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So banal wie negativ aufgeladen

Ausgabe 280

Foto: Franz Johann Morgenbesser, via flickr | Lizenz: CC BY-SA 2.0

(iz). Der ursprüngliche Verlag wollte das Buch von Thilo Sarrazin nicht drucken – zu Recht. Dies ist keine Zensur. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Doch Rassismus und Faschismus sind keine Meinung. Sie sind menschenverachtend und Gift für die Gesellschaft. Hass und Feindschaft sind das Ergebnis von Rassismus. Ein friedliches, gemeinsames Miteinander ist dann nicht mehr möglich.
Auf diese Art und Weise liest sich leider das Buch von Sarrazin. In jedem Kapitel spürt man einen puren Hass, einen narzisstischen Hochmut. Die „entwickelten Sarrazins“ auf der einen Seite und die „unterentwickelten Muslime“ auf der anderen. So wie man es vom Autor sozialdarwinistisch aus vergangenen Büchern kennt. Die einen sind auf der Evolutionsleiter vorangeschritten, die anderen nicht. Der nächste Schritt wäre, dass man jene, die nicht vorangeschritten sind, „einfach mal so“ auslöscht, damit die weitere Evolution nicht aufgehalten wird. So kennt man es beispielsweise aus Briefen von Darwin.
Sarrazin geht nicht so weit. Er ist erst dabei zu erklären, dass Muslime auf der Evolutionsleiter ganz unten sind. So wird auf jeder Seite klischeehaft, vorurteilsbehaftet und ohne jegliche sachliche Überprüfung gegen Muslime und den Islam gehetzt.
Schon aus dem Untertitel und dem Klappentext wird deutlich, dass es Sarrazin nicht um eine objektive oder sachliche Analyse geht. Stattdessen werden negative und populistische Argumente aneinandergereiht.
Es wird ein Szenario entworfen, was oberflächlich folgendermaßen aussieht: Die Anzahl der Muslime in Deutschland wächst. Parallel fällt der Anteil der Nichtmuslime. Irgendwann gibt es mehr Muslime als Christen und mehr Moscheen als Kirchen. Und in diesem Prozess wird alles, was deutsch ist, ausgelöscht. So banal, so ideologisch, so aufgeladen sind die Theorien in diesem Buch. Deshalb schlägt er auch vor, sofort den Zuzug zu stoppen. So relativiert er zum Beispiel auch den gegenwärtigen Völkermord an den muslimischen Rohingya. Laut Sarrazin fühle sich die buddhistische Mehrheit eben durch die muslimische Minderheit in ihrer kulturellen Identität bedroht. Genau dieses Szenario, nämlich jenes der kulturellen Entfremdung, zeichnet er auch für Deutschland.
Im ersten Kapitel macht sich Sarrazin zum Theologen. Dabei ist seine Interpretation von Qur’an und den Aussprüchen des Propheten Muhammad genauso radikal, wie die der Salafisten, die ebenfalls den Kontext von Textstellen ausblenden. Ein solches, wortwörtliches Verständnis des Buches wird von 99% der Muslime abgelehnt. Sarrazin ist das egal, er nutzt dieses wortwörtliche Verständnis, um zu polarisieren. Ein solches Qur’anverständnis kann demnach sowohl zum rechten als auch zum religiösen Fanatismus führen.
Wenn Sarrazin beispielsweise schreibt, dass in großen Teilen der „muslimischen Welt“ junge Mädchen beschnitten werden oder das muslimische Frauen sich nicht scheiden lassen können oder dass eine Heirat unter Verwandten erlaubt sei, ist dies nicht nur kompletter Unsinn, sondern widerspricht zudem sowohl der islamischen Theologie als auch der Praxis. Mit nur wenig Aufwand hätte der Autor überprüfen können, dass diese und andere Behauptungen der islamischen Lehre völlig widersprechen. Hinzukommt, dass einfache Fakten wie Ortsnamen, Jahreszahlen, Namensschreibweisen oder Verse ebenfalls fehlerhaft sind.
Auch seine gefühlt unendlichen Statistiken, die er auch schon in vergangenen Büchern verwendete, sollen zeigen: Der Muslim ist schlicht und ergreifend dumm. Das hat er in den Genen. Und die „islamischen Länder“, was auch immer das sein soll, sind rückständig. Dass er dabei in seinen Statistiken sogar Länder, in denen Muslime in der Unterzahl sind, wie etwa einige afrikanische Staaten, als „islamische Länder“ verkauft, ist ihm geleichgültig. Denn wie Winston Churchill schon einmal sagte, „Glaube keiner Statistik, die du nicht selber gefälscht hast“. So versucht Sarrazin auf mehreren Seiten mit Zahlen zu „beweisen“, dass der Islam eine Gefahr sei.
Auch hat man an vielen Stellen das Gefühl, dass der Autor den Islam als eine Ethnie wahrnimmt. So schreibt er dann immer über „die Muslime“ oder „die Kultur der Muslime“ und lässt völlig außer Acht, dass Islam ein Glaube ist und Volkszugehörigkeit. Pauschal hat man das Gefühl, dass er insgesamt alle Araber, Türken und Afrikaner als Muslime bezeichnet. Und alle anderen als Nichtmuslime. Dass es aber auch Araber, Türken und Afrikaner gibt, die keine Muslime sind und Millionen von Europäern, Amerikanern anderen Völkern muslimisch sind, blendet er aus. Denn das würde mindestens die Hälfte seiner Theorien und Statistiken entkräften.
Auch die „Geschichte des Islams“ wird im Buch geradezu katastrophal wiedergegeben. Diese Geschichte deckt sich weder mit islamischen noch mit islamkritischen Quellen, die wenigstens eine sachliche Analyse leisten. Sarrazins „Geschichte des Islams“ liest sich wie ein Märchen von Goebbels. Frei erfunden, vollgepackt mit Schreckensbildern, ohne jegliche Quellen.
Sarrazin und andere ähnlich argumentierende Autoren überspringen bewusst die vielen Jahrhunderte, in denen muslimische Wissenschaftler die Fundamente der heutigen modernen Wissenschaft legten. Insbesondere das Mittelalter wird nur aus der Perspektive Europas betrachtet, als hätte die ganze Welt in dieser Zeitepoche wie Europa stagniert. Intellektuelle, kulturelle und wissenschaftliche Errungenschaften in Andalusien werden dadurch ausgeblendet. Mit dieser Betrachtungsweise entwickelt Sarrazin in seinem Buch eine Überheblichkeit, die an Narzissmus grenzt und versucht damit, dem Islam eine Rückständigkeit vorzuwerfen.
Im letzten Kapitel wird Sarrazin zum Pegidaversteher. Rassistische Kritik wird relativiert und die Angst vor dem Fremden wird permanent als Realität verkauft. Pegida, AfD, Reichsbürger und Selbstverwalter werden so zu „besorgten“ Bürgern, denen es doch Verständnis entgegenzubringen gelte.
Insgesamt ist das Buch eine Bestätigung des Erwachens der rechten Kräfte in Europa. Vor 15 Jahren wäre ein solches Buch als Bestseller undenkbar. Gegenwärtig ist die Konjunktur jedoch bestens geeignet für solche sozialdarwinistischen und hetzerischen Thesen.