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Die Lage in Burma ist schon lange dramatisch. Von Abu Bakr Rieger

Die Regierung Burmas – in Person des zwielichtigen Präsidenten Thein Sein – hat im Juli nicht nur erneut ein sogenanntes Ausnahmerecht ausgerufen, sondern – wie der HRW Bericht zeigt – auch mit seinem militärischen Apparat aktiv zur weiteren Eskalation der Lage beigetragen.
(iz). „Die Regierung hätte es verhindern können.“: Unter dieser düsteren Überschrift behandelt ein Bericht der Organisation Human Rights Watch die jüngsten Vorkommnisse in Burma. Ende Mai hatten zunächst – nach Presseberichten – drei Muslime eine Vergewaltigung begangen. Nach der Verurteilung der Straftäter zum Tod töteten buddhistische Anwohner in einer willkürlichen Racheaktion 10 unbeteiligte Muslime. Das Muster von Gewalt und Gegengewalt, dass anschließend im Juni und Juli zwischen Muslimen und Buddhisten ausbrach, kann aber nicht von der grundsätzlichen Verantwortung der Regierung Burmas ablenken.
Nur wenig ist bisher über die Jahrzehnte der Verfolgung der armen Menschen bekannt. Auch der neue HRW-Bericht basiert nur auf der spärlichen Grundlage von 53 Interviews, spricht dabei von „nur“ 79 Toten nach den jüngsten Unruhen im Juli, während islamische Medien allein im letzten Monat von über tausend Opfern berichten. Auf YouTube gibt es zudem Vutzende Videos, die ausreichend Material für Untersuchungen über weitere Massaker hergeben dürften. Inzwischen fordert auch der UN-Repräsentant für die Region, Tomas Quintana, weitere unabhängige Untersuchungen über das eigentliche Ausmaß der Massaker.
Klar ist: Der asiatische Staat ist in diesem Konflikt Partei und nicht etwa neutraler Vermittler in einem regionalen Religionskonflikt. In Burma wurde 1982 hochoffiziell eine ganze Bevölkerungsgruppe entrechtet, ihre Bürgerrechte aberkannt und damit ein bis heute funktionierendes, „legales“ System der Apartheid errichtet. Die planmäßigen Aktionen des Staates gegen Muslime sind also nicht etwa neu. In den siebziger und neunziger Jahren wurden bereits hunderttausende Muslime auf brutale Weise vertrieben.
Die Regierung Burmas – in Person des zwielichtigen Präsidenten Thein Sein – hat im Juli nicht nur erneut ein sogenanntes Ausnahmerecht ausgerufen, sondern – wie der HRW Bericht zeigt – auch mit seinem militärischen Apparat aktiv zur weiteren Eskalation der Lage beigetragen. Am 12. Juli hatte Sein in einer skandalösen Rede sogar die weitere Verbringung der Muslime in Lager gefordert und ihre Ausreise verlangt. Für diese Ausfälle wurde der Präsident weder von den USA noch der EU kritisiert.
Es kann wenig Zweifel bestehen, dass es der Regierung um nichts anderes als der Vertreibung der Muslime aus dem rohstoffreichen Landesteil geht. Die Region ist für das Regime und seine Wirtschaftsinteressen strategisch überaus bedeutsam. An der Küste Arakans wurden milliardenschwere Gas-und Ölvorkommen gesichtet. In Sittwe soll ein neuer Tiefseehafen entstehen. Das Militärregime – nach westlicher Lesart auf dem (langen) Weg zu einer Demokratie – wandelt sich gerade mit Hilfe der Weltbank de facto in einen autoritären kapitalistischen Staat. Der faschistoide Umgang mit Minderheiten spielt bisher im Umgang mit dieser Regierung keine entscheidende Rolle.
Irritierend ist auch das Schweigen der buddhistischen Gelehrten zu der Verfolgung in Burma. Nach dem HRW-Bericht hatten sich buddhistische Mönche sogar aktiv an der diskriminierenden Propaganda gegen Muslime beteiligt. Eine Stellungnahme des Dalai Lama oder anderer Persönlichkeiten der Weltreligion sind bisher nicht bekannt. Das verbreitete Bild des Buddhismus als einer Religion der Friedfertigkeit leidet so unter den Bildern, die uns aus Burma erreichen.
Nicht einmal Aung San Suu Kyi, die weltbekannte Ikone der demokratischen Bewegung, die nun im Parlament sitzt, hat sich bisher klar zu den Ereignissen geäußert. Die EU hat im April die Lockerung ihrer Sanktionen gegen das Land beschlossen, die Fortschritte der Demokratisierung begrüßt, ohne aber gleichzeitig das Ende der systematischen Diskriminierung der Minderheiten zu fordern. Westliche Staaten fordern bisher auch nicht eine schnelle Aufklärung über die tatsächlichen Opferzahlen in den Massakern der letzten Wochen. In der islamischen Welt gilt diese Zurückhaltung als ein weiteres Beispiel für Inkonsequenz westlicher Menschenrechtspolitik.
Das Schicksal der „Rohingya“, der muslimischen Minderheit in dem Staat, nach Angaben der UN eine der „meistverfolgten“ Bevölkerungsgruppen der Welt, bestätigt so auf tragische Weise die viel diskutierte Analyse Giorgio Agambens. Der italienische Philosoph hatte in seinem Buch „Homo Sacer“ argumentiert, dass das Lager und das Hervorbringen des rechtlosen „nackten Lebens” nicht im Widerspruch zum Nomos der Moderne stehe.
Die Lage in Asien gibt diesen Thesen einige Nahrung. Im Süden Bangladeschs leben seit Jahrzehnten zehntausende Muslime aus der Region in Lagern, die „Orte ohne rechtliche Ordnung“ sind. Erschütternde Bilder aus der Region zeigen nun erneut Menschen, die als „Staatenlose“ keine Bürger mehr sind und sich mit kleinen Booten sogar auf das offene Meer flüchten müssen, allein um Tod und Verfolgung zu entgehen. Ihnen bleibt nur – wie es Agamben formuliert – das „nackte Leben“ zu retten.