Kommentar: Die Muslime und die ökonomischen Debatten um die AfD und den Euro

„Ist die Alternative für Deutschland (AfD) also eine, wie es Jakob Augstein in seinem SPIEGEL-Kommentar spektakulär formulierte, ‘Partei aus der Gruft der Geschichte’? Das mag durchaus sein. Die nationalistischen und islamophoben Tendenzen in der AfD sind zweifellos alarmierend und die Partei ist deswegen für Muslime schlicht nicht wählbar.“

(iz). Eigentlich ist es doch sinnvoll. Inmitten der größten Finanzkrise der Menschheitsgeschichte – der Rettung maroder Banken auf Kosten des Steuerzahlers und der titanischen Erweiterung der sich im Umlauf befindlichen Geldmenge – versucht sich auch in Deutschland der politische Widerstand zu formieren. Gesucht war zunächst eine Partei, die endlich einer alternativen ökonomischen Denkschule in der Debatte eine Stimme verleiht. Wer für ein Moment glaubte, die Alternative für Deutschland (AfD) könnte eine solche Alternative sein, ist inzwischen jeder Illusion beraubt.

Beobachtet man heute den AfD-Chef, Bernd Lucke, bei seinen öffentlichen Auftritten, dann wachsen die Zweifel, ob der biedere Professor die Geister die er rief, wirklich wieder loswerden kann. Lucke wird kaum noch zur Geldkritik gehört, sondern doziert, um im politischen Tagesgeschäft zu bleiben, auch über Flüchtlinge, innere Sicherheit oder Wohnungseinbrüche. Seine Partei ist längst von rechts unterwandert. Es geht nicht mehr nur um Fälle einiger Verirrter, die man schnell aus der Partei ausschließen könnte, sondern um das geistige Klima, in dem die Partei sich nunmehr gewollt bewegt.

Hierbei wird die künftige Substanz von Begriffen wie „Souveränität“, „Staat“ und „Kultur“ nicht etwa positiv bestimmt, sondern im Gegensatz zu anderen, vermeintlichen und realen, Kulturen konstruiert. Das populistische Schema ist bekannt: Wir haben Kultur, weil sie keine haben. Die Partei hat so nüchtern kalkuliert, dass ihr ursprüngliches Thema „Geld“ zwar durchaus eine Schicksalsfrage ist. Nur eine kleine Elite im Lande möchte das Thema aber wirklich substantiell diskutieren. Für die ersehnten Wahlsiege reicht das nicht.

Populär wird eine Partei in Deutschland nur mit anderen Themen und – wie es alle Politiker auf ihre je eigene Weise können – mit der Anrufung diverser Ängste: sei es die Furcht vor Überfremdung, wirtschaftlichem Niedergang oder eben die Innere Sicherheit. Nur ungern hört das Wahlvolk dagegen Erinnerungen an die Brüchigkeit des erarbeiteten Wohlstandes, die natürlichen Grenzen des Konsums oder die profane Notwendigkeit, den Gürtel etwas enger zu schnallen.

Ist die Alternative für Deutschland (AfD) also eine, wie es Jakob Augstein in seinem SPIEGEL-Kommentar spektakulär formulierte, „Partei aus der Gruft der Geschichte“? Das mag durchaus sein. Die nationalistischen und islamophoben Tendenzen in der AfD sind zweifellos alarmierend und die Partei ist deswegen für Muslime schlicht nicht wählbar. Auch wenn zum Beispiel eine substantielle (Papier-)Geldkritik der rationalen Sicht des islamischen Wirtschaftsrechts durchaus nahekommen würde: ein politisches Bündnis mit Nationalisten oder Rassisten ist zweifellos ausgeschlossen.

Im Ergebnis gibt es nun keine wählbare Partei mehr, die sich gegen die abenteuerliche Logik der „wundersamen Geldvermehrung“ stemmt. Inakzeptabel ist aber auch der geläufige Umkehrschluss einiger Euro-Befürworter, die jede ökonomische Alternative (ohne Banken) als undenkbar abqualifizieren lassen will. Ein These also, wonach dem geläuterten und geschichtsbewussten Europäer nur die blinde Unterstützung des Euros bleibt und die hoheitliche Manipulation der Geldmenge geradezu zwingend der Pfeiler unserer Moderne sein muss.

In Augsteins Kommentar kann man also die Geschichtskomponente nachvollziehen; man vermisst aber das Verantwortungsbewusstsein. Vielleicht auch Empathie, die ebenfalls die dramatischen Folgen der globalen Inflationskultur ins Visier nimmt. Sie ist weiß Gott kein nationales Thema mehr. Gerade, wenn man nicht „national“ denkt, müsste das Schicksal der Opfer unseres Finanzsysteme Sorge bereiten. Hierzu gehören auch als „Frühling“ verklärte Hungeraufstände oder der – für die andere Seite – fragwürdige Deal, wertvolle Rohstoffe gegen inflationäres Papier auszutauschen.

Die Währungs- und Rohstoffspekulationen dieser Zeit sind eben keine folgenlosen Instrumente. Sie fordern konkrete Opfer und sie schaffen reale Verheerungen. Die „Gruft“, die Augstein zu Recht erschauern lässt, hat auch eine Dimension im Hier und Jetzt. Die Bedrohung schließt niemanden aus. Und, wenn das Finanzsystem eines Tages zusammenbricht, dann stellt sich auch in unseren Komfortzonen die soziale Frage in der brennendsten Form. Was dann aus dem Potential der AfD wird, davor haben auch Muslime Angst.

Natürlich ist Augstein einer unser klügsten Köpfe. Dies wird im Interview mit dem Sachbuchautor Josef Vogl („Das Gespenst des Kapitals“) in der Wochenzeitung „Freitag“ klar. In diesem Gespräch wird präzise herausgearbeitet, dass die Finanztechnik und ihre Eliten, die übrigens allen bekannten Konfessionen angehören, die nationale Demokratie herausfordert, überlagert und in Teilen sogar dominiert. „Kapitalistische Entscheidungsprozesse“, fasst Vogl die bedenkliche Lage dann punktgenau zusammen, „sind weder verfahrenstechnisch legitimiert, noch revidierbar.“

Die Einschätzung über den realen Demokratieabbau ist wichtig. Denn nur so grenzt man sich von einer Paranoia ab, die uns erzählen will, dass etwa die Hundertschaften marodierender Salafisten die aktuelle Kerngefahr für unsere Demokratie seien. Der, bei nüchterner Betrachtung besehen, Hauptbeitrag der muslimische Extremisten für die Menschheitsgeschichte war es bisher, Vorlagen dafür geliefert zu haben: einerseits für geopolitische Machenschaften und andererseits den Ausbau nationaler Kontrollsysteme. Und sie verhindern nicht zuletzt, dass Köpfe wie Augstein das positive Potential des islamischen Beitrages überhaupt noch erkennen können.

Das Dilemma für uns Muslime, die sich an den wichtigen Debatten unserer Zeit konstruktiv beteiligen wollen zeigt sich dabei in der letzten Frage Augsteins in seinem Interview. Dort fragte er schlussendlich, „ob der Islamist der letzte Gegner des Kapitalismus sei?“ Damit reduziert er das mögliche Gegengewicht des Islam letztendlich auf Gewalt.

Augstein verkennt dabei, dass gerade der so genannte politische Islam, im Grunde in allen seinen Facetten von liberal bis extremistisch, sich kaum um das ökonomische Thema kümmert; geschweige denn eine ökonomische Alternative (die noch vor dem Paradies einsetzt) intellektuell schlüssig vorstellen kann. Das sollte den interessierten Beobachter verwundern; dreht sich doch islamische Geschichte und Lebenswirklichkeit entscheidend um Verträge, Märkte und Handelsbeziehungen.

Demzufolge ist das ökonomische Modell des Islam heute nach wie vor eine unbekannte Größe. Sie wird auch nicht von den berühmten Verbandstheologen gelehrt. Der Begriff Antikapitalismus ist – auf die islamische Lebenspraxis bezogen – übrigens eine nur partiell treffende Bestimmung, bestätigt doch das islamische Recht gerade das Eigentum und das Gewinnstreben des Unternehmers. Statt um das „Anti“, oder gar um Gewalt, geht es hier um die Freiheit der Märkte, die Segnungen des Gerechten Handels – also letztlich um eine freie Marktwirtschaft, die diesen Namen auch verdient.

Wenn man schon negativ denken will, ist der Islam so gesehen am ehesten Anti-Finanztechnik. Das heißt dann, philosophisch betrachtet, dass auch wir Muslime wissen, dass das Phänomen globaler Technik nicht allein mit politischen Machenschaften dem politischen Willen unterzuordnen ist. Alle muslimischen Staaten sind natürlich, ob sie wollen oder nicht, in den finanztechnischen Apparat eingebunden. Als europäische Muslime beobachten wir mit einiger Skepsis den hilflosen Versuch des politischen Islam, das eigene ökonomische Modell auf die hierzulande umstrittenen Banken zu reduzieren, so anzupassen und die „islamische“ Bank dann als angeblich moralisch höherstehende zu verklären.

Was uns positiv beschäftigt, ist die Ethik der Geldproduktion, die Suche nach dem Maß und die Unmöglichkeit, als vernünftige Menschen in dem Drucken von immer mehr Geld die Vernunft-Lösung unserer Zeit zu sehen. Ein solcher Diskurs kann nicht nur exklusiv zwischen Muslimen stattfinden. Hier ist auch das Gespräch mit den anderen Religionen oder über die partielle Übereinstimmungen mit der Österreichischen Schule oder den Gesellianern gewinnbringend. Mt politischen Extremisten welcher Couleur auch immer kann diese Auseinandersetzung auf der Höhe der Zeit nicht sinnvoll geführt werden.

Jenseits des Politischen bleibt in jedem Fall, ob Muslim oder nicht, die tiefe Irrationalität des Lösungsansatzes, durch endloses Geldwachstum ein System der Gerechtigkeit und des Wohlstandes zu errichten. In diesem Ansatz „contra naturum“ verbirgt für jeden denkenden, aufgeklärten Menschen das Problem.

Hier fordern wir Muslime, die Gesetze der Aufklärung auf das Feld der Ökonomie auszudehnen. Wer aber nach keinen echten Alternativen mehr suchen will, gibt das Politische und die Freiheit auf und unterwirft sich schlussendlich der Totalität einer globalen Finanztechnik. Die Rolle der Muslime wäre dann in diesem System auf Pseudo-Gegnerschaft reduziert.

Was AfD-Chef Bernd Lucke zum Thema Islam einfiel

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Am Islam scheiden sich die Geister: Zu den aktuellen Aussagen des AfD-Chefs Bernd Lücke

(iz). Die Parteienlandschaft in Deutschland wird von der 2013 gegründeten Alternative für Deutschland (AfD) derzeit aufgemischt. Nachdem sie den Einzug in den Bundestag nur knapp verpasste und sowohl in das Europaparlament gewählt wurde, als auch in den hessischen Landtag, schaffte sie nun aus dem Stand 9,7 Prozent Stimmenanteil bei der Landtagswahl in Sachsen. 
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Am Islam scheiden sich die Geister
Als der damalige Bundespräsident Christian Wulff den Islam als zugehörig zu Deutschland betitelte, hagelte es Kritik aus Politik und Medien. Besonders Unionspolitiker hielten die Wortwahl für unangebracht. Damit schuf Wulff den Höhepunkt der energisch geführten Islamdebatte, die mittlerweile zu einem Alltagsthema in Deutschland geworden ist. Am Islam scheiden sich die Geister. In diesem Kontext ist interessant, wie nun diese heiß diskutierte neue Partei zum Thema Muslime in Deutschland steht.

In einem Gespräch mit dem katholischen Nachrichtenmagazin „kath.net“ überraschte der AfD-Vorsitzende, Bernd Lucke, mit unerwartet klaren Standpunkten. Auf die Frage, ob Integration eine Bringschuld der Gesellschaft oder der Migranten sei, und ob Religionsfreiheit soweit gehen dürfe, dass Moscheen in Deutschland als repräsentative Prachtbauten errichtet werden, antwortete er: „Einwanderer sollten bereit sein, sich zu integrieren und dies auch aktiv anstreben. Die Gesellschaft sollte aber auch das ihre dafür tun, den Einwanderern die Integration zu erleichtern, insofern würde ich die Integration nicht gerne nur als entweder Bringschuld oder Holschuld verstehen wollen.“

Es sei völlig in Ordnung, ja sogar bereichernd, wenn Einwanderer ihre kulturellen, religiösen und sprachlichen Wurzeln pflegen, „solange sie die deutsche Kultur achten, die christliche Religion respektieren und die deutsche Sprache sprechen“. Repräsentative Prachtbauten gehörten sicherlich nicht zur Religionsfreiheit, aber sie könnten Ausdruck der Kultur, insbesondere der Architektur der Einwanderer sein. „Selbstverständlich dürfen Muslime hier Moscheen errichten und wenn sie das dürfen, warum sollen sie es nicht auch architektonisch anspruchsvoll und ästhetisch befriedigend tun?“

Er betonte jedoch auch, dass es verständlich sei, dass Moscheen nicht unbedingt im historischen Ortskern genehmigt würden. Für ihn spiele weniger die Frage eine Rolle, wie eine Moschee gebaut werde, sondern was in ihr gepredigt werden werde.