„IZ-Begegnung“ mit dem Kriminologen Charles A. von Denkowski über die fehlende Erfassung anti-muslimischer Straftaten

(iz). Spätestens seit dem 11. September verzeichnen die deutschen Muslime regelmäßig die verschiedensten Formen anti-mus­­limischer Straftaten. Von Pöbeleien, über Schmierereien, Wandalismus, bis zu tätlichen An­griffen und Brandstiftungen, all das ist leider Realität in unserem Land. Um das Problem zu lösen, braucht es aber neue Kategorien bei der Erfassung dieser Kriminalität, meint der Kriminologe und Polizeiwissenschaftler Charles A. von Denkowski im Gespräch mit der IZ.

Er betreibt die Hannoveraner Firma Crime Prevention Solutions, welche Kriminalprävention und kriminologische Forschung sowie kriminalitätsbezogene Beratung als Dienstleistungen anbietet. Nach dem 11. September leistete er als kriminalpolizeilicher Ermittler im Bereich der politisch motivierten Kriminalität Dienst. Neben seiner unternehmerischen Tätigkeit lehrt praktizierende Katholik und Experte an zwei ­Universitäten.

Islamische Zeitung: Seit mindestens zehn Jahren verzeichnen muslimische Organisationen und Dachverbände stetig auftretende Übergriffe gegen Muslime beziehungs­weise gegen Einrichtungen wie Moscheen. Warum werden diese Handlungen nicht als eigenständige Kategorie bei Straftaten erfasst?

Charles A. von Denkowski: Es fehlt der politische Wille. Das wäre ohne Weiteres möglich, da antisemitisch motivierte Delikte seit rund zehn Jahren auch erfasst werden. Im so genannten Definitionssystem politische motivierte Krimina­lität, Kriminalpolizeilicher Meldedienst (KPMD), könnte man das, da es eine Angelegenheit von Bund und Ländern ist, von Unterkommission Staatsschutz (K-Staatsschutz) der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Kriminalpolizei (AG Kripo) des Bundesinnenministeriums organisieren lassen, sodass die Länder entsprechende Fälle statistisch erfassen und der Bund eine zentrale Datensammlung aufbereitet. Man muss sich dabei in Bund und Ländern auf eine gemeinsame Kate­gorie für die Phänomene „Muslimfeindlichkeit“ oder „Islamfeindlichkeit“ verständigen, damit die kriminalstatistische Erfassung bundesweit einheitlich erfolgt.

Wir hätten dann aber nur Daten im so genannten „Hellfeld“ der ­Kriminalität. Allerdings kennen wir die Belastung im „Dunkelfeld“, der Anzahl der nicht bei der Polizei angezeigten beziehungsweise von nicht im KPMD-registrierten ­Delikte auch mit so einer Statistik nicht. Wir bräuchten zusätzlich kriminologische Dunkelfeld-Forschung über die Opferwerdung von Muslimen durch islamfeindliche oder muslimfeindliche motivierte Kriminalität.

Islamische Zeitung: Wie viele gibt es? Könnten Sie diese beziffern?

Charles A. von Denkowski: Nein, aufgrund der mangelnden Datenquellen und der völligen Unerforschtheit dieses Phänomenbereichs kann ich das nicht.

Islamische Zeitung: Was wäre von muslimischer Seite für die Erfassung solcher Straftaten nötig? Bräuchten diese ein Netzwerk, das sie erfasst?

Charles A. von Denkowski: Letzteres klingt interessant. Aber es würde dennoch eine zentrale Erfassung benötigen. Wie gesagt: Es gibt in der Kriminalitäts­statistik keine Kategorie dafür, in der ­solche Delikte spezifisch erfasst werden; sondern nur als entsprechend „fremden­feindlich“ motiviert. Es gibt eben keine Kategorie „islamfeindlich“ oder „muslim­feindlich“, ich möchte dieses erneut betonen. Zur Illustration ein Beispiel:

Stellen Sie sich vor, dass eine deutsche Rechtsanwältin, die Muslimin ist – konvertiert oder deutsche Staatsbürgerin mit Migrationshintergrund –, angegriffen oder mit einem Schimpfwort im Kontext des Wortes „Muslimin“ beschimpft wird und dann Anzeige erstattet. Weil sie keine Ausländerin ist, ergibt die Einstufung dieser Strafanzeige als „fremdenfeindlich“ keinen statistischen Sinn. Der Aussagegehalt des KPMD-PMK wird mit solche Fällen völlig verfälscht. Es finden sich darin keine muslimfeind­lich motivierten Delikte. Und doch werden sie angezeigt und diese Anzeigen erfahren auch eine Einstufung. Nur eben völlig unspezifisch. Das ist weder sachge­recht und es trifft nicht die Motivation mancher Täter.

Noch einmal: Es gibt nach dem 11. September 2001 ein gesellschaftliches Phänomen der öffentlichen Islamkritik, aber auch muslimfeindliche Straftaten, über die einige Moscheen ­Fallmeldungen gesammelt haben. Doch das reicht nicht aus.

Islamische Zeitung: Wo sehen Sie den Übergang zum Verhalten? Wann ist die Grenze erreicht, ab der man von antimuslimischen Straftaten sprechen kann?

Charles A. von Denkowski: Diese Grenze definiert unser Strafgesetzbuch. Verhalten, welches kriminalisiert ist, stellt eine entsprechende Straftat dar, eben eine Handlung von strafwürdigem Unwertge­halt. Von der Meinungs- oder Kunstfrei­heit rein rechtlich gewährleistete und daher zulässige Islamkritik grenzt sich – wie alle Kritik an Religionen – von Straftaten­beständen ab.

Islamische Zeitung: Nun gibt es ja im angelsächsischen Raum Konzepte wie „hate speech“ oder „hate crime“…

Charles A. von Denkowski: Würden wir Muslimfeindlichkeit unter „Hasskriminalität“ erfassen, dann müssten wir auch Angriffe auf Buddhisten erfassen. Das ist wiederum nicht spezifisch genug. Mir ist von in Deutschland erfolgenden Angriffen auf öffentlich als solche erkennbaren Buddhisten nichts bekannt. Sicherlich kann ein Mönch in safrangel­ber Robe öffentlich beleidigt werden, doch Angriffe auf Tempel sind mir nicht bekannt, dafür aber Angriffe auf Moscheen und das Senden von ­Hassbriefen und Drohschreiben an diese. Sie stehen meiner Ansicht nach im Kontext der nach dem 11. September 2001 politisch von einigen Kreisen – übrigens aller Sparten, so genannter linker und rechtskonservativer Interessengruppen – immer wieder in Schüben initiierten Islamdebatte, welche pseudowissenschaftlich geführt wird und in Wahrheit gruppenbezogen menschenfeindlich motiviert ist. Zulässige und für unsere gesellschaftliche Entwicklung notwendige Religionskritik sieht dagegen anders aus, als den Begriff „Kopftuchmädchen“ zu verwenden, wie ein bekannter ehemaliger Berli­ner Finanzsenator es in einem seiner pseudowissenschaftlichen Werke tat, was schlichtweg menschenfeindlich und die Würde dieser Frauen verletzend ist.

Islamische Zeitung: Ließe sich denn eine Entwicklungskette, beispielsweise bei einem Internetblog, nachzeichnen, wo „hate speech“ in tatsächliche Straftaten mündet. Viele Muslime in Deutschland sind besorgt, dass dieser Übergang hier viel zu selten kritisch beleuchtet wird…

Charles A. von Denkowski: Die verfassungsrechtlich garantierte Grauzone im Rahmen von Artikel 5 unseres Grundgesetzes, ist – bildlich gesprochen – ein Teil unserer Meinungsfreiheit. Diese werden wir – manchmal leider – ertragen müssen. Das zeichnet unseren Staat aus, beispielsweise im Gegensatz zur DDR. Oder zu den heutigen Verhältnissen in China, Nordkorea oder dem Iran…

Islamische Zeitung: Es besteht aber in Deutschland nicht nur bei Muslimen die Vermutung, dass es ein relativ ungehindertes Ausufern einer bestimmten Rhetorik gibt…

Charles A. von Denkowski: Ich stimme Ihnen zu, dass ausufernde Islamkritik der gesellschaftlichen Kohäsion keinesfalls förderlich ist. Hier kann eine Art geistiger Brandstiftung geschehen. Sie ist aber nicht zu bestrafen, weil wir sonst keinen freiheitlichen Staat mehr haben. Es ist unheimlich wichtig, das auszuhalten, und mit Hilfe von Stellungnahmen deutscher Muslime dagegen vorzugehen. Es sollte sich zudem ein Bund muslimischer Polizeibeamter gründen, der nach Außen hin vertritt, dass auch Muslime in der Polizei tätig sind und sich zu solchen Dingen dann fachlich – politisch neutral – äußern.

Diese Beispiele zeigen: Die deutsche muslimische Community ist gefordert, sich sachlich im Rahmen des Rechts als Betroffene zu zeigen und möglichst sachlich – das ist zu betonen – Stellung zu beziehen. Wir haben ein großes Spektrum an Meinungsfreiheit und ein ­solches Verhalten ist auszuhalten, solange es keine strafrechtlichen Grenzen berührt sind. Dass dieses konsequent religiösen Menschen sehr schwer fallen mag, verstehe ich. Aber das Aushalten dieser nicht strafrechtlich relevanten Inhalte der Islamdebatte – etwa die widerlichen Karikaturen vom heiligen Propheten Mohammed – es weist auf den Status der Integration auch strenggläubiger Muslime hin. Sie sollten daher friedlich dagegen demonstrieren und Medienarbeit betreiben. Diese könnte die Urheber ­dieser Karikaturen in sachlicher Weise als für unser Zusammenleben als nicht förderlich darstellen, da der Glaube einer Minderheit durch diese Karikaturen angegriffen wird. Folgt man Gottes Idee für den Umgang mit solchen Herausforderungen an uns Gläubige, so sollte ­diesen Feinden des Glaubens gegenüber friedlich und mit Sanftmut reagiert werden. Das allein ist im Sinne unseres einen abrahamitischen Gottes.

Islamische Zeitung: Lässt sich das Milieu der Straftäter eindeutig einordnen? Ich habe erfahren, dass ein deutsch-arabischer Student wegen seines Palästinensertuches ein paar Häuserblocks von so genannten anti-deutschen Linken gejagt wurde.

Charles A. von Denkowski: Das ist ein sehr interessanter Fall und ein weiterer Grund, warum wir die erwähnte Dunkelfeld-Forschung brauchen. Es handelt sich bei Muslimfeindlichkeit um ein sehr differenziertes Kriminalitätsphänomen. Ich werde meinen Studierenden dazu auch damit verwandte Themen für Bachelor-Arbeiten anbieten und wenigs­tens auf dieser Ebene mittelbar Forschung betreiben. Doch die deutsche Kriminologie sollte sich über den Weg von Promotionsvorhaben und Forschungsprojekten der Muslimfeindlichkeit und ihren verschiedenen Tätertypologien annehmen. Auch aus dem so genannten linken politischen Bereich heraus, wenn man die Begriffe links und rechts benutzen möchte, ereignen sich durchaus Straftaten gegen Muslime. Genauso wie es sein kann, dass ein sich politisch links verortender, sehr palästinaorientierter Mensch jemanden mit einem Davidstern in der U-Bahn angeht, weil dieser angeblich für die so genannte zionistische Politik Isra­els stünde.

Fazit: Wir haben hier eine sehr differenziert zu betrachtende politische Situation und eine Auseinandersetzung divergierender politischer Meinungen, die teilweise mit Straftaten ausgetragen wird. Daher brauchen wir, ich wiederhole es erneut, eine differenzierte Erfassung muslimfeindlicher Delikte und zudem eine kriminologische Erforschung dieses Phänomens. Hier könnte man analysieren, mit welcher Tatmotivation Täter vorge­hen und aus welcher politischen Richtung das kommt. Es könnte sich auch um gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ohne bestimmten politischen Einschlag handeln. Es sind also diverse Tätermotivationen denkbar.

Islamische Zeitung: Stichwort Bonn, bedauerlicherweise gibt es auch auf muslimischer Seite radikale Gruppierungen und Einzelpersonen. Schaukeln sich hier die Extreme beider Seiten gegenseitig auf?

Charles A. von Denkowski: Seit 9/11 meine ich, genau diesen Aufschaukelungseffekt beobachten zu können. So etwas gab es zuvor nicht. Die Attraktivi­tät des Salafismus für Jugendliche – teils für solche mit Migrationshintergrund, teils für deutschstämmige – ist neu. Das ist eine gefährliche Projektionsfläche, da der Weg in den Dschihadismus drohen kann. An dieser Stelle sind die muslimischen Verbände gefragt, mit kre­ativer ­Jugendarbeit solche von einer Radikalisierung gefährdeten Jugendlichen anzu­spre­chen. Dazu muss ein den mit zumeist älteren Herren besetzten Vorständen von Moscheegemeinden ein Um­denken erfolgen.

Dazu ein Beispiel: Ich habe gerade mit meinen Studenten des von mir an der Universität Vechta gelehrten Seminars Islam und Integration eine Moschee der Ditib besucht und dort sehr intensive, gastfreundliche Aufnahme sowie eine intensive Führung sowie theologische Einführung in den sunnitischen Islam erfah­ren. Wir konnten unsere gegensätzlichen religiösen Positionen, aber auch Gemein­samkeiten, sehr differenziert darstellen. Das umfasste auch, nur so ist Wissenschaft möglich, höflich gestellte kritische Fragen. Es waren Christen und ­Atheisten unter den Studierenden dabei – ich selbst bin praktizierender Katholik – und eben unsere muslimischen Gastgeber. Wir haben alle unsere Identität bewahrt, und trotzdem konnten wir uns über Gemein­samkeiten und Unterschiede verständigen. Das ist möglich. Auch sachliches Hinterfragen strenger Religionsauffassungen aller Konfessionen ist zum ­einen grundgesetzlich gestattet, zum anderen für unseren gesellschaftlichen Diskurs wichtig – denn nicht nur Gläubige ­leben hier miteinander. Insoweit war dieser Besuch ein voller Erfolg. Aber: Ich stellte fest, dass es an der Jugendarbeit mangelte. Das ist verbesserungswürdig.

Die islamischen Verbände müssen auf die jugendbezogenen Werbestrategien der Salafisten, etwa um Pierre Vogel, reagieren. Man könnte von seiner Rekrutie­rungstaktik auch ein wenig lernen. Denn muslimische Jugendliche anzusprechen können nicht nur außerhalb der Gemein­den laufende Projekte, wie etwa JUMA in Berlin, leisten. Jugendarbeit ist zuvör­derst eine Aufgabe der Moscheegemeinden. Hier stellt sich die Frage an die muslimischen Verbände in Deutschland! Mein Rat ist – und meine Firma steht hier auch gerne pro bono als Consulting­büro zur Unterstützung der Umsetzung bereit: Die muslimische Jugendarbeit muss zum einen in die deutsche nicht-muslimische Gesellschaft hinein ausgerichtet sein. Zum anderen muss sie ein nachhaltig bindendes Angebot schaffen, um zu verhindern, dass jugendliche Muslime sich an einem aufgrund seiner Radi­kalität und seiner Subkulturcodes extre­mistischen Islamverständnis, etwa an dem der Salafisten, orientieren. Die Jugendlichen, die im Islam Halt suchen, müssen dazu zuerst von den Moscheen vor Ort angesprochen werden, um sie dort sinnvoll zu integrieren. Dazu bedarf es ausgebildeter Jugendleiter – in jeder Moschee! Jede katholische oder evangelische Gemeinde, so denn junge Menschen in ihrer Gemeinde leben, betreibt bewusst Jugendarbeit. Auch das Internet ist wichtig – jede Moschee muss eine Webseite (auch in deutscher Sprache!) haben, die auch Jugendliche gezielt anspricht.

Islamische Zeitung: Was können betroffene Muslime in Ermangelung der erwähnten Erfassung antimuslimischer Straftaten jetzt tun?

Charles A. von Denkowski: Zuerst einmal Strafanzeige erstatten… Ich denke schon, dass die islamischen ­Verbände – weil nicht abzusehen ist, ob die Erfassung des KPMD PMK geändert wird – eine zentrale Erfassung zunächst intern initiieren sollten. Man sollte aber aufpas­sen, sich in der Außenwahrnehmung nicht in eine Opferrolle zu manövrieren. Wird das zu sehr postuliert, kann man sich auch öffentlich zum Opfer ­stilisieren, dem der Staat nicht helfen will. Davor warne ich!

Vor allem im letzten Jahr waren immer wieder muslimfeindliche Vorfälle Gegenstand von Medienberichten. In Berlin war dies im letzten Jahr sehr extrem, bedenkt man die Angriffe auf die am Columbiadamm befindliche Moschee. Ich denke, dass Muslime auf jeden Fall Anzeige erstatten müssen. Wir brauchen zudem die Dunkelfeld-Forschung; auch ohne reformierte KPMD-PMK-Statistik, wenn es nicht anders geht. Hier ließe sich überlegen, ob nicht sehr wohlhabende Muslime Kriminologen unterstützen, um ein solches Forschungsprojekt durch Spenden zu ermög­lichen. So könnte man sich dem Phäno­men auch mit den Mitteln der qualitati­ven Sozialforschung annähern, um den Kontext der Opferwerdung und diese Vorfälle im Allgemeinen zu verstehen. Es gilt zu fragen: Wie sieht die Täter-Opfer-Konstellation bei Geschlecht und Alter aus? Handelte es sich um Alltagssituationen? Erhielten Moscheen Hassbriefe? Wenn ja, welche Inhalte weisen diese auf? Wurden Scheiben eingeschlagen? Wurden muslimische Passanten, beispielsweise beim Aussteigen aus ­einem Bus, durch Anrempeln oder feindliche Bemerkungen angegangen?

Meine Firma steht für die Beratung des Forschungsdesigns eines solchen Projektes gerne pro bono zur Verfügung.

Islamische Zeitung: Lieber Herr von Denkowski, wir bedanken uns für das Gespräch.