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Dynamik hilft: Nur diejenigen, die Lösungen anbieten können, werden ernst genommen. Von Eren Güvercin

Zur Abwechslung sollten Muslime die üblichen und längst langweiligen Integrations- und Islamdebatten ignorieren. Durch solch eine lebendige muslimische Zivilgesellschaft, die für etwas Positives steht, können Muslime ihren Beitrag bei existenziellen Fragen leisten.

(iz). Der demografische Wandel, das Auseinanderdriften von Gesellschaftsgruppen und die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich gehören zu den existenziellen Fragen unserer Gesellschaft, die uns in den kommenden Jahren immer mehr beschäftigen werden. Manch ein Politiker predigte vorschnell, dass wir die Finanzkrise schon überwunden hätten, aber schneller als erhofft, werden wir von der Realität wieder eingeholt. Längst ist vielen Menschen klar geworden, dass die sozialen Verwerfungen in unserer Gesellschaft zunehmen werden. Und auch die hier lebenden Muslime sind als Teil der Gesellschaft in der Verantwortung, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen.

Das mag den einen oder anderen Leser überraschen, denn wenn bisher von Muslimen die Rede war, dann oft nur im Kontext von Debatten rund um Integration, Extremismus und albernen Streitigkeiten über Aussagen von Kabarettisten. Häufig geben Muslime und ihre Vertreter dabei die Schuld „den Medien“. Schnell ziehen sie sich in einer Opferhaltung zurück, agieren viel zu wenig, sondern reagieren immer nur auf bestimmte Themen, die ihnen von außen, von so genannten Islamkritikern oder Politikern, die wieder mal ein Wahlkampfthema gefunden haben, aufgedrängt werden.

Zur Abwechslung wäre es nicht schlecht, mal die üblichen und längst langweiligen Integrations- und Islamdebatten zu ignorieren, die Opferhaltung abzulegen und eine souveräne Haltung an den Tag zu legen. Denn der Rechtfertigungsdiskurs, den manche Muslime in diesen Debatten an den Tag legen, ist nicht wirklich hilfreich dabei, Vorurteile abzubauen und auch der Gesellschaft mitzuteilen, dass man hier verortet ist.

Warum also nicht einmal eine muslimische Position zu existenziellen Fragen unserer Gesellschaft formulieren? Gibt es einen Beitrag von deutschen Muslimen zu wichtigen Problemen unserer Gesellschaft? Was sagt der Islam, was sagen die Muslime eigentlich zum demographischen Wandel, zur sozialen Gerechtigkeit, zur Solidarität zwischen Arm und Reich? Die Vertreter der Muslime scheinen derart mit Integrationsdebatten und der Islamkritik beschäftigt zu sein, dass sie kaum über diese relevanten Themen unserer Zeit reflektieren, obwohl es im Islam spannende Anknüpfungspunkte gibt.

Traditionell ist etwa die Moschee die Institution, die das gemeinschaftliche Leben der Muslime prägt. Moscheen sind aber alles andere als nur Gebetsräume, sondern waren in der Geschichte immer lokale Einrichtungen, die sowohl Muslimen als auch Nichtmuslimen bestimmte Dienstleistungen anboten. Rund um den Gebetsraum fanden sich im Moscheekomplex Stiftungen, Märkte, Bibliotheken, Armenküchen, medizinische- und karitative Einrichtungen. Sie waren Zentren einer lebendigen muslimischen Zivilgesellschaft mit spirituellen, sozialen und vor allem ökonomischen Komponenten. Überhaupt spielen ökonomische Fragen in den klassischen Schriften zum Islamischen Recht eine zentrale Rolle.

Eine andere wichtige ökonomische Komponente im Islam ist die Zakat, die für Muslime verpflichtende Abgabe. Dabei geben vermögende Muslime einen bestimmten Prozentsatz in Höhe von 2,5 Prozent von ihrem Ersparten an ärmere Menschen ab. Anders als im Islam eigent­lich vorgesehen, wird heutzutage die Zakat in Deutschland über Hilfsorganisationen ins Ausland transferiert. Es ist aber nach den klassischen Quellen des Islam verpflichtend, die Zakat lokal zu erheben und auch dort zu verteilen, also die Schere zwischen Arm und Reich in der direkten Umgebung damit zu lindern.

Die Entrichtung per Banküberweisung ins Ausland widerspricht dementsprechend dem Geist dieser wichtigen Säule des Islam. Durch die korrekte Entrichtung der Zakat würde die muslimische Gemeinschaft einerseits gestärkt und sozial verwebt werden – und aber auch eine Eigenverantwortlichkeit aufbauen. Die Zakat kann somit durchaus eine entscheidende Rolle in der notwendigen Neuorientierung des sozialen und gemeinschaftlichen Lebens von uns Muslimen in Deutschland spielen und im Aufbau einer lokalen Identität helfen, die nicht von Faktoren aus den Herkunftsländern abhängig ist. Auch führt sie zu mehr Interaktion unter den hier lebenden Muslimen, aber vor allem auch mit der gesamten Gesellschaft. Um die Zakat effizient zu erheben und vor allem zu verteilen, muss man auch die Bedürftigen kennen.

Durch solch eine lebendige, in Deutschland verortete muslimische Zivilgesellschaft, die für Verantwortung, für Solidarität – als etwas Positivem – steht, können Muslime einerseits ihren Beitrag zu existenziellen Fragen unserer Gesellschaft leisten und auch dem nichtmuslimischen Umfeld zeigen, dass der Islam nichts Fremdes ist und eine Bereicherung für die ganze Gesellschaft darstellt, denn ein zivilgesellschaftliches Wohlfahrtsmodell auf Grundlage der muslimischen Stiftungen und der Zakat sind auf die Linderung akuter wirtschaftlicher Not ausgerichtet und bauen mittelfristig neue, vitale Sozialstrukturen auf, die die Last der zukünftigen Herausforderungen unseres Landes mitstemmen.

Daher der Appell an die Muslime: Die beständige Rechtfertigung gegenüber Vorwürfen, muss einer positiven Haltung Platz machen. Nur so kommt der Islam aus der Ecke heraus, in der er zurzeit steht: ein Problem zu sein, nicht Teil einer Lösung. Nur wer Lösungen und Antworten präsentiert, wird ernst genommen. Und nur so kann man auch effektiv bestehende Ressentiments bekämpfen. Dann kann auch von der verbreiteten Opferhaltung Abschied genommen werden. Die absurde Frage, ob der Islam nun Teil Deutschlands sei oder nicht, wäre dann längst obsolet.

Der Text erschien erstmals am 31.10.2014 im Berliner „Tagesspiegel“.