Sisi in Berlin – ein Diktator zu Besuch

Zwei Dutzend Amnesty-Aktivisten haben am Montagmorgen am Brandenburger Tor gegen die katastrophale Menschenrechtssituation in Ägypten protestiert - nur wenige Meter vom Hotel Adlon entfernt, wo der ägyptische Präsident Abdel Fattah Al-Sisi während seines Deutschlandbesuchs übernachtet. Al-Sisi trifft am morgigen Dienstag (30.10.) Bundeskanzlerin Angela Merkel, um über die weitere Zusammenarbeit zwischen Ägypten und Deutschland zu sprechen. Amnesty appelliert an die Bundesregierung, die systematischen Menschenrechtsverletzungen durch die ägyptischen Behörden deutlich anzusprechen und ein Ende der massiven Unterdrückung der ägyptischen Zivilgesellschaft einzufordern. Weiterer Text über ots und www.presseportal.de/nr/7122 / Die Verwendung dieses Bildes ist für redaktionelle Zwecke honorarfrei. Veröffentlichung bitte unter Quellenangabe: "obs/Amnesty International/Amnesty International/Schacht"

BERLIN/KAIRO (GFP.com). Die Bundesregierung weitet ihre Unterstützung für das ägyptische Militärregime und ihre Kooperation mit Kairo in der Flüchtlingsabwehr aus. Verhandlungen darüber haben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel in den vergangenen Tagen mit dem ägyptischen Präsidenten Abd al Fattah al Sisi in Berlin geführt. Demnach wird die Bundesregierung Ägypten etwa in ökonomischen Belangen sowie mit Bildungsmaßnahmen für junge Ägypter unter die Arme greifen.
Die Stabilisierung der Kairoer Regierung gilt als sehr wichtig, um über sie Einfluss im Nahen Osten und in Libyen nehmen zu können sowie die Kontrolle über den Suezkanal nicht zu verlieren: Zuletzt konnte China seinen Einfluss in Kairo deutlich ausweiten. Deutsche Unternehmen sehen sich inzwischen nicht mehr in der Lage, die Profitchancen, die sich in Ägypten bieten, aus eigenem Einfluss zu realisieren, und dringen deshalb in Wirtschaftsbelangen auf eine engere Zusammenarbeit mit Beijing. Zugleich ist die EU bestrebt, mit Kairo ein Abkommen zur Flüchtlingsabwehr zu schließen.
Normale Beziehungen
Der Empfang für Ägyptens Präsidenten Abd al Fattah al Sisi in Berlin ist in der ägyptischen Presse schon vorab als Beleg für die Normalisierung der deutsch-ägyptischen Beziehungen gewertet worden. Eine Selbstverständlichkeit ist das nicht: Nach dem Militärputsch am 3. Juli 2013 und der anschließenden blutigen Niederschlagung islamistischer Massenproteste, bei der mutmaßlich mehr als 3.000 Menschen zu Tode kamen, sahen sich die ägyptischen Generäle eine Zeitlang scharfer Kritik aus dem Ausland ausgesetzt.
Kritik wird in Berlin offiziell immer noch geäußert, vorzugsweise von der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD), die sich etwa im September „bestürzt“ über 75 Todesurteile gegen Oppositionelle zeigte; die Urteile waren in einem Massenprozess gegen Regierungsgegner wegen angeblicher oder tatsächlicher Verbrechen während der Unruhen im Sommer 2013 verhängt worden.
Folgen hat die Kritik allerdings nicht. So wiesen ägyptische Medien jetzt darauf hin, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe al Sisi schon im Juni 2015 nach Berlin eingeladen und sei dann ihrerseits im März 2017 nach Kairo gereist. Der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier habe sich 2015 und 2016 mit seinem ägyptischen Amtskollegen getroffen, sein Nachfolger Sigmar Gabriel im August 2017. Der Siemens-Konzern habe im Jahr 2015 das größte Geschäft seiner Firmengeschichte abgeschlossen – mit Ägyptens Regierung. Am Montag ist Al Sisi nun von Bundespräsident Steinmeier und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble empfangen worden, am gestrigen Dienstag von Kanzlerin Merkel. Das entspreche, heißt es in ägyptischen Medien, den guten Wirtschaftsbeziehungen in vollem Maß.
Geostrategisch bedeutend
Tatsächlich sind die Wirtschaftsbeziehungen zu Ägypten für die deutsche Industrie sowie für die Berliner Politik von einiger Bedeutung. Ägypten ist – nach Südafrika – das einzige Land des afrikanischen Kontinents, in dem deutsche Unternehmen Investitionen in einem Gesamtwert von mehr als einer Milliarde Euro getätigt haben. Zudem ist es, ebenfalls mit großem Abstand zu Südafrika, der wichtigste afrikanische Handelspartner der Bundesrepublik. Dies gilt in Berlin als nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch wichtig: Ägypten spielt nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in Nordafrika eine zentrale Rolle; unter anderem gilt es als eine der wichtigsten Stützen des libyschen Warlords Khalifa Haftar, dessen Streitmacht als eine der stärksten Kräfte in dem zerfallenen Staat gilt.
Darüber hinaus kontrolliert Kairo mit dem Suezkanal den Seeweg aus Europa nach Mittelost sowie nach Süd-, Südost- und Ostasien – eine der Hauptschlagadern des deutschen Exports. Berlin hat daher nicht nur Interesse, Ägypten wenigstens halbwegs zu stabilisieren; es bemüht sich auch um politischen Einfluss auf die Regierung. Bereits am Montag haben die deutschen Bundesminister für Wirtschaft, Peter Altmaier, und für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Gerd Müller, Al Sisi weitere Unterstützung in ökonomischen Belangen und bei Ausbildungsmaßnahmen für junge Ägypter zugesagt.
Über China nach Ägypten
Allerdings sehen sich deutsche Unternehmen inzwischen trotz der intensiven Einflussarbeit der Bundesregierung nicht mehr in der Lage, die Profitchancen, die sich ihnen in Ägypten bieten, in vollem Umfang aus eigener Kraft zu realisieren. Das liegt am rasant zunehmenden Einfluss Chinas. Die Volksrepublik sei nicht nur „das wichtigste Lieferland für Ägypten“, sondern dort längst auch zum „Baumeister und Investor“ aufgestiegen, urteilt etwa die bundeseigene Außenwirtschaftsagentur Germany Trade & Invest (gtai). Eine chinesische Investmentholding betreibe die boomende Sonderwirtschaftszone Ain Sokhna; andere Konzerne aus China seien mit dem Bau von Ägyptens geplanter neuer Hauptstadt befasst. Bei Energie- und Bahnprojekten seien „chinesische Bieter in Ägypten mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme“, konstatiert die gtai. Firmen aus Deutschland täten sich deutlich schwerer. „Eine Kooperation von deutschen und chinesischen Partnern ist noch selten, könnte in Zukunft aber neue Chancen eröffnen“, heißt es in einer gtai-Studie, die modellhaft die Bewerbung eines deutsch-chinesisch-ägyptischen Joint Ventures zum Bau einer Bahnstrecke von Ain Sokhna nach El Alamein erwähnt; beteiligt sind Siemens und die Deutsche Bahn. Der Plan, künftig mit chinesischen Unternehmen zu kooperieren, um Aufträge in Drittstaaten zu erhalten, ist keine deutsche Spezialität: Auch Japan setzt darauf, seinen Unternehmen über eine Zusammenarbeit mit chinesischen Firmen eine Beteiligung an Infrastrukturprojekten in anderen Ländern zu sichern. Entsprechende Verträge wurden vergangenes Woche beim Besuch des japanischen Ministerpräsidenten Shinzō Abe in Beijing unterzeichnet.
„Ähnlich wie das EU-Türkei-Abkommen“
Jenseits der Absprachen zur Stärkung des deutschen Wirtschaftseinflusses in Ägypten drehten sich die Berliner Verhandlungen mit Al Sisi insbesondere um die Flüchtlingsabwehr. Bereits im September, kurz vor dem Salzburger EU-Gipfel, waren EU-Ratspräsident Donald Tusk und – im Namen der EU-Ratspräsidentschaft – Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz nach Kairo gereist, um dort mit Al Sisi, Außenminister Sameh Shukri und dem Präsidenten des Geheimdiensts GIS, Abbas Kamel, über neue Maßnahmen gegen Flüchtlinge zu diskutieren. Kairo sei „sehr effizient“ im „Kampf gegen ilegale Migration“, teilte Kurz anschließend in Salzburg mit.
Die Äußerung bezog sich nicht zuletzt darauf, dass es der ägyptischen Regierung gelungen ist, seit einem Schiffssunglück im September 2016, bei dem mehr als 200 Flüchtlinge ums Leben kamen, das Ablegen weiterer Flüchtlingsboote von der ägyptischen Küste vollständig zu verhindern. Kairo selbst entledigt sich unerwünschter Migranten immer wieder, indem es sie inhaftiert und umstandslos abschiebt – auch in Staaten, in denen ihnen Verfolgung und Folter droht. Ägypten könne in der Flüchtlingsabwehr den anderen Staaten Nordafrikas als Vorbild dienen, hieß es in Salzburg auf dem EU-Gipfel; Kanzlerin Merkel sprach sich dafür aus, mit den nordafrikanischen Regierungen Vereinbarungen zu erzielen, „die ähnlich geordnet sind wie das EU-Türkei-Abkommen“. Ob diesbezüglich gestern Resultate erzielt wurden, ist nicht bekannt.
Verbindungsbeamtin in Berlin
Bekannt ist allerdings, dass Berlin mit Kairo eng in Sachen Grenzabschottung kooperiert. Bereits seit Al Sisis Berlin-Besuch im Juni 2015 wird die deutsch-ägyptische Repressionszusammenarbeit systematisch ausgebaut. So teilte die Bundesregierung im Mai 2016 mit, die „Zusammenarbeit mit ägyptischen (Grenz-)Polizeibehörden“ werde im „Bereich Grenzschutz“ intensiviert – und zwar im Rahmen einer „Vorverlagerungsstrategie“ mit „Blick auf die aktuelle Migrationslage“.
Seither hat die Bundesregierung unter anderem einen „grenzpolizeilichen Verbindungsbeamten“ an der deutschen Botschaft in Kairo etabliert und Lehrgänge für ägyptische Grenzpolizisten durchgeführt. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat sogar Schulungen für ägyptische Geheimdienstler abgehalten. Wie die Bundesregierung bestätigt, gibt es eine enge Zusammenarbeit mit Ägyptens Geheimdienst GIS; dieser hat demnach sogar offiziell „eine Verbindungsbeamtin nach Berlin entsandt“.
Der GIS ist, wie sich beim Besuch von Tusk und Kurz im September in Kairo zeigte, in die Gespräche über eine etwaige gemeinsame Flüchtlingsabwehr involviert.