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Assad ist zurück. Syrien wieder Teil der Arabischen Liga

Arabische Liga Assad

Assad ist zurück in der Arabischen Liga. Das beschloss die Organisation im Mai. (iz). Der Nahe Osten und die wohlhabenden Staaten der Arabischen Halbinsel haben in Teilen ihrer Außenpolitik in […]

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Bewohner Aleppos wollen Regierungsangriffen trotzen

(Eurasia). Die Einwohner der syrischen Provinz Aleppo, deren Städte und Dörfer im Norden von allen Seiten durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“, die Kurden-Miliz YPG und Regierungstruppen Baschar al-Assads militärisch bedrängt werden, haben ihre Entschlossenheit ausgedrückt, vor den feindlichen Kämpfern nicht fliehen und ihre Häuser verteidigen zu wollen.
Trotz des Umstands, dass sich die Angriffe auf Aleppo zu Boden und aus der Luft intensivieren, Berichten zufolge 200 000 Zivilisten vor den Kämpfen nördlich der Provinz fliehen, betonen Aktivisten und darauf angesprochene Zivilisten, dass sie lieber in ihrer Heimat sterben wollen, als vor den vorrückenden Kämpfern zu fliehen. Gegenüber Feldreportern wurden zahlreiche Durchhalteparolen geäußert.
„Wir sind nicht verängstigt von den Bomben, sondern vor dem drohenden Migrationsdruck. Wir werden die Stadt nicht verlassen, bis der Feind unser Stadtzentrum einnimmt. Wir wurden auf diesem Land geboren, wir werden hier sterben“, sagten einige Menschen aus der Provinzhauptstadt Aleppo.
„Wir sind immer noch dankbar dafür, dass wir hier sein können. (Der Befragte zeigt auf ein Viertel, welches kürzlich von der syrischen Armee eingenommen wurde) Können Sie noch dankbar sein? Ich möchte nicht gehen und will nicht im Schlamm eines Flüchtlingscamps leben. Wir sind ehrbare Menschen. Ja, hunderte Raketen schlagen täglich hier ein, aber das verängstigt mich nicht. Das einzige, was mir Angst macht, ist die Gefahr, dass wir gezwungen werden, die Stadt zu verlassen. Das macht mir mehr Angst als die Angriffe“, gab ein lokaler Schuhverkäufer aus Aleppo zu bedenken.
„Wir haben schon schlimmeres erlebt als die Angriffe der Russen und Assads. Wir sind daran gewöhnt und sind nicht eingeschüchtert“, sagte eine Frau aus einer mehrheitlich kurdisch geprägten Nachbarschaft in Aleppo.
„Ich habe vergessen, wie man liest und schreibt“
„Ich konnte mehr als zwei Jahre in die Schule gehen. Eines Morgens realisierten wir aber, dass unsere Schule durch einen Kanonen-Angriff zerstört wurde. Ich kann nur noch schwerlich lesen und schreiben, weil ich es in der Zwischenzeit verlernt habe. Das ist der Grund, warum meine Mutter regelmäßig von mir verlangt, ein wenig zu lesen“, gab das Mädchen Schedi, welches noch im Alter eines Kindes ist, an.

Schedi (Eurasia; Cihat Arpacik)
Schedi (Eurasia; Cihat Arpacik)

„Viele meiner Verwandten haben Syrien in Richtung Türkei verlassen. Sie gingen nach Gaziantep und nach Istanbul. Sie baten mich, mitzugehen, aber ich lehnte es ab. Ich möchte in meinem eigenen Land bleiben“, sagte wiederum eine betagte Dame aus Höllük, einem mehrheitlich von Turkmenen bewohnten Distrikt Aleppos. Sie gab an, dass sie 64 Jahr alt sei.
Türkmenin aus dem Bezirk Höllük (Eurasia; Cihat Alparcik)
Türkmenin aus dem Bezirk Höllük (Eurasia; Cihat Arparcik)

Aleppo gehört zu den ältesten Städten der modernen Welt. Es galt vor dem syrischen Bürgerkrieg noch als wirtschaftliches Zentrum des Landes. Seit fünf Jahren wehren sich die Bürger Aleppos den Bomben- und Luftangriffen der Regierung Baschar al-Assads zum Trotz, die Stadt zu verlassen.
Kinder, die sich am offenen Feuer wärmen (Eurasia; Cihat Alparcik)
Kinder, die sich am offenen Feuer wärmen (Eurasia; Cihat Arparcik)

Aleppo: Das verletzbarste Ziel
Vor einigen Tagen nahmen Regierungstruppen und alliierte schiitische Islamisten aus dem Iran, Irak und dem Libanon, einschließlich der Hisbollah, gezielt ein turkmenisch geprägtes Wohnviertel im Stadtzentrum von Aleppo ins Visier. Seitdem finden mithilfe Russlands die heftigsten Luftschläge gegen die aufständische Bevölkerung der Region an der türkischen Grenze statt.
Fassbomben werden seit Jahren von der syrischen Luftwaffe auf die Bezirke Hayderiye, Bostan Pascha, Scheich Hidir und Höllük abgeworfen. Die Einnahme der westsyrischen Stadt Kalamun setzte das Fundament für eine stärkere Involvierung ausländischer Kämpfer, die der syrischen Regierung nahe stehen.
 

Grundlegende Betrachtungen zur Bedeutung der Muslime für die Zukunft des Landes. Von Parvez Asad Shaikh

(iz). Während Bemühungen der UN – den Rahmen für eine Reaktion auf die Lage in Syrien zu finden – dem unendlichen Treppenhaus von M.C. Escher ähneln, hielt jüngst das ähnlich überholte Forum der Blockfreienbewegung seinen Gipfel in Teheran ab. Der Vertreter Ägyptens begann mit einer Kritik an der Gewalt, die von Assad in Syrien eingesetzt wird. Im Versuch Syrien auszublende, ersetzten die Dolmetscher „Syrien“ durch das verdaulichere „Bahrain“.

Ob dies eine Lektion in schneller Auffassungsgabe, eine komödiantische Darstellung rhetorischer Politik oder eine Beleidigung der Männer, Frauen und Kinder war, die von einem skrupellosen Regime getötet wurden: Es offenbarts, dass es hier zwei drastisch verschiedene Erzählungstränge über das Blutvergießen gibt. Was beide trennt, ist die Anerkennung des Lebens schutzloser Menschen, die zu Zehntausenden sterben. Die Ehre trennt Wahrheit von Realität.

Aktuelle Fragen
Trotz diplomatischer Versuche die Phantastereien mit der Realität zu versöhnen, gibt es kein Szenario, in dem das Assad-Regime diesen de facto Bürgerkrieg überleben kann. Es wird deutlich, dass jeder Versuch einer auswärtigen Intervention zum Zusammenbruch von schwer beanspruchten Allianzen führen würde.

Scheinbar haben die USA die Tatsachen anerkannt und betreiben – gemeinsam mit betroffenen muslimischen Ländern der Region –eine Politik der Förderung des zersplitterten Syrischen Nationalrates (SNC). Effektivität und materieller Wert der nötigen Unterstützung bleiben umstritten und sind Thema widersprüchlicher Berichte. Obwohl sich Hinweise auf eine, jetzt besser koordinierte und ausgerüstete Freie Syrische Armee (FSA) häufen, gibt es echten Bedarf für Waffen, die die Achillesferse der Luftwaffe treffen könnten.

Ausländische Milizen wurden von westlichen Mächten als Entschuldigung benutzt, die Oppositionskräfte militärisch voll zu unterstützen. Die Präsenz von Söldnern mag der scheinbare Grund für das Zögern sein, aber dies ist es, das die Präsenz ausländischer Gruppierungen ermöglicht. Insgesamt sind beide die Manifestation des Wunsches nach indirekter Kontrolle durch Dritte.

Libysche Söldner sowie wohlmeinende Kämpfer und Ausbilder werden von dem Konflikt angezogen. Gleichzeitig führt die wichtige Rolle iranischer Revolutionsgarden in der brutalen Unterdrückungspolitik durch die Regierung nicht zur gleichen Besorgnis über diese Söldner oder Freiwillige, die mit dem abgenutzten Etikett „Al Qaida“ versehen wurden. Die Präsenz ausländischer Elemente – auf Seiten der Opposition und auf der iranischen – ist ein Faktor, der realistisch bedacht werden muss.

In der komplexen Arena Syriens ist es wichtig, dass der Aberglauben der veralteten Terror-Dialektik abgelegt wird und dass ein klinischer Realismus die Ideologie ablöst. Während die internationalen Versuche für einen Kompromiss wie Kugeln eines Flipperautomaten umher prallen, hat die Hilfe ausländischer Mächte gezeigt, dass die Verschiebung in Richtung eines pragmatischeren Vorgehens der Notwendigkeit folgt, dass die strategischen Interessen nach Assad erhalten bleiben. Politisch gesehen ist das Scheitern des SNC, eine solide Legitimität und Kontrolle vor Ort ein echtes Hindernis dafür, dass politische Kräfte Garantien bekommen, um die Entstehung eines Konzepts zu ermöglichen, wie das Nachkriegssyrien aussehen soll. Zu den wichtigsten politischen Kräften gehören Mitglieder der syrischen Armee (Muslime und Minderheiten, die kein Teil des alawitisch dominierten Kommandos sind), muslimische Händlereliten und die Minderheiten insgesamt.

Diese Gruppen zögern, den eher unzuverlässigen Formationen ideologischer „Islamisten“ ihr Vertrauen auszusprechen. Daher müssen ausländische Unter­stützer der Opposition gewährleisten, dass ihre Aktivitäten mit einer ­kollektiven Anstrengung verbunden sind, die Führungselemente zu finden. Sie besitzen eine innere Legitimität, die notwendig sein wird, um eine aktive Rolle in der Lösung zu spielen.

Der Staat, der Assad ist
Nun sind wir bei der Hinterfragung dessen, was sich in Syrien in ein Meer der Gewalt ergießt. Was der Staat unter den Assads ist, erlaubt die Identifizierung der Schlüsselfaktoren. Im Kern zerbrechen – nun an den Rändern – der komplexe und personalisierte Staat und die Ideologie, die es einer Fraktion – selbst eine Minderheit – erlaubte, über die Mehrheit zu herrschen. Ein angeblich säkularer ismus – auf dem Mythos des arabischen Nationalismus basierend und in seinen Lehren sozialistisch – war der ideologische Diskurs von Minderheiten wie maronitischen Christen, Drusen und Alawiten, zur Rechtfertigung dieser Machtverschiebung. Dieser Arabismus-Diskus war ein Blickwechsel weg von muslimisch dominierten Dynamiken, wie sie vor – dem ersten Baath-Coup – 1963 dominierten und schützte die Interessen nichtmus­li­mi­scher Kader in Militär, Bürokratie und Universitäten. 2004 schrieb die International Crisis Group in einem Bericht über das Regime: „Die Baath-Partei rekrutierte alle, die sich außerhalb des Systems von Verbindungen, Patronage und Verwandtschaft befande, auf denen das alte Regime beruhte.“ Während es falsch wäre, Baath-Partei oder Militär auf eine Gruppe zu reduzieren, führte das Rekru­tierungssystem dazu, dass alawitische Parteimitglieder überproportional im oberen Offizierskorps vertreten waren.

Der Einfluss des Militärs bei der Übertragung der Baath- Ideologie wurde zuerst nach dem Putsch von 1963 spürbar. Es war die entscheidende Rolle der Mili­tärs bei der Ausschaltung von Rivalen der Partei, die zu einer Abhängigkeit von ihm führte. Die Machtkonzentration ­eines alawitisch dominierten Militärn erfuhr ihre erste Veränderung, als der neo-Baathistische Militärputsch 1966 unter Salah Jedid und Hafez al-Assad die Baathistischen Ideologen Michel Aflaq und Salah al-Din Bader von der Macht ­ver­trieb. 1970 drängte al-Assads „korrigierende Bewegung“ Jedid aus dem Amt. Damit war das letzte Stadium in der Definition des Baath-Staates erreicht. ­Dieser Coup brachte das Militär ins Zentrum der Macht, wobei Hafez al-Assad und sein Clan an der Spitze standen. Mit ­einem alawitisch dominierten Militär als wichtigstem Vermittler und Hafez al-Assad an der Spitze des Landes, das traditio­nell von einer muslimischen Mehrheit dominiert wurde, begann der Prozess der Machtkonsolidierung. Wegen dieser unnatürlichen Position der Alawiten war das Regime vom Militär und dem alles durchdringenden Sicherheitsapparat abhängig. Syrien befindet sich seit dem Baath-Coup 1963 im Ausnahmezustand. Dies gewährleistet, dass der Staatschef und der Sicherheitsapparat straflos und unter dem Schutz repressiver Gesetze agieren konnten.

Nach Angaben von Eyal Zisser „sind schätzungsweise 60 Prozent der ­Minister, Mitglieder der Volksversammlung und Deputierten zum Parteikongress Sunni­ten. Dies entspricht ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung. Die informellen Herrschaftskader stehen – im Gegensatz – für die wirkliche Macht und Vorherrschaft der ‘Alawiten’: Rund 90 Prozent der Offiziere sind Alawiten. Das gleiche gilt für die Sicherheitsdienste.“

Gleichzeitig wurden Mitglieder ande­rer Minderheiten übernommen und eine Dialektik eingeführt: Man müsse sich vor der Masse von Muslimen schützen, die das Land bevölkern. Mitglieder der mächtigen Familien aus der traditionell muslimischen Oberschicht und die neue Klasse wohlhabender muslimischer Händ­­ler wurden in das System der Gönnerschaft eingeführt, das vom Assad-Clan kontrolliert wurde.

Die Ideologie wurde als Beruhigungsmittel benutzt, um die immanenten Herausforderungen für den Staat zurückzudrängen. Der arabische Nationalismus und die anti-israelische Rhetorik halfen bei der Schaffung eines Gefühls der ­nationalen Identität, die den Baathistischen Irak und andere arabische Staaten nachahmte. Der Islam diente zur Imageverbesserung der alawitischen Herrschaft in den Augen der Muslime. Sie wurden von den Ayatollahs Teherans in den Schoß der Schia aufgenommen und – in der politischen Atmosphäre des Nationalismus mit dem Versuch zur „Modernisierung“ des Islam – die Schia wurde – von ­einigen nur schwächlich – als gleichwertig anerkannt. „Alawiten stellen den inneren Kern des Regimes. Syrer aus anderen Gemeinschaften umgeben es. Arabisches Ressentiment und Identität verleihen ihm seine Seele, Zweck und Rechtmäßigkeit.“ (Zisser)

Das assadistische Regime basierte auf der Fähigkeit, Gewalt gegen jede wahrgenommene Drohung durch die muslimische Mehrheit einzusetzen. Die Unter­drückung der Bevölkerung durch den Staat führte dazu, dass Syrer – und Musli­me insbesondere –, die einen Wechsel anstrebten, nicht die Macht für Veränderungen hatten. Vor dem jetzigen Aufstand gipfelte die Bewegung der späten 1970er und frühen 1980er Jahre 1982 im Massaker von Hama. Es war der deutlichste Versuch der syrischen Mehrheit, eine Veränderung herbeizuführen. Die Taktik und das ultimative Scheitern der syrischen Muslimbruderschaft, ihre Mitkämpfer zu beschützen, führte zu tausen­den Toten und zu einer gespaltenen, demoralisierten Opposition.

Drang zum Zusammenbruch
Hafez al-Assad starb 2000. Während die Staatsmedien im Sinne Orwells deklarierten „Assad ist von uns gegangen. Lang lebe Assad!“, nahm der zweitgeborene Bashar al-Assad den Platz des Vaters ein. Nach Angaben seines früheren Beraters und Jugendfreundes von Ayman Abdelnour „verschwand Bashar aus dem Blickfeld. Wir sahen ihn erst 1996 wieder und er hatte sich verändert. Sogar seine Stimme war anders.“ Und trotz des Versuches, wonach der Erbe seinen ­Vater ersetzt, passt der Anzug – den Hafez so vorsichtig anlegte – seinem Sohn nicht gut genug. So beschrieb die ICG ­Bashars Herrschaft 2004: „Am Ende schien Bashar ein zögerlicher, aber trotzdem gewillter und aufstrebender Reformer, der erkennen musste, dass seine Langlebigkeit an die Stabilität des Baathistischen Regimes gekoppelt war. Dies aber ist an die Dauerhaftigkeit inländischer und regionaler Politiken gebunden.“

Perfide Reformversprechen, die von getäuschten westlichen Kommentatoren als „Damaszener Frühling“ etikettiert wurden, waren keime Wirklichkeit. Das Regime betrieb sein übliches Geschäft. Bashar glich den Mangel an Erfahrung dadurch aus, dass er noch autoritärer als der Vater auftrat. Nach Angaben von Roula Khalaf verschreckte er die Mitglieder der Alten Garde und „verkleinerte die inneren Kreise der Familie „ – zum Schaden der wichtigen muslimischen Unterstützung und seiner fabrizierten Rechtmäßigkeit.

Seine bemerkenswerteste Handlung war, ausschließlich auf den Iran zu setzen. Der schnelle Fall des Baath-Regimes in Bagdad 2003 (und die strategische Tiefe, die der Iran danach erlangte) erschütterte sichtlich das Vertrauen in die heilsame Wirkung Baathistischer Ideologie. Hafez, der die syrische Position als Kanal zur Hisbollah pflegte, spielte den Iran gegen andere Dynamiken wie die US-Interessen und israelische Versuche der Einflussnahme während der Oslo-Verträge aus. Die ungeschickte Neuausrichtung durch Bashar hatte zur Folge, dass Syrien an der iranischen Nabelschnur zu einer Radikalisierung anti-­israelischer und anti-westlicher Rhetorik – zum Schaden einer politischen ­Option.

Am 15. März 2011 wagten es muslimische Stämme der südlichen Provinz Dera’a, gegen die willkürliche Verhaftung von 15 Kindern zu protestieren. Bashars Cousin, und Kopf des Sicherheitsdirektoriums Atif Najif befahl, auf die schutzlose Menge zu schießen. Der vorsichtig geschneiderte Anzug des Vaters platzte dank der Unfähigkeit des Sohnes aus den Nähten und der syrische Aufstand begann. Wichtigkeit der Muslime im Syrien nach Assad

Wir haben die Natur des Assad-Regimes als unnatürliche und daher autoritäre Herrschaft einer Minderheit über eine muslimische Mehrheit definiert, auf der vierzig Jahre lang herumgetrampelt wurde. Die fundamentale Handlung, die die politischen Zurechnungsfähigkeit in Form einer Regierung ermöglichen kann, ist die Anerkennung der Muslime als die wichtigste Gruppe Syriens. Sie sind die natürliche Mehrheit und werden unaus­weichlich die größte Quelle für die Legiti­mität einer kommenden Führung ­stellen. Das verabscheuungswürdige Zögern des Auslands, das einer angeblichen, unmenschlichen Vergeltung durch ­Muslime gegen Minderheiten zugeschrieben wird, ist unbegründet.

Andere, nicht-alawitische Minderheiten haben den von Muslimen geführten Aufstand zögerlich im großen Stil und offen unterstützt. Selbst im Nebel des Bürgerkrieges werden die Kampflinien vorwiegend von der von Muslimen geführten Opposition und dem alawitisch geführten Regime gezogen. Nach Angaben des ICG-Berichts „Syria’s Mutating Conflict“ waren regierungsfreundliche Reports über Gewalt muslimischer Oppositionsmitgliedern Minderheiten stark übertrieben. Zur Opposition gehören tatsächlich Angehörige dieser Minderheiten und – in selteneren Fällen – sogar Alawiten. So wurde ein oppositioneller christlicher Priester in dem Bericht zitiert: „Einige Christen wurden vom Regime bewaffnet, was Teil des Problems ist. Aber dies bleibt eine keine Minderheit. Die meisten Christen haben Angst, halten still oder machen sich aus dem Staub.“ Regierungsgegner ­haben den Angriff auf Christen durch bewaffnete Gruppierungen abgestritten: „Die Christen sind aus Homs geflohen, weil ihre Nachbarschaften durch das Regime beschossen wurden, nicht weil sie von der Opposition vertrieben wurden.“

Ein integraler Teil der Anerkennung der natürlichen Bedeutung der Muslime für die Zukunft Syriens ist die Anerkennung der Kurden, die den Nordosten des Landes bewohnen. Ironischerweise wurde die Region sich selbst überlassen, nachdem das Regime seine Kräfte einsetzte, um die unruhigen Provinzen im Süden zu befrieden. Das jetzige Scheitern des SNC, sich von den überholten arabistischen Umständen (die zur Krise führten) zu befreien und grundlegenden Forderungen der Kurdischen zuzustimmen und die syrischen Kurden politisch anzuerkennen, ist ein ernstes Problem.

Ein anderer Faktor ist die Notwendigkeit der Auflösung repressiver Staats-strukturen und dass die bloße Auswechslung des Staatschefs nicht als Lösung für die akute politische Krise ­gelten darf. Hier wird nicht um die Kontrolle des Staates gekämpft. Der Staat ist im Wesentlichen zusammengebrochen.

Das Ausmaß dieser staatlichen Umgestaltung muss groß genug sein, um den Willen der Syrer zu reflektieren. Versuche für einen Kompromiss auf Grundlage der Machtteilung im Libanon, die dort nach dem Ende des Bürgerkrieges in Kraft trat, wird nichts erreichen. Die Teilung von parlamentarischer Gewalt entlang sektiererischer Grenzen hinterlässt einen zersplitterten Staat. Der Iran könnte einen solchen Deal als Garanten ansehen, Syrien auch weiterhin als Durchzugsgebiet zur Hisbollah anzusehen. Das würde Libanons Instabilität nur auf Syrien ausweiten. Im Kontrast zu momentanen Versuchen in Libyen, die Verfassung aus der Zeit Gaddafis umzuschreiben, ist das Assad-Regime in die rechtsstaatliche DNS des Landes eingebrannt. Dies macht fundamentale Änderungen des Staates nötig.

Eine Balance zwischen einer starken Zentralregierung und ein föderalem Modell könnte sich als der beste Weg erwei­sen, die unterschiedlichen Elemente auszugleichen. Nach Ansicht von Bill Park vom King’s College habe der türkische Außenminister bereits „angedeutet, dass Ankara der Entstehung einer autonomen kurdischen Region in einem föderalen Syrien nicht notwendigerweise widersprechen würde“.

Jeder Versuch, ein Ende der Gewalt voranzutreiben, muss sicherstellen, dass ein syrischer Führer eine Legitimität hat, die das Assad-Regime niemals hatte. Dies ist entscheidend, um die Freiheit der Menschen zu gewährleisten. Außerdem muss die Präsenz von Ausländern innerhalb Syriens – insbesondere der liby­schen Kräfte mit Bindungen zur Muslim­bruderschaft – vorsichtig gehandhabt werden. Sie müssten entwaffnet werden, sobald das Regime gefallen ist. Solche Kräfte – auch wenn sie nur eine geringe Größe haben – können eine ernsthaft destabilisierende Kraft darstellen.

Spiegel für unsere Zeit
Syrien liegt im Herzen des sich dramatisch wandelnden Nahen Ostens. Der Zusammenbruch verrosteter Staatsstrukturen, die mit der Hilfe alter Ideologien erhalten wurden, führte in der Region zu volkstümlichen Aufständen. Der endgültige Erfolg des jetzigen Trends, alte Diktatoren durch alte „Islamisten“ zu ersetzen, muss von jenen Leuten bewertet werden, welche als erste einen Wandel forderten. Was wir in Syrien – in sich ein regionaler Mikrokosmos–, beo­bachten, ist eine Rückkehr der regionalen Geopolitik auf die realen Widersprüche, die der arabische Nationalismus zu ignorieren versuchte und so verschlimmerte.

Die Geopolitik des Nahen Ostens basiert auf Gräben. Von Kurdistan, über die Halbinsel bis Palästina erstreckt sich die Arena des Wettbewerbs; ein Zerrüttungsstreifen, der die moderne nahöstliche Geschichte definiert hat. Dieser Wettbewerb kann nicht länger als Frage von Herkunft – Türke, Kurde, Perser und Araber – verstanden werden. Die regionale Stabilität muss unter der ­realistischen Anerkennung natürlicher Dynamiken vor sich gehen. Eine freie und ermächtigte Bevölkerung ist der Schlüssel, um das regionale Gleichgewicht zu gewährleisten.

Nach Assad: Rupert Neudeck berichtet von seinen ersten Eindrücken aus der humanitären Arbeit im syrischen Azaz

„Warum, frage ich mich die ganze Woche in Azaz, macht sich 2012 nicht das junge Europa auf den Weg nach Syrien, wie es das 1936 nach Spanien aus allen Ländern Europas tat, um dort den Faschismus zu bekämpfen?“

Azaz, Sept. 2012 (iz). „Welcome to free Syria“, heißt es enthusiastisch an der türkisch-syrischen Grenze. Und der neue Staat soll so schnell entstehen, dass man keine Zeit hatte, Leute aus der Etappe zu besorgen, die ordentlich Englisch gelernt haben in einem Land, in dem lange Zeit das Französische bevorzugt wurde. Immerhin war Syrien zwischen den Weltkriegen französisches Mandatsgebiet.

So leuchtet uns das große Plakat hinter den langen türkischen Immigrations- und Zollgrenzbefestigungen entgegen, auf dem es heißt: „Free SYRIA REPABLIC“. Und auf dem nächsten riesengroßen Plakat in lateinischen Lettern, die in dem arabischsprachigen Syrien nicht die Regel sind, steht es in ähnlich großen Buchstaben „Welcome in SAFTY“.

Das mindert nicht die bebend freundliche Atmosphäre, die den seltenen Besuchern am ersten Übergang entgegenschlägt, der von der FSA, der Free Syrian Arm (Freie Syrische Armee), erobert wurde. Die Spuren der Kämpfe um dieses weitläufige – und als Übergang zum wohl wichtigsten unmittelbaren Nachbarland Syriens strategisch wichtige Areal – sind noch zu spüren.

Ganz sympathisch hört die neue syrische Widerstands-Bewegung nicht zu stark auf die westlichen Anforderungen, die ja viel Verlegenheit verbergen. Verlegenheit darüber, dass alles in der Syrienpolitik zwischen Washington und Jerusalem abgemacht wurde. Die Rolle von Russland und China ist dabei nicht so groß, wie uns weisgemacht wurde, denn natürlich spielt die israelische Politik auf der Klaviatur der alten Diktatoren-Kumpanei.

Es gibt mittlerweile eine Kommandostruktur der FSA-Einheiten, die von acht Leuten aus dem syrischen Widerstand gebildet wird und jetzt die Operation in und von Aleppo aus leitet. Die Opposition versucht jetzt auch, einen zivilen Widerstand und eine Übergangsverwaltung aufzubauen. Ausdrücklich zivile Personen leiten das politische Büro der FSA in Azaz und den Zoll- und Pass-Übergang nach Kilis in die Türkei. Die Stimmung und Freude in der Stadt Azaz ist einzigartig. Jeder zeigt sich freundlich, jeder ist ein Redner, es herrscht Revolution und Befreiungsstimmung. Jeder von denen, die geblieben sind – nach unserer Schätzung 60 Prozent –, hält sich zu Recht für einen Teilhaber der Gründung des freien Syriens.

Es ist eine Revolution der jungen Leute in einer Gesellschaft, in der immer noch die Alten, die Großväter das Sagen hatten. Erkennbar wird dies in der Klinik in der Stadtmitte von Azaz, die typischerweise von einem Tausendsassa geleitet wird, dem Anästhesie-Krankenpfleger Dr. Anas Hiraki. Akademisch ist Anas natürlich kein Doktor, aber hier ist er mehr als ein Doktor. Er ist nicht nur in Azaz geblieben, er schläft jede Nacht im Krankenhaus. Seine Familie lebt und überlebt in Deraa, der Hauptstadt der Revolution, von der sie am 17. März 2011 ausging. Würde man Dr. Anas als Kandidaten zum ersten Präsidenten der freien arabischen Republik Syrien vorschlagen, er würde gewählt. Gläubig, aber nicht extrem, fastet er am 6. September (Donnerstag) für den Sieg in Aleppo. Und siehe da, der Samstag, der 8. September beginnt mit der Nachricht, die alle ganz glücklich macht: Die FSA hat in Aleppo die größte Kaserne eingenommen mit einem riesigen Arsenal an Waffen.

Eine heftige Stehauf-Mentalität hat Azaz ergriffen. Noch ist hier nichts entschieden, wie in Syrien nichts entschieden ist, aber alle nehmen diese Entscheidung schon vorweg. Geschäftsbesitzer rühren den Zement an, um ihr zerstörtes Geschäftshaus wiederaufzubauen. Photos auf der Strasse von dem strahlenden jungen Bashar al-Assad werden wütend zertrampelt. Es ist noch alles in der Schwebe: Sieben Kilometer von Azaz entfernt hält die Regierung den Hubschrauber-Flugplatz, der aber nur noch aus der Luft versorgt werden kann. Er ist umzingelt von Kämpfern der FSA, die aber den Ring nicht zuschnüren können; dafür fehlen ihnen die schweren Waffen.

Es ist möglich, dass die Assad-Propaganda gleich zwei dicke Nachrichten bis in unsere Medien hinein hat streuen können, die bei uns bereitwillig aufgegriffen wurden, ohne dass sie eine Grundlage in der Realität hätten. Die ausländischen Truppen, die sich hier einfinden sollen, suchen wir vergebens. Wir finden nicht einen. Dagegen verfügt der Kommandeur der FSA-Einheiten kaum über die schweren Waffen, die ihm angeblich aus der Türkei, Saudi Arabien, Qatar oder vom CIA bereitwillig gegeben worden seien. Der FSA-Kommandeur Abu Ibrahim hat mit seinen 1.500 Kämpfern – davon 85 Prozent aus den zivilen Rängen der Bevölkerung – nur jene Waffen, die die Freie Syrische Armee der Regierungsarmee gestohlen oder weggenommen hat.

Man kann mit dem eindrucksvollen Kommandeur Abu Ibrahim über alles reden. Wie viele Soldaten hat er bisher verloren? 41, sagt er ganz traurig, und alle 41 habe er vor seinen Augen fallen gesehen. Bereitwillig sagt er auf die Frage, wie gefährlich für ihn das Leben ist: Auf seinen Kopf sei die Summe von umgerechnet drei Millionen Euro ausgesetzt worden. Ja, räumt er ein, es gäbe Dschihadisten, die seien aber eine kleine Minderheit von fünf Prozent und man würde auf sie einwirken, weil niemand ihre Politik mitmachen wolle.

Mit den Kurden zieht man ebenfalls eine neue Linie: Sie sind beim Befreiungskampf willkommen, aber nur, wenn sie Syrien-zentiert sind, und nicht, wenn sie eine türkische Agenda haben. Mit der PKK hat man nichts am Hut, die wurde von Assad als letzte Reserve des Regimes ausgerüstet. Und sie stört auch die so guten Beziehungen zur Türkei. Deshalb sind die Fragen über das künftige Verhältnis zu den Kurden noch offen. Die Kurden selbst haben elf verschiedene Gruppierungen. Nach Meinung von Kommandeur Abu Ibrahim sollten sie sich selbst erst mal richtig einigen.

Die vergleichsweise kluge Politik der Türkei wurde bisher nicht ausreichend gewürdigt. Nicht nur, dass bisher fast alle Flüchtlinge aufgenommen worden sind, es wird auch jetzt die Grenze für humanitäre Transporte geöffnet. Die türkische Hilfsorganisation IHH versorgt die mittlerweile 5.000 Flüchtlinge auf der syrischen Seite der Grenze.

Warum, frage ich mich die ganze Woche in Azaz, macht sich 2012 das junge Europa nicht auf den Weg nach Syrien, wie es das 1936 nach Spanien aus allen Ländern Europas tat, um dort den Faschismus zu bekämpfen? Unter den heutigen Bedingungen der Mobilität, von Facebook und von Flugverkehr müsste das alles viel leichter sein als zu Zeiten George Orwells und Willy Brandts. Sind wir alle Waschlappen geworden? Haben wir keine Phantasie mehr? Was, wenn morgen 200, übermorgen 300, dann die nächste Woche 4.000 junge Europäer mit dem gesamten EU-Parlament, mit jungen Vertretern der Gewerkschaften und der Parteien der Pfadfinder und der Kirchen, der Moschee- und Kirchengemeinden sich aufmachen, nach Syrien gingen, um das Land für die Freiheit und die Zukunft der Menschheit zu retten?

Wenn man heute in Azaz George Orwell und Arthur Koestler liest, wird einem klar, dass daraus nichts wird. Es sind die Versicherungs- und Rückversicherungsregeln, die den jungen Europäern den Weg versperren.

Syrien: Großmufti Ahmad Hassoun agiert als Sprachrohr der Tyrannei. Eine Polemik von Sulaiman Wilms

(iz). Normalerweise sind wir Muslime ­angehalten zu schweigen, bevor wir etwas ­Schlechtes sagen. Mehr noch, das Schweigen gilt in der spirituellen Tradition des Islam als ­Tugend und wird an unzähligen […]

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