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Lage der Uiguren: Die UN meldeten sich endlich zu Wort

Die Behandlung von Uiguren und anderen mehrheitlich muslimischen Bevölkerungsgruppen in der Region Xinjiang durch das chinesische Regime kann Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen. Das ist die Quintessenz eines langerwarteten Berichts […]

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Papier: Araber brachten die jetzt rare Ressource nach Europa

Papier? Ein Auslaufprodukt, zumindest bei Büchern und Zeitungen. Die Digitalisierung drängte es zurück. Doch plötzlich herrscht Papierkrise. Das Angebot ist knapp. Preise für Bücher und Zeitungen könnten steigen. (KNA). „Alarm […]

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Peking ist vorsichtig: Taliban setzen voll auf Hilfe aus China

China

Die Taliban sprechen von ihren „Freunden“ in China, die Afghanistan wiederaufbauen wollten. Zwar tritt Peking in das Machtvakuum, das die USA hinterlassen haben. Aber Investitionen erfordern Sicherheit. So ist China vorsichtig. Kann es den Taliban überhaupt trauen? Von Andreas Landwehr

Peking (dpa/iz). Die Hoffnungen der Taliban auf baldige wirtschaftliche Hilfe aus China zum Wiederaufbau Afghanistans könnten enttäuscht werden. Nach ihrer Machtübernahme in Kabul setzen die Militanten auf den großen Nachbarn, der die „Gotteskrieger“ schon früh als die neuen Herrscher des Landes diplomatisch aufgewertet hatte. „China ist unser wichtigster Partner und bedeutet für uns eine grundlegende und außergewöhnliche Chance, denn es ist bereit, zu investieren und unser Land neu aufzubauen“, sagte ihr Sprecher Sabiullah Mudschahid der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“.

Mit Chinas Hilfe planen die Taliban ein Comeback des schwer angeschlagenen Afghanistans. In dem Land gebe es „reiche Kupferminen, die dank der Chinesen wieder in Betrieb genommen und modernisiert werden können“, sagte der Sprecher. Der Wert der Bodenschätze in Afghanistan wird tatsächlich auf eine Billion US-Dollar geschätzt. Nur fehlt es an Investitionen und Infrastruktur, um den Reichtum auch zu bergen – vor allem aber mangelt es an der nötigen Sicherheit.

Erstmal verspricht Peking nur humanitäre Nothilfe und Impfstoffe gegen die Pandemie in einem Wert von 200 Millionen Yuan, umgerechnet 26 Millionen Euro. China ist diplomatisch aktiv, das von den USA nach ihrem Rückzug hinterlassene Machtvakuum auszufüllen. Außenminister Wang Yi spricht mit den Nachbarländern. Afghanistan ist am Donnerstag auch wichtiges Thema des Brics-Gipfels mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping, Russlands Wladimir Putin und den anderen Staats- und Regierungschefs aus Indien, Brasilien und Südafrika.

Die Erwartungen der Taliban, China könnte den Wiederaufbau maßgeblich mitfinanzieren, wirken aber unrealistisch. So hat Peking die Milliardeninvestitionen in seine Infrastrukturinitiative der „Neuen Seidenstraße“ (Belt and Road Initiative) zum Aufbau neuer Handelswege schon heruntergefahren. Auch verweisen Experten in China auf die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan und beäugen die Taliban misstrauisch.

Selbst früher, vor dem Ausbruch der Pandemie, als die Lage vergleichsweise stabil war, gab es keine größeren Investitionen Chinas. Zwei große chinesische Projekte in Afghanistan sind schon damals nicht ans Laufen gekommen. So erhielt 2008 ein Unternehmen aus China einen auf drei Milliarden US-Dollar geschätzten Zuschlag für die Entwicklung einer der größten Kupferlagerstätten weltweit in Mes Aynak. Und 2011 wollte ein chinesischer Konzern die Ölfelder am nördlichen Grenzfluss Amudarja erschließen. Nichts ist passiert.

„Deswegen denke ich, dass China gerade jetzt, wo es nicht nur potenziell, sondern tatsächlich Instabilität in fast allen Bereichen in Afghanistan gibt, nicht viel investieren wird“, sagt Professor Shi Yinhong von der Pekinger Volksuniversität. „Afghanistan hat jetzt drastische Veränderungen durchgemacht“, sagt der Experte. „Es gibt weder angemessene Sicherheit, noch lässt sich über nachweisliche und vergleichsweise langfristige, vernünftige Stabilität sprechen.“

Schon im befreundeten Pakistan, wo China im Rahmen der „Seidenstraße“ rund 60 Milliarden US-Dollar in Infrastruktur für den China-Pakistan Wirtschaftskorridor investiert hat, gebe es „feindliche Kräfte“, die chinesische Unternehmen und Personal attackiert haben, hebt der Professor hervor. Auch die Taliban an sich seien „komplex“, sagt Shi Yinhong auf eine Frage nach rivalisierenden Gruppen.

Ob China den Taliban überhaupt trauen kann? „Die chinesische Regierung hofft darauf, aber sie ist nicht naiv“, sagt der Professor. So haben die neuen Herrscher in Kabul versprochen, niemandem zu erlauben, vom Boden Afghanistans aus chinesische Interessen zu gefährden. Gemeint sind Extremisten und Unabhängigkeitskräfte, die China in seiner angrenzenden Region Xinjiang fürchtet – dem ehemaligen Ostturkestan. Dort gehen die Chinesen gegen muslimische Uiguren vor, haben Hunderttausende von ihnen in Umerziehungslager gesteckt.

Es hat schon eine gewisse Ironie: Während China in Xinjiang mutmaßliche Extremisten bekämpft, stellt es sich in Afghanistan an die Seite militanter Islamisten, die die Chinesen als ihre „Freunde“ preisen. Aber von echtem Vertrauen ist in Peking wenig zu spüren. „Ohne Beweise oder Prüfung über eine beträchtliche Zeit kann niemand glauben, dass die Taliban, die in der Vergangenheit untrennbar mit der ostturkestanischen Bewegung verbunden waren, so schnell und definitiv ihr Versprechen halten werden, das sie Chinas Regierung gegeben haben“, sagt Shi Yinhong.

Aber Peking ist pragmatisch. Denn es geht nicht nur um Xinjiang, sondern auch darum, dass Afghanistan ein Nährboden für Terrorismus und eine Quelle der Unsicherheit für Chinas Interessen in ganz Zentralasien und in Pakistan werden könnte. Selbst wenn China echte Sorgen über die Bereitschaft der Taliban habe, ihre Versprechen einzuhalten, seien die Beziehungen und der potenzielle Gewinn für Peking „einfach zu wichtig, um ignoriert zu werden“, glaubt der Sicherheitsexperte Derek Grossmann von der Rand Corporation. „Ähnlich wichtig ist das Risiko, die Taliban damit zu verärgern, ihnen verspätet die Anerkennung und Legitimation zu geben, die sie ersehnen, was Chinas Sicherheitsinteressen gefährden könnte.“

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„Die Taliban haben sich monatelang auf diesen Augenblick vorbereitet“

(iz). Die rasante Übernahme Afghanistans durch die Taliban – halb Durchmarsch, halb Selbstaufgabe der bisherigen Regierung – hat Politiker, Militärs und Analysten in aller Welt geschockt. Längst ist von einem Scheitern „des Westens“ die Rede.

Hierzu sprachen wir mit dem geopolitischen Analysten D. Hurrell. Hurrell lebt in Südafrika und arbeitet derzeit als politischer Analyst und Dozent. Mit ihm sprachen wir über die enorme Geschwindigkeit des Taliban-Vormarsches, über das Zeitalter der Interventionen und darüber, wer nun in der Region profitieren könnte.

Islamische Zeitung: Am 15. August nahmen die Taliban nach einer enorm schnellen Kampagne, in der viele Provinzen und Städte beinahe kampflos an sie fielen, die Hauptstadt Kabul ein. Hat Sie der Verlauf der Ereignisse überrascht?

D. Hurrell: Ich denke, jeder war von der Geschwindigkeit überrascht, mit der Afghanistan überrollt wurde. Die meisten städtischen Räume des Landes wurden in einem Zeitraum von neun Tagen erobert. Das wird uns als ein Scheitern der Geheimdienste präsentiert. Die Wirklichkeit ist, dass internationale Kräfte und ihre afghanischen Verbündeten in zwanzig Jahren Kriegsführung nicht in der Lage waren, sie zu vertreiben.

Es gab keinen Zweifel darüber, dass die Gruppe Gebietsgewinne machen würden, sobald der US-Abzug begann und die Moral der afghanischen Armee (ANA) fiel. Ein frühes Anzeichen war ihre Weigerung, die Verpflichtung zur „Reduktion von Gewalt“ umzusetzen, die 2020 Teil des Vertrages mit den USA war. Viele glauben, dass die mit den USA verbündeten Warlords und Milizen gemeinsam mit Regierungskräften in der Lage gewesen wären, größere Städte wie Kandahar und Herat zu halten und zu verteidigen, sodass die Kämpfe auf das Hinterland beschränkt blieben.

Das war jedoch nicht der Fall. Afghanische Sicherheitskräfte kapitulierten im Angesicht des Vormarsches. Wir konnten zwischen Mai und Juli signifikante Geländegewinne in ländlichen Gebieten beobachten. Sie kopierten dabei ISIS/Daesh (vielleicht auch Dschingis Khan). Sie nutzten beispielsweise soziale Medien, auf denen sie Beispiele davon verbreiteten, was jenen widerfahren wird, die sich ihnen widersetzen. Ich beziehe mich dabei auf die häufig verbreitete Hinrichtung von Angehörigen der afghanischen Spezialkräfte (ANSF), wie sie sich in Malestan und Spin Boldak ergeben haben.

Zusätzlich sah die Doha-Vereinbarung eine Garantie vor, dass US-Luftangriffe außer von „Kampfgebieten“ zu enden hätten. Das führte dazu, dass die Taliban mit größerer Bewegungsfreiheit in vielen Gebieten agieren konnten. Was nicht nur ihre logistischen und materiellen Netzwerke stärkte, sondern auch politisch den Boden für eine Umgebung nach den USA bereitete.

Islamische Zeitung: War die de facto Übernahme Afghanistans durch die Taliban die Folge des US-Abzugs, der ohne sonderliche Bedingungen durchgezogen wurde?

D. Hurrell: Die Taliban haben sich monatelang auf diesen Augenblick vorbereitet. Es scheint, sie selbst seien von der Geschwindigkeit ihrer Offensive überrascht gewesen. Aber wir wissen, dass sie den Grundstein dafür gelegt haben. Über Monate gab es Drohungen und heimliche Verhandlungen zwischen den Taliban und lokalen Brigadekommandeuren, Warlords und Gouverneuren, die in die massenhaften Kapitulationen von Regierungstruppen der letzten Woche mündeten.

Natürlich gab es in einigen Provinzen heftige Gefechte zwischen afghanischen Einheiten und den Taliban wie in Helmand, Kandahar und Herat. Aber ihnen folgten die Aufgabe oder ein ausgehandelter Rückzug der Sicherheitskräfte. Die Taliban ließen es jeden wissen, dass sie entweder bei einer Kapitulation Amnestie gewähren würden oder man die Konsequenzen auf sich nehmen müsse. Ihre Offensive wurde von einer effektiven Kampagne in den sozialen Medien begleitet, die jeden Widerstand einschüchterte.

Es scheint, dass selbst die afghanischen Streitkräfte es versäumt haben, sich strategisch so zu positionieren, dass sie Kerngebiete auf Kosten von Gebieten verteidigen, die nicht zu halten waren. Die Unterstützung und Sicherheitskoordinierung zwischen Kabul und den Provinzen war offenbar sehr gering. Es gab keine defensive Führung. Das war eine Reflexion des hochkorrupten Klientelsystems, wie es sich in den letzten beiden Jahrzehnten entwickelte. Auch hatten sich afghanische Einheiten seit einem Jahrzehnt stark auf die USA, das alliierte Militär, Luftunterstützung und operationale Doktrin verlassen. Das bedeutete, dass die Armee ohne diese Unterstützung unorganisiert war und moralisch zusammenbrach.

Ein beitragender Faktor war die vollkommene Korruption und Funktionsstörung des afghanischen Militärs. Kommandeure und Offiziere stahlen das Geld und bezahlten ihre Soldaten nicht. Das führte zu Desertionen und zum Verkauf von Waffen auf dem Schwarzmarkt – an die Taliban.

Islamische Zeitung: Die Afghanistankampagne von NATO, USA und anderen Kräften leitete nach Ansicht einiger Beobachter den Kreislauf im Rahmen des sogenannten Krieges gegen den Terror ein. Markieren für Sie die jüngsten Entwicklungen das Ende einer Ära?

D. Hurrell: Nun gut. Der globale Krieg gegen den Terror hatte zwei widersprüchliche strategische Eigenschaften. Einerseits großflächige militärische Einsätze (Irak und Afghanistan) und geheime Jagden auf Geister in aller Welt (Al-Qaida). Die Kriege in Irak und Afghanistan waren natürlich daheim unbeliebt, teuer und ohne klar erzielbare Ziele im Hinterkopf. Wenn wir die Nationale Sicherheitsstrategie von 2002 betrachten, dann sprach sie von Terroristen, Massenvernichtungswaffen sowie den Abschied der Vereinigten Staaten von alten Mustern der Großmächtekonkurrenz.

Interessanterweise richtete die Strategie von 2017 ihren Fokus zurück zu einem „Wettbewerb der Großmächte“. Es scheint also, dass der amorphe nichtstaatliche Feind nach dem 11. September 2001 einer Konzentration auf die konventionelleren Herausforderungen gewichen ist. Dazu zählen die Ukraine-Krise, Chinas ständig wachsende militärische Expansion sowie die iranische Penetration verschiedener militärischer Arenen. Die Ära nach 9/11 mag niemals enden, aber der Sicherheitsfokus der USA und ihrer Verbündeten passen sich neuen Umständen an. Der Wettbewerb von Großmächten wird voraussichtlich erneute umfangreiche Militäreinsätze notwendig machen. Aber diese Konfliktzonen werden nicht mehr im Mittleren Osten liegen, sondern in Ostasien. Daher wird Biden sich auch auf eine Wiederherstellung der transatlantischen Beziehungen durch die NATO fokussieren.

Trotzdem besteht der Hunger auf Anti-Terror-Operationen fort wie fortgeführte Einsätze bestimmter westlicher Mächte im Sahel gegen militante Gruppen. Interessanterweise warnt ein aktueller Bulletin von Anti-Terrorismus in USA vor einer erhöhten Bedrohung durch einheimische Terroristen. Fallen die bösen Taten auf den Übeltäter zurück?

Islamische Zeitung: Es heißt manchmal, dass die Natur kein Vakuum erträgt. Was wären Ihrer Meinung die nächsten Schritte in Afghanistan? Kehren die Taliban zu ihrer Politik – wenn es so etwas gibt – aus den 1990er Jahren zurück?

D. Hurrell: Die Taliban erklären, dass ihre Ziele vergleichbar zu denen in den 1990ern seien: die Eroberung Kabuls und die Wiederherstellung des Islamischen Emirats Afghanistan. Die Gruppe erhöht ihre Mullahs zu politischen Führern und ultrakonservative Tendenzen bestehen fort. Ich kann mir vorstellen, dass sie die Praktiken der früheren Hochburgen wiederholen werden wie die Verweigerung der Schulbildung für Frauen und Mädchen sowie andere Vorgehensweisen. Jedoch sind die heutigen Kämpfer eine Generation nach der ursprünglichen Gruppe. Hinweise deuten an, dass die konservativen und traditionellen Tendenzen natürlich – und vielleicht geschwächt – durch zwei Jahrzehnte der Begegnung mit Ideen von außen beeinflusst wurden – inklusive durch andere Afghanen. Reporter in den von den Taliban kontrollierten Gebieten sprechen von „Widersprüchen“: Während sie vor zwanzig Jahren noch Fernsehgeräte an Masten aufhingen, sehen sie jetzt offenbar gerne indische und türkische Seifenopern im Satellitenfernsehen.

Der Taliban-Sprecher Suhail Shaheen sagte, die Gruppierung befürworte eine „offene, inklusive islamische Government“. Es ist nicht vollkommen klar, ob dazu auch Elemente der früheren Regierung gehören sollen. Aber das mag ein Versuch sein, eine internationale Anerkennung zu fördern. Er meinte auch, angesichts ihrer Beliebtheit sei „Legitimität und Anerkennung unser Recht“. Die Taliban bauten ihre Unterstützung im Laufe des Jahrzehnts auf und hielten sie aufrecht, indem sie die Korruption der afghanischen Regierung, einschließlich ihres Versagens bei der Bereitstellung grundlegender Dienstleistungen, zusammen mit dem Narrativ des Dschihad gegen die ausländischen Eindringlinge betonten. Dieses war Teil des Leims, der sie zusammenhielt.

Vermutlich werden sie sich um Zugang zu gewissen ausländischen Finanzmitteln bemühen, wenn wir in Betracht ziehen, dass die Staatsausgaben bei weitem die Kosten der Finanzierung einer Miliz durch Opiumgewinne überwiegen. Woher wird das Geld zur Aufrechterhaltung von Strom und Bewahrung der Infrastruktur kommen? Das Fundament ihrer Legitimität wird sich vom Kämpfen im Krieg hin zu effektiver Regierung verschieben müssen. Aus diesem Grund glaube ich, wird es keine Rückkehr zur Politik der 1990er geben, sondern einen intelligenteren Ansatz zur Förderung regionaler und später internationaler Anerkennung.

Selbstverständlich gibt es Unterschiede innerhalb der Organisation. Diese hängen davon ab, welche Fraktion gerade dominiert. Darüber hinaus könnten Versuche zur Erzwingung einer abstoßenden Form von Scharia Aufstände in größeren Städten provozieren, insbesondere in Kabul. Mindestens aber könnte die Zahl von Dissidenten anwachsen, die wegen der Ablehnung ihrer Doktrin die Gruppe sabotieren werden. Gerade eben sahen wir eine kleine Demonstration von Kabuler Frauen, die den Schutz ihrer Rechte forderten. Das ist natürlich eine optimistische Sichtweise. Es kann genauso eine Rückkehr zu den dunklen Tagen der 1990er geben.

Die andere Frage ist, was jetzt mit den Taliban-Gruppen geschieht. Nach zwei Jahrzehnten Korpsgeist und Zusammenhalt, die auf der Grundlage des Widerstands gegen einen ausländischen und sehr spezifischen inländischen Feind beruhten, muss man davon ausgehen, dass die Bindung schwindet, welche die Gruppe zusammenhielt. Das gilt insbesondere, sollten regionale, stammesbedingte und politische Differenzen an Einfluss gewinnen. Ich denke, wir sollten auch in Betracht ziehen, dass es notwendigerweise zu Machtkämpfen kommen wird, wenn die Taliban mit der Regierungsbildung beginnen, um regionaler und später internationale Anerkennung zu erlangen. Sollten sich die mächtigsten politischen Fraktionen daran beteiligen, könnte das zu Machtkämpfen führen.

Islamische Zeitung: Die Blitzoffensive der Taliban wurde als eine Niederlage „des Westens“ beschrieben. Werden China, Russland, Iran und Indien von der neuen Herrschaft in Afghanistan profitieren?

D. Hurrell: Ich denke, es ist vielsagend, dass die Taliban laut Berichten seit dem 16. August die russische und chinesische Botschaft in Kabul bewachen. Diese Vertretungen wurden nicht evakuiert und arbeiten weiter – genauso die des Irans. Diese Länder haben sehr pragmatische Ansätze im Umgang mit dieser militanten Organisation an den Tag gelegt – und tun es weiterhin. Es gibt Berichte, wonach Russland schon vor Jahren seine Fühler in Richtung Taliban ausgestreckt hat. Angeblich soll Moskau Kopfprämien für die Tötung amerikanischer Soldaten gezahlt haben.

Alle Regionalmächte wussten, dass die Amerikaner eines Tages gehen und die Taliban, oder ihre Nachfolger, bleiben würden. Diese ausländischen Akteure werden sich mit den Taliban austauschen, um den Bestand ihrer Interessen zu sichern – insbesondere bei Fragen der Grenzsicherheit. China und Russland scheinen diesbezüglich Signale an die Taliban zu senden. Kürzlich organisierten beide Staaten Militärübungen in Nordwestchina, während Russland am 10. August ebenfalls Übungen mit Truppen aus Tadschikistan und Usbekistan nahe der afghanischen Grenze abhielt. Beide betrachten Afghanistan als ein sehr instabiles Land. Von beiden hört man Besorgnis über die Unsicherheit, die von Afghanistan ausgeht und in ihre Gebiete eindringt, weshalb eine präventive Diplomatie mit der Gruppe als notwendig erscheint.

Zuvor versuchte Peking, Afghanistan über den Bau der Autobahn Peschawar-Kabul zum Teil seines Projekts einer „Neuen Seidenstraße“ (BRI) zu machen. Das würde Afghanistan in das Netzwerk von Autobahnen, Eisenbahnstrecken und Energiepipelines zwischen Pakistan und China einbringen. China wird wahrscheinlich Verhandlungen mit Taliban fortführen. Diese haben angedeutet, chinesische Investitionen wären willkommen und würden beschützt. Russland hat nur geringe ökonomische Interessen im Land. Währenddessen versucht der Iran, sein „Einflussgebiet“ in Afghanistan auszubauen; inklusive unter Afghanen in der Gemeinschaft der schiitischen Hazara.

Für die meisten regionalen Staaten dürfte die nahe Zukunft eine Periode des Krisenmanagements sein und Fallout eines Regierungszusammenbruchs beinhalten. Auch die Frage von Flüchtlingsströmen wird auftreten. Eine andere Sorge ist die wachsende Präsenz des IS/Daesh im Norden. Nachbarstaaten dürften sich mit den Taliban absprechen, um diese Bedrohung zu neutralisieren.

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Taliban an der Macht verstärken uigurische Befürchtungen

China

(iz). Gerade eben verkündeten die siegreichen Taliban nach dem Abzug des letzten US-amerikanischen Soldaten, Afghanistan sei nun wieder eine „souveräne Nation“. Ihre Übernahme des Landes hat nicht nur zu Fragen geführt, wie die Gruppierung ihre Macht im Inland nutzen wird. Trotz verschiedener Signale an das Umfeld bleibt es offen, wie seine direkten und indirekten Nachbarn auf den jetzigen Sieg reagieren  oder wie die Machthaber in Kabul verfahren werden.

Das erste Mal seit 2001 steht die Hauptstadt unter ihrer Kontrolle. Momentan sind die verschiedenen Kommandoebenen – in Doha, Pakistan sowie Kommandeure im Land – im Prozess einer Regierungsbildung. Jenseits von Ankündigungen in Pressekonferenzen und -gesprächen.

Bisher richtet sich der weltweite Fokus vorrangig – und verständlich – auf die Perspektive von Afghanen in Hinblick auf die neuen Herren in Kabul. Immerhin sind sie direkt von ihrer Politik und ihrem konkreten Verhalten als erste und am stärksten betroffen. Von der deutschen Öffentlichkeit unbeachtet sehen Exiluiguren eine angedeutete Annäherung zwischen Kabul und Peking mit Sorge.

In einem Fachreader der International Crisis Group (ICG) vom 26. August zu Reaktionen und Optionen von Nachbarländern beschäftigt sich die China-Expertin Amanda Hsiao mit einem zukünftigen Verhältnis Pekings zu den Taliban.

Nach Ansicht verschiedener Beobachter und Medien liegen seine Interessen in drei Bereichen: afghanische Rohstoffe, seine Integration in die Road-and-Belt-Initiative (Projekt Neue Seidenstraße) sowie Sorgen um die regionale und innere Sicherheit Chinas. Hsiao betont in ihrem Text vor allem die chinesische Angst vor einem Übergreifen der Unsicherheit – sowohl auf das eigene Gebiet als auch Drohungen gegenüber eigenen Bürgern und Projekten in Pakistan. China setze „vor allem durch diplomatischen und ökonomischen Austausch“ auf die Förderung von Stabilität in Afghanistan.

Darüber hinaus hinterlasse der westliche Rückzug vom Hindukusch ein Vakuum. Das gäbe China mehr Freiraum in Zentralasien. Für Peking könne sich das als zweischneidiges Schwert erweisen. Die Abwesenheit der USA in Afghanistan mache regional Platz. Allerdings stünden Washington nun neue Ressourcen im indopazifischen Raum zur Verfügung, um dort Druck auf China ausüben zu können.

Für Uiguren, insbesondere Exilanten in Zentralasien, ist relevanter, dass Peking  auch in Afghanistan unter dem Deckmantel eines „Kampfes gegen den Terror“ Druck auf die verfolgte Minderheit ausüben werde. Nach Ansichten von Hsiao hätten die Taliban hier beschwichtigende Signale bezüglich der kleinen Extremistenbewegung ETIM (die auf einige hundert Uiguren geschätzt wird) in Afghanistan gesendet.

„Peking wird die Taliban-Regierung anerkennen wollen, wahrscheinlich nachdem oder gleichzeitig mit Pakistan, aber bevor ein westliches Land dies tut, obwohl der Zeitpunkt dieses Schrittes zum Teil davon abhängen könnte, ob es gelingt, von den Taliban zusätzliche Zusicherungen in den beiden Fragen zu erhalten, die ihm am wichtigsten sind“, lautet die Einschätzung der ICG-Expertin.

Am 24. August berichtete der US-amerikanische Sender Radio Free Asia, wie Exiluiguren in Afghanistan auf den Erfolg der Taliban reagieren. Sie seien „voller Schrecken“. Diese Machtübernahme könne bedeuten, dass sie nach China ausgeliefert würden, wo ihnen „harte Strafen“ drohten. Menschenrechtsgruppen befürchteten „das Schlimmste“ für die geschätzten 2.000 Uiguren, die derzeit leben würden.

Nach Angaben eines Mannes, dessen Eltern bereits in Afghanistan geboren wurden, seien die rund 80 uigurischen Familien in der Hauptstadt verwirrt und fürchteten um ihr Leben. Er selbst sei bei einem Gang zum Bäcker von einzelnen Taliban geschlagen worden. Exiluiguren in der Türkei hätten mittlerweile von Kontakten in der nördlichen Stadt Mazar-e-Sharif berichtet, wonach Taliban in Privatwohnungen eindringen und Mädchen entführen würden. „Kasachstan fliegt Kasachen aus Afghanistan, Usbekistan nimmt Usbeken, die Türkei und alle anderen Länder nehmen ihre Bürger mit, aber niemand (…) hilft unst“, sagte ein Kabuler Uigure.

Bereits am 11. August veröffentlichte das Uyghur Human Rights Project (UHRP) einen neuen Bericht, wonach Pakistan und die nun gestürzte afghanische Regierung „Komplizen“ Pekings in der grenzübergreifenden Unterdrückung von Uiguren seien. Das chinesische Vorgehen gegen Exilgemeinschaften in den beiden Ländern würde die Menschenrechte und weltweite Standards verletzen, so die Autoren.

Seit 1990 gab es 60 Ausweisungen von Uiguren durch pakistanische Sicherheitskräfte im Windschatten des internationalen Antiterror-Kriegs. China hält den Druck auf Exiluiguren aufrecht, die über Pakistan, Afghanistan und andere Staaten in den Westen fliehen. In den letzten 10-15 Jahren soll sich die Stärke der dortigen Gemeinschaft von rund 3.000 Menschen auf bloß 100 Personen reduziert haben.

„Pakistan und Afghanistan werden zu chinesischen Klientenstaaten“, sagte UHRP-Direktor Ömer Kanat. „Auf Geheiß der chinesischen Behörden werden in Islamabad und Kabul gefährdete Uiguren schikaniert, inhaftiert und deportiert. Einige der ins Visier genommenen Uiguren sind in China gefoltert und hingerichtet worden, während andere die Zerschlagung ihrer Familien und die rigorose Überwachung ihrer Gemeinschaften erlebt haben. Chinas wirtschaftliche Großzügigkeit kann jede Art von Komplizenschaft bei der Gewalt gegen Uiguren erkaufen.“

Für das Fachmedium „Bitterwinter“ beschäftigte sich die Analystin Ruth Ingram mit den Auswirkungen der Machtübernahme für Uiguren in der Region. Bereits vor ihrem Sieg hätten die Taliban gegenüber Peking versprochen, dass sie keinen antichinesischen Terror auf ihrem Gebiet zulassen würden. Sie würden bei der Abschiebung von „problematischen“ Uiguren kooperieren. Damit hätten sie der Kommunistischen Partei eine weitere Waffe für ihr Arsenal im sogenannten Krieg gegen den Terror gegeben. Dieser verlasse sich auf die Zusammenarbeit mit engsten Nachbarn und „dem Schweigen der muslimischen Staaten“.

Exiluigurische Organisationen sowie westliche Forscher hätten seit Jahren dokumentiert, dass der Verweis auf die Terrororganisation ETIM, wenn es sie denn überhaupt gäbe, keine faire Repräsentation von Uiguren insgesamt sei. Und Uiguren sollten nicht durch Aktionen geschmäht werden, welch die ETIM in ihrem Namen beginge.

Die Uiguren seien zu den Opferlämmern auf dem Altar von Pekings unaufhaltsamem wirtschaftlichen und politischen Marsch nach Westen geworden. Die KPCh habe sich Loyalität, Schweigen und Komplizenschaft mit Versprechungen für Hilfe, Wohlstand und Schutz erkauft. „Pakistans unerschütterlicher chinesischer Verbündeter Imran Khan leugnet jede Kenntnis von der Notlage der Uiguren vor seiner Haustür, und das neue Taliban-Emirat ist bereit, seinen Stolz zugunsten von Bergen von Geld für Bau- und Schürfrechte herunterzuschlucken“, so Ingram.

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Die Mehrheit der Deutschen ist für härtere China-Politik

china

Berlin (dpa). Eine deutliche Mehrheit der Deutschen ist für einen härteren Kurs gegenüber China. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Zeitschrift „Internationale“Politik» sagten 58 Prozent, dass die Bundesregierung auch dann eine härtere Haltung einnehmen und die eigenen Interessen offensiver vertreten sollte, wenn dies die Wirtschaftsbeziehungen mit China beeinträchtigen sollte.

17 Prozent unterstützen einen härteren Kurs nur, wenn die Wirtschaftsbeziehungen nicht darunter leiden. 19 Prozent sind grundsätzlich gegen eine härtere Gangart.

Dem autoritär regierten China werden massive Menschenrechtsverletzungen vor allem gegen Minderheiten wie die muslimischen Uiguren vorgeworfen. Unter den westlichen Staaten gibt es Differenzen, wie man damit umgehen sollte.

Während die USA für eine möglichst harte Haltung eintreten, ist die Bundesregierung deutlich zurückhaltender. Deutschland hat enge Wirtschaftsbeziehungen mit der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt.

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Führt die Machtübernahme der Taliban zu einer Wirtschaftskrise?

Afghanistan übernahmen die Taliban in Windeseile. Nun beginnen die Mühen der Ebene: das Regieren eines armen Landes. Wichtige Geber haben Hilfen erstmal eingefroren. Den Taliban könnte bald das Geld ausgehen – sie haben aber auch Trümpfe in der Hand. Von Jürgen Bätz

Washington/Kabul (dpa/iz). Nach der Machtübernahme ist vor der nächsten Krise: Afghanistans Wirtschaft steht ein schwerer Einbruch bevor, im Land sind Armut und Hunger verbreitet, der Regierung geht das Geld aus. Die Taliban haben in Kabul das Zepter übernommen, aber nun müssen die selbst ernannten Gotteskrieger erstmals seit einer Generation wieder ein Land regieren. Sie müssen versuchen, für Stabilität zu sorgen und für geschätzt 37 Millionen Menschen eine Grundversorgung sicherzustellen. Die gestürzte Regierung konnte dafür auf massive Hilfe aus dem Ausland bauen. Die Taliban hingegen könnten eher auf das brutale Eintreiben von Steuern und auf den Handel mit Opium setzen.

Ausländische Geber, allen voran die USA, Deutschland und andere Europäer, finanzierten in dem armen Land nach US-Angaben zuletzt rund 80 Prozent der Ausgaben der Regierung. Nun liegen milliardenschwere Hilfszusagen auf Eis. Auch auf eine andere mögliche Geldquelle, die im Ausland gehaltenen afghanischen Währungsreserven von rund neun Milliarden US-Dollar, haben die Taliban vorerst keinen Zugriff.

Für die Zukunft der Menschen in Afghanistan ist es nun entscheidend, welchen Weg die Taliban einschlagen werden: Wird es ein brutales Regime geben, das Afghanistan international zu einem Paria-Staat macht? Oder wird es eine zwar islamistische, aber dennoch etwas gemäßigtere Regierung geben, die auf eine Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft setzt, um für die arme Bevölkerung Hilfen zu bekommen?

Seit dem Sturz der Taliban vor 20 Jahren ist die Wirtschaft sehr stark gewachsen. Die internationale Unterstützung für Afghanistan machte 2020 nach Angaben der Weltbank aber mehr als 40 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes von rund 20 Milliarden US-Dollar aus. Trotz der Hilfen gehört Afghanistan einem Entwicklungsindex der Vereinten Nationen (UN) zufolge weiter zu den ärmsten Ländern der Welt (Platz 169 von 189 Staaten). Aktuell ist die humanitäre Lage wegen einer schlimmen Dürre, der Corona-Pandemie und den Folgen des jahrzehntelangen Konflikts besonders kritisch. Etwa die Hälfte der Bevölkerung lebt UN-Angaben zufolge in Armut und ist auf Unterstützung angewiesen, darunter etwa zehn Millionen Kinder. Das Welternährungsprogramm (WFP) schätzt, dass rund 14 Millionen Menschen nicht genug zu Essen haben.

Von 1996 bis 2001 regierten die Taliban in Afghanistan mit einer extrem strikten Auslegung des islamischen Rechts, der Scharia. Frauen und Mädchen hatten damals kaum Rechte, Verbrechen wurden drakonisch bestraft – mit teils barbarischen Mitteln bis hin zu Steinigungen. Sollte es wieder so kommen, dürften die meisten ausländischen Geber fern bleiben. Im Fall einer humanitäre Katastrophe dürften mehr Afghanen die Flucht ins Ausland anstreben, auch nach Europa.

Eine isolierte Regierung der Taliban wäre jedoch keineswegs mittellos. In Gebieten, die sie schon bisher kontrollierten, standen sie im Ruf, Steuern und Zwangsabgaben konsequent – und teils auch brutal – einzutreiben. Außerdem haben sie im großen Stil Schutzgeld erpresst. Unter anderem mit diesen Einnahmen finanzierten die Islamisten auch den Kampf gegen die Regierung. Zudem haben die Taliban nun zwei Trümpfe in der Hand: den Handel und das Opium.

Die Einnahmen durch Zollgebühren, also aus dem Handel mit dem Iran, Pakistan und anderen Nachbarn, dürften wieder kräftig sprudeln, sobald im Land eine gewisse Stabilität eingekehrt sein wird. Hinzu kommt der illegale, aber lukrative Anbau von Schlafmohn, aus dem Opium hergestellt wird. Dabei geht es um viel Geld: Afghanistan produziert UN-Angaben zufolge rund 85 Prozent des weltweit hergestellten Opiums – Grundstoff von Heroin. Die Taliban können bei Anbau, Herstellung und Handel die Hand aufhalten und Gebühren einfordern. Gleiches gilt für die Herstellung der Droge Methamphetamin.

Während ihrer früheren Regierungszeit hatten die Taliban den Anbau von Opium zeitweise offiziell verboten. Berichten zufolge blieb der Handel mit dem Stoff aber stets eine extrem wichtige Einnahmequelle für sie. Bei der ersten öffentlichen Pressekonferenz des Taliban-Sprechers in Kabul vor wenigen Tagen versicherte Sabiullah Mudschahid, dass man vom Drogenanbau künftig Abstand nehmen werde. „Wir versichern unserer Nation und der Welt, dass Afghanistan nicht das Zentrum der Opiumproduktion sein wird“, sagte Mudschahid. Und fügte eine persönliche Note hinzu, um sein Anliegen zu unterstreichen: Es habe ihn sehr traurig gemacht, als er nach seiner Ankunft in Kabul Jugendliche sah, die Drogen nahmen.

Eine weitere Geldquelle ist der Bergbau und der Export von Mineralien und Edelsteinen. Auch müssen die Taliban künftig weniger für Waffen ausgeben, denn sie haben direkten Zugriff auf die Ausrüstung der zuletzt rund 300.000 Mann starken afghanischen Sicherheitskräfte – die über Jahre hinweg maßgeblich vom US-Militär hochgerüstet worden waren.

Doch Waffen und Nachtsichtgeräte kann man nicht essen. Das UN-Nothilfebüro (OCHA) warnte jüngst: „Die humanitäre Krise in Afghanistan verschärft sich rapide.“ Der Vormarsch der Taliban habe zu neuen Fluchtbewegungen geführt. „Die Menschen in Afghanistan brauchen unsere Hilfe jetzt mehr denn je“, hieß es in einem gemeinsam Appell der Helfer.

Die internationale Gemeinschaft setzt nun auf Abwarten und scheint zu hoffen, die Hilfsgelder als Druckmittel nutzen zu können, um zumindest eine Mäßigung der Taliban zu erreichen. Ohne internationale Anerkennung sei es schwer, das Land zu regieren und die Wirtschaft in Schwung zu bringen, sagte am Freitag der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price. Die Anerkennung sei für jede künftige Regierung wichtig, denn „Afghanistan wird mehr als fast jedes andere Land der Welt auf internationale Unterstützung angewiesen sein“.

Möglich wäre auch eine Anerkennung nur durch Nachbarländer, darunter zum Beispiel Pakistan und die Großmacht China, denen vor allem an Stabilität in der Region gelegen ist. Das würde den Handel vereinfachen, große Hilfszahlungen wären aber wohl kaum zu erwarten.

Den größeren Teil der Hilfen für Afghanistan – die Entwicklungshilfe in Höhe von 250 Millionen Euro – hat Deutschland nach der Machtübernahme der Taliban eingefroren. Die humanitäre Hilfe für Notleidende läuft aber weiter. Die USA, der größte bilaterale Geber, hatten allein für nächstes Jahr mehr als drei Milliarden Dollar an Hilfen eingeplant. Und vom Internationalen Währungsfonds (IWF) sollte Afghanistan in Kürze eine Erhöhung der Reserven bekommen, die dem Land rund 450 Millionen US-Dollar Liquidität verschaffen sollte.

Weil in Afghanistan bislang deutlich mehr US-Dollar ausgegeben als eingenommen wurden, war die Zentralbank zudem auf regelmäßige Lieferungen von US-Bargeld angewiesen. Angesichts des Vormarsches der Taliban hat Washington den Nachschub aber gestoppt. Der Mangel an Devisen könnte zu Kapitalkontrollen, einer Begrenzung von Abhebungen und zu einem Verfall des Kurses der örtlichen Währung führen, des Afghani. Weil das Land viele Waren importiert, könnte dies auch die Inflation in die Höhe schnellen lassen – was vor allem ärmere Afghanen hart treffen würden. Zudem sind die Taliban bislang noch mit Sanktionen belegt, was jegliche Transaktionen erschweren dürfte.

US-Präsident Joe Biden machte am Freitag klar, dass humanitäre Hilfen für Afghanistan nun vom Verhalten der Taliban abhängen. Sie hofften, „eine gewisse Legitimität zu gewinnen“, sagte Biden. „Sie werden einen Weg finden müssen, wie sie das Land zusammenhalten.“ Mögliche Hilfen sollen davon abhängen, wie gut die Taliban die Afghanen behandeln, insbesondere Frauen und Mädchen, wie Biden betonte. Es werde „scharfe Bedingungen, starke Bedingungen“ geben.

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Hintergründe zu den geopolitischen Folgen des Machtwechsels in Afghanistan

Frieden

Der Westen ist auf dem ersten Blick der große Verlierer des Machtwechsels in Kabul. Die Taliban dürften aber an Hilfen und Waren interessiert sein. Während China und die Türkei auf mehr Einfluss hoffen, ist die Lage für Indien äußerst knifflig. Von dpa-Korrespondenten

Berlin (dpa). Der Umsturz in Afghanistan kam plötzlich, seine Folgen für die Menschen vor Ort sind dramatisch. Außenpolitisch wird sich für viele Staaten nach den hektischen Rettungsaktionen dieser Tage die Frage stellen: Wie weiter mit diesem Land, in dem nun eine militante Gruppe über die Lebenswirklichkeit von Millionen Menschen entscheidet? Ist Kooperation möglich oder ist die Isolierung Afghanistans im globalen Konzert der Mächte angesagt? Während die USA erstmal schnell weg wollen vom Hindukusch, sinnen China und die Türkei auf mehr Einfluss in der Region. Für Indien könnte sich der Machtwechsel derweil zu einem herben Schlag für die globalen Einflussmöglichkeiten erweisen. Ein Überblick über die Interessen der einflussreichsten Mächte:

USA

Die Vereinigten Staaten sind derzeit mit ihrer Evakuierungsmission und mit der Debatte über das Scheitern des Einsatzes beschäftigt. Weitere Pläne zum künftigen Umgang mit dem neuen Taliban-Regime werden derzeit noch nicht öffentlich diskutiert. Der Sprecher des US-Außenministeriums sagte, man stehe im Kontakt mit anderen Regierungen, um sich über ein weiteres Vorgehen in der sich entwickelnden Lage abzustimmen.

US-Präsident Joe Biden hat angekündigt, sich weiterhin „für die Grundrechte des afghanischen Volkes“ einzusetzen, insbesondere erwähnte er die Rechte der Frauen und Mädchen. Offen ließ er, wie das Engagement der USA – die bei den neuen Machthabern in Kabul keinen Einfluss mehr haben – konkret aussehen soll.

Russland

In Russland sind die Taliban zwar als Terrororganisation verboten. Trotzdem gab es zuletzt auch in Moskau offizielle Verhandlungen mit Vertretern der militanten Gruppierung. Außenminister Sergej Lawrow sagte, dass mit den politischen Kräften der Taliban, aber nicht mit Terroristen gesprochen werde. Ob Russland die neue Führung in Kabul anerkennt, ließ er offen. Der russische Botschafter in Kabul, Dmitri Schirnow, traf sich in dieser Woche mit Taliban-Vertretern und sprach von konstruktiven Gesprächen. Die Botschaft arbeitet weiter.

Russland agiert allerdings auch im Rückblick auf seinen 20-jährigen Afghanistan-Krieg zu Sowjetzeiten abwartend. Moskau sichert vor allem den um ihre Sicherheit besorgten zentralasiatischen Staaten – allen voran Tadschikistan und Usbekistan – Unterstützung zu. In Tadschikistan beteiligte sich Russland in diesem Sommer auch an Manövern zur Abwehr eines möglichen Einmarsches der Taliban. Verhindern will Russland außerdem, dass die USA nun in Zentralasien Militärstützpunkte errichten. Moskau sieht die Region auch 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als sein Einflussgebiet.

China

Peking sucht Stabilität in Afghanistan und will vermeiden, dass das Nachbarland ein Nährboden für Terrorismus wird. Es fürchtet sonst negative Auswirkungen auf die angrenzende, muslimisch besiedelte Region Xinjiang in Nordwestchina oder Projekte seiner Infrastruktur-Initiative der „Neuen Seidenstraße“ in Zentralasien oder auch Pakistan. So hatte sich Peking schon mit den Taliban arrangiert, noch bevor sie in Kabul die Macht übernommen haben.

Um frühzeitig Pflöcke einzuschlagen, bereitete Außenminister Wang Yi einer ranghohen Taliban-Delegation am 28. Juli in Tianjin einen großen Empfang und wertete die Gotteskrieger international diplomatisch auf. China werde sich nicht in Afghanistan einmischen, versprach Wang Yi. Aber die Taliban müssten „klar“ mit allen terroristischen Gruppen und auch Separatisten brechen, die in Xinjiang für eine Unabhängigkeit des früheren Ostturkestans kämpften.

Taliban-Mitbegründer Mullah Abdul Ghani Baradar nannte China einen „vertrauenswürdigen Freund“. Er hoffe, dass China beim Wiederaufbau in Afghanistan eine wichtige Rolle spielen könne. Anders als die USA und Russland kann China in Afghanistan als Mitspieler ohne belastende kriegerische Vergangenheit auftreten. Als finanzstarke Regionalmacht, ständiges Mitglied mit Veto-Recht im UN-Sicherheitsrat, Freund der Russen und Rivale der USA könnte China für die Taliban ein wichtiger Kooperationspartner werden – der ihnen auch kein anderes politisches System aufzwingen will.

Iran

Die Regierung von Präsident Ebrahim Raisi ist noch unsicher, ob sie sich über den Machtwechsel im Nachbarland freuen soll oder nicht. Zwar ist der Erzfeind USA vorerst weg aus der Nachbarschaft, aber die Taliban als Nachfolger wollte man auch nicht unbedingt. Raisi hofft auf eine nationale Einigung im Rahmen interner Verhandlungen zwischen den afghanischen Gruppen, um so die Zusammenarbeit weiterzuführen. Für Beobachter mehr Wunschdenken als strategische Überlegung.

Für viele im Iran sind die Taliban immer noch radikale Sunniten, für die der schiitische Iran ein religiöser Erzfeind ist und bleiben wird. Auch eine wirtschaftliche Zusammenarbeit ist angesichts der chaotischen Zustände in Afghanistan zumindest kurzfristig unrealistisch. Sorge gibt es vor einer Flüchtlingswelle wie 1979 nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan. Eine solche könnte der Iran derzeit wegen der akuten Wirtschaftskrise und der Corona-Pandemie kaum verkraften.

Indien

Wie die Regierung in Neu Delhi künftig zu einer Taliban-Regierung stehen wird, ist derzeit unklar. Bislang hatte das Land gute Beziehungen zu Afghanistan, in den vergangenen 20 Jahren wurden rund drei Milliarden Dollar in Entwicklungshilfeprojekte investiert. Diese großen Investitionen in die alte Regierung dürften nun gefährdet sein. Chinas Erzfeind Pakistan, in dem ebenfalls Taliban aktiv sind, dürfte hingegen eine stärkere Rolle in Afghanistan bekommen – was wiederum die Terrorgefahr in der indisch-pakistanischen Grenzregion Kaschmir erhöhen könnte.

Indien hat auch mit seinem anderen Nachbarland China angespannte Beziehungen – und da auch die Volksrepublik künftig eine größere Rolle in Afghanistan spielen dürfte, steht es um die geopolitische Lage Indiens in Südasien nun eher schlecht.

Türkei

Ankara schlägt nicht erst seit der Machtübernahme Taliban-freundliche Töne an. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte bereits wiederholt seine Bereitschaft, Taliban-Anführer in Ankara zu empfangen. Man habe nichts gegen den Glauben der Taliban, sagte Erdogan der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge. Man stehe Afghanistan in guten und in schlechten Zeiten bei.

Vor der Machtübernahme der Taliban wurde vielfach diskutiert, inwiefern die Türkei nach dem Ende der Nato-Mission weiterhin den internationalen Flughafen sichern könnte. Ankara zeigte und zeigt sich dazu bereit. Analysten bewerteten das als Versuch des außenpolitisch weitgehend isolierten Landes, die Beziehungen zu den USA und anderen Ländern zu verbessern und den Einfluss in der Region auszubauen. Wie das Land dieses Interesse unter den neuen Umständen zu verwirklichen versuchen könnte, ist derzeit noch offen.

Über den Iran kommen seit Jahren viele geflüchtete Menschen aus Afghanistan in die Türkei. In der Bevölkerung haben die Nachrichten aus Afghanistan in den vergangenen Wochen häufig flüchtlingsfeindliche Rhetorik provoziert. Die Opposition im Land nutzt das Thema, um Stimmung gegen Erdogan zu machen.

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Christian Wagner zur aktuellen Entwicklung in Afghanistan

„Die afghanische Armee wäre auch in fünf Jahren nicht in der Lage gewesen, die neue Ordnung gegen die Taliban zu verteidigen. Der Westen hatte zwar Unterstützung durch die urbanen Eliten, die aber in sich zerstritten und korrupt waren.“

Berlin (KNA). Mit unheimlicher Geschwindigkeit haben die Taliban Afghanistan überrannt und stehen in der Hauptstadt Kabul. Der Westen verfolgt die Entwicklung im Schockzustand. Wie konnte es dazu kommen und welche Zukunft erwartet das Land? Christian Wagner, Südasien-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, analysiert im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) die Lage in Afghanistan.

KNA: Herr Wagner, was treibt die Taliban stärker an: das Streben nach dem Gottesstaat oder der Anspruch auf Hegemonie und antiwestliche Machtpolitik?

Wagner: Das eine ist vom anderen kaum zu trennen. Die entscheidende Triebkraft ist sicherlich der Islam. Gerade weil die Taliban ihn in einer extremen Form auslegen, die den Westen als ultimatives Feindbild ausmacht, solange seine Truppen im Land stehen.

KNA: Wie viel Rückhalt haben die Taliban in der Bevölkerung?

Wagner: Das ist schwer einzuschätzen, weil die Taliban Wahlen immer abgelehnt haben und jede Opposition im Keim ersticken. Fehlende Gegenwehr ist also kein Indiz für Rückhalt. Die Bilder aus Kabul zeigen, dass zumindest in den Städten große Angst herrscht. Andere Teile der Bevölkerung arrangieren sich oder können der archaischen, schlichten Scharia-Gerechtigkeit der Taliban sogar etwas abgewinnen, denn die sorgt für eine gewisse Sicherheit auf den Straßen und verspricht ein Durchgreifen gegen die Korruption.

KNA: Die fehlende Kampfbereitschaft der afghanischen Armee hat den Westen jedenfalls überrascht und schockiert.

Wagner: Er hat aber auch einen Anteil daran. Der Westen konnte nicht dafür sorgen, dass die Gelder, die er in den Aufbau dieser Armee pumpte, auch bei den Soldaten ankommen. Sie versickerten in korrupten Strukturen. Deshalb fehlte es der Truppe an Sold, an Verpflegung, sogar an Munition. Zweitens hat das Abkommen von Doha zwischen den USA und den Taliban 2020 viel Vertrauen zerstört. Damit war klar, dass die ISAF-Kontingente in Kürze abziehen und den Taliban mehr oder weniger das Land überlassen. Warlords und Armeekommandeure haben sich dann zügig umorientiert und eigene Deals mit den Islamisten angepeilt.

KNA: Hätte es denn überhaupt eine Strategie gegeben, um Stabilität und Demokratie im westlichen Sinne zu sichern? Etwa durch eine längere Stationierung der ISAF?

Wagner: Nein, ich glaube nicht. Die afghanische Armee wäre auch in fünf Jahren nicht in der Lage gewesen, die neue Ordnung gegen die Taliban zu verteidigen. Der Westen hatte zwar Unterstützung durch die urbanen Eliten, die aber in sich zerstritten und korrupt waren. Ein großes Problem sehe ich auch im fehlenden Aufbau einer überlebensfähigen Wirtschaft. Man hat den Bildungssektor gestärkt, um Fachkräfte auszubilden, aber es mangelt in Afghanistan ja komplett an Arbeitsmöglichkeiten für diese jungen Leute. Es gibt keine Industrie, keine Wertschöpfung, keine Ressourcen. Dafür ein starkes Bevölkerungswachstum, besonders in den bitterarmen ländlichen Regionen. Im Übrigen gibt es kaum Beispiele, dass die Schaffung einer demokratisch-liberalen Gesellschaft in einem nichtwestlichen, noch dazu islamischen Land mithilfe westlicher Truppen jemals funktioniert hätte. Gerade in Afghanistan stehen einem solchen Nationbuilding komplexe soziale Strukturen entgegen, die auf Loyalität innerhalb von Clans und Stämmen gründen statt auf einer Nation.

KNA: Was kommt jetzt? Rechnen Sie mit einem neuen Terror-Emirat wie vor 25 Jahren?

Wagner: Ich gehe derzeit eher von einer moderateren Herrschaftsform aus. Die Taliban agieren heute anders als damals. Sie werden die fast vollständige internationale Isolation ihres Staates vermeiden und auch westliche Hilfsorganisationen zulassen. Denn ihnen liegt an einer Verbreiterung ihrer Legitimation im Land und dafür brauchen sie eine zumindest rudimentäre Entwicklung der Infrastruktur. Inzwischen wissen sie auch um die Macht internationaler Medien. Allzu barbarische Methoden insbesondere gegen Frauen werden sie deshalb wohl unterlassen. Allerdings sind die Taliban eine heterogene Gruppe. Womöglich wird das Regime in entlegeneren Landesteilen härter vorgehen. Aber auf Regierungsebene vermute ich das erstmal nicht.

KNA: Auch China steht als Entwicklungspartner bereit – nicht gerade ein eiserner Verfechter der Menschenrechte.

Wagner: Aber China hat auch Sicherheitsinteressen. Es wird zumindest verhindern wollen, dass Afghanistan wieder ein Hort des internationalen Terrorismus wird wie 2001. Denn das hätte Auswirkungen auf die chinesische Provinz Xinjang, wo Peking die muslimischen Uiguren massiv unterdrückt. Wenn die Taliban von chinesischer Hilfe profitieren wollen, müssen sie sich von Terrororganisationen wie dem „Islamischen Staat“, Al-Qaida und militanten uigurischen Gruppen distanzieren und dürfen ihnen keine Rückzugsmöglichkeiten im Land erlauben. Das gilt übrigens auch mit Blick auf Russland, das heute viel stärker daran interessiert ist als 1996, die Ausbreitung des islamistischen Terrorismus in Zentralasien zu bekämpfen. Selbst Pakistan verfolgt in diesem Sinne eine andere Politik als vor 20 Jahren. Ein Lagebild wie vor der westlichen Invasion wird sich deshalb vermutlich nicht wiederholen.

KNA: Die muslimische Welt verfolgt die Entwicklung bisher nahezu teilnahmslos. Dabei waren es doch die Taliban, die das Image ihrer Religion dermaßen beschädigt haben.

Wagner: Viele Muslime sehen das gar nicht so und unterscheiden da zwischen den Taliban und Al-Kaida. Außerdem gab es in der islamischen Welt immer große Unzufriedenheit über die westliche Besetzung Afghanistans, die als Demütigung empfunden wurde. Nicht wenige sehen die Taliban als Freiheitskämpfer und fromme Muslime. Aber noch ist es zu früh, die Reaktionen der islamischen Länder zu bewerten. Man wartet dort noch ab und richtet die eigenen machtpolitischen Strategien dann neu aus. Es hängt jetzt viel davon ab, wie sich die Taliban auf der internationalen Bühne positionieren.

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Hintergrund: Kräfteverschiebungen am Hindukusch

BERLIN/KABUL (GFP.com). Mit Blick auf den Vormarsch der Taliban in Afghanistan werden in Berlin Forderungen nach der erneuten Entsendung der Bundeswehr an den Hindukusch laut. Die Taliban müssten „durch Luftschläge“ daran gehindert werden, bedeutende afghanische Städte zu erobern, fordert der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Norbert Röttgen (CDU). Dies habe US-Präsident Joe Biden in der Hand; sollten allerdings „militärische Fähigkeiten der Europäer, auch der Deutschen“, gebraucht werden, „dann sollten wir sie zur Verfügung stellen“. Unterdessen schwindet der Einfluss des Westens in Afghanistan rasant.

Während die US-Streitkräfte noch Luftangriffe auf Taliban-Stellungen durchführen, bietet die Türkei ihre Soldaten für die Sicherung des Flughafens in Kabul an; die Aufgabe gilt als nötig, um im Notfall schnellstmöglich das westliche Botschaftspersonal aus der afghanischen Hauptstadt evakuieren zu können. Russland stärkt seine militärische Position in Zentralasien unweit der afghanischen Grenze; China sucht seine Kontakte zu den Taliban zu stabilisieren.

Der Vormarsch der Taliban

Die Taliban haben am gestrigen Montag ihren Vormarsch auf Afghanistans Städte fortgesetzt. Sie konnten gestern mit Aybak (Samangan) die sechste Provinzhauptstadt einnehmen. Bereits zuvor war es ihnen seit Ende vergangener Woche gelungen, die Provinzhauptstädte Zaranj (Nimruz), Sheberghan (Jowzjan), Kunduz und Sar-e Pol (in der jeweils gleichnamigen Provinz) sowie Taloqan (Takhar) zu erobern. Heftige Angriffe führen sie zudem auf die zweit- und die drittgrößte Stadt des Landes, Kandahar und Herat; gestern haben sie angekündigt, auch die viertgrößte Stadt, Mazar-e Sharif, attackieren zu wollen.

Weite Teile des ländlichen Afghanistans beherrschen sie ohnehin. Schwer wiegt zudem, dass die Taliban Stück für Stück die wichtigsten Geldquellen unter ihre Kontrolle bringen. So haben sie mindestens acht bedeutende Grenzübergänge zu Iran, Turkmenistan und Tadschikistan sowie zu Pakistan übernommen und kassieren dort einen signifikanten Teil der afghanischen Zolleinnahmen, die ungefähr die Hälfte der Inlandseinnahmen der afghanischen Regierung ausmachen. Mit Kunduz kontrollieren sie zudem eine Stadt, die als eines der zentralen Drehkreuze für den höchst lukrativen Opium- und Heroinhandel gilt. Ihr weiteres militärisches Vorrücken scheint nur eine Frage der Zeit zu sein.

„Militärische Fähigkeiten der Deutschen“

Der schnelle Vormarsch der Taliban belegt erneut, dass es den westlichen Mächten in den fast zwei Jahrzehnten ihrer Besatzungspräsenz am Hindukusch nicht gelungen ist, einigermaßen tragfähige politische sowie soziale Strukturen aufzubauen. Die Vereinigten Staaten intervenieren noch mit Luftangriffen, wollen ihre Truppen jedoch bis Ende August vollständig aus Afghanistan abgezogen haben. Ob und, wenn ja, wie sie weiter in die Kämpfe eingreifen wollen, ist bisher nicht bekannt.

Ansonsten entzieht sich die Entwicklung am Hindukusch zunehmend westlicher Einflussnahme. In Berlin werden jetzt mit Blick darauf erste Forderungen laut, die Abzugsentscheidung umgehend zu revidieren. Am Sonntag erklärte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), US-Präsident Joe Biden habe es noch „in der Hand“, das „große außenpolitische Desaster“ in Afghanistan zu stoppen; die Taliban müssten nun „durch Luftschläge“ daran gehindert werden, weitere große Städte zu erobern. Röttgen schließt dabei auch einen erneuten Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch nicht aus. Er fordert: „Wenn es … militärische Fähigkeiten der Europäer, auch der Deutschen, gibt, die jetzt benötigt würden, dann sollten wir sie zur Verfügung stellen.“

Die Türkei in Afghanistan

Während der Einfluss des Westens in Afghanistan in rasantem Tempo schwindet, bemühen sich andere Staaten – aus völlig unterschiedlichen Gründen und in höchst unterschiedlichem Kontext -, am Hindukusch Fuß zu fassen. So hat sich die Türkei bereit erklärt, in Zukunft den Hamid Karzai International Airport in Kabul militärisch zu sichern. Einerseits gilt der Schutz des Flughafens als notwendig, um im Notfall eine schnelle Evakuierung westlicher Diplomaten und des Personals westlicher Botschaften durchführen zu können; dies wiederum ist eine Voraussetzung dafür, diplomatische Vertretungen in der afghanischen Hauptstadt geöffnet zu lassen. Andererseits treibt die Türkei seit Jahren, anknüpfend an die gemeinsame Zugehörigkeit zum Islam, eigenständige Einflussmaßnahmen in Afghanistan voran, die sie jetzt zu nutzen sucht, um sich nach dem Abzug des Westens eine eigene Präsenz am Hindukusch zu sichern.

Als Gegenleistung für das Offenhalten des Flughafens fordert Ankara Berichten zufolge die Übernahme der Betriebskosten durch die USA sowie logistische Unterstützung. Unklar ist, ob die Türkei einen modus vivendi mit den Taliban aushandeln kann. Präsident Recep Tayyip Erdoğan wird mit der Aussage zitiert: „Die Taliban sollten mit der Türkei viel leichter sprechen können, denn die Türkei hat keine Probleme mit ihren religiösen Standpunkten“.

Russland in Zentralasien

Nicht in Afghanistan selbst, aber unmittelbar an dessen Grenzen baut Russland seine militärische Präsenz aus. Es unterhält ohnehin bereits Militärbasen in Kirgisistan und in Tadschikistan und hat nun begonnen, seinen Stützpunkt in Tadschikistan zu verstärken. Darüber hinaus hat es zugesagt, die tadschikischen Streitkräfte mit Ausrüstung und mit Trainingsprogrammen zu unterstützen. Anlass ist die Befürchtung, mit der Übernahme der Kontrolle über die Grenzübergänge sowie das Grenzgebiet durch die Taliban könne der Krieg sich über die Grenze bis nach Tadschikistan hinein ausweiten.

In der vergangenen Woche starteten rund 2.500 Soldaten aus Tadschikistan, dem angrenzenden Usbekistan und Russland gemeinsame Manöver in rund 20 Kilometern Entfernung zur afghanischen Grenze. Schon zuvor hatten gut 1.500 Soldaten aus Russland und Usbekistan bei der usbekisch-afghanischen Grenzstadt Termez militärische Übungen durchgeführt.

In Termez war jahrelang die Bundeswehr mit einem Stützpunkt präsent, über den sie Militärtransporte nach Afghanistan abwickelte. Dies ist nun ebenso Vergangenheit wie die US-Militärstützpunkte in Usbekistan und Kirgisistan, die 2005 bzw. 2014 abgewickelt wurden. Mit dem westlichen Abzug geht nun ein Ausbau der militärischen Position Russlands in Zentralasien einher.

Auf Stabilität bedacht

Noch unklar ist die Rolle, die China in Zukunft in Afghanistan spielen wird. Am 28. Juli hatte der chinesische Außenminister Wang Yi in der Hafenstadt Tianjin eine Delegation der Taliban zu Gesprächen empfangen. Die Volksrepublik ist vor allem auf Stabilität am Hindukusch bedacht; sie fürchtet zum einen, Jihadisten – auch uigurische – könnten Afghanistan als Basis für Attacken im angrenzenden Xinjiang nutzen, zum anderen, Unruhen in Afghanistan könnten sich auf andere Nachbarstaaten wie Pakistan auswirken, mit denen Beijing im Rahmen der Neuen Seidenstraße immer enger kooperiert.

Den Anspruch, sich seinerseits in die afghanische Politik einzumischen, habe Beijing nicht, urteilt Andrew Small, ein Experte vom European Council on Foreign Relations (ECFR): In der chinesischen Debatte werde immer wieder darauf verwiesen, dass in Afghanistan noch keine äußere Macht sich habe festsetzen können; nicht umsonst werde das Land zuweilen als „Friedhof der Mächte“ bezeichnet.

China werde sich deshalb wohl darauf konzentrieren, seine unmittelbaren Stabilitätsinteressen in Afghanistan zu fördern. Dazu nutze es seine bestehenden Beziehungen zu den Taliban – und zwar vollkommen unabhängig vom Westen.