Sulaiman Wilms kommentiert den aktuellen Oxfam-Bericht über die globalen Einkommensunterschiede und seine Bedeutungen

Ausgabe 224

(iz). Es sind Relationen, die erschüttern müssen und die jede individuelle oder spezifische Katastrophe wegen ihres Ausmaßes überragen. Mehr noch: Einen denkenden, und fühlenden Menschen sollten sie zur Frage veranlassen, ob dieser historische Augenblick wirklich Rationalität für sich beanspruchen darf. Die Rede ist von einem aktuellen Bericht der Hilfsorganisation Oxfam International, der unter anderem zu dem Schluss kam, dass 85 Milliardäre „so viel wie die ärmsten 3,5 Milliarden“ besäßen. (siehe Artikel auf S. 9)

Das gilt gerade, wenn wir uns diesen Vergleich plastisch vor Augen führen. „Es ist niederschmetternd, dass im 21. Jahrhundert die Hälfte der Weltbevölkerung – das sind 3,5 Milliarden Menschen – nicht mehr als eine kleine Elite besitzen, deren Anzahl bequem in einen Doppeldecker-Bus passt“, sagte Oxfam International-Geschäftsführerin Byanyima. Selbst dann dürfte es schwerfallen, sich die Menge von 3,5 Milliarden Menschen vis-a-vis den paar Dutzend Oligarchen vorzustellen.

Warum uns diese enorme Ungerechtigkeit nicht täglich durch die Schlagzeilen unserer Medien eingehämmert oder in den Plenen unserer Parlamente thematisiert wird – oder gar wir selbst uns nicht um ihr Ende bemühen –, ist in sich schon das Zeichen für einen ernsthaften Krisenzustand. Wie jede Sache in der Schöpfung haben die immer größer werdenden Einkommensunterschiede zwischen den globalen Wohlstandssphären und der elendigen Mehrheit des Planeten nicht nur eine Bedeutung.

Meinungsführer und Entscheidungsträger müssen sich angesichts der oligarchischen Macht von ein paar Dutzend Individuen und Familienclans fragen lassen, wie ein Abgleiten – auch unserer Gesellschaft (wo die Einkommen von Arm und Reich immer mehr auseinander streben) – aufgehalten wird. Oxfam International stufte nämlich diese Ungleichheiten nicht nur im Sinne einer bloß gutmenschelnden Moral ein, die „helfen“ will, sondern sieht sie als Bedrohung für unseren sozialen und politischen Frieden. Nicht, dass wir jetzt mit drastischen Änderungen rechnen könnten… Nach zwei Jahrzehnten neoliberaler Programmatik können die meisten wahrscheinlich nicht in Alternativen denken.

Als so genannte Verbraucher sind wir über sämtliche Grenzen und Unterschiede hinweg gefragt, ob es einen persönlichen Anteil an dieser ungerechten Verteilung gibt und wie dieser aussieht. Die Frage ist, in ­welchem Maße unsere eigene oder familiäre Ökonomie damit verbunden ist, dass sich in den letzten Jahrzehnten eine solche Oligarchen-Schicht entwickeln konnte.

Und wir Muslime – immerhin statistisch rund fünf Prozent der Menschen dieses Landes – können uns dem nicht zur Gänze entziehen. Bei denkbaren Fragen nach Alterna­tiven unsererseits, muss die gerade entstehende „Islamische Theologie“ in die Pflicht genommen werden. Will sie am Ende ernstgenommen werden, muss sie aus Sicht der Lehre beantworten, wie sich 85 Menschen so bereichern konnten.