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Das Ende der Debatten

debatten

Ende der Debatten: ein Essay über die wehrhafte Demokratie und ihre Grenzen der Feindbekämpfung.

(iz). Es ist heute üblich, unbekannte Personen zu googeln, um mehr über ihren beruflichen und geistigen Hintergrund zu erfahren. Gerade im politischen oder religiösen Kontext erscheint dabei häufig das Problem einer Unterscheidung zwischen der imaginären, symbolischen und realen Darstellung einer Existenz.

Problematische Aspekte der Feindbekämpfung können zu einem Ende der Debatten führen

Die virtuelle Welt, die durch Texte, Berichte und Artikel gebildet und mit Suchmaschinen verbreitet wird, enthält immer häufiger Markierungen, die die Betroffenen mit Eigenschaften wie „extremistisch“, „radikal“, „umstritten“ oder „antisemitisch“ markiert.

Da diese Bewertungen Meinungen widerspiegeln und nicht unbedingt auf Tatsachen beruhen – es sei denn die Beschriebenen bekennen sich zu ihrem eigenen Extremismus –, sind diese Phänomene für eine offene Gesellschaft problematisch. Die Einstufung einer Person als extrem bedeutet nach einem kurzen Prozess den Ausschluss aus der Debatte.

Die Institutionen, die bewerten, ob ein Muslim ein „Islamist“, ein Rechter ein Rechtsextremer, ein Linker ein Kommunist oder ein Demonstrant ein Antisemit ist, greifen nicht nur in Grundrechte der Betroffenen ein, sondern bestimmen die Debattenvielfalt im Land.

Folgen von Markierungen

Die genannten Markierungen im öffentlichen Raum verstehen sich als Ausübung der Meinungsfreiheit, sie sind wirkungsmächtig – wenn auch nicht vor unabhängigen Gerichten überprüfbar. Die Frage stellt sich, wie eine Gesellschaft mit ihren vermeintlichen Rändern umgeht oder anders gefragt: Wie weit darf der Kampf gegen Extremismus gehen, ohne selbst extrem zu werden?

Seit einigen Wochen versammeln sich Millionen MitbürgerInnen für den Kampf gegen Rechts auf der Straße und demonstrieren eindrucksvoll eine Art Wir-Gefühl. Ihre Motivation ist dabei, angesichts der wachsenden Zustimmung für die AfD einen Rückfall der Bundesrepublik in einen antiquierten Nationalismus zu verhindern.

Die Mobilisierung der Bevölkerung beruht auf einem Bericht des Medienportals Correctiv, das über eine private Zusammenkunft einiger PolitikerInnen und Geschäftsleute, darunter Mitglieder der CDU und AfD, in Potsdam berichtet hatte.

Foto: Wikiwand | Lizenz: CC BY-SA 4.0

Rechte (Alp)Träume einer „Remigration“

Auf dem Treffen hatte der Kopf der sogenannten identitären Bewegung, Martin Sellner, ein dubioses Programm zur „Remigration“ vorgestellt. Im ersten Bericht der Journalisten kam der Begriff „Deportation“ vor, eine Zuschreibung, die an die historische Wanseekonferenz erinnerte und kurze Zeit später wieder auf dem Portal gelöscht wurde.

Der Eindruck entstand, dass hier die Vertreibung von Millionen Menschen mit Immigrationshintergrund, seien es Flüchtlinge oder Bürger dieses Landes, geplant wurde.

Die „Gefahr für die Demokratie“ ist seit den Potsdamer Ereignissen wieder in aller Munde. Die Vorstellung einer zerbrechlichen liberalen Gesellschaft, die von Rechtsextremen gefährdet und ausgehöhlt wird, ist das Bild dieser Tage. 

Diese Einschätzung ist kurz vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland, die der AfD Regierungsbeteiligung bescheren könnte, wahrlich keine Phantasie.

Dagegen stehen der wehrhafte Staat und seine Einrichtungen, darunter ein Polizeiapparat mit beachtlicher Größe, Geheimdienste, und die diversen Behörden des Verfassungsschutzes. Hinzukommen – wie das Beispiel von Correctiv zeigt – eine wachsende Zahl von zivilen Akteuren, Stiftungen und Portalen, die sich im Kampf gegen den Extremismus engagieren.

Die zivilgesellschaftliche Seite des Widerstandes fasst der CDU-Politiker Ruprecht Polenz auf X zusammen: „Viele Organisationen, Verbände, Parteien, die Kirchen, Jugendorganisationen und Initiativen haben sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt: Verteidigung unserer Demokratie gegen die rechtsextreme AfD.“

Es gibt sicher eine überwältigende Mehrheit in der Republik, die eine etwaige Rückkehr neuer Nationalsozialisten auf der politischen Bühne mit Schaudern erfüllt.

Die Stimmen derjenigen häufen sich, die Begrenzungen fordern

Allerdings mehren sich Stimmen, die den Kampf gegen Rechts nicht grenzenlos führen wollen. Hinsichtlich des Verfassungsschutzes, der mit der Einschätzung von Parteien als „gesichert extrem“ in die demokratische Willensbildung eingreifen kann, erinnerte der Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“, Ronen Steinke, an die Natur der Behörde.

Sein Befund: „Wenn der Inlandsgeheimdienst gegen legale politische Aktivitäten spioniert, dann schädigt das die Demokratie. Wenn der Inlandsgeheimdienst gegen – mutmaßlich – illegale politische Aktivitäten spioniert, dann ist das nicht viel besser, denn es unterläuft das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit.“

Ohne die Verdienste der Geheimdienste bei der Aufklärung terroristischer Umtriebe zu negieren ist hier eine gewisse Skepsis angebracht. Neue unbestimmte Begriffe, die sich auf eine „Delegitimierung des Staates“ beziehen und das Recht des Verfassungsschutzes, Äußerungen unterhalb der Strafrechtsgrenze anzuprangern, sind durchaus umstritten.

Auf der zivilgesellschaftlichen Seite wird die Nähe von politisch aktiven Organisationen und der Regierung kritisiert. Im November 2020 wurden den Netzwerken gegen den Extremismus bis 2024 über eine Milliarde Euros versprochen.

Allein das Programm Demokratie Leben erhält jedes Jahr etwa 182 Millionen Euro Steuergelder. Die Ermächtigung dieser Akteure – so der Vorwurf -–beinhaltet eine Förderung politischer Kreise, die sich durch Regierungsnähe auszeichnen und nicht nur Rechtsextreme, sondern Konservative schlechthin bekämpfen.

Finanziert hier die Regierung indirekt den Kampf gegen unbeliebte Konkurrenten? Zu diesem Thema gibt es sogar Streit in der Koalition. „Es wird kein sogenanntes Demokratiefördergesetz geben, das eine institutionelle Finanzierung von Vereinen und Verbänden vorsieht, die sich als sogenannte Nichtregierungsorganisationen bezeichnen“, kündigte der FDP-Politiker Kubicki angesichts neu geplanter Offensiven gegen den Extremismus an.

Im Fall der Berichterstattung der Journalisten von Correctiv hat die AfD – mit der Betonung ihres üblichen Opfernarrativs – schnell von „Inszenierung“, „Regierungsnähe“ und „Übertreibung“ gesprochen. Das ist durchsichtig.

Es gibt andererseits sachliche Kritik an der Methodik des Portals, deren Überwachung des Potsdamer Treffens hart an der Grenze zu Straftatbeständen operierte.

Foto: Deutscher Bundestag / Sebastian Rau / photothek

Bekämpfung oder „betreutes Denken“

Phillip Fess bemängelte auf „Telepolis“ nicht nur eine Tendenz zum Spektakel, sondern kommentierte, dass diverse Formen des betreuten Denkens die Demokratie auf Dauer kaum zu retten vermag. Für ihn sind Versuche der demokratischen Mitte, ihre Überzeugungen künftig mit mehr Emotionalität zu verbreiten, fragwürdig. Die Debatte über den Stil der Auseinandersetzung mit realen und vermeintlichen Extremisten hat längst begonnen.

Die harte Position vertritt zum Beispiel Rainer Rutz, Ressortleiter der taz berlin, in einem Text: „Niemand muss diesen Menschen politisch entgegenkommen. Sie müssen isoliert und bekämpft werden“. Wie immer man diesen Kampf gestaltet, die Wahlerfolge der AfD mit dem Einsatz von enormen Geldsummen zu begegnen, haben bisher kaum den gewünschten Erfolg gezeitigt.

Interessant ist in diesem Kontext die Positionierung der Religionsgemeinschaften. Unlängst hat sich die katholische Bischofskonferenz eindeutig positioniert: „Völkischer Nationalismus ist mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild unvereinbar. Rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern, können für Christinnen und Christen daher kein Ort ihrer politischen Betätigung sein und sind auch nicht wählbar“, heißt es in einer Presseerklärung.

Gleichzeitig wird von den Gläubigen eine gewisse Dialogbereitschaft eingefordert: „Bei alledem sind sich die Bischöfe auch darin einig, dass die Kirche sich dem Dialog mit Menschen, die sich für solche extremistische Botschaften empfänglich zeigen, aber gesprächswillig sind, nicht entziehen darf.“

Foto: knirpsdesign | Shutterstock

Republik der „Wahnsinnigen“?

Der Satiriker Florian Schroeder berichtet in seinem Buch „Unter Wahnsinnigen“ von Ausflügen in die Randzonen der Gesellschaft. Er erinnert in dem Sachbuch daran, dass die Welt ein Spiegel ist und wir es uns zu leicht machen, das Böse ausschließlich in unsere Feindbilder zu verlagern.

In seinen Gesprächen begegnet er Straftätern, Ideologen und Aktivisten aller Couleur und verlässt sich nicht nur auf die mediale Berichterstattung. Dabei versucht er, Lebensläufe zu verstehen, den Zeitpunkt zu ermitteln, wenn Entwürfe und Absichten in eine geschlossene, undemokratische Weltanschauung führen. Eine der Botschaften Schroeders ist, die direkte Begegnung zu suchen und sich nicht nur auf die veröffentliche Meinung zu verlassen. 

Es ergibt Sinn, die Tür für einen Dialog mit Andersdenken nicht zuzuschlagen oder unangenehme Debatten nur mit der eigenen Klientel zu führen. Die große Zahl der Menschen, die heute mit negativen Zuschreibungen versehen werden, sind in sich keine homogene Gruppe.

Es wäre ein später Sieg für die These Carl Schmitts, wenn wir die Essenz des Politischen künftig nur in der Unterscheidung zwischen Freund und Feind fassen.

Wo immer Gesprächsbereitschaft besteht, gibt es eine Hoffnung auf Veränderung. Auch müssen denjenigen BürgerInnen, die sich über falsche Einordnung beklagen Foren geboten werden, um ihr eigenes Bild in der Öffentlichkeit zu korrigieren. Sonst droht nicht nur das Ende aller Debatten mit Andersdenkenden, sondern eine Atmosphäre, die an Franz Kafkas „Prozess“ erinnert.

Gerade Muslime wissen, wie schädlich Generalverdachte ist

Wir Muslime sollten uns aus eigener Erfahrung dafür engagieren, dass die Idee des Generalverdachts nicht unser ganzes Zusammenleben prägt. Der unbestimmte Begriff des „Islamismus“ hat das Potenzial jedes politische Engagement zu verhindern.

Das Dickicht aus Assoziationsketten und der Vorwurf der Kontaktschuld lässt viele Muslime in Meinungsartikeln ohne überprüfbare Tatsachenbehauptungen schnell zu Extremisten mutieren. Andererseits ist nicht jede Kritik am Islam schon ein Indiz für Rassismus oder Islamophobie.

Fakt ist das Zusammenspiel von Staat, Regierung und Zivilgesellschaft, das sich in der Ablehnung von Demokratiefeinden andeutet, steht unter Beobachtung mit dem Ziel, letztlich neuen Formen des Totalitarismus früh entgegenzuwirken. In diesen Zeiten gehört die Kritik an der Macht, der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit oder die Forderung einer geordneten Immigration zum Alltag einer Demokratie.

Diese legitime Auseinandersetzung mit staatlichem Handeln muss scharf abgegrenzt werden von den Versuchen, den Staat zu zerstören oder zu delegitimieren. Lenkt die Konzentration auf den Feind vom Versagen politischer Entscheidungsträger, wichtige Fragen sachlich zu lösen ab? 

Johann Wolfgang von Goethe umschreibt diese Möglichkeit in den Gesprächen mit Eckermann: „Auch ich war vollkommen überzeugt, dass irgendeine große Revolution nie Schuld des Volkes ist, sondern der Regierung. Revolutionen sind ganz unmöglich, sobald die Regierungen fortwährend gerecht und fortwährend wach sind, sodass sie ihnen durch zeitgemäße Verbesserungen entgegenkommen und sich nicht so lange sträuben, bis das Notwendige von unten her erzwungen wird.“

Ende der Debatten und neue Feindlinien

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Ende der Debatten: ein Essay über die wehrhafte Demokratie und ihre Grenzen der Feindbekämpfung.

(iz). Es ist heute üblich, unbekannte Personen zu googeln, um mehr über ihren beruflichen und geistigen Hintergrund zu erfahren. Gerade im politischen oder religiösen Kontext erscheint dabei häufig das Problem einer Unterscheidung zwischen der imaginären, symbolischen und realen Darstellung einer Existenz.

Problematische Aspekte der Feindbekämpfung können zu einem Ende der Debatten führen

Die virtuelle Welt, die durch Texte, Berichte und Artikel gebildet und mit Suchmaschinen verbreitet wird, enthält immer häufiger Markierungen, die die Betroffenen mit Eigenschaften wie „extremistisch“, „radikal“, „umstritten“ oder „antisemitisch“ markiert.

Da diese Bewertungen Meinungen widerspiegeln und nicht unbedingt auf Tatsachen beruhen – es sei denn die Beschriebenen bekennen sich zu ihrem eigenen Extremismus –, sind diese Phänomene für eine offene Gesellschaft problematisch. Die Einstufung einer Person als extrem bedeutet nach einem kurzen Prozess den Ausschluss aus der Debatte.

Die Institutionen, die bewerten, ob ein Muslim ein „Islamist“, ein Rechter ein Rechtsextremer, ein Linker ein Kommunist oder ein Demonstrant ein Antisemit ist, greifen nicht nur in Grundrechte der Betroffenen ein, sondern bestimmen die Debattenvielfalt im Land.

Folgen von Markierungen

Die genannten Markierungen im öffentlichen Raum verstehen sich als Ausübung der Meinungsfreiheit, sie sind wirkungsmächtig – wenn auch nicht vor unabhängigen Gerichten überprüfbar. Die Frage stellt sich, wie eine Gesellschaft mit ihren vermeintlichen Rändern umgeht oder anders gefragt: Wie weit darf der Kampf gegen Extremismus gehen, ohne selbst extrem zu werden?

Seit einigen Wochen versammeln sich Millionen MitbürgerInnen für den Kampf gegen Rechts auf der Straße und demonstrieren eindrucksvoll eine Art Wir-Gefühl. Ihre Motivation ist dabei, angesichts der wachsenden Zustimmung für die AfD einen Rückfall der Bundesrepublik in einen antiquierten Nationalismus zu verhindern.

Die Mobilisierung der Bevölkerung beruht auf einem Bericht des Medienportals Correctiv, das über eine private Zusammenkunft einiger PolitikerInnen und Geschäftsleute, darunter Mitglieder der CDU und AfD, in Potsdam berichtet hatte.

Foto: Wikiwand | Lizenz: CC BY-SA 4.0

Rechte (Alp)Träume einer „Remigration“

Auf dem Treffen hatte der Kopf der sogenannten identitären Bewegung, Martin Sellner, ein dubioses Programm zur „Remigration“ vorgestellt. Im ersten Bericht der Journalisten kam der Begriff „Deportation“ vor, eine Zuschreibung, die an die historische Wanseekonferenz erinnerte und kurze Zeit später wieder auf dem Portal gelöscht wurde.

Der Eindruck entstand, dass hier die Vertreibung von Millionen Menschen mit Immigrationshintergrund, seien es Flüchtlinge oder Bürger dieses Landes, geplant wurde.

Die „Gefahr für die Demokratie“ ist seit den Potsdamer Ereignissen wieder in aller Munde. Die Vorstellung einer zerbrechlichen liberalen Gesellschaft, die von Rechtsextremen gefährdet und ausgehöhlt wird, ist das Bild dieser Tage. 

Diese Einschätzung ist kurz vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland, die der AfD Regierungsbeteiligung bescheren könnte, wahrlich keine Phantasie.

Dagegen stehen der wehrhafte Staat und seine Einrichtungen, darunter ein Polizeiapparat mit beachtlicher Größe, Geheimdienste, und die diversen Behörden des Verfassungsschutzes. Hinzukommen – wie das Beispiel von Correctiv zeigt – eine wachsende Zahl von zivilen Akteuren, Stiftungen und Portalen, die sich im Kampf gegen den Extremismus engagieren.

Die zivilgesellschaftliche Seite des Widerstandes fasst der CDU-Politiker Ruprecht Polenz auf X zusammen: „Viele Organisationen, Verbände, Parteien, die Kirchen, Jugendorganisationen und Initiativen haben sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt: Verteidigung unserer Demokratie gegen die rechtsextreme AfD.“

Es gibt sicher eine überwältigende Mehrheit in der Republik, die eine etwaige Rückkehr neuer Nationalsozialisten auf der politischen Bühne mit Schaudern erfüllt.

Die Stimmen derjenigen häufen sich, die Begrenzungen fordern

Allerdings mehren sich Stimmen, die den Kampf gegen Rechts nicht grenzenlos führen wollen. Hinsichtlich des Verfassungsschutzes, der mit der Einschätzung von Parteien als „gesichert extrem“ in die demokratische Willensbildung eingreifen kann, erinnerte der Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“, Ronen Steinke, an die Natur der Behörde.

Sein Befund: „Wenn der Inlandsgeheimdienst gegen legale politische Aktivitäten spioniert, dann schädigt das die Demokratie. Wenn der Inlandsgeheimdienst gegen – mutmaßlich – illegale politische Aktivitäten spioniert, dann ist das nicht viel besser, denn es unterläuft das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit.“

Ohne die Verdienste der Geheimdienste bei der Aufklärung terroristischer Umtriebe zu negieren ist hier eine gewisse Skepsis angebracht. Neue unbestimmte Begriffe, die sich auf eine „Delegitimierung des Staates“ beziehen und das Recht des Verfassungsschutzes, Äußerungen unterhalb der Strafrechtsgrenze anzuprangern, sind durchaus umstritten.

Auf der zivilgesellschaftlichen Seite wird die Nähe von politisch aktiven Organisationen und der Regierung kritisiert. Im November 2020 wurden den Netzwerken gegen den Extremismus bis 2024 über eine Milliarde Euros versprochen.

Allein das Programm Demokratie Leben erhält jedes Jahr etwa 182 Millionen Euro Steuergelder. Die Ermächtigung dieser Akteure – so der Vorwurf -–beinhaltet eine Förderung politischer Kreise, die sich durch Regierungsnähe auszeichnen und nicht nur Rechtsextreme, sondern Konservative schlechthin bekämpfen.

Finanziert hier die Regierung indirekt den Kampf gegen unbeliebte Konkurrenten? Zu diesem Thema gibt es sogar Streit in der Koalition. „Es wird kein sogenanntes Demokratiefördergesetz geben, das eine institutionelle Finanzierung von Vereinen und Verbänden vorsieht, die sich als sogenannte Nichtregierungsorganisationen bezeichnen“, kündigte der FDP-Politiker Kubicki angesichts neu geplanter Offensiven gegen den Extremismus an.

Im Fall der Berichterstattung der Journalisten von Correctiv hat die AfD – mit der Betonung ihres üblichen Opfernarrativs – schnell von „Inszenierung“, „Regierungsnähe“ und „Übertreibung“ gesprochen. Das ist durchsichtig.

Es gibt andererseits sachliche Kritik an der Methodik des Portals, deren Überwachung des Potsdamer Treffens hart an der Grenze zu Straftatbeständen operierte.

Foto: Deutscher Bundestag / Sebastian Rau / photothek

Bekämpfung oder „betreutes Denken“

Phillip Fess bemängelte auf „Telepolis“ nicht nur eine Tendenz zum Spektakel, sondern kommentierte, dass diverse Formen des betreuten Denkens die Demokratie auf Dauer kaum zu retten vermag. Für ihn sind Versuche der demokratischen Mitte, ihre Überzeugungen künftig mit mehr Emotionalität zu verbreiten, fragwürdig. Die Debatte über den Stil der Auseinandersetzung mit realen und vermeintlichen Extremisten hat längst begonnen.

Die harte Position vertritt zum Beispiel Rainer Rutz, Ressortleiter der taz berlin, in einem Text: „Niemand muss diesen Menschen politisch entgegenkommen. Sie müssen isoliert und bekämpft werden“. Wie immer man diesen Kampf gestaltet, die Wahlerfolge der AfD mit dem Einsatz von enormen Geldsummen zu begegnen, haben bisher kaum den gewünschten Erfolg gezeitigt.

Interessant ist in diesem Kontext die Positionierung der Religionsgemeinschaften. Unlängst hat sich die katholische Bischofskonferenz eindeutig positioniert: „Völkischer Nationalismus ist mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild unvereinbar. Rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern, können für Christinnen und Christen daher kein Ort ihrer politischen Betätigung sein und sind auch nicht wählbar“, heißt es in einer Presseerklärung.

Gleichzeitig wird von den Gläubigen eine gewisse Dialogbereitschaft eingefordert: „Bei alledem sind sich die Bischöfe auch darin einig, dass die Kirche sich dem Dialog mit Menschen, die sich für solche extremistische Botschaften empfänglich zeigen, aber gesprächswillig sind, nicht entziehen darf.“

Foto: knirpsdesign | Shutterstock

Republik der „Wahnsinnigen“?

Der Satiriker Florian Schroeder berichtet in seinem Buch „Unter Wahnsinnigen“ von Ausflügen in die Randzonen der Gesellschaft. Er erinnert in dem Sachbuch daran, dass die Welt ein Spiegel ist und wir es uns zu leicht machen, das Böse ausschließlich in unsere Feindbilder zu verlagern.

In seinen Gesprächen begegnet er Straftätern, Ideologen und Aktivisten aller Couleur und verlässt sich nicht nur auf die mediale Berichterstattung. Dabei versucht er, Lebensläufe zu verstehen, den Zeitpunkt zu ermitteln, wenn Entwürfe und Absichten in eine geschlossene, undemokratische Weltanschauung führen. Eine der Botschaften Schroeders ist, die direkte Begegnung zu suchen und sich nicht nur auf die veröffentliche Meinung zu verlassen. 

Es ergibt Sinn, die Tür für einen Dialog mit Andersdenken nicht zuzuschlagen oder unangenehme Debatten nur mit der eigenen Klientel zu führen. Die große Zahl der Menschen, die heute mit negativen Zuschreibungen versehen werden, sind in sich keine homogene Gruppe.

Es wäre ein später Sieg für die These Carl Schmitts, wenn wir die Essenz des Politischen künftig nur in der Unterscheidung zwischen Freund und Feind fassen.

Wo immer Gesprächsbereitschaft besteht, gibt es eine Hoffnung auf Veränderung. Auch müssen denjenigen BürgerInnen, die sich über falsche Einordnung beklagen Foren geboten werden, um ihr eigenes Bild in der Öffentlichkeit zu korrigieren. Sonst droht nicht nur das Ende aller Debatten mit Andersdenkenden, sondern eine Atmosphäre, die an Franz Kafkas „Prozess“ erinnert.

Gerade Muslime wissen, wie schädlich Generalverdachte ist

Wir Muslime sollten uns aus eigener Erfahrung dafür engagieren, dass die Idee des Generalverdachts nicht unser ganzes Zusammenleben prägt. Der unbestimmte Begriff des „Islamismus“ hat das Potenzial jedes politische Engagement zu verhindern.

Das Dickicht aus Assoziationsketten und der Vorwurf der Kontaktschuld lässt viele Muslime in Meinungsartikeln ohne überprüfbare Tatsachenbehauptungen schnell zu Extremisten mutieren. Andererseits ist nicht jede Kritik am Islam schon ein Indiz für Rassismus oder Islamophobie.

Fakt ist das Zusammenspiel von Staat, Regierung und Zivilgesellschaft, das sich in der Ablehnung von Demokratiefeinden andeutet, steht unter Beobachtung mit dem Ziel, letztlich neuen Formen des Totalitarismus früh entgegenzuwirken. In diesen Zeiten gehört die Kritik an der Macht, der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit oder die Forderung einer geordneten Immigration zum Alltag einer Demokratie.

Diese legitime Auseinandersetzung mit staatlichem Handeln muss scharf abgegrenzt werden von den Versuchen, den Staat zu zerstören oder zu delegitimieren. Lenkt die Konzentration auf den Feind vom Versagen politischer Entscheidungsträger, wichtige Fragen sachlich zu lösen ab? 

Johann Wolfgang von Goethe umschreibt diese Möglichkeit in den Gesprächen mit Eckermann: „Auch ich war vollkommen überzeugt, dass irgendeine große Revolution nie Schuld des Volkes ist, sondern der Regierung. Revolutionen sind ganz unmöglich, sobald die Regierungen fortwährend gerecht und fortwährend wach sind, sodass sie ihnen durch zeitgemäße Verbesserungen entgegenkommen und sich nicht so lange sträuben, bis das Notwendige von unten her erzwungen wird.“

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Agenten oder Demokraten? Gründung einer muslimischen Partei ist demokratische Normalität

muslimischen partei

Die Etablierten haben jahrelang geschlafen: Das Bestehen einer muslimischen Partei ist demokratische Normalität. (iz). 2015 erschien der berühmte Roman „Unterwerfung“ des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq. Der Autor beschreibt in seiner […]

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Leipziger Autoritarismus-Studie: Weniger rechtsextreme Einstellungen, aber mehr Vorbehalte

gesellscha

Seit zwanzig Jahren untersuchen Forscher in den Leipziger Autoritarismus-Studien, wie es um radikale Tendenzen in Deutschland bestellt ist. Die Wissenschaftler vermelden positive Tendenzen – aber nicht nur. Viele sehen sich im politischen Prozess abgehängt. Von Martina Herzog und Anne-Béatrice Clasmann

Berlin (dpa). Rechtsextreme Einstellungen sind in Deutschland laut einer Studie aktuell weniger stark verbreitet als vor zwei Jahren. Die Autoren der Leipziger Autoritarismus-Studie, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, sehen die Gesellschaft dennoch im Krisenmodus. Wie das Team um die beiden Psychologen Oliver Decker und Elmar Brähler feststellt, sind zwar 82 Prozent der Bürgerinnen und Bürger mit der verfassungsmäßigen Demokratie zufrieden. Bei einer repräsentativen Befragung zwischen März und Mai dieses Jahres war jedoch nur gerade die Hälfte mit der demokratischen Alltagspraxis zufrieden.

Durch die Corona-Pandemie und den russischen Angriffskrieg in der Ukraine seien die Verantwortlichen in Bund und Ländern zwar gestärkt. Ihr Handeln finde auch breite Zustimmung. Diese „autoritäre Sicherheit“ habe aber einen Preis. Ohnmachtsgefühle und die Einschränkungen des eigenen Lebens würden akzeptiert, führten aber auch „zu einer Steigerung der Aggressionen“. Rechtsextreme Einstellungen träten zwar in den Hintergrund, andere „antidemokratische Motive“ gewännen gleichzeitig aber an Bedeutung.

Der Studie zufolge ist fast jeder Zweite (46,6 Prozent) in Ostdeutschland der Auffassung, „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden“. In Westdeutschland vertreten demnach knapp 24 Prozent der Menschen diese Meinung. Etwa genauso viele Menschen im Westen haben laut Studie Vorbehalte gegen Sinti und Roma. Im Osten Deutschlands liegt dieser Wert bei knapp 55 Prozent. Einen Anstieg beobachteten die Forscher bei der Auswertung der Ergebnisse der Befragung, die alle zwei Jahre stattfindet, auch bei antifeministischen Einstellungen. Den Angaben zufolge waren 27 Prozent der Befragten der Ansicht, dass Frauen, „die mit ihren Forderungen zu weit gehen, sich nicht wundern müssen, wenn sie wieder in ihre Schranken gewiesen werden“.

In der Studie heißt es außerdem: „Wir finden autoritäre Reaktionen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie nicht allein an erwartbarer Stelle – den Milieus mit Verschwörungsglauben –, sondern auch weit darüber hinaus.“ Durch die Proteste gegen die Präventionsmaßnahmen der Bundesregierung seien Verschwörungserzählungen zur Grundlage einer breiten Mobilisierung geworden. „Sie wurden von organisierten Rechtsextremen genutzt, fanden aber auch in anderen politischen Milieus Anklang.“ Wie „Ausländerfeindlichkeit, Antifeminismus und Antisemitismus“ so seien auch die mit der Pandemie verbundenen „Verschwörungserzählungen eine Brückenideologie, welche verschiedene antidemokratische Milieus miteinander verbindet“.

Die Stärkung der Exekutive in der Pandemie habe zu einer höheren Zufriedenheit mit der Regierung geführt, sagte Co-Autor Decker. Unterstützer der Corona-Maßnahmen hätten die Regierung wie auch die Wissenschaft als positive Autorität erlebt und sich mit den Vorkehrungen identifiziert. Doch ein Teil der Geimpften hege gegenüber Ungeimpften Aggressionen. Der Wunsch nach harten Strafen zeige ein „autoritäres und damit ebenfalls antidemokratisches Potenzial“, heißt es in der Studie. Manifeste, also ausdrückliche, autoritäre Aggressionen gegen Ungeimpfte seien bei fast jedem fünften Geimpften zu finden. „Doch müssen wir im Rückblick feststellen, dass diese Wut auf die Ungeimpften weniger von der Realität gestützt war als von einem Bedürfnis nach Handlungsfähigkeit, das sich in der Personifizierung des Problems in einer gesellschaftlichen Gruppe äußerte.“

Die Zustimmung zur verfassungsmäßigen Demokratie ist im Osten seit der vorherigen Befragung im Jahr 2020 sprunghaft angestiegen auf über 90 Prozent – ein Zuwachs um mehr als 25 Prozentpunkte. Im Westen blieb der Wert ungefähr gleich bei um die 80 Prozent. Dabei gilt aber: Je abstrakter nach der Demokratie als Konzept gefragt wird, desto größer die Zustimmung. Die „Demokratie, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland funktioniert“, fand nur noch bei 58,8 Prozent der Befragten Zustimmung.

Gleichzeitig haben viele Menschen das Gefühl, selbst nicht politisch mit gestalten zu können. Nur etwa jeder Vierte ist überzeugt, Einfluss auf Regierungsentscheidungen nehmen zu können, nur ein Drittel sieht Sinn in eigenem politischem Engagement, wobei sich im Osten mehr Menschen ohnmächtig fühlen als im Westen. Die Möglichkeiten zur demokratischen Teilhabe gingen zurück, sagte Co-Autor Decker. Die Bereiche, in denen Menschen einen Großteil ihres Lebens verbrächten wie Schule oder Arbeit seien hierarchisch organisiert. Es sei wichtig, hier Möglichkeiten zur Mitbestimmung zu schaffen.

* Unter dem Titel „Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten“ legen Wissenschaftler der Universität Leipzig bereits die elfte Untersuchung dieser Art zu politischen und antidemokratischen Einstellungen in Deutschland seit 2002 vor. Die Untersuchung erscheint im Zweijahres-Rhythmus, sie wird von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung und der Otto Brenner Stiftung der IG Metall unterstützt.

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Deutscher Bibliotheksverband gegen Entfernung missliebiger Werke

astrolab verlag

Was darf man lesen? Für den Deutschen Bibliotheksverband ist die Antwort klar: Alles, was man will. Nur dem Grundgesetz dürfen die Bücher, die man sich ausleiht, nicht widersprechen. Diese Einstellung teilt nicht jeder.

Berlin (KNA). Ein Kochbuch des Verschwörungstheoretikers Attila Hildmann, ein Kinderbuch mit dem Wort „Indianer“, ein anthroposophisches Buch zum Thema „Impfen“: So unterschiedlich diese Werke sind, gemeinsam ist ihnen, dass sie sich auf gesellschaftliche Debatten beziehen lassen und sehr unterschiedliche Emotionen wecken – bei manchen geht das so weit, dass sie die Verbreitung dieser Bücher mit Argwohn sehen und dies am liebsten unterbinden würden. Aus einer öffentlichen Bibliothek ausleihen können – das soll man sie nicht.

Der Deutsche Bibliotheksverband (dbv), der rund 9.000 Büchereien vertritt, beobachtet bundesweit einen zunehmenden Druck auf Bibliotheken, bestimmte Werke aus ihrem Bestand zu entfernen. „Wir sehen diese Entwicklung mit großer Sorge“, erklärte dbv-Bundesgeschäftsführerin Barbara Schleihagen am Donnerstag in Berlin. Es gebe vornehmlich von rechten, aber auch von linken Gruppierungen entsprechende Bestrebungen. Auch Leserinnen und Leser forderten vermehrt das Entfernen bestimmter Bücher.

Meistens handle es sich dabei um politische Literatur, aber auch um religiöse oder esoterische Werke. „Häufiger wird auch das Entfernen von Kinderbüchern verlangt“, so Schleihagen weiter. „Es gibt in der Gesellschaft eine starke Sensibilisierung dafür, welche Bücher man Kindern zu lesen geben möchte und welche nicht.“

Ähnliche Erfahrungen hat auch die Bibliothekarin Janin Präßler mit interkulturellen Büchern gemacht. So habe eine Mutter vehement gegen das Vorhandensein eines aus Saudi-Arabien stammenden Buches protestiert, in dem ein kleines Mädchen sich auf das Tragen des Kopftuchs freute, erzählt die Fachbereichsleiterin der Stadtbibliothek Treptow-Köpenick von ihrer Arbeit. Auch Bücher von Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht oder die Veröffentlichungen zum Thema Einwanderung des Berliner Ex-Senators Thilo Sarrazin seien immer wieder Gegenstand von Bestandsdebatten.

Für Präßler dagegen ist das Thema Zensur ein rotes Tuch. „Bibliotheken sind demokratische Einrichtungen. Sie garantieren den freien Zugang zu Medien für alle“, betont sie mit Nachdruck. „Wer sind wir, dass wir den Menschen vorschreiben, was sie zu lesen haben? Es geht doch auch um den mündigen Bürger. Wer seine Medizin auspendeln will, kann das gerne tun“, so Präßler mit Blick auf esoterische Literatur.

Im vergangenen Jahr ging der Protest gegen bestimmte Bücher sogar bis zur Zerstörung: So wurden in der Zentralbibliothek des Berliner Bezirks Tempelhof-Schöneberg mehrfach heimlich Bücher zerrissen, die sich kritisch mit rechten Tendenzen beschäftigten oder linke Theorien vorstellten. Meistens wird Forderungen nach Entfernung jedoch durch E-Mails Nachdruck verliehen, manchmal werden auch Flyer in bestimmte Bücher gelegt. Auch das Bibliothekspersonal wird teilweise angegangen, wie Schleihagen berichtet.

Als eine Ursache für den verstärkten Druck, den Bibliotheken bundesweit wahrnehmen, sieht sie eine Tendenz zu Hass und Hetze im Internet. „Natürlich muss es Diskussionen um bestimmte Bücher geben – dies ist Zeichen einer lebendigen Demokratie“, so die Bibliothekarin. Das Fachpersonal, das die Bibliotheken betreue, müsse aber in der Auswahl seiner Bestände unabhängig bleiben. Einzig Bücher, die strafrelevante Inhalte aufweisen – etwa antisemitische oder volksverhetzende Schriften – kämen nicht in den Bestand von Bibliotheken.

„Die Grundlage von Bibliotheken ist die Meinungs- und Informationsfreiheit. Wir haben zum Beispiel Bücher von Impfgegnern genauso im Bestand wie Werke von Impfbefürwortern, damit sich jeder seine eigene Meinung bilden kann“, betont Schleihagen.

Dabei entscheide jede Bibliothek grundsätzlich für sich, wie sie ihren Bestand aufbaue. Neben finanziellen Vorgaben spielt demnach auch der Standort und die Nachfrage eine Rolle, welche Bücher angeschafft werden. „Da muss man immer wieder abwägen.“

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Deutsche Muslime bewerten Demokratie positiver

gesellscha

Frankfurt (KNA). Deutsche Staatsbürger muslimischen Glaubens bewerten die Demokratie und das Funktionieren des politischen Systems in Deutschland positiver als der Durchschnitt der Bürger. Das geht aus einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Mittwoch) hervor. So halten 81 Prozent der muslimischen Bürger die Demokratie für die beste Staatsform, gegenüber 70 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Noch ausgeprägter ist der Unterschied bei der Frage: „Wie zufrieden sind Sie im Allgemeinen mit dem Funktionieren der Demokratie in der Bundesrepublik und dem Funktionieren unseres ganzen politischen Systems?“ In der Bevölkerung insgesamt liegt der Anteil derjenigen, die mit dem Funktionieren der Demokratie sehr zufrieden sind, bei 26 Prozent, zufrieden äußern sich 44 Prozent. Unter den wahlberechtigten Muslimen dagegen liegt der Anteil der sehr Zufriedenen bei 53 Prozent, der Zufriedenen bei 27 Prozent.

Auch ist unter den deutschen Muslimen der Anteil derjenigen deutlich höher, die glauben, dass ihre soziale Lage besser sei als die ihrer Eltern. Bei der Gesamtbevölkerung sagen das 44 Prozent, bei den Muslimen 71 Prozent.

Auch in ihrer parteipolitischen Orientierung unterscheiden sich die Deutschen muslimischen Glaubens nicht sehr stark vom Durchschnitt der Bevölkerung. Tendenziell bevorzugen sie eher die SPD. Insgesamt zeigen die muslimischen Wahlberechtigten eine überdurchschnittliche Neigung zur linken Hälfte des Parteienspektrums mit SPD, Grünen und der Linken.

Berücksichtigt man aber das vergleichsweise niedrige Durchschnittsalter der deutschen Muslime, ist allein bei der SPD ein bemerkenswerter Unterschied zwischen muslimischen und nichtmuslimischen Wahlberechtigten zu erkennen. Hier könnte sich noch immer die sozialdemokratische Orientierung vieler türkischer Gastarbeiter niederschlagen. Umgekehrt findet die FDP bei den wahlberechtigten Muslimen deutlich weniger Zuspruch als bei der Gesamtbevölkerung. Am größten ist der Kontrast – wenig überraschend – bei der AfD, für sie gibt es unter den muslimischen Deutschen praktisch keine Anhänger.

Allerdings ist die Zahl der Muslime mit deutscher Staatsbürgerschaft zu klein, um Wahlergebnisse maßgeblich zu beeinflussen. Laut der Studie „Muslimisches Leben in Deutschland 2020“, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Auftrag der Deutschen Islamkonferenz herausgegeben hat, leben derzeit etwa 5,5 Millionen Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland. Das entspricht 6,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. 47 Prozent dieser Muslime, 2,6 Millionen, besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft und machen damit 3,5 Prozent der 72 Millionen deutschen Staatsangehörigen aus.

Laut der neuen Umfrage bezeichnen sich 64 Prozent der deutschen Muslime als religiös; in der Gesamtbevölkerung sind es 36 Prozent. Protestanten bezeichnen sich laut Bericht zu 46 Prozent als religiös, Katholiken zu 63 Prozent.

Debatte: Ramadan erinnert auch an unsere Gemeinsamkeiten

(iz). Kurz vor Ramadanbeginn hören wir Muslime immer wieder präsidial klingende Aufrufe nach mehr Geschwisterlichkeit; wir sollen das Konkurrenzdenken überwinden und unseren Idealen folgen. Natürlich sind diese Deklarationen gut gemeinte Denkanstöße, vor allem wenn, wir uns dabei an das berühmte Bild der Offenbarung erinnern: Die Welt ist ein Spiegel.

Unsere eigenen Organisationsformen sind es, die wir zunächst prüfen müssen. „Geht es uns nur egozentrisch um Machtsteigerung oder um den Dienst an der Gemeinschaft, die Förderung echter Geschwisterlichkeit?“, heißt zunächst die allgemeine Prüfformel an uns selbst.

Neben der allgemeinen Rhetorik ergeben sich in erster Linie aus dem Islam wichtige Kriterien. Sie sind übrigens durchaus nachprüfbar. So überwindet der Islam die dauerhafte Ausrichtung an bestimmten Ethnien und propagiert dagegen eine offene, geschwisterliche Gemeinschaft, die für jeden, der Dienst an der Gemeinschaft leisten will, gleich zugänglich ist. Der Islam bevorzugt eindeutig das Modell von Stiftungen; auch weil sie der politischen Kontrolle und ­Dominanz einer Elite entzogen sind und sich so selbstlos wie zuverlässig über Generationen hinweg anerkannten Zwecken und Zielen ­widmet.

Nicht zuletzt ist es die Zakat, die uns auf besondere Weise geschwisterliche Solidarität auferlegt. Sie wird lokal erhoben, verteilt und schafft so sozialen Zusammenhalt. Echte Transparenz ergibt sich dabei aus den dezentralen Verteilungsmechanismen, die vor unseren Augen ablaufen.

Brüderlichkeit heißt also auch, dass wir bei berechtigter Kritik nicht weinerlich sind, sondern uns den nachvollziehbaren Argumenten der Anderen stellen. Zur Koordination der unterschiedlichen Beiträge sind heute Initiativen einer muslimischen Zivilgesellschaft willkommen, die – gewissermaßen zum Ausgleich der „von oben nach unten“-Hierarchie – wirklich basisdemokratisch „von unten nach oben“ agieren und von keinem bestimmten Verband dominiert werden.

Dass wir Muslime „parteiübergreifend“ zu gemeinsamen Handeln durchaus fähig sind, zeigen unsere Hilfsaktionen – wie unlängst bei der Flutkatastrophe in Bosnien. Im Ramadan sollten wir uns also Zeit nehmen – neben dem konstruktiven Streit um die Sache –, die eigenen Grundlagen, aber auch Gemeinsamkeiten unserer Rechtsschulen, wieder stärker ins Bewusstsein zu rücken. (Von Abu Bakr Rieger)

„IZ-Begegnung“ mit dem grünen Europaabgeordneten Sven Giegold über Bedeutung und Auswirkungen des TTIP-Abkommens

(iz). Während das politische Berlin über das Tagesgeschäft debattiert, ­wird in Brüssel still und heimlich ein wichtiges Abkommen verhandelt: der Vertrag über die transatlantische Freihandelszone (TTIP). Amerikanische und europäische Lobbyisten versuchen gerade, ihre Rechte in Geheimverhandlungen zu stärken.

Das neue Abkommen wird globalen ­Multis außergerichtliche Son­der­rech­te und besondere Beteiligungsrechte am EU-Gesetzgebungsverfahren zubilligen. Sollte ein nationales Gesetz später ihre Investitionen gefährden, können diese Großfirmen bei Schiedsgerichten Schadensersatz einfordern.

Gegenstand der geplanten Vereinbarung ist also keine Kleinigkeit. Globalisierungskritiker wie Attac ­er­warten, „dass demokratische Rechte, soziale Stan­dards, Klimaschutz und Finanzmarktkontrolle auf dem jeweils niedrigsten Level harmonisiert werden sollen“. Bei den Stichworten Gen­food, Hormonfleisch und Chlorhühnchen, die bei der Deregulierung des Lebensmittelmarktes fallen, dürfte auch die Idee von Halal-Produkten betroffen sein.

Hierzu sprachen wir mit dem bündnisgrünen Europaabgeordneten Sven Giegold. Er gründete das globalisierungskritische Netzwerk Attac mit und war lange Zeit eines seiner führenden Köpfe. Im September 2008 wurde er Mitglied der Grünen. Seit Juni 2009 ist Sven Giegold Abgeordneter im ­Europäischen Parlament. Innerhalb und außerhalb engagiert er sich unter anderem für eine demokratischere Kontrolle der EU-Wirtschafts- und Handelspolitik.

Islamische Zeitung: Lieber Herr Giegold, könnten Sie uns vielleicht – weil es doch offenkundig eine relativ komplexe Materie ist – kurz beschreiben, worum es bei dem transatlantischen Freihandelsabkommen geht?

Sven Giegold: Bei dem Abkommen geht es der Europäischen Union und der Regierung der Vereinigten Staaten darum, dass der Marktzugang zu den jewei­ligen Märkten einfacher ist. Es gibt ja kaum noch Zölle. Folglich handelt es sich vor allem um so genannte „nicht-tarifäre Handelsverhältnisse“. Das bedeutet zum Beispiel Standards, die auf beiden Seiten des Atlantiks für Produkte oder Dienstleistungen gelten. Beispielsweise dürfen Sie in Europa kein Fleisch von geklonten Tieren verkaufen oder kein Fleisch in Chlor baden, um es zu desinfizieren. In den USA ist so etwas grundsätzlich erlaubt. Jetzt können die dortigen Bauern ihre Produkte nicht nach Europa liefern und um ­solche Art von Handelsverhältnissen geht es in dem Vertrag.

Islamische Zeitung: Einige Autoren und Aktivisten haben die Verträge mit drastischen Begriffen beschrieben. Ein Kritikpunkt ist beispielsweise, dass Konzerne und internationale Unternehmen, wenn sie sich beeinträchtigt fühlen, die entsprechenden nationalen Regelungen relativ leicht ­aushebeln können. Trifft das zu?

Sven Giegold: Das ist ein zweiter Aspekt. Die erste Frage ist, dass in einem Vertrag versucht wird, die Standards des jeweils anderen Vertragspartners im eigenen Land oder im eigenen Handelsraum anzuerkennen und so einen großen Markt zu schaffen. Wenn dann aber die jeweiligen Länder den Investoren in einem anderen Staat oder dem Handels­partner schaden, dann werden so genann­te Investorenschadensklagen ermöglicht. Diese Klagen erlauben es beispielsweise einem Investor, dessen Investitionen nicht mehr so profitabel sind, weil beispielsweise eine Umweltregel geändert wurde, den entsprechenden Staat auf Schadensersatz zu verklagen.

Das ist natürlich antidemokratisch, ist aber bereits Bestandteil von vielen inter­nationalen Handelsverträgen. Auch von solchen, die die Europäische Union abgeschlossen hat – aber eben nicht mit den Vereinigten Staaten. Und die Handels- und Investitionsbeziehungen zu den USA sind natürlich besonders umfangreich. Also muss man davor warnen.

Islamische Zeitung: Haben die interessierten Konzerne die Möglichkeit, rückwirkend auf bestehende Gesetze einzuwirken?

Sven Giegold: Nein. Der Vertrag wird beschlossen und dann wird ein Standard festgelegt. Danach wird es dann schwerer, die jeweiligen Standards, etwa in den Bereichen Verbraucherschutz und Umwelt, weiter zu ändern. Man gerät dann in Gefahr, dass Änderungen zu Ersatzkla­gen führen oder eben als unerlaubte Handelsverhältnisse wirken. Das ist eigentlich der Regelfall. Das größte Problem besteht in etwas anderem: Das Problem der Handelsverträge ist die gegenseitige Anerkennung von Standards. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus meinem Bereich, den Finanzmärkten.

Man legt mit dem Vertrag einen bestimmten Standard für die Bankaufsicht fest. Jetzt erkannt man, dass eine Bank immer noch zu wenig Eigenkapital hat. Und Europa will den Banken mehr Eigenkapital vorschreiben. Gehen wir einmal davon aus, dass die Vereinigten Staaten das nicht wollen. Dann stehen die jeweiligen Banken im Wettbewerb. Über den Handelsvertrag wird aber festgelegt, dass die Grenze offen für die jeweiligen Anbieter ist und dann haben die nationa­len Regierungen ein Problem: Dann müssen die Banken mit höheren Eigenkapitalanforderungen mit solchen, die niedrigere haben, konkurrieren. So macht es das Abkommen sehr schwer, einmal gefundene Standards noch zu erhöhen, weil die eigenen Anbieter mit jenen im Wettbewerb stehen, die niedrigeren Standards unterworfen sind. Sie dürfen sich nicht mehr gegen diese Unterschiede schützen.

Islamische Zeitung: In welche Lage bringt das die betroffenen nationalen Regierungen beziehungsweise die Wähler und Bevölkerungen?

Sven Giegold: Die Bevölkerung verliert faktisch einen relevanten Teil ­ihrer Demokratie.

Islamische Zeitung: Und wird das , wie frühere EU-Verträge, über Volksabstimmungen in den jeweiligen Ländern ratifiziert oder beschließt das die EU-Kommission ohne Rückfragen?

Sven Giegold: Das ist ein Missverständnis. Das ist kein EU-Vertrag, sondern ein Vertrag der EU. Das ist ein großer Unterschied. Die Europäische Union schließt Handelsverträge mit anderen Ländern ab. Das hat sie auch schon in vielen anderen Fällen getan, da gibt es auch keine Volksabstimmung. Bis vor Kurzem wurden solche Handelsverträge ohne Zustimmung des Europäischen Parlaments beschlossen.

Seit dem Lissabonner EU-Vertrag hat das Europaparlament dem zuzustimmen. Das bedeutet: In vermutlich einigen Jahren wird das Verhandlungsergebnis dann dem Europaparlament zur Zustimmung oder Ablehnung vorgelegt. Deshalb ist es auch ein wichtiges Thema für den kommenden Wahlkampf zu der Europawahl.

Islamische Zeitung: Gibt es irgendwie eine Möglichkeit der Einflussnahme durch zivilgesellschaftliche Gruppen oder NGOs?

Sven Giegold: Man muss erst einmal sagen, dass dieser ganze Vorgang sowieso abgeschlossen ist, denn die Verhandlungen finden im Geheimen statt. Selbst das Europaparlament bekommt nicht die Unterlagen vorgelegt. Wir werden zwar informiert, aber wir bekommen nicht den tatsächlichen Stand der Verhandlungen mit.

Zweitens, die Zivilgesellschaft hat erfreulicherweise schon angefangen, sich auf Europäischer Ebene einzumischen. Auch in Deutschland gibt es große Bündnisse gegen diese Verhandlungen auf der Grundlage des bestehenden Mandats. Es gibt auf einer Internetplattform eine sehr große Petition, die bereits von 270.000 Menschen gegen diese Verhandlungen unterschrieben wurde.

Islamische Zeitung: Wie haben die EU-Kommission, die Politik in Europa und in Deutschland auf Ihre Kritik reagiert?

Sven Giegold: Zuerst haben wir als Grüne im Europaparlament die Parlamentsresolution zu dem Verhandlungsmandat abgelehnt, weil es aus Sicht von Demokratie und Verbraucherschutz völlig inakzeptabel ist. Im Moment gehen die Verhandlungen weiter wie bisher.

Islamische Zeitung: Ist das Thema für Sie – einmal positiv gedacht – auch ein Kristallisationspunkt, an dem sich die europäischen Bürger bewusst machen können, wie ihre demokratische Zukunft aussehen könnte, wenn sie keine Beteiligung haben?

Sven Giegold: Sicherlich. Die Proteste sind ja jetzt schon erstaunlich stark. Ich kann nur sagen, dass ich mich freuen würde, wenn jetzt auch noch Kirchen und Religionsgemeinschaften anfangen würden, sich da einzumischen. Auch die Gewerkschaften sind langsam aufgewacht. Jetzt gibt es kritische Berichte vom Wirtschaftsforschungsinstitut IMK. Auch Ver.di sieht in dem Abkommen eine Beschränkung der demokratischen Rechte, und zwar in sehr sensiblen Bereichen. Nicht bei irgendwelchen Regeln zur Gestaltung von Kabelummantelungen, sondern bei Fragen, die die Bürger direkt betreffen. Insofern glaube ich, dass die Proteste zunehmen werden. Auch frühe­re Verträge sind im Handelsbereich ja immer wieder am Protest der Bürger ­gescheitert.

Islamische Zeitung: Lieber Herr Giegold, vielen Dank für das Gespräch.

Web Attack oder wie mit simplen Assoziationen das ­politische Leben unmöglich wird

(iz). Während Geheimdienste den Standort von jedermann erfassen, hat die Bundesregierung entschieden, hierzu gar keinen Standpunkt mehr einzunehmen“, so konsterniert fasste Frank Schirrmacher die Ratlosigkeit des Establishment gegen­über der vom NSA-Skandal ausgelösten Bürgerrechtskrise zusammen. Auch die neue Regierung verspricht weder personell noch inhaltlich einen ­Kurswechsel.

Neben der Finanztechnik ist es damit die Sicherheitstechnik, die das Primat der Politik grundsätzlich in Frage stellt. Die Folgen für die freie Gesellschaft sind dabei noch nicht wirklich absehbar, aber Indizien für eine fundamentale Gefährdung der Freiheit mehren sich.

Im Grunde geht es aber nicht nur um die künftige Rolle der Politik, sondern auch um die philosophische Einordnung der Technik. Die Frage ist einfach: Verhilft uns der Siegeszug der Technik zu einer neuen Freiheit oder führt sie unauf­haltsame in neue Formen der Versklavung? Martin Heidegger, der in Büchern wie „Die Technik und die Kehre“ zu einem einerseits „gelassenen“ Umgang mit der Technik riet, hatte bezüglich der Souveränität des Menschen im technischen Zeitalter andererseits einige Zweifel. Das „Gestell“, wie der Philosoph die Netzwerke der Technik nannte, würde alles Menschliche und Materielle in bloße Bestände verwandeln und so in ihren Syste­men verwerten. Die absolute Integrations­kraft der planetarischen Technik war dem Denker eher unheimlich, denn jeder politische Widerstand – wenn auch glücklicherweise jede Ideologie – wird unter diesen Umständen beinahe von selbst zwecklos.

Es ist ein Trend, diesen Umstand der Entkräftung des Politischen, gerade nach den verheerenden Erfahrungen mit den modernen Ideologien und ihrem absolu­ten Wahrheitsanspruch, im Grunde zu begrüßen. Die Politik der kleinen Schritte, für die Bundeskanzlerin Angela Merkel ja heute steht, ist hier eine logische und durchaus willkommene Konsequenz aus den politischen Albträumen der Vergangenheit. Dass Demokratien „überwa­chen“, ist in diesem Denken auch eher eine lästige Banalität, nicht etwa eine Herausforderung; vielleicht eben gerade noch ein Ärgernis, dass man mit einem Facebook-„Like“ oder auch nicht begegnet. Aber natürlich sind ernste Sorgen über das weitere Schicksal des politischen Menschen angebracht.

Roman Maria Koidl hat in diesen Tagen mit „Web Attack“ ein Buch publiziert, dass diese Sorgen aufnimmt und pro­blematisiert. Koidl nimmt im Unter­titel das gängige und verharmlosende Motto im Angesicht des NSA-Skandals, „Egal, ich habe nichts zu verbergen“, auf und hat so ein bemerkenswertes Buch geschrieben. Der Grundgedanke der Abhandlung dreht sich um das Wesen der Technik, das, wie die Lektüre zeigt, nicht etwa neutral ist, sondern uns auch selbst benutzt und verändert.

Hier klingt Heideggers Mahnung durch, wonach die moderne Technik immer auch die Schöpfung herausfordere. Die Folgen für unsere Freiheit sind dramatisch: Denn nicht wir haben die Technik in der Hand, sondern sie uns!

In „Web Attack“ zeigt der Autor eini­ge Züge der Entwicklung auf, von harmlosen bis nützlichen Innovationen, von Gags der Werbeindustrie, feinster Überwachung, bis hin zum Internet der Dinge. „Nach Schätzungen werden es bis zum Jahr 2020 über 50 Milliarden Dinge sein, die ihre Daten ins Internet funken“, beschreibt der Autor emotions­los die Lage. Und , über unsere Kreditkarten, Navigationssysteme und Mobiltelefone machen wir alle als User gezwun­genermaßen mit. Das Internet schafft so, ob wir wollen oder nicht, praktisch täglich neue Möglichkeiten zahlreicher Anwendungen und bindet uns alle gleichzeitig – in atemberaubender Geschwindigkeit – in immer subtilere Techniken ein.

Es wäre natürlich naiv zu glauben, dass diese Spielart der technischen ­Revolution ausgerechnet den Kern des Politischen unberührt lässt. Die Individualisierung von Wahrheit, die Atomisierung in Face­book-Gruppen, die Aufspaltung des Politischen in kleinste Zellen lassen bereits einige Zweifel aufkommen an der roman­tischen Idee einer mobilisierten oder real mächtigen „Internetcommunity“, die auf Dauer das Politische für sich einnehmen oder gar stärken könnte.

Wem dieses Szenario zu pessimistisch klingt, wird auch hier einschränkend argumentieren können, dass eben auch keine „ideologisches Machenschaft“ das Internet zu kontrollieren vermag. Dass, im Gegenteil, das Internet auch autoritäre Systeme wie China zu Veränderungen herausfordert oder dass eben ein Mark Zuckerberg und nicht ein Hitler oder Stalin Daten unvorstellbaren Ausmaßes sammelt.

Nach dem aktuellen NSA-Skandal wird auf der anderen Seite aber auch der einfache Bürger einsehen, dass wir „Neuland“ betreten und die Freiheitlichkeit oder Demokratie künftiger ­Gesellschaftssysteme noch lange nicht garan­tiert ist, nur weil sich die Herrschaftstechniken anders konstituieren. Die ­Sorgen über die Dynamik der Netze, die den alten Nationalstaat mit seinen Bürgerrechten zunehmend veraltet erscheinen lassen, teilen zumindest diejenigen, die ihre politische Möglichkeit und Freiheit als ein wichtiges Gut ihrer Existenz betrachten.

Aber „Web Attack“ zeigt noch etwas anderes: Es sind längst nicht nur Geheim­dienste, die ihre Überwachung mit modernster Technik verfeinern. Es sind auch wir selbst, die Teil eines Systems – nach dem Motto „alle überwachen alle“ – werden. Mit „Google Glass“ stehen zum Beispiel bald Verfahrensweisen zur Verfügung, die aus jedem Bürger auch einen Hilfspolizisten oder einen Verfassungsschützer machen können. Hier kann man, ausgerüstet mit ­High-Tech-Brillen, mit anderen „Augen“ die Kredit­würdig­keit, die politische Korrektheit, das Strafregister oder andere Fakten mit einer Zielperson in Verbindung bringen. Was für eine Welt, in der jeder alles über alle weiß, wird dies sein? Während der Einzelne vielleicht nur prüft, ob die Dame an der Theke verheiratet ist, verän­dern diese technischen Spielereien im größeren Zusammenhang, zum Beispiel am Flughafen, den Sinnzusammenhang. „Mit der Pre-Crime-Analyse“, so Koidl, „werden schon heute Verhaltensmuster potenzieller Straftäter und Terroristen ermittelt“.

Es ist der Kampf gegen das Böse, der heute immer wieder zur Rechtfertigung oder auch Verharmlosung derartiger Tendenzen herangezogen wird. Aber ist es so einfach?

Gerade in den sozialen Medien wird eine andere, fatale Stoßrichtung neuer Techniken evident: der Umgang mit Mitmenschen und auch Andersdenkenden. Nach der Logik von „Google“ ist heute jeder – wie früher, wenn man seine Miete bar bezahlte – verdächtig, der kein Profil in den Netzwerken hat. Wer bei „Amazon“ Bücher kauft, bekommt Angebote, die einzuschätzen versuchen, was der Käufer künftig denkt. Die Idee von Privatheit relativiert sich also, wenn man im Internet kommuniziert oder einkauft. Man verliert auch darüber hinaus schnell die Interpretationshoheit über seine Daten, die jeder nach Belieben verknüpfen kann. In Schweden kann man auf einer Webseite die Steuererklärung seines Nachbarn ansehen. Mit Suchfunktionen und diversen Assoziationsmöglichkeiten werden Einrichtungen wie „Graph Search“ bei „Facebook“, das, so Koidl treffend, „NSA prism des kleinen Mannes“.

Die „Privatisierung“ der Überwachung ermöglicht es heute auch Privaten, sich für ihre Idee von Verfassung, Verurteilung oder politischer Korrektheit einzusetzen, Wer sich die Accounts „politi­scher Köpfe“ oder anderer „Verdächtiger“ näher anschaut, wird sehen, dass bereits zahlreiche Assoziationstechniker mit Fakten agitieren, denunzieren, Asso­ziationen knüpfen oder Gerüchte mit Prangerwirkung streuen.

Zahlreiche Konsumenten der Netzwer­ke verteilen diese meist ungeprüften Infor­mationen, Gerüchte, ­Spekulationen und die Suchmaschinen nehmen sie in ihre Register auf. Schon flüchten zahlreiche Nut­zer vor der Markierungslogik des ­Internets in virtuelle Existenzen oder aber pflegen eben ängstlich eine lupenreine Durchschnittlichkeit, die sowieso keine gefährliche Assoziation ermöglicht. Zitiert man aber zum Beispiel, wie hier in diesem Text, „#Heidegger“, liegt eine Assoziation mit „Rektorat“ und „Natio­nal­sozialismus“ nahe, und die sich zum Nachteil des Autors im Netz bei Bedarf auch sinnfrei assoziieren lässt.

Es sind im Grunde genommen Algorithmen, die heute in vielen Zeitungsartikeln und auch manchem VS-Bericht zur Geltung kommen, den politisch denken­den Menschen umstellen und auch das politische Denken selbst gefährden beziehungsweise verdächtigen. Auf „Twitter“ hat ein Anonymus diese Technik der – so gesehen – erfolgreichen politischen Diffamierung auf diese Weise zusammengefasst:

Politischen Gegner (Richtung nach Geschmack) angreifen leicht gemacht! So funktioniert der simple Algorithmus:

(1) Vordenker/in auswählen
(2.1) Quote-Mining: Problematisches ­Zitat bzw. Teil der Biographie heraussuchen
(2.2) Falls nötig Gesamtwerk/Kontext ignorieren
(2.3) Falls (2.1) nicht erfolgreich springe zu (1)*
(3) Guilty-by-Association
(4) Win □

„Alle überwachen alle“ ist wohl der logische Endzustand aus den Entwicklungsstufen von den ehemals staatlichen Diensten und Überwachungsrechten hin zu privatisierten Diensten. Natürlich gilt auch hier der bekannte Satz Paul ­Valerys: „Wer das Denken nicht angreifen kann, greift den Denkenden an.“

Das Internet bietet leider bereits jetzt viele Möglichkeiten und Techniken neuartiger Feindbekämpfung. Auffallend viele alternative politische Ansätze unterstehen heute schon schnell der beherrschenden Logik von Assoziationstechniken. Es fällt auf, dass Positionen, Partei­en oder Gruppen, die zum Beispiel den Euro in Frage stellen, schon beinahe grundsätzlich mit „Rechtspopulismus“ assoziiert, teilweise auch diffamiert werden. Es bleibt jedem selbst überlassen, die Frage nach dem „Wem nützt das?“ zu beantworten.

Man wird jedenfalls bezweifeln müssen, ob es ausgerechnet unsere etablierten Parteien sind, die aus dieser miss­lichen Lage herausführen, zumal sie es sind, die die politische Alternativlosigkeit beinahe zum Programm erheben und selbst jede echte politische Konkurrenz fürchten. Es sind auch ­Parteien, die viele neue „Werbetechniken“ des Internets bereits selbst für sich nutzen und so an der Planbarkeit neuer Mehrheiten basteln.

Nötig ist auf jeden Fall eine „Community“, welche die Freiheit des politischen Austausches aktiv gegen Techniken und Techniker verteidigen, die den Austausch und den fairen Streit um politische Alternativen mit ihren rufschädigenden „Assoziationen“ systematisch verhindern wollen. Versammlungsfreiheit, freie Rede und möglichst vorurteilsfreie Begegnung bleiben zweifellos das Fundament freier Gesellschaften.

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Kommentar: Bei Maybritt Illner wurde über die Lage in Ägypten gestritten

(iz). Freunde, die sich um meine Emotionen sorgen, empfehlen mir schon länger die Abstinenz von Talk-Shows. Am Donnerstagabend dann der Rückfall: Die tragische Lage in Ägypten ist es, die mich […]

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