Syriens Wirtschaft braucht 30 Jahre

Ausgabe 222

(IPS). Der seit rund drei Jahren anhaltende Konflikt in Syrien ist ein stiller Krieg gegen die menschliche und wirtschaftliche Entwicklung. Er hat nach Angaben von zwei UN-Agenturen, die Anfang November 2013 veröffentlicht wurden, die Fähigkeit der norma­len Syrer zerstört, ihren grundlegenden Lebensunterhalt aufrechtzuerhalten.

„Es gibt eine Faustregel, wonach ein Land üblicherweise sieben Jahre braucht, um sich von einem Jahr Bürgerkrieg zu erholen“, ­sagte Michael Bowers, leitender Direktor für strategische Planung und globale Notfälle bei der Hilfsorganisation Mercy Corps. Die NGO arbeitet mit syrischen Flüchtlingen im Libanon und in Jordanien. „Auch wenn diese Art der Schätzung schwierig zu erläutern ist, so braucht es – wenn wir die internen Konflikte in Jugoslawien oder dem Irak betrachten – oft sogar noch mehr Zeit, damit sich ein Land wieder aufrichten kann.“

Die massive Vertreibung syrischer Bürger ­sowie der allgemeine Verlust von Arbeitsplätzen trugen zu einem „dramatischen Niedergang des Verbrauchs“ bei. Dieser fiel 2012 um 18,8 Prozent und 2013 um 47 Prozent. Diese Zahlen finden sich in einem Bericht, der vom UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) und dem UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) vorgestellt wurde. Wegen des breiten Stillstands der ökonomischen Aktivitäten in stark besiedelten Gegenden haben seit Kriegsbeginn bis zu 2,3 Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz verloren.

Der Bericht wurde zu einem kritischen Zeitpunkt herausgegeben. Politiker bemühen sich derzeit um die Festlegung eines Termins für die „Genf 2“-Verhandlungen, die den Weg für eine politische Lösung des Konflikts ­be­reiten soll, der mindestens 100.000 Menschen das Leben kostete. Selbst wenn es zu der Konferenz und gar einer politischen Lösung kommen sollte, glauben Experten, dass die sozio-ökonomischen Wirkungen des Bürgerkrieges über Jahrzehnte anhalten werden. Nach Ansicht von Alex Pollock, Direktor der Abteilung für Mikrofinanz beim UNRWA, brauche die syrische Wirtschaft mindestens 30 Jahre, um zu ihrer Wachstumsrate von 5 Prozent im Jahre 2010 zurückzukehren.

Der Krieg beeinträchtige nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die wichtigsten ­Faktoren der öffentlichen Wohlfahrt. Dazu gehören Bildung, Gesundheitswesen und Binnenflüchtlinge. Zusammengenommen wirken sich diese Faktoren negativ auf das ­allgemeine Niveau der menschlichen Entwicklung Syriens aus. Bis Juli 2013 sollen fast 3.000 Schulen teilweise oder ganz zerstört worden sein. Viele davon wurden schließlich in Unterkünfte für tausende Binnenflüchtlinge (IDP) umgewan­delt. Die Rate der Schulabbrecher verstärkt die Bildungskrise, die das Land jetzt schon plagt. Im zweiten Quartal 2013 lag die Zahl der Kinder, die gezwungen waren ihre ­Schule zu verlassen, bei 49 Prozent.

Und während der Konflikt bei Schulen im ganzen Land seinen Preis gefordert hat, wurden die medizinische Einrichtungen ebenfalls nicht ausgespart. Laut UN-Bericht sind derzeit über 40 Prozent aller Krankenhäuser außer Betrieb. Es wird für die einfachen ­Syrer immer schwieriger, selbst grundlegendste medizinische Versorgung zu erhalten; ganz zu schweigen von schwerwiegenden Gesundheitsgefahren, die durch größere und zerstörerische Epidemien drohen.

Bis Anfang November führte der Krieg zu drei Millionen syrischen Flüchtlingen, denen nach Angaben des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge nur 2,2 Millionen ein offizieller Status gegeben wurde. Beinahe 40 Prozent davon sind Kinder unter 12 Jahren. Die humanitäre Katastrophe scheint sich derzeit nicht in Richtung Lösung zu bewegen. Vale­rie Amos, Humanitäre Direktorin der UN, sagte dem Sicherheitsrat auf einer internen Sitzung, dass „die humanitäre Lage in Syrien sich weiterhin rapide und unausweichlich verschlechtert“. Die Anzahl der auf Hilfe Angewiesenen könnte auf über 9 Millionen steigen.