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Kommentar: Warum Afghanistan auch für deutsche Muslime wichtig ist

(iz). Seien wir ehrlich: Die allermeisten von uns haben sich nur dann tiefer mit Afghanistan und seinen Menschen beschäftigt, wenn es in den letzten Jahren zu einer Krise gekommen ist […]

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Deutsche Muslime bewerten Demokratie positiver

gesellscha

Frankfurt (KNA). Deutsche Staatsbürger muslimischen Glaubens bewerten die Demokratie und das Funktionieren des politischen Systems in Deutschland positiver als der Durchschnitt der Bürger. Das geht aus einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Mittwoch) hervor. So halten 81 Prozent der muslimischen Bürger die Demokratie für die beste Staatsform, gegenüber 70 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Noch ausgeprägter ist der Unterschied bei der Frage: „Wie zufrieden sind Sie im Allgemeinen mit dem Funktionieren der Demokratie in der Bundesrepublik und dem Funktionieren unseres ganzen politischen Systems?“ In der Bevölkerung insgesamt liegt der Anteil derjenigen, die mit dem Funktionieren der Demokratie sehr zufrieden sind, bei 26 Prozent, zufrieden äußern sich 44 Prozent. Unter den wahlberechtigten Muslimen dagegen liegt der Anteil der sehr Zufriedenen bei 53 Prozent, der Zufriedenen bei 27 Prozent.

Auch ist unter den deutschen Muslimen der Anteil derjenigen deutlich höher, die glauben, dass ihre soziale Lage besser sei als die ihrer Eltern. Bei der Gesamtbevölkerung sagen das 44 Prozent, bei den Muslimen 71 Prozent.

Auch in ihrer parteipolitischen Orientierung unterscheiden sich die Deutschen muslimischen Glaubens nicht sehr stark vom Durchschnitt der Bevölkerung. Tendenziell bevorzugen sie eher die SPD. Insgesamt zeigen die muslimischen Wahlberechtigten eine überdurchschnittliche Neigung zur linken Hälfte des Parteienspektrums mit SPD, Grünen und der Linken.

Berücksichtigt man aber das vergleichsweise niedrige Durchschnittsalter der deutschen Muslime, ist allein bei der SPD ein bemerkenswerter Unterschied zwischen muslimischen und nichtmuslimischen Wahlberechtigten zu erkennen. Hier könnte sich noch immer die sozialdemokratische Orientierung vieler türkischer Gastarbeiter niederschlagen. Umgekehrt findet die FDP bei den wahlberechtigten Muslimen deutlich weniger Zuspruch als bei der Gesamtbevölkerung. Am größten ist der Kontrast – wenig überraschend – bei der AfD, für sie gibt es unter den muslimischen Deutschen praktisch keine Anhänger.

Allerdings ist die Zahl der Muslime mit deutscher Staatsbürgerschaft zu klein, um Wahlergebnisse maßgeblich zu beeinflussen. Laut der Studie „Muslimisches Leben in Deutschland 2020“, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Auftrag der Deutschen Islamkonferenz herausgegeben hat, leben derzeit etwa 5,5 Millionen Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland. Das entspricht 6,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. 47 Prozent dieser Muslime, 2,6 Millionen, besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft und machen damit 3,5 Prozent der 72 Millionen deutschen Staatsangehörigen aus.

Laut der neuen Umfrage bezeichnen sich 64 Prozent der deutschen Muslime als religiös; in der Gesamtbevölkerung sind es 36 Prozent. Protestanten bezeichnen sich laut Bericht zu 46 Prozent als religiös, Katholiken zu 63 Prozent.

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„In der Mitte der Gesellschaft angekommen“

(iz) Dass es so etwas wie Muslimfeindlichkeit gibt, ist mittlerweile in der Gesellschaft angekommen. Ein innermuslimisches Gespräch darüber steht noch aus. Dazu sprachen wir am Rande der Osnabrücker Fachkonferenz zum antimuslimischen Rassismus mit Dr. Zekeriya Altug. Der Physiker leitet die Außenbeziehungen bei DITIB und ist Sprecher des KRM.
Islamische Zeitung: Lieber Herr Dr. Zekeriya Altug, Sie waren am 14.1. Teilnehmer einer Podiumsdiskussion in der Universität Osnabrück zum Thema „antimuslimischer Rassismus“. Wie erleben Sie und der Moscheeverband, bei dem Sie engagiert sind, dieses Phänomen?
Dr. Zekeriya Altug: Das ist kein neues Phänomen. Die neue Dimension, die wir in diesen Tagen erleben, liegt darin, dass es sich gewandelt und in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Es wird nicht mehr als Rassismus wahrgenommen. Vielmehr denken viele Menschen, dass Sie mit ihren Forderungen nach Sonderregelungen und Beschränkungen für Muslime sogar diesen etwas Gutes tun würden. Man möchte quasi die Muslime vor sich selbst beschützen. Damit erkennt man den Muslimen die Fähigkeit auf den eigenen freien Willen ab. Am deutlichsten wird dieser „humanistische“ Rassismus selbsternannter Islamkritiker in ihrer Aussage, dass man Muslime nicht den muslimischen Verbänden überlassen dürfe.
Sprich, der Staat beziehungsweise die nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft muss die Muslime vor sich selbst schützen. Diese Forderung vieler Islamkritiker, aber auch mancher vermeintlich liberaler Politiker verkennt, dass es im Islam keine Zwangsmitgliedschaft in den Religionsgemeinschaften gibt. Die Brisanz der letzten Monate und Jahre liegt jedoch darin, dass diese Islamfeindlichkeit mittlerweile als Patriotismus und Verteidigung westlicher Zivilisation wahrgenommen wird. Immer mehr Menschen, die man zuvor nicht dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet hätte, teilen solche fremdenfeindlichen Ansichten und schrecken mittlerweile sogar nicht vor Gewalt gegen Muslime zurück. Dies untermauern auch die Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden und das nicht nur seit den steigenden Flüchtlingszahlen oder der Silvesternacht von Köln.
Ich sehe das mehr als eine Reaktion auf den laufenden Integrationsprozess des Islams in der Gesellschaft. Die Mehrheitsgesellschaft reagiert zum Teil allergisch auf dieses Zusammenwachsen. Dabei bieten die Flüchtlingsfrage und auch die Ereignisse der Silvesternacht der bestehenden Islamophobie beziehungsweise der Islamfeindlichkeit lediglich eine nachgelieferte Legitimation.
Islamische Zeitung: Haben Sie, als Repräsentant einer der großen muslimischen Organisationen, eigentlich das Gefühl, dass Ihre Gesprächspartner aus Staat, Politik und Medien das Thema ausreichend ernst nehmen?
Dr. Zekeriya Altug: Das ist sehr unterschiedlich. Viele Politiker, aber auch Vertreter staatlicher oder kommunaler Institutionen, zeigen nicht nur Sensibilität für das Problem. Es gibt Ansätze und Bemühungen, die pluralistische Ausrichtung unserer Gesellschaft und den Beitrag der Muslime hierfür zu würdigen und zu stärken. Dazu gehört natürlich auch, dass Muslime neben der Wahrnehmung ihrer Rechte sich auch ihrer Verantwortung für diese Gesellschaft stellen. Zuletzt hat man dies bei der Unterstützung unserer neu ankommenden Mitmenschen sehr deutlich erlebt. Unsere Gesellschaft hat als ein Ganzes agiert und Menschen in Not geholfen, ohne darauf zu achten, welcher Religion oder Ethnie sowohl die Helfenden als auch die Hilfesuchenden angehören.
Dennoch erleben wir immer wieder, dass auch viele Politiker die Ängste und auch die große Abneigung gegenüber Muslimen und dem Islam in der Gesellschaft zur Selbstprofilierung nutzen. Leider werden nicht diejenigen, die gute und solide Arbeit für und mit den Menschen machen, sondern eher die Lautstarken stärker wahrgenommen. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass wenn die öffentliche Wahrnehmung kippt, sich auch die Politik der Mitte opportunistisch den Weg des geringeren Widerstandes zur Wählerstimme sucht. Dies sehen wir sehr deutlich darin, dass wenn von Seiten der Muslime oder besser gesagt auch vermeintlicher Muslime Straftaten oder nichtakzeptable Handlungen wie bei der Scharia-Polizei vorkommen, eine bundesweite Empörung durch alle Parteigrenzen hinweg deutlich und zu Recht artikuliert wird.
Jedoch nehmen viele Politiker kaum Notiz, wenn wöchentlich Moscheen angegriffen werden und sogar Flüchtlingsheime brennen. Daher können wir nicht einmal hoffen, dass der breite Rassismus beziehungsweise die Islamfeindlichkeit, die sich bereits in der Schule, der Nachbarschaft und im Berufsleben zeigt, als solche wahrgenommen wird. Bei Muslimen wird sogar das Fehlverhalten nicht beim Täter, sondern bei den Opfern der Ressentiments gesucht, da diese ja bekanntermaßen Integrationsverweigerer seien.
Ganz problematisch wird es jedoch, wenn vermeintlich linke Politiker, die für Multikulti und offene Gesellschaftsform stehen, gerade bei Muslimen radikale Forderungen nach staatlichem Einfluss stellen, wie zuletzt ein Teil der Grünen Spitze mit Herrn Özdemir und Herrn Beck. Tragisch ist es, dass man auch hier die globalen politischen Konflikte, die man deutlich als Privatfehde zwischen Herrn Erdogan und Herrn Özdemir erkennen kann, die von einer persönlichen Enttäuschung von Seiten des Herrn Özdemir zu resultieren scheint, auf dem Rücken der deutschen Muslime austrägt, indem man ihnen die laut Verfassung garantierten Grundrechte absprechen möchte. Interessant ist, dass auch diese vermeintlich grünen Politiker mit sehr starken Behauptungen um sich werfen, von denen sie wissen, dass sie jeder Grundlage entbehren. Man hofft wohl, dass die Wählerschaft noch grüner hinter den Ohren ist und diesen Unterstellungen Glauben schenken wird, wenn man sie denn nur laut genug artikuliert. Dieses Verhalten, welches wir bislang nur vom äußersten rechten Rand der Gesellschaft und Politik kennen, scheint, wenn es um Muslime geht, zunehmend auch im linken Spektrum und sowieso in der politischen Mitte salonfähig zu sein.
Islamische Zeitung: Reflektiert die, zumeist soziologische und auf die Träger des Ressentiments ausgerichtete, Analyse die Lebenserfahrung von Muslimen und deren Umgang mit dem Phänomen?
Dr. Zekeriya Altug: Auf akademischer Ebene haben wir mittlerweile viele und auch  differenzierte Untersuchungen des Phänomens, die nicht mehr nur das Problem bei den Muslimen verorten. Ich denke, dass sich in den letzten Jahren in diesem Bereich vieles bewegt hat, auch wenn wir noch einen langen Weg vor uns haben. Allerdings finden diese Erkenntnisse ihren Weg nur schleppend in die Arbeit vor Ort und in die Mitte der Gesellschaft. Das Problem verstärkend kommt hinzu, dass für öffentliche Meinungen und Wahrnehmungen wissenschaftliche Analysen und Fakten weniger effektiv sind, als das Bauchgefühl und die mediale Sprache. In der breiten Öffentlichkeit wird noch immer davon ausgegangen, dass Muslime aufgeklärt und somit vor ihrer eigenen Religion, zumindest vor Teilen davon, geschützt und ja auch vor ihrer eigenen Kultur gerettet, befreit werden müssten. Man möchte die Muslime zivilisieren.
Daher ist ein völlig neuer Diskurs nötig. Wir müssen den Umgang mit den Muslimen in der Öffentlichkeit diskutieren. Der Islam und somit die Muslime werden nicht nur als etwas Fremdes gesehen. Vielmehr wird der Islam als die Antithese westlicher Errungenschaften und der Moderne, natürlich auch der Postmoderne, wahrgenommen. Um hier einen neuen Ansatz zu schaffen, müssen wir sicherlich auch darüber diskutieren, welche Werte der Islam vertritt, aber auch, welche Werte unsere deutsche Gesellschaft als ihre eigenen ansieht. Gehört Pluralismus und Religionsfreiheit ohne Wenn und Aber dazu?
Dass der Islam dazugehört, ist mittlerweile schon artikulierbar. Aber ist der ­Islam auch gleichberechtigt? Das heißt, gehören wir als Muslime nur dazu, oder gehören wir als Muslime wie Nichtmuslime zusammen und bilden diese Gesellschaft in all ihrer Vielschichtigkeit und Vielfältigkeit? Diesen Fragen muss sich auch die Mehrheitsgesellschaft stellen. Wir müssen hier die Deutungshoheit den radikalen Kräften von rechts und auch den Islamkritikern entreißen. Dies darf  jedoch nicht schablonenhaft geschehen. Es reicht nicht, dass man behauptet, weltoffen und freiheitlich zu sein und man alle Menschen als gleich ansehe. Dies muss sich auch in den Handlungen widerspiegeln.
Islamische Zeitung: Welche individuellen Auswirkungen haben Ihrer Meinung nach solche Vorurteile bei betroffenen Muslimen? Gelegentlich drängt sich der Eindruck auf, dass ein Teil der muslimischen Community sich ebenfalls in eine „Wagenburg“ zurückgezogen hat…
Dr. Zekeriya Altug: Die Auswirkungen werden immer fataler. Während die erste und zum Teil auch die zweite Generation von Migranten, die ja die große Mehrheit der Muslime darstellen, sich selbst als Gäste, und somit als Fremde gesehen haben und dadurch die Ablehnung der Gesellschaft zum Teil besser verkraften konnten, weil sie ja irgendwann zurück in die Heimat zurückkehren würden, sieht es für die hier geborenen Muslime ganz anders aus. Wenn man keine andere Heimat kennt, hier geboren wurde und von klein auf die Sprache und Kultur erlernt hat und sich selber als Deutscher fühlt, aber nicht als solcher akzeptiert wird, hat das für die Entwicklung des Individuums gravierendere Folgen. Denn diese Menschen haben nichts, wohin sie – wenn auch nur in ihrer Zukunftsplanung oder Hoffnung – gehen können.
Auch wenn viele junge Menschen, Kinder und Enkelkinder von ehemaligen Migranten, sich selbst neben ihrer deutschen Identität auch als türkisch oder arabisch bezeichnen, so wissen sie, dass sie nicht nur das jeweilige, vermeintliche Heimatland nicht nur nicht wirklich kennen, sondern sie wissen auch, dass sie auch kulturell dem Herkunftsland ihrer Eltern fremd geworden sind. Wenn nun diese Menschen im einzigen wirklichen Heimatland ebenfalls als Fremde angesehen werden, so ist dies sehr schwer zu verarbeiten. Für Konvertiten gilt das Gleiche. Obwohl seit Generationen Teil der Gesellschaft, wird man wegen seiner Glaubensentscheidung plötzlich zum „Ausländer“.
Islamische Zeitung: SoziologInnen glauben ja, dass es sich hier um ein Vorurteil ohne das Objekt des Vorurteils handle. Ist es wirklich so einfach, dass Muslime gar nichts mit der Entstehung von gegen sie gerichteten Vorurteilen zu tun haben?
Dr. Zekeriya Altug: Ja und Nein zugleich. Man kann in der Tat sagen, dass es für dieses Vorurteil sowie für die Ablehnung des Islam und der Muslime keiner Handlung der Muslime bedarf. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist in allen Gesellschaften unterschiedlich stark verankert. Das zeigt auch die Tatsache, dass in den Regionen, wo wenig oder keine Muslime leben, die ­Islamophobie und Islamfeindlichkeit am größten ist.
Dennoch kann man auch nicht übersehen, dass auch viele Geschehnisse in islamischen Ländern, die zwar zum Teil auch von säkularen Gruppen ausgelöst sein können, dazu beitragen, dass die Situation nicht entspannt, sogar eskaliert, wie wir es zurzeit erleben. Sicherlich müssen sich auch die Muslime in Europa an die eigene Nase fassen und überlegen, was sie dagegen tun können und ob sie etwas dagegen getan haben.
Islamische Zeitung: Bedeutet das im Umkehrschluss nicht auch eine fatalistische Einstellung?
Dr. Zekeriya Altug: Das denke ich nicht. Fatalistisch wäre es ja, wenn man jegliche Verantwortung von sich wegschiebt. Zu analysieren, dass die Haltung der Muslime nicht die Ursache darstelle, ist erst einmal legitim. Wichtig ist jedoch, dass man die eigene Verantwortung und auch die eigenen Möglichkeiten zur Lösung und Entspannung der Lage sieht und auch demnach handelt. Sicherlich kann ich hierbei nicht für jeden einzelnen Muslim sprechen. Aber zumindest wir als DITIB sowie viele andere Vertreter von Muslimen haben den Handlungsbedarf erkannt und tun sehr viel in diesen Bereichen, vom Dialog über soziale Dienste bis hin zur Bemühung der gleichberechtigten Teilhabe in vielen Bereichen. Der Hinweis, dass man für eine Lösung und Entspannung auch den Beitrag der nichtmuslimischen Gesellschaft, den es bereits von vielen Gruppen wie den Kirchen gibt, braucht, darf nicht als Fatalismus verschrien werden. Vielmehr ist es die Bestrebung, echte Lösungen zu finden.
Islamische Zeitung: Es gibt seit einigen Jahren einen enormen Anstieg in der Beschäftigung mit dem Phänomen „antimuslimischer Rassismus“ auf muslimischer Seite. Praktisch geschieht aber recht wenig. Woran liegt das?
Dr. Zekeriya Altug: Muslime wachsen bereits mit vielen Ressentiments und sogar Repressalien auf, sodass sie irgendwann abgestumpft sind und sogar der offensichtliche Rassismus, dem sie begegnen, sie eher resignieren lässt. Viele Ressentiments und unterschwelligen Rassismus erkennen sie oft erst gar nicht.
Die Diskussionen um und über den Islam nach den Anschlägen von 2001 haben jedoch dazu geführt, dass die Muslime hierbei sensibler geworden sind. Daher hat man großen Nachholbedarf sowohl in der Analyse des Phänomens als auch in Gegenstrategien. Gleichwohl kann man sagen, dass die Muslime viele Mechanismen, die für Gegenstrategien nötig wären, erst noch aufbauen und sich sogar erst die Expertise aneignen müssen. Denn über Jahrzehnte war man nur für religiöse Dienste zuständig. Später kamen soziale Angebote dazu. Jetzt ist man in der Situation und der Pflicht, die Gesellschaft mitgestalten zu können.
Islamische Zeitung: Wieso kriegen es Deutschlands Muslime, insbesondere ihre Interessenvertreter, nicht hin, analog zu den USA eine Lobbygruppe wie CAIR auf die Beine zu stellen? Diese, mit geringen Mitteln begonnen, ist mittlerweile landesweit vertreten und arbeitet hochprofessionell. Ein Vorbild für Sie?
Dr. Zekeriya Altug: Das kann mehrere Gründe haben. Zum einen hat Lobbyarbeit in den USA einen anderen Stellenwert und eine andere Historie. Zum anderen ist es sicherlich auch eine Frage der Prioritäten. Wie bereits erwähnt, sehen viele muslimische Organisationen ihre Aufgaben in der Basisarbeit. Die Lobbyarbeit wird erst langsam als eine Notwendigkeit erkannt und sicherlich auch nicht bei allen in gleicher Gewichtung. Wir als DITIB versuchen momentan, hierfür Strukturen zu stärken und neue Möglichkeiten aufzubauen. Es ist ein Prozess, der von vielen weiteren Aktivitäten begleitet wird und nur im Gleichschritt erfolgreich funktionieren kann. Wir brauchen sicherlich eine gute Lobby, aber nicht nur. Ebenso brauchen wir eine funktionierende Wohlfahrtspflege, Religionsunterricht an Schulen, Islamische Theologie an Universitäten, Seelsorge, Bestattungswesen, Solidarität mit Bedürftigen, einen echten innerislamischen Diskurs und vieles mehr, was die DITIB neben der Religionsausübung leisten muss. Nur durch ganzheitliche Strategien können wir tatsächlich auch eine starke Überzeugungskraft und Teilhabe in Politik und Gesellschaft erreichen.
Islamische Zeitung: Ablehnung und Feindschaft hat bereits der Prophet Muhammad erfahren. Brauchen wir auch eine spirituell-religiöse Behandlung des Themas, um es richtig einordnen zu können?
Dr. Zekeriya Altug: Die Spiritualität und die Religiosität begleiten uns ja ständig. Ansonsten hätten wir auf muslimischer Seite eine viel stärkere Aussichtslosigkeit und Resignation. Der Glaube ist die stärkste Quelle unserer Zuversicht auf eine bessere Zukunft. Wir sehen ja gerade im Verhalten manch junger Muslime, die die Religion erst neu entdecken und die Tradition und Spiritualität nicht kennen, dass ohne diese eine schnelle Desillusionierung und Perspektivlosigkeit einsetzen kann und leider oft genug der Weg in eine Abschottung und schlimmstenfalls in eine Radikalisierung sehr kurz sein kann. Daher ist der Glaube und das Vertrauen in Gott eine Quelle unserer Motivation.
Diese Spiritualität darf jedoch gerade nicht zu der fatalistischen Einstellung führen, es sei göttlicher Wille, dass man hier dieser Anfeindung ausgesetzt ist. Vielmehr kann unsere Spiritualität, insbesondere der Grundgedanke des Sufismus, der ja eine tiefe Verankerung in der Tradition des Islam hat, uns und auch der Gesamtgesellschaft neue Wege aufzeigen, um mit den aktuellen Spannungen besser umzugehen. Lösen werden wir die Polarisierung unserer Gesellschaft am Ende nicht nur über Regeln und Gesetze. Vielmehr über gegenseitige Akzeptanz und Toleranz. Am Ende werden es wieder höchst menschliche Gefühle, wird es wieder das Bauchgefühl unserer Gesellschaft sein müssen, das ein respektvolles Miteinander und eine kulturelle Vielfalt als völlig normal ansehen wird.
Islamische Zeitung: Lieber Dr. Altug, vielen Dank für das Interview.

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Die IZ-Redaktion bleibt den „Weimarer Gesprächen“ verpflichtet

(iz). Die Muslime in Weimar – ein „Happening“, eine „Provokation“ oder auch eine denkbare Quintessenz ihrer Präsenz in Deutschland? Schon seit Jahren lädt die Islamische Zeitung immer wieder zu Seminaren […]

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Die Probleme der Konvertiten

„Egal was die Motivation am Ende ist, eine negative Darstellung von ‘Konvertiten’ hat auch den – gewollten oder unbeabsichtigten – Zweck, viele Europäer daran zu hindern, den Din für sich entdecken zu können.“
(iz). Der Begriff „Konvertit“ ist ein Unwort. Und das aus mehreren Gründen. Zunächst einmal ist er sachlich, also von der islamischen Lehre her, falsch. Wie Allah und die muslimische Tradition uns wissen lassen, wird jeder Mensch schon als Muslim geboren. „Nimmt“ er also den Islam an, dann ist das keine neue Sache, sondern Erinnerung und Bezeugung der Tatsache, dass wir alle als Muslime geboren werden. In der Öffentlichkeit schwingt darin, trotz de facto Entchristianisierung, ­etwas vom anti-kirchlichen Verräter mit. In der säkularen Variante wird auch schon mal gerne ein autoritärer Charakter oder ein psychologischer Defekt unterstellt.
Neu ist seit einigen Jahren, dass das Phänomen der salafistischen und dschihadistischen Sekten gerne als vorrangiges Problem von Konvertiten dargestellt wird. Kein Frage, es gibt die Vogels und Laus dieser Republik. Aber es gibt auch die Youssefs, die Abou Nagies und die vielen „Abus“ mit Migrationshintergrund, sodass es falsch wäre, das Problem auf ein bestimmtes Herkunftssegment zu verengen. Und vergessen wird, dass diese Leute ihre ideologische Schulung in der arabischen Welt erhielten beziehungsweise von dort beeinflusst wurden.
Eine muslimische Gemeinschaft, egal auf welcher Ebene, kann nur so gesund sein, wie es ihr gelingt, neue Elemente zu integrieren. Das war Jahrhunderte lang die Norm der muslimischen Geschichte. Alte Kulturen zerfielen, während neue Völker den Din für sich entdeckten. Ein Fakt, der insbesondere von Ibn Khaldun beschrieben wurde. Zieht eine lokale Gemeinde neue Muslime an beziehungsweise Menschen, die solche werden ­wollen, ist das ein gutes Zeichen.
Nun haben wir aber durchaus – was viele Gespräche der Redaktion zeigen – eine Lage, in der dieses Phänomen oft weder angestrebt noch überhaupt verstanden wird. Keine ­Frage, der ­sicherheitspolitische Diskurs und das Schreckensszenario radikalisierter „Konvertiten“ sind ein gefundenes Fressen für eine Effekt erheischende Berichterstattung. Aber nicht nur dort treffen neue Muslime auf ­Barrieren.
Innermuslimisch sind es gerade ethnisch geschlossene Formationen, die trotz sporadischer Übertritte in Mitgliedsmoscheen bisher kein sonderliches Interesse daran zeigten, dass die Menschen durch sie ihren Weg zur Tür des Islam finden. Viel offener sind hier vor allem übernationale Einrichtungen, Projekte, in denen Muslime der dritten Generation tonangebend sind, sowie einige sufische Tariqas, die eine sehr wichtige Rolle bei der Einladung zum Islam im Westen spielen. Anders als beispielsweise in den USA gibt es auch kaum Ansätze, neue Muslime zu sammeln und ihnen eine substanzielle islamische Bildung anzubieten, sodass sie nicht an Rattenfänger geraten. Und dieses Desinteresse verwundert durchaus, weil auf lokaler Ebene „Konvertiten“, insbesondere Frauen, bei unabhängigen Projekten und Einrichtungen eine sehr wichtige Rolle spielen. Die entsprechenden muslimischen Strukturen schneiden sich also ins eigene Fleisch, ihnen entgeht hier wichtiges Potenzial.
Und schließlich gibt es da noch eine kleine Personengruppe, die aus einem kruden Gemisch soziologischer Schlagworte, Ghetto­dünkel und abgefärbtem Ressentiment ein Problem mit „Konvertiten“ haben. Nicht, weil diese Muslime sind, sondern weil sie angeblich als „Weiße“ (einige auch noch als „Männer“) den „Migranten“ ihre kulturelle Identität wegnähmen. Das ist eine der negativen Folgen der multikulturellen Perspektive auf den Din, der so zum Bestandteil einer Nationalkultur gemacht wird.
Egal was die Motivation am Ende ist, eine negative Darstellung von „Konvertiten“ hat auch den – gewollten oder unbeabsichtigten – Zweck, viele Europäer daran zu hindern, den Din für sich entdecken zu können.

Am Islam scheiden sich die Geister: Zu den aktuellen Aussagen des AfD-Chefs Bernd Lücke

(iz). Die Parteienlandschaft in Deutschland wird von der 2013 gegründeten Alternative für Deutschland (AfD) derzeit aufgemischt. Nachdem sie den Einzug in den Bundestag nur knapp verpasste und sowohl in das Europaparlament gewählt wurde, als auch in den hessischen Landtag, schaffte sie nun aus dem Stand 9,7 Prozent Stimmenanteil bei der Landtagswahl in Sachsen. 
Keine Partei ist so umstritten wie die AfD. Sie gilt als „eurokritisch“, besteht in der öffentlichen Wahrnehmung größtenteils aus Akademikern und wird dem rechten politischen Spektrum zugeordnet. In Wahlkämpfen wiesen ihre Plakate eine überraschende Ähnlichkeit mit denen der NPD auf und auch in den Inhalten ließen sich so manch bekannte Thesen und Forderungen populistischer Art finden. Ist sie die bequeme rechte Partei?

Am Islam scheiden sich die Geister
Als der damalige Bundespräsident Christian Wulff den Islam als zugehörig zu Deutschland betitelte, hagelte es Kritik aus Politik und Medien. Besonders Unionspolitiker hielten die Wortwahl für unangebracht. Damit schuf Wulff den Höhepunkt der energisch geführten Islamdebatte, die mittlerweile zu einem Alltagsthema in Deutschland geworden ist. Am Islam scheiden sich die Geister. In diesem Kontext ist interessant, wie nun diese heiß diskutierte neue Partei zum Thema Muslime in Deutschland steht.

In einem Gespräch mit dem katholischen Nachrichtenmagazin „kath.net“ überraschte der AfD-Vorsitzende, Bernd Lucke, mit unerwartet klaren Standpunkten. Auf die Frage, ob Integration eine Bringschuld der Gesellschaft oder der Migranten sei, und ob Religionsfreiheit soweit gehen dürfe, dass Moscheen in Deutschland als repräsentative Prachtbauten errichtet werden, antwortete er: „Einwanderer sollten bereit sein, sich zu integrieren und dies auch aktiv anstreben. Die Gesellschaft sollte aber auch das ihre dafür tun, den Einwanderern die Integration zu erleichtern, insofern würde ich die Integration nicht gerne nur als entweder Bringschuld oder Holschuld verstehen wollen.“

Es sei völlig in Ordnung, ja sogar bereichernd, wenn Einwanderer ihre kulturellen, religiösen und sprachlichen Wurzeln pflegen, „solange sie die deutsche Kultur achten, die christliche Religion respektieren und die deutsche Sprache sprechen“. Repräsentative Prachtbauten gehörten sicherlich nicht zur Religionsfreiheit, aber sie könnten Ausdruck der Kultur, insbesondere der Architektur der Einwanderer sein. „Selbstverständlich dürfen Muslime hier Moscheen errichten und wenn sie das dürfen, warum sollen sie es nicht auch architektonisch anspruchsvoll und ästhetisch befriedigend tun?“

Er betonte jedoch auch, dass es verständlich sei, dass Moscheen nicht unbedingt im historischen Ortskern genehmigt würden. Für ihn spiele weniger die Frage eine Rolle, wie eine Moschee gebaut werde, sondern was in ihr gepredigt werden werde.

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Über die muslimische Realität Berlins und die wichtige Rolle der Frauen

(iz). Berlin ist ein Mikrokosmos, der in manchen Dingen nach seinen eigenen Regeln und unter sehr spezifischen Bedingungen existiert. Die Situation in dem einen oder anderen Kiez der Hauptstadt lässt […]

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Kommentar zum Tag der offenen Moschee (TOM) 2013

(iz). Na also, wir Muslime müssen nicht immer nur reagieren. Wir können auch – wenn wir gut organisiert sind – ein Thema offensiv besetzen. Am Tag der Offenen Moschee ging […]

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Mit seinem Buch „Neo-Moslems“ beschreibt Eren Güvercin das Bild einer neuen Generation. Von Sulaiman Wilms

(iz). Selten schalten sich Deutschlands Muslime hörbar in die Debatte um den Islam ein. Zu sehr sind unsere Repräsentanten durch reaktive, manchmal schwachbrüstige Rhetorik gekennzeichnet. Den wenigen relevanten Stimmen, die es gibt, wird – im Gegensatz zu Randfiguren – nur selten Gehör im Mehrheitsdiskurs geschenkt. Umso höher muss das in den ­nächsten Wochen erscheinende erste Buch des Journalisten Eren Güvercin, „Neo-Moslems: Porträt einer deutschen Generation“, bewertet werden. Es ist mit Sicherheit, zumindest von muslimischer Warte, der wichtigste Titel dieser Saison. In drei Kapiteln widmet sich junge Autor der Generation der „Neo-Moslem“, denkt darüber nach, wer bisher was über den Islam in Deutschland zu sagen hatte (und was das zu bedeuten hat) und führt in die Welt der „Neo-Moslems“ ein. Es ist gut, dass der ­Autor den renommierten Herder-Verlag und einen mutigen ­Lektor fand, der sich dieses wichtigen Textes über die Zukunfts­generation der deutschen Muslime angenommen hat.
Um aufgeregte Reflexe und Kurzschlüsse zu vermeiden, sei erklärt, dass der Autor – wie er im Gespräch mit der IZ mitteilte – mit seinen „Neo-Moslems“ keine neue religiöse Kategorie in die Debatte einführen will. Es geht ihm mit Sicherheit auch nicht um die Wiederbe­lebung des verstorbenen „Euro-Islams“. Seine „Neo-Moslems“ haben mit dem Rest der muslimischen Gemeinschaft die gleichen religiösen Grundlagen gemein. Man könnte auch meinen, dass sie ­näher an der Quelle sind als so mancher, der meint, im Namen des Islam sprechen zu müssen.
Auf 190, recht flotten Seiten beschreibt Güvercin eine Welt jenseits einer multimedialen Arena des professionellen Gewäschs oder der dumpfen Hinterhofwelt. Er begegnet muslimischen und nichtmuslimischen Köpfen, die etwas zu sagen haben. Dabei handelt es sich weder um ethnische Ghetto-Größen, die unver­dient „Respekt“ einfordern, noch um die berühmt-berüchtigten Prediger; die beide nichts zu den anstehenden Problemen unserer Zeit beizutragen haben. Die „Neo-Moslems“ sind – anders als der Titel manchen „Liberalen“ hoffen lässt – in einer nachvollziehbaren, aber spirituell vitalen Glaubenswelt verwurzelt.
Wer sind diese „Neo-Moslems“? Sie sind „die junge Generation der Muslime, die (…) sich eben nicht in die Ethnoecke drängen lassen“, beschreibt der Autor das Objekt seiner Reflexion. „Sie sehen sich in erster Linie als Deutsche, machen aber keinen Hehl daraus, Muslime zu sein.“ Vor allem aber seien sie keine „VIP-Migranten und Berufsmuslime“, die in der Islamdebatte mit einer rechtfertigenden Haltung aufträten.
Eren Güvercin beschreibt die neuen, deutschen Muslime – geborene Muslime und solche Menschen, die sich für den Islam entschieden haben – als Gegenent­wurf zur reaktiven Repräsentanz. Diese Muslime der neuen Generation „reagieren nicht, sondern agieren. (…) Sie sind einfach ein Bestandteil der deutschen ­Gesellschaft. (…) Sie provozieren in beide Richtungen“. Kurz gesagt, eine „Herausforderung“, wie der junge Autor sie beschreibt. Was unterscheidet sie von den üblichen Verdächtigen und trennt ihr Denken vom, immer wiedergekäuten Diskurs? „Sie diskutieren nicht über die Integration und den Islam in Deutschland, sondern machen sich Gedanken über die wirklich relevanten Fragen unserer Zeit, sei es die immer weiter fortschreitende Sozialerosion oder auch ganz aktuell die Auswirkungen der Finanzkrise auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie wenden sich gegen die politisch-korrekten Weichzeichner in den Mainstream-Medien. Die willkürliche Verwendung politischer Labels wie ‘liberal’ oder ‘konservativ’ wird nach ihnen der gesellschaftlichen Realität nicht gerecht.“
Man kann diese „Neo-Moslems“ aber nicht verstehen – zumindest in der Sicht ihres Biografen -, wenn man das Schicksal der „goldenen Generation“ außer Acht lässt. „Man kann sich gar nicht vorstellen, was es für ein Abenteuer für meinen Vater gewesen sein muss, als er in den 60er-Jahren aus seinem Dorf bei Gümüshane aus dem Nordosten der Türkei mit dem überfüllten Zug nach einer anstrengenden Reise in Deutschland ankam“, beschreibt Eren Güvercin diesen Schritt seines Vaters.
Diese „Aufbruchstimmung der ersten Generation“ spüre man immer noch, „wenn sie von dieser Zeit erzählen, von ihren ersten Erfahrungen in Deutschland“. Diese jungen Frauen und Männer ­waren sich nicht zu schade, auch die schwerste Arbeit zu verrichten. „Mein Vater erzählt mit glänzenden Augen von seinen ersten Jahren in Deutschland. Mit einigen Verwandten aus seinem Heimatdorf hat er oft 15 Stunden am Tag hart gearbeitet und in Containern oder Arbeiter­wohnheimen gelebt. Trotzdem erzählen alle mit Nostalgie über die harte, aber glückliche Zeit.“ Besonders die Mütter, „die immer noch oft als unmündige, uniforme Masse von Frauen dargestellt werden“, hätten eine immense Rolle mit ihrem großen Sprachschatz und ihrem hellwachen Geist gespielt.
Der Autor der Generation der „Neo-Moslems“ verweist im ersten Teil des Buches zurecht auf die Bedeutung der deutschen Muslime. Damit meint er aber ausdrücklich nicht „skurrile Konvertiten wie Pierre Vogel“, die durch ihre öffentlichen Aufritte das Bild vom muslimischen Deutschen prägen würden und der seine deutsche Identität abgelegt habe „und eine so genannte ‘islamische Identität’“ angenommen habe.
Für Güvercin spielen sie eine wichtige Rolle für die „Neo-Moslems“, deren Eltern aus der Türkei oder arabischen Welt als Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Sie würden von den Erfahrungen der deutschen Muslimen (denen der Autor das Kapitel „Deutsch-Deutsche Muslime widmet) profitieren, die sich im Laufe ihres Lebens für den Islam entschieden hätten. Oftmals seien sie eher in der Lage, kritisch über bestimmte unheilvolle Entwicklungen in der islamischen Welt zu reflektieren. Es ist für die muslimische Gemeinschaft in Deutschland sicherlich von Nutzen, würden diese – wie Eren Güvercin beschreibt – als Inspiration und Bereicherung wahrgenommen. Bisher sind sie – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht nennenswert in den Rängen des organisierten Islam vertreten.
„Deutsche Muslime revoltieren nicht etwa gegen unser deutsches Erbe, im Guten wie im Schlechten, sie ziehen einfach nur eine andere Quintessenz daraus“, zitiert der Auto den IZ-Herausgeber Abu Bakr Rieger. „Für deutsche Groß-Intellektuelle, die sich gerne gegen ‘Kopftuchmädchen’ und ‘Extremfälle aus dem Milieu’ positionieren, sind wir deutschen Muslime ernst zu nehmende Sparringspartner.“ Vielleicht sei das eben auch der Grund, spekuliert Eren Güvercin, „wieso Freidenker wie Rieger aus der öffentlichen Islamdebatte ausgeschlossen“ ­werden.
Neben dieser Gruppe bezieht sich der junge Autor auf eine „neue kulturelle Avantgarde“ als wichtige Inspira­tionsquelle für die „Neo-Moslems“. Obwohl Migranten lange Zeit ausschließlich als „Gastarbeiter“ angese­hen worden, „gibt es bereits seit drei Generationen Kulturschaffende unter ihnen“. Für den Autor ist dies – neben Künstlern wie Fatih Akin, Neco Celik oder Renan Demirkan – der ­Schriftsteller Feridun Zaimoglu. Zaimoglu, der sich seit Jahren mit relevanten (und deutlichen) Beiträgen an der Islamdebatte beteiligt, gebe vielen „durch seine Texte und Auftritte Selbstbewusstsein“.
Die „Neo-Moslems“ lassen den Leser bis zum Schluss nicht los. Am Ende entwickelt Güvercin die positiven Begriffe der „Gemeinschaft“ und der „Tugend“, die er (in Gesprächen und durch seine Reflexion) im Gegensatz zur (oft virtuellen) „Community“ beziehungsweise zu den „Werten“ sieht. „Die wirkliche, die lebendige Communio [die Gemeinschaft der Gläubigen] – in der Moschee etwas – werden von den diversen Communities unter Druck gesetzt, die ein sehr partielles Heil versprechen und jedem garantiert nicht böse sind, sobald er auf dem Markt der Möglichkeiten sich anders orientiert.“
Die Tugend ihrerseits werde „von den westlichen Wertegemeinschaftlern“ verdächtigt, weil sie immer mit der ­Religion zusammenhänge. „Und vor der haben die ratlosen Europäer eine Angst – deswegen ihre Flucht in die Werte (…).“
Eren Güvercin, Neo-Moslems: Porträt einer deutschen Generation, Herder Verlag, erscheint am 24. April, 200 Seiten, Taschenbuch, ISBN: 978-3451304712, Preis: 14,00 Euro

Debatte: Wie ist es um die muslimischen Jugendlichen in Deutschland bestellt? Kritiker widersprechen vorgestellten Ergebnissen. Von Sulaiman Wilms

“Wohlgemerkt lassen sich die Ergebnisse der Studie nicht auf alle Muslime in Deutschland hochrechnen – das betonen auch die Forscher nachdrücklich. Sie schreiben sogar: Man dürfe es nicht.” (DER SPIEGEL, 1. März 2012)

Berlin (iz). Nachdem andere, wichtigere Themen die öffentliche Aufmerksamkeit in Beschlag nahmen, hat das Thema “Islam” erneut Einzug gehalten. Dieses Mal richtet sich der Fokus auf muslimische Jugendliche. Während die Öffentlichkeit erst heute Mittag Zugang zu der Studie erhielt, konnten die “BILD” bereits früher darauf zurückgreifen. Sie leitete unter dem Titel “Innenminister warnt radikale Muslime” flugs einen neuen Aufmerksamkeitszyklus ein. Die anderen Medien zogen nach.

Es steht zu befürchten, dass auch diese Studie (wie die, die vor 1 1/2 Jahren von Familienministerin Schröder vorgestellt wurde) – ungeachtet der Intention ihrer AutorInnen – instrumentalisiert wird. Das dürfte auch daran liegen, dass die 764 Seiten lange Studie in den meisten Qualitätsredaktionen wohl kaum ganz gelesen werden wird.

Prof. Dr. Wolfgang Frindte von der Universität Jena schrieb eine Kurzzusammenfassung, die sich von der Panik-Überschrift der “BILD” abhebt. Prof. Frindte war, neben anderen Wissenschaftlern, an der Studie beteiligt, die zwischen Februar 2009 und Juni 2011 im Auftrag des Innenministerium (BMI) durchgeführt wurde und die nicht als repräsentativ deklariert wurde. Für ihre Ergebnisse führten die Forscher mehr als 700 Telefoninterviews, analysierten Internetforen, die von jungen Muslimen genutzt würden und werteten die Berichterstattung deutscher, türkischer und arabischer Sender aus.

Frindtes Zusammenfassung ergibt ein ambivalentes Bild und kann kaum als “Schock-Studie” bezeichnet werden. “In den Interviews mit muslimischen Familien (…) zeigte sich einerseits, dass sich die Interviewteilnehmer aller drei Generationen – unabhängig vom Grad ihrer Religiosität und der Integration in die deutsche Gesellschaft – deutlich vom islamistischen Terrorismus distanzieren. Andererseits nehmen die Interviewten den 'Westen' wegen seines Umgangs mit der islamischen Welt (…) überwiegend negativ wahr.”

//2//Die Befragten erlebten eine “Pauschalverurteilung der Muslime als Terroristen und eine zu vorschnelle Verknüpfung des Islams mit dem Terrorismus”. Dies werde besonders durch die Art der Berichterstattung in den Medien forciert. “Deutlich wurde in den Interviews der Wunsch, neben einer Integration in die deutsche Gesellschaft eine muslimische Identität leben und gestalten zu dürfen”, beschrieb Prof. Frindte seine Ergebnisse.

Es gibt, so die Schlussfolgerung des Jenaer Forschers, keine homogene muslimische Masse. “Dass es die eine Art von Muslimen in Deutschland nicht gibt, wurde auch in dieser zweiteilligen telefonischen Befragung deutlich. Die Mehrzahl der befragten deutschen und nichtdeutschen Muslime ist bestrebt, sich zu integrieren, d.h. sie wünschen sich, ihre traditionelle Herkunftskultur zu bewahren und gleichzeitig die deutsche Mehrheitskultur zu übernehmen.”

Ein Aspekt der BMI-Studie kann selbst Kritiker nicht überraschen: Bei Muslimen mit deutscher Staatsbürgerschaft ist die Befürwortung von Integration mit 78 Prozent deutlich höher als in der Vergleichsgruppe (hier nur 52 Prozent), die keine deutschen Staatsbürger sind. Viele deutsche Muslime müssen immer wieder die Erfahrung machen, dass in ethnisch homogenen muslimischen Gemeinschaften der Austausch und die Zustimmung zur Umwelt geringer ist als in Gemeinschaften, die ihren Fokus auf Deutschland haben.

“Sowohl in der Gruppe der deutschen Muslime als auch in der der nichtdeutschen Muslime lässt sich eine Subgruppe identifizieren, die als 'streng Religiöse mit starken Abneigungen gegenüber dem Westen, tendenzieller Gewaltakzeptanz und ohne Integrationstendenz' bezeichnet werden kann.” Dabei gebe es in dieser “Subgruppe” Unterschiede zwischen den deutschen Muslimen (15 Prozent) und den nichtdeutschen Muslimen (24 Prozent).

//3//“Dass sich eine große Zahl von Muslimen aufgrund des negativen Bildes 'der Deutschen' vom Islam und der als einseitig negativ empfundenen Medienberichterstattung über den Islam ausgegrenzt sieht und als Gruppe diskriminiert fühlt, konnte auch in diesem Projektteil bestätigt werden.” Diese Menschen, die sich in die deutsche Gesellschaft integrieren wollten, stünden vor der Herausforderung, trotz dieser wahrgenommenen ablehnenden Haltung der Deutschen ein positives soziales Selbstverständnis zum Beispiel als “Deutschtürken” oder „deutsche Muslime“ zu entwickeln und aufrechtzuerhalten. Soweit einige Elemente aus Prof. Dr. Wolfgang Frindtes Zusammenfassung.

Die Replik, die bisher das größte Gewicht für sich beanspruchen darf, kommt aus dem nordrhein-westfälischen Sozial- und Integrationsministerium. Dort wurde die BMI-Studie als “zweifelhafte Studie” bezeichnet. Minister Guntram Schneider reagierte kritisch auf die Ergebnisse: “Wir haben in NRW – und hier lebt immerhin ein Drittel der in Deutschland lebenden Muslime – ganz andere Ergebnisse erhalten. Aus unserer Studie 'Muslimisches Leben in NRW' aus dem Jahr 2011 geht hervor: Die große Mehrheit der Muslime ist bereit, sich zu integrieren.”

//4//Es sei fatal, dass Bundesinnenminister, “nun mit einer Studie ins Land ginge”, die zu gegensätzlichen Ergebnissen käme. Demnach würde unterstellt, dass “ein erheblicher Teil der jungen Muslime” Feinde der Demokratie seien. “Das Gegenteil ist der Fall”, verlautbarte Schneider in Dortmund. Zahlen aus NRW, für die 2.477 Muslime befragt worden seien, hätten das Folgende ergeben: “Gerade die jungen Muslime fühlen sich als Teil der deutschen Gesellschaft. Knapp 80 Prozent unterhalten häufige Kontakte zu Deutschen. Und je höher ihr Bildungsabschluss, desto mehr Kontakte zu Deutschen finden statt.”

Innenminister Friedrich mache alles andere als “eine angemessene Teilhabe an der Gesellschaft” zu ermöglichen. Er trage vielmehr dazu bei, junge Muslime zu stigmatisieren.

Im Übrigen widersprächen die Erkenntnisse dieser Studie den Daten der Vorläuferstudie „Muslimisches Leben in Deutschland“, die das BMI im Auftrag der Deutschen Islamkonferenz zuvor publiziert hatte. Auf deren Grundlage wurde die NRW-Studie erstellt. „Daher wird das nordrhein-westfälische Integrationsministerium die aktuelle Bundesstudie und ihre Methodik genau prüfen“, sagte Minister Schneider heute.