Streit um Richtlinie zur journalistischen Ethik

Foto: André Schneider, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 3.0

Maulkorb, Sprachverbot, „Lügenpresse“: Seit Silvester stehen Medien unter besonderer Beobachtung. Und damit auch ein Anti-Diskriminierungs-Passus im Pressekodex . Darüber debattiert jetzt der Presserat.
Berlin (KNA). Diese Richtlinie beschäftigt nicht nur Journalisten. Die Rede ist von einem Anti-Diskriminierungs-Passus im Pressekodex, der nach den Silvesterübergriffen auf Frauen auch öffentlich heftig diskutiert wurde. Dabei geht es um die Berichterstattung über Straftaten, um die sogenannte Richtlinie 12.1.
Darin heißt es: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.“ Es wird darauf hingewiesen, „dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte“.
Darüber will an diesem Mittwoch das Plenum des Presserats in Berlin diskutieren. Soll die Richtlinie geändert werden, wie zuweilen gefordert wird? Unter den Tatverdächtigen von Köln sind laut Polizei Asylbewerber. Zunächst hieß es, dass nordafrikanisch beziehungsweise arabisch aussehende Männer Frauen belästigt und bestohlen hätten. Diese Information wurde nur langsam öffentlich.
Dem Presserat als Selbstkontrollorgan lägen im Zusammenhang mit dieser Berichterstattung 30 Beschwerden vor, sagt der Geschäftsführer des Presserats, Lutz Tillmanns. Wie mit ihnen umzugehen sei, sei Thema der geplanten Sitzungen der Beschwerdeausschüsse.
Für die Zusammenkunft des Plenums am Mittwoch liege kein Antrag vor, der eine Änderung der Richtlinie fordere. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir sie kurzfristig ändern.“ Tillmanns sagt auch: „Grundsätzlich kann ich mir immer eine Überarbeitung von ethischen Regeln vorstellen.“ Denkbar sei, dass Redaktionen schnelle Handreichungen bekämen, die in konkreten Fällen digital abrufbar seien. Man müsse immer schauen, wie man die Richtlinie auslege.
„Die Richtlinie 12.1 will vom Geist her Diskriminierung vermeiden“, betont Tillmanns. Mit Blick auf die Richtlinie wittere manch einer ein „Sprachverbot“: In der „jetzt aufgeheizten Stimmung“ vermuteten „Verschwörungstheoretiker“ eine Anweisung des Presserates an die Medien, vermeintlich unliebsame Veröffentlichungen zu unterlassen.
Dabei appelliere die Richtlinie im Gegenteil an Journalisten, ihrer Sorgfaltspflicht nachzukommen und zu prüfen, ob die Nennung etwa einer Nationalität für einen Text relevant sei – für die Silvester- Berichterstattung hält Tillmanns dies für zulässig.
„Der Druck auf die Redaktionen ist allgemein sehr groß.“ Was unfair sei, weil darin ein Generalvorwurf enthalten sei. Selbstverständlich müsse über Straftaten berichtet werden. Zugleich sei aber auch eine Diskussion darüber nötig, wie die Gesellschaft mit den Themen Flucht und Migration umgehen solle, so Tillmanns.
Der Chefredakteur der „Saarbrücker Zeitung“, Peter Stefan Herbst, ist der Ansicht, dass auch die Nicht-Erwähnung von Nationalitäten Vorurteile schüren und festigen könne. Denn wenn sich Journalisten gegen eine Veröffentlichung entschieden, könnten sich manche Leser bestätigt fühlen: Ja, es waren bestimmt Asylbewerber – Stichwort „Lügenpresse“, die angeblich unliebsame Informationen verschweigt.
Herbst sagte, er halte in Zeiten von Social Media die Richtlinie 12.1 für „nicht mehr zeitgemäß“. Selbst wenn die Nationalität nicht in der Zeitung oder im Online-Artikel genannt werde, sei es heute meist
leicht möglich, sie im Internet herauszufinden und über die sozialen Netzwerke zu verbreiten. Mit Blick auf die anstehende Plenumssitzung sagte Herbst: „Ich hoffe, dass die Kritik angekommen ist.“
Auch innerhalb seiner Redaktion werde diskutiert. Durchaus habe man schon in Artikeln die Herkunft von Verdächtigen in Fällen genannt, bei denen man es früher nicht getan habe. Viele Redakteure setzten auf den mündigen Leser, betonte Herbst.
Er hält nach eigenem Bekunden den Presserat für wichtig, plädiert aber für eine Zusammensetzung, zu der mehr Mitglieder mit hohem Praxisbezug gehören sollten. Tillmanns kontert solche Kritik: „Das sind alles Praktiker.“ Es gebe einen breiten Querschnitt – beispielsweise Tageszeitungen, Nachrichtenagenturen, Fachzeitschriften.