amt geben wird?

Nurhan Soykan: Ich habe schon damit gerechnet, dass einige ein Problem damit haben werden, dass eine als Muslima erkennbare Frau im Auswärtigen Amt arbeitet. Ich habe nicht damit gerechnet, dass darunter das gesamte Projekt leidet. Dass nun das ganze Projekt zum Ruhen gebracht wird, tut mir sehr leid.

Frage: Wie kam es eigentlich zu der Zusammenarbeit?

Nurhan Soykan: Ich engagiere mich seit 2007 beim Zentralrat der Muslime (ZMD), war dann schnell auch bei der Deutschen Islamkonferenz und im Koordinationsrat der Muslime tätig. Ich habe häufig interreligiöse Gremien besetzt und mich immer offen für trialogische Zusammenarbeit gezeigt. Bei verschiedenen Veranstaltungen habe ich die Kollegen vom Auswärtigen Amt kennengelernt. So kam es zum Kontakt.

Frage: Wie haben Sie davon erfahren, dass das Projekt infolge der massiven Kritik erst einmal auf Eis gelegt wird?

Nurhan Soykan: Zunächst vom Auswärtigen Amt. Ich hoffe aber, dass das Projekt noch gerettet werden kann. Meine Person steht da an zweiter Stelle.

Frage: Gegenstand der Kritik war auch Ihr Verhältnis zu Israel. In der „Jerusalem Post“ hieß es, Sie würden Israels Zerstörung und die israelfeindlichen Al-Quds-Demos unterstützen. Wie stehen sie zum Al-Quds-Tag?

Nurhan Soykan: Als Quelle dafür wird mein Interview im Deutschlandfunk vor sechs Jahren angegeben. Wie sie wissen, gab es damals einen schweren Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, mit über 1.400 toten Zivilisten auf palästinensischer Seite und ich glaube 67 Toten auf israelischer Seite, überwiegend Soldaten. Daraufhin gab es dann auch Demonstrationen in Deutschland. Mir ging es zu keinem Zeitpunkt um den umstrittenen so genannten Al-Quds-Tag, das ist auch in dem Interview ersichtlich. Ohnehin hat der ZMD sich in der Vergangenheit und danach weder aktiv noch passiv daran beteiligt.

Frage: Das Interview ist nicht der einzige Fall, in dem Ihnen und dem ZMD eine Nähe zu Extremisten nachgesagt wurde. Auch die Verbindungen des Mitgliedsverbands Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG) zur Muslimbruderschaft spielten schon eine Rolle. Allgemein gefragt: Sollte der Staat mit Organisationen zusammenarbeiten, deren Vertreter vom Verfassungsschutz beobachtet werden?

Nurhan Soykan: Die Frage stellt sich so nicht, da der Staat es ja bereits macht. Im Übrigen hat eine breite Mehrheit im höchsten Organ des ZMD im vergangenen Jahr beschlossen, dass die Mitgliedschaft der DMG ruhen soll. Das ist zwar ein schmerzhafter, aber notwendiger Schritt. Bis zur gerichtlichen Klärung der gegen die DMG öffentlich erhobenen Vorwürfe gilt für uns auch die Unschuldsvermutung.

Frage: Die Entscheidung des ZMD, die Mitgliedschaft der DMG ruhen zu lassen, ist also nicht als Distanzierung zu verstehen?

Nurhan Soykan: Ein Islam, der auf extremistischen Ideologien gebaut ist, hat im ZMD keinen Platz. Insofern sind diese Schritte notwendige Prozesse der Ausdifferenzierung. Erschwerend kommt aber leider hinzu, dass es im Islam-Diskurs leider einen unausgesprochenen Extremismusvorbehalt gibt. Nicht selten werden dann gerne auch MB oder Salafismus z.B. als Denunziationselemente eingesetzt, die unbewiesen im Raum stehen.

Frage: Hat der ZMD ein Problem mit Extremismus?

Nurhan Soykan: Der ZMD nicht, aber manche Muslime. Unsere Aufgabe besteht darin, durch Aufklärung im Islam Muslime und Organisationen gegenüber jeglichem Extremismus zu immunisieren. Hier gibt der Glaube die entscheidenden Grundlagen und den Halt selber, der eben antirassistisch und gegen jede Form der politischen Vereinnahmung ist.

Frage: Erst vor kurzem hat der Bundesverfassungsschutz Ihren Mitgliedsverband Atib als Teil der türkisch-nationalistischen „Grauen Wölfe“ eingeordnet. Ist da auch nichts dran?

Nurhan Soykan: Das hat uns in der Tat sehr betroffen gemacht, zumal Atib seit über 33 Jahren existiert und in keinem Bericht bisher auftrat. Ich finde es aber gut, dass sich Atib der Diskussion stellt und im ersten Schritt die vom Verfassungsschutz unterstellte Verwobenheit mit nationalistischem Gedankengut durch ein unabhängiges wissenschaftliches Gutachten prüfen lassen will. Weitere Gespräche mit Atib und dem Verfassungsschutz stehen an, dann sehen wir weiter.

Frage: Sie sagen, die Vorwürfe seien vor allem eine Sache der Atib. Warum sind Sie dann nicht so konsequent und entledigen sich des Problems, indem Sie sich von Atib lösen?

Nurhan Soykan: Es ist nicht unsere Absicht, unsere Mitglieder mit ihren Problemen allein zu lassen. Aber inhaltliche Argumente sollten sie schon selbst bringen. Atib kennt die Innenperspektive selbst am besten. Wir unterstützen dabei, soweit wir in der Lage sind. Das ist ein Prozess, der gerade begonnen hat.

Frage: Es wurden Vorwürfe laut, die Sie in die Nähe türkischer Nationalisten bringen. Als der Bundestag vor vier Jahren den Genozid an den Armeniern verurteilte, erklärten Sie, die Resolution habe das Vertrauen vieler türkischstämmiger Menschen in die Politik geschwächt. Können Sie nachvollziehen, dass so eine Äußerung das Vertrauen vieler Menschen in den „Zentralrat der Muslime“ schwächt?

Nurhan Soykan: Es ist ja kein Geheimnis, dass es damals sehr viele unterschiedliche Stimmen in der türkischen Community gab. Mir ging es in diesem Zusammenhang darum, darauf hinzuweisen und nicht um eine persönliche Positionierung.

Frage: Wie steht der ZMD zur Armenien-Resolution des Bundestages?

Nurhan Soykan: Als ZMD haben wir uns zu dem Thema immer neutral verhalten. Da gab es auch einen entsprechenden Beschluss und so halte ich es auch jetzt. Wir sind eine Religionsgemeinschaft und uns geht es in erster Linie um Religion in Deutschland, nicht um politische Fragen aus dem Ausland. Der ZMD ist ein sehr pluraler Verband mit Mitgliedern aus ganz verschiedenen Herkunftsländern.

Frage: Ich würde sagen, die Verurteilung eines Genozids ist keine Positionierung gegenüber einer „politischen Frage aus dem Ausland“.

Nurhan Soykan: Jedweder Genozid ist klar zu verurteilen, egal wo, egal von wem. Das ist doch keine Frage. Es ging hierbei lediglich um das Wie. Viele Migranten türkischer Herkunft waren vor den Kopf geschlagen, man hat es versäumt, sie bei dem Prozess mitzunehmen. Ich hätte es besser gefunden, wenn eine wissenschaftliche Kommission sich mit Türken und Armeniern zusammengesetzt hätte, deren Archive genutzt und ein Gutachten erstellt hätte. Das würde der Versöhnung sicherlich dienen.

Frage: Beim Zentralrat der Muslime hat man mit viel Unverständnis auf die Kritik an Ihnen reagiert. Die Rede war von einer „rufmordähnlichen Kampagne“, die „politisch motiviert“ sei. Worin besteht Ihrer Meinung nach dieses politische Motiv?

Nurhan Soykan: Leider Gottes haben wir als muslimische Religionsgemeinschaften keinen einfachen Stand. Manche betreiben sogar eine aktive Delegitimation muslimischer Vertretungsstrukturen aus einer politischen oder islamophoben Motivation heraus. Große Verbände werden immer und immer wieder kleingeredet und kleinere Gruppierungen werden politisch und medial gepusht. Da wird eine Kultur des Gegeneinanderausspielens gepflegt. Dazu gehört auch, dass kleinere Gruppierungen, die ihre eigene Vertretungsmacht demonstrieren wollen, andere angreifen.

Frage: Die Kritik an Ihnen reicht über das gesamte politische Spektrum: von Politikern der Linkspartei bis zur AfD. Haben die und der LIB sich alle zu einer Kampagne gegen den ZMD zusammengeschlossen?

Nurhan Soykan: Das sehe ich nicht so, es gibt ebenso Unterstützer aus allen Parteien, ausgenommen der AfD, die unsere jahrzehntelange Arbeit für den Zusammenhalt der Gesellschaft, für die Versöhnung und den Dialog der Kulturen und Religionen und vor allem für die Stabilisierung unserer Demokratie und Freiheit schätzen und uns den Rücken derzeit stärken. Einigen der Kritiker geht es vermutlich auch darum, dass gute Projekt im Auswärtigen Amt zu diskreditieren.

Frage: Wie meinen Sie das?

Nurhan Soykan: Es ist ein Novum, dass eine staatliche Behörde mit Religionsgemeinschaften zusammenarbeitet, insbesondere mit einer Vertreterin einer muslimischen Religionsgemeinschaft, die auch noch Kopftuch trägt. Das ist ein sehr mutiger Schritt, der auch viel Widerstand erfährt, weil es ein rotes Tuch für diejenigen ist, die sich auf das Neutralitätsgebot beziehen und eine strikte Trennung von Religion und Staat fordern. Ich verstehe das Neutralitätsgebot so, dass es den Staat verpflichtet jeden Bürger gleich zu behandeln, unabhängig von seiner Herkunft oder Religion. Jede Weltanschauung hat ihren Platz in unserem Land und zwar gleichberechtigt.

Frage: Nun ist der ZMD nicht die Religionsgemeinschaft, sondern eine von vielen Gruppierungen. Wäre es nicht besser gewesen, eine Person für dieses Projekt auszuwählen, die nicht mit einer bestimmten Organisation verbunden ist, die auch nur einen kleinen Teil der Muslime vertritt?

Nurhan Soykan: Ich habe als Nurhan Soykan einen Beratervertrag und nicht als ZMD. Ich möchte dennoch etwas zum ZMD sagen. Wir sind Teil des Koordinationsrates der Muslime, in dem alle großen Dachverbände vertreten sind. Von daher haben wir einen Bezug zur Mehrheit der Muslime, zumindest jenen Teil, der in die Moscheen geht. Unsere theologische Ausrichtung ist auch so, dass sie die Mehrheit der Muslime vertritt. Wir wollen nicht dem Fehler verfallen, dass wir uns kleinreden. Wir haben die islamische Wohlfahrtspflege eingeleitet, wir gehen Themen wie islamischen Religionsunterricht, islamische Theologie und die staatliche Anerkennung an, engagieren uns in der Flüchtlingsarbeit und sind Vorreiter im interreligiösen Dialog.

Frage: Bei vielen Themen, die Sie angesprochen haben, geht es in letzter Zeit nicht mehr so richtig voran.

Nurhan Soykan: Wir waren schon sehr weit. Es hat nur noch ein Fünkchen gefehlt. Dann ist uns das Problem mit der Türkei und DITIB in die Quere gekommen und wir wurden alle in Sippenhaft genommen. Man hat dann viele Projekte gestoppt, an denen wir gearbeitet haben. Seitdem haben wir Eiszeit und versuchen das wieder in die Wege zu leiten. Für mich hat Priorität, dass wir die Zersplitterung unter den Muslimen auflösen, indem wir uns alle unter einem Dach vereinen und endlich einmal mit einer Stimme sprechen.

Dieses Interview in seiner vollen Länge wurde erstmal am 10. August 2020 bei t-online.de veröffentlicht. Abdruck mit Genehmigung des Autors (Fabian Goldmann).