Sind auch „Islamische Banken“ haram?

Ausgabe 221

(iz). Es gehört wohl zu den Ergebnissen der Säkularisierung, dass ­viele Menschen sich längst ein Leben ohne Gott vorstellen können, allerdings kaum mehr ein Leben ohne Banken. Die Einrichtung der „Zettelbanken“ im 18. Jahrhundert haben eine ganze Epoche verändert, ihre neuen Finanzierungstechniken den Lauf der Poli­tik ganzer Jahrhunderte mitbestimmt und nicht zuletzt auch die islamische Welt entscheidend geprägt. Der Zusam­menbruch muslimischer Souveränität und die Erscheinung der Banken fällt dabei zusammen.

Heute erscheint das „moderne Banking“ nicht nur alternativlos, es wird auch als institutionelle Garantie für Wohlstand und Zivilisation gepriesen. Nur, ist das wirklich so? Im Westen hat längst eine breite Debatte über Sinn und Wirkung des Bankensystems begonnen. Zahl­reiche Veröffentlichungen, Bücher und Beiträge beschreiben das Unwesen der Banken, deren Kernkompetenz nach wie vor die Schaffung von Geld aus dem Nichts ist. Aber, es scheint kaum alternative Wirtschaftsmodelle zu geben, die ohne Banken auskommen können und die in diesem Falle nicht sofort unter den Verdacht der naiven Träumerei oder einer abgründigen Rückwärtsgewandtheit stehen. Mehr noch, uns wird heute glauben gemacht, dass ein Leben mit moder­ner Technologie, aber ohne Banken ein absoluter Widerspruch sei. Wer will aber schon zurück zur Steinzeit? Gibt es also wirklich kein ökonomisches Modell, das die Banken ersetzt und die Errungenschaften der Moderne nicht radikal in Frage stellt?

Es lohnt sich hier gerade als Muslime kurz innezuhalten und sich auch nach alternativen Denkansätzen in der eigenen Lebenspraxis umzuschauen. Natürlich, auch in der islamischen Welt ist der Siegeszug der Banken, genauer, der islamischen Banken nicht zu übersehen. Insbesondere der Modernismus der arabischen Welt sah in der Kopie dieser Finanztechnik den Weg zur bitter ­nötigen ökonomischen Machtsteigerung, dem Grunde nach der einzige Weg, das ­eigene Machtdefizit gegenüber der expansiven, westlichen Welt auszugleichen. Heute hat sich aber der Blickwinkel abermals geändert. Das Bankensystem erscheint inmitten der größten Finanzkrise der Menschheitsgeschichte nicht mehr nur als Methode zur Machtsteigerung, sondern vielmehr als Ballast von Gesellschaften, die keinen Ausweg mehr aus der erdrückenden Schuldenlast und dem drohenden Kollaps genau dieser Banken sehen.

In der islamischen Welt wird daher das Phänomen der „islamischen Bank“, also einer Bank die moralischer sein will als „normale“ Banken, spürbar kritischer gesehen. Diese Emanzipation gegenüber den gängigen Modellen zeigt gerade ein ungewöhnlicher Rechtsfall in Pakistan.

Pakistan als der Standort einer intelligenten Debatte über ökonomische Alternativen mag dabei zunächst überraschen. Das Land wird ja mit vielen poli­tischen und ökonomischen Problemen in Verbindung gebracht, dabei gibt in dem geschundenen Land in prekärer Lage weiß Gott auch viele offensichtlich untaugliche oder radikale Lösungsansät­ze. Es gibt aber auch eine Elite, die ganz neue Fragen stellt.

Eine graduelle Abschaffung des gegen­wärtigen Banksystems in Pakistan, ­wegen ihres – aus islamischer Sicht – ­verbotenen rechtlichen Charakters wurde nun im so genannten Riba-Verfahren [arab. für ­ungerechtfertigte Kapitalvermehrung] gefordert. Der langjährige Prozess um das grundsätzliche Verhältnis der pakis­tani­schen Verfassung zur modernen Ökono­mie ist vor dem Bundesstaatlichen Scharia-Gericht (FSC) anhängig. Nachdem in dem Verfahren zwischenzeitlich zehn Jahren untätig vergangen sind, kommt nun neuer Schwung in die Verhandlungen. Eine Partei in diesem vielbeachteten Verfahren zum Thema Riba, stellte inzwischen sogar die Gültigkeit des ganzen pakistanischen Bankwesens – also inklusive Zentralbank und der „Islamischen Banken“ – im Licht der islamischen Lehre in Frage. Dieser kritische Ansatz ­sorgte für einige Aufregung.

Wichtiger Kopf in der wachsenden Fraktion der Bankkritiker, die aus allen gesellschaftlichen Schichten kommen, ist eine mutige Frau. Die ehemalige Abgeordnete des Bundesstaates Punjab, Dr. Humaira Shahid, die eine der Klägerinnen in diesem Fall ist, bemüht sich bei jeder ihrer Wortmeldung darum Alterna­tiven zu dem gegenwärtigen System aufzuzeigen. Das eigentliche islamische Finanzsystem definiert sie dabei durch die Regeln der Muamalat. Die couragierte Geschäftsfrau nimmt bei ihren Ausführungen auch auf das islamische Establishment im Land wenig Rücksicht. Zum Schrecken von Millionen Pakistanern, die ihre Ersparnisse in den letzten ­Jahren bei den „Islamischen Banken“ unterbrachten, eben um Riba zu vermeiden, hat die Antragstellerin in ihrem schriftlichen, dem FSC vorgelegten Dokument, ausdrücklich auch die „Islamischen Banken“ als „haram“ bezeichnet.

„Wir fechten die Idee einer Islamisie­rung von kapitalistischen Einrichtungen und Instrumenten als Täuschung an, die statt zu einer Abschaffung von Riba dazu führte, dass ‘Riba halal’ gemacht wurde“, heißt es in dem Dokument zur Klage. Außerdem seien „Islamische Banken“ und die Nutzung von Papiergeld, so liest man dort, nichts anders als eine Täuschung.

Damit noch nicht genug geht sie auch weiter in die Offensive. „Der ­Murabaha-Vertrag“ so Humaira Shahid ­“wurde zu einem der wichtigsten Instrumente der Islamischen Banken gemacht, um Riba hinter der Fassade des islamischen Vertragsrechts zu verstecken.“ Murabaha ist aus Sicht der Ökonomin ein Verkaufs-Vertrag und gerade keine Vereinbarung zur Finanzierung. Der Preisaufschlag im Murabaha sei nur ein Weg zur Feststellung des Preises von verkauften Güter. Er könne keine Bedingung für eine vorherige Vereinbarung sein, wie es im verbotenen Fall der ‘zwei Verkäufe in ­einem’ geschehe.“

Sie betonte gleichzeitig, dass sich jeder Versuch der Abschaffung von Riba auch darauf konzentrieren müsse, was die Alternative dazu sei. „Dies liegt daran, weil wir nicht etwas abschaffen können, das verboten ist, ohne eine Alterna­tive von dem anzubieten, das erlaubt ist“ erklärt Humaira Shahid.

Bezüglich einer solchen Alternative argumentiert sie nun, dass ein Modell dessen, was halal sei, bereits existiere, und es so auch innerhalb des des Rahmens des islamischen Rechts und der pakistani­schen Verfassung umgesetzt werden könne. Dieses Modell seien, so das Dokument, die Muamalat, das sozio-ökonomischen Modell aller islamischen Gesell­schaften vom Anfang des Islam bis zum Fall des Kalifats.

„Dieses Modell war überraschenderweise mehr oder weniger allen vor-kapitalistischen Gesellschaften (darunter einigen nichtmuslimischen) zu eigen und war zur Zeit von Madina Al-Munawwara vollkommen“, fügte die Klägerin hier hinzu.

Natürlich schließt sie dabei nicht die Nutzung moderner Technologien, wie besipielsweise internetbasierte Zahlungs­systeme auf der Grundlage von Gold oder Silber aus. Humaira Shahid weiß natürlich, dass keinen Weg zurück gibt. „Moderne“ ökonomische Modelle, die dennoch in Harmonie mit dem islamischen Wirtschafstrecht stehen, seien bereits in einigen muslimischen Ländern, wie Malaysia und Indonesien eingeführt worden, betonte Dr. Humaira.

Allerdings glaubt sie nicht an die Möglichkeit der Reform von bestehenden Banken. Im Verfahren fügte sie dann auch hinzu, dass die gegenwärtigen Banken und Finanzinstitutionen dem Gericht bereits selbst mitgeteilt hätten, dass ihre Institutionen nicht ohne Riba operieren könnten.

Über das Modell der Muamalat erfährt man nun vor dem Gericht, dass dazu nicht nur vertragliche Aspekte gehörten, sondern auch Einrichtungen und Ins­trumente, die unterstützen und fördern, was halal sei. Dazu gehörten Golddinare, Silberdirhams, Wadias (Einrichtungen zur sicheren Aufbewahrung), Suqs (offene Märkte), Karawanen (offene Ins­titutionen des fairen Handels), Gilden (offene Produktionseinrichtungen), Waqf/Auqaf (Institutionen der Wohlfahrtspflege), Bai Salam (ein landwirtschaftliches Handelssystem), Bait ul Mal etc. Im Zusammenspiel der Einrichtungen geht es um die Etablierung fairen, globalen Handels und die Bekämpfung von Monopolen.

„Das Problem ist“ so Humaira Shahid „dass viele Muslime diese Modelle und damit ihre Aktualität in der ­momentanen Lage der Finanzmärkte einfach nicht mehr kennen“. In dem von ihr vorgeleg­ten Konzept wird erläutert, dass insbesondere die Einführung von Golddinaren und Silberdirhams, die auch in der Region als Scharia-Währung bekannt sind, wesentlich für die Einführung der Muamalat und damit letztlich für die Abschaffung von Riba seien. Kurzum, das bestehende, inflationäre Papiergeld­system ist für die Klägerin in sich das Problem.

Bezüglich der Praktikabilität solcher Systeme gibt es auch schon praktische Erfahrungen auf die sie verwiesen kann. Dr. Humaira Shahid zeigte in ihren Pressekonferenzen auf, dass 2008 die Regierung des malaysischen Bundesstaates Kelantan sich für die Einführung von Dinar und Dirham als Zahlungsmittel im ihrem Gebiet entschied und allen Staatsangestellten anbot, bis zu 25 Prozent ihres Gehalts in Dinar und Dirham auszuzahlen. „Es geht auch im 21. Jahrhundert ohne Banken“ davon ist die Akademikerin inzwischen völlig überzeugt.