Syrische Flüchtlingskinder stoßen in Istanbul auf Misstrauen

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Istanbul (KNA). In den Bars von Cihangir, dem hedonistischen Vergnügungsviertel von Istanbul, gehören sie zum Straßenbild: fünf- bis achtjährige Kinder, die den Gästen mehr oder weniger aufdringlich Papiertaschentücher zum Verkauf anbieten. Fragt man sie, woher sie kommen und warum sie nachts arbeiten müssen, heißt es: „Wir sind aus Syrien und meine Eltern brauchen Geld.“
Es sind die wenigen Augenblicke, in denen Istanbuler sich überhaupt der Existenz syrischer Kinder in der Stadt bewusst werden. Das geht aus einer Studie des Istanbul Political Research Institute mit Unterstützung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung hervor. Die Studie trägt den Untertitel „Syrische Geisterkinder auf einer Reise in Istanbul“. Für den Begriff „Geisterkinder“ entschied man sich, um auf die Gleichgültigkeit hinzuweisen, mit der viele Stadtbewohner den Kindern begegnen. Dafür wurden Pendler der Metrobus-Linie Zincirlikuyu-Beylikdüzü befragt, zwei Stadtteilen auf der europäischen Seite der Stadt, wo viele Syrer leben.
Rund 3,5 Millionen Geflüchtete aus Syrien leben in der Türkei. Das ist in etwa die Hälfte aller syrischen Kriegsflüchtlinge. Von diesen 3,5 Millionen sind rund 46 Prozent Kinder. Offiziell haben die Syrer Gaststatus, man geht davon aus, dass sie nach Ende des Krieges in ihre Heimat zurückkehren werden. Über 90 Prozent haben sich in türkischen Städten angesiedelt, nur die wenigsten leben in Flüchtlingslagern. In Istanbul, der mit 16 Millionen Einwohnern größten Stadt des Landes, dürften rund 500.000 syrische Flüchtlinge leben.
Vor allem mit Angst reagierten die Istanbuler auf die syrischen Kinder, so die Studie. Viele befürchteten, dass die kleinen Flüchtlinge früher oder später kriminell werden. Langfristig könne man sich nicht vorstellen, mit den Syrern zusammenzuleben. Die Mehrheit der Befragten klagt über die steigende Zahl von Ausländern in der Stadt. Man fühle sich fremd in der eigenen Stadt.
Es sind vor allem die säkular orientierten Türken, die um ihre Identität fürchten. Durch die Zuwanderung meist religiös geprägter Flüchtlinge könne die Stadt noch weiter an Charakter verlieren, glauben hier viele. Trotzdem hat das Thema bisher keine direkten politischen Auswirkungen. Im vergangenen Wahlkampf waren es vor allem die Oppositionsparteien, die gegen die syrischen Flüchtlinge Stimmung machten. Die Kandidatin der rechten Iyi-Partei, Meral Aksener, wollte gar alle Syrer des Landes verweisen.
„Meine Kindheit war völlig anders. Diese Kinder erleben wahrscheinlich viel Negatives. Deswegen habe ich Mitleid mit ihnen“, sagt ein Teilnehmer der Studie. Tatsächlich ist vor allem die Schulbildung das dringendste Problem. Zwar gibt es viele Bemühungen des türkischen Staats und internationaler Organisationen, das Problem zu lösen. Doch eine Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung vom Juni 2017 geht davon aus, dass ein Drittel der Schutzsuchenden Analphabeten sind. Nur sehr langsam werden die syrischen Mädchen und Jungen in das türkische Bildungssystem integriert. Die Kinder, die abends durch die Bars von Cihangir streunen, behaupten zumindest, sie gingen tagsüber in die Schule.