Studie: Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft verankert

Berlin (KNA). In der deutschen Gesellschaft sind in erheblichem Umfang antisemitische Einstellungen vorhanden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Expertenkommission in ihrem am Montag in Berlin vorgestellten Bericht „Antisemitismus in Deutschland“. Ein „latenter Antisemitismus“ sei bei 20 Prozent der Bevölkerung zu finden. Er gründe auf Vorurteilen, Klischees oder „schlichtem Unwissen über Juden und Judentum“, so der Koordinator der Studie, der in London lehrende Historiker Peter Longerich.

Der „manifeste Antisemitismus“ als ideologische Einstellung ist laut Studie demgegenüber vorwiegend im rechtsextremen Lager zu finden. Mehr als 90 Prozent aller antijüdischen Straftaten gehen den Angaben zufolge auf Täter aus diesem Milieu zurück. Koordinator Longerich sprach von einem „bedeutenden Bindeglied“, die der Antisemitismus in der ansonsten keineswegs einheitlich organisierten rechtsextremen Szene bilde.

Als weiteren „bedeutenden Träger“ von Antisemitismus mit erheblichem Gefahrenpotenzial nennt die Studie den „Islamismus“. Antisemitische Argumentationsmuster dienten dazu, das Existenzrecht Israels infrage zu stellen. Es fehlten allerdings genaue Untersuchungen darüber, inwieweit derartige Einstellungen die Muslime in Deutschland prägten.

An antijüdischen Stereotypen in der Mitte der Gesellschaft erwähnte Longerich die Ansicht, Juden besäßen zu viel Einfluss in der Gesellschaft, sie seien wegen ihres Verhaltens selbst an der Verfolgung schuld und versuchten aus der Verfolgung im Dritten Reich nun Vorteile zu ziehen. Besonders verbreitet sei auch die antisemitische Israelkritik, so der Historiker. Er räumte zugleich ein, dass es in manchen Fällen schwer sei, eine Grenze zu berechtigter Kritik zu ziehen.

Als problematisch bezeichnete Longerich die Tatsache, dass eine Verbreitung antijüdischen Gedankenguts über das Internet kaum zu unterbinden sei. Damit drohe die weitgehende Tabuisierung des Antisemitismus im öffentlichen Diskurs „entscheidend an Wirksamkeit zu verlieren“. Die Studie spricht sich für eine wesentlich stärkere Koordinierung und eine umfassende Strategie beim Kampf gegen Antisemitismus aus.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse sprach bei der Vorstellung von einer „erste wichtigen Bestandsaufnahme“. Sprecher aller Fraktionen begrüßten die Erhebung und sprachen sich für dauerhafte Maßnahmen gegen Antisemitismus aus. Eine interfraktionelle Arbeitsgemeinschaft will sich nun mit dem Thema befassen. Die Bundesregierung hatte den Bericht nach einem Bundestaagsbeschluss in Auftrag gegeben. Er soll künftig regelmäßig erscheinen.