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Mit dem Ende von Operation „Barkhane“ ändert Paris seine Sahel-Strategie

Toulon (dpa/iz). Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat den Anti-Terror-Einsatz „Barkhane“ in Mali offiziell für beendet erklärt, nachdem letzte französische Soldaten das westafrikanische Land im August verlassen haben.

Nach dem rund neunjährigen Einsatz wolle Frankreich sich weiter in der Sahelzone engagieren, dazu allerdings die Strategie ändern, kündigte Macron am 9. November im südfranzösischen Toulon an. Statt Einsätzen ohne zeitlichen Rahmen solle es befristete Missionen geben, die auf einer breiten Partnerschaft beruhten. Spannungen in Mali hatten zum Aus der „Barkhane“-Mission geführt.

„Unser Engagement in Afrika muss sich auf eine Logik der Zusammenarbeit und der Unterstützung der Armeen dort konzentrieren“, sagte Macron. „Wir werden in den nächsten Tagen eine Phase des Austauschs mit unseren afrikanischen Partnern und Verbündeten einleiten, um den Status und die Aufgaben der derzeitigen Stützpunkte in der Sahelzone und in Westafrika weiterzuentwickeln.“

Eine Strategie dazu solle binnen sechs Monaten vorliegen. Rund 3.000 französische Soldaten sind auch nach dem „Barkhane“-Aus weiter in Niger, Tschad und Burkina Faso stationiert.

In der Sahelzone, die sich südlich der Sahara vom Atlantik bis zum Roten Meer erstreckt, sind etliche bewaffnete Gruppen aktiv. Einige haben den Terrorgruppen Islamischer Staat (IS) oder Al-Qaida die Treue geschworen. In Mali laufen neben den Anti-Terror-Kampfeinsätzen auch der EU-Ausbildungseinsatz EUTM und der UN-Stabilisierungseinsatz Minusma.

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Afghanistan: Die Debatte um eine „Schuldfrage“ hat begonnen

Nach dem Absturz Afghanistans ins Chaos steht die Schuldfrage im Raum. Hat die internationale Gemeinschaft versagt? Oder waren die afghanischen Streitkräfte einfach nicht bereit zu kämpfen? Die Meinungen der Regierenden in Washington und Berlin gehen auseinander.

Washington (dpa/iz). Trotz der faktischen Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat US-Präsident Joe Biden seinen Entschluss zum Abzug der US-Truppen aus dem Land gegen wachsende Kritik verteidigt. „Ich stehe voll und ganz hinter meiner Entscheidung“, sagt Biden am Montag (Ortszeit) im Weißen Haus. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) räumten dagegen ein, die internationale Gemeinschaft habe die Lage in Afghanistan falsch eingeschätzt und ihre Ziele bei dem Einsatz nicht erreicht. Biden wiederum betonte, die jüngsten Entwicklungen hätten ihn in seiner Entscheidung nur bestärkt. Den Taliban drohte er zugleich mit Vergeltung, falls sie US-Kräfte oder -Ziele angreifen sollten.

Bei Handlungen, die amerikanisches Personal oder deren Mission gefährden würde, müssten die Taliban mit einer „raschen und starken“ militärischen Reaktion der USA rechnen, sagte Biden. „Wir werden unsere Leute mit vernichtender Gewalt verteidigen, falls nötig.“

Der US-Präsident erhob schwere Vorwürfe gegen die entmachtete politische Führung und die Streitkräfte des Landes. „Die politischen Anführer Afghanistans haben aufgegeben und sind aus dem Land geflohen“, sagte er. „Das afghanische Militär ist zusammengebrochen, manchmal ohne zu versuchen zu kämpfen.“ Die jüngsten Ereignisse hätten bekräftigt, dass die Abzugsentscheidung richtig sei. „Amerikanische Truppen können und sollten nicht in einem Krieg kämpfen und in einem Krieg sterben, den die afghanischen Streitkräfte nicht bereit sind, für sich selbst zu führen.“ Biden räumte aber ein, die USA hätten das Tempo des Taliban-Vormarsches unterschätzt: „Dies hat sich schneller entwickelt, als wir erwartet hatten.“

Die Taliban hatten in den vergangenen Wochen nach dem Abzug der ausländischen Truppen in rasantem Tempo praktisch alle Provinzhauptstädte in Afghanistan eingenommen – viele kampflos. Am Sonntag rückten sie schließlich in die Hauptstadt Kabul ein. Kämpfe gab es keine. Der blitzartige Vormarsch überraschte viele Beobachter, Experten und auch ausländische Regierungen.

Maas gestand ein, es gebe nichts zu beschönigen: „Wir alle – die Bundesregierung, die Nachrichtendienste, die internationale Gemeinschaft – wir haben die Lage falsch eingeschätzt.“ Merkel schloss sich ausdrücklich an. „Da haben wir eine falsche Einschätzung gehabt. Und das ist nicht eine falsche deutsche Einschätzung, sondern die ist weit verbreitet“, sagte sie. Jenseits der Bekämpfung des Terrorismus sei bei dem Einsatz auch alles „nicht so geglückt und nicht so geschafft worden, wie wir uns das vorgenommen haben“. Es seien „keine erfolgreichen Bemühungen“ gewesen, sagte sie mit Blick auf den Versuch, das Land zu Demokratie und Frieden zu führen und dort eine freie Gesellschaft zu entwickeln.

Auf dem Papier waren die Taliban den afghanischen Sicherheitskräften weit unterlegen. Rund 300.000 Kräfte bei Polizei und Armee standen Schätzungen zufolge rund 60.000 schlechter ausgerüsteten Taliban-Kämpfern gegenüber. Diese profitieren aber von ihrem brutalen Ruf, den sie während ihrer Herrschaft in den 90er-Jahren mit öffentlichen Exekutionen oder Auspeitschungen erlangt haben.

Damals hatten die Taliban mit teils barbarischen Strafen ihre Vorstellungen eines „islamischen“ Staates durchgesetzt: Frauen und Mädchen wurden systematisch unterdrückt, Künstler und Medien zensiert, Menschenrechtsverletzungen waren an der Tagesordnung. Befürchtet wird nun eine Rückkehr zu derart düsteren Zuständen.

Die Taliban hatten einst Al Qaida-Kämpfern und dem damaligen Chef der Terrororganisation, Osama bin Laden, Zuflucht gewährt. Die Anschläge der Terrorgruppe in den USA vom 11. September 2001 hatten dann den US-geführten Militäreinsatz in Afghanistan ausgelöst, mit dem die Taliban entmachtet wurden. Bin Laden selbst wurde im Mai 2011 bei einem Einsatz von US-Spezialkräften in Pakistan getötet.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warnte davor, dass Afghanistan wieder zu einem Zufluchtsort des Terrorismus werden könnte. Er kündigte eine Initiative mit den europäischen Partnern dagegen an. Großbritanniens Premierminister Boris Johnson kündigte nach einem Telefonat mit Macron an, in den kommenden Tagen auch im Kreis der G7 – einer Gruppe führender Industrienationen – über Afghanistan reden zu wollen. Auch Johnson hatte zuvor gemahnt, das Land dürfe nicht wieder zur Brutstätte von Terrorismus werden.

Biden hielt dagegen, das ursprüngliche Ziel des US-Einsatzes in Afghanistan, das Ausmerzen der Terrorgruppe Al-Qaida nach den Anschlägen vom 11. September 2001, sei erreicht. Auch bin Laden sei getötet worden. Die USA könnten islamistische Terrorgruppen wie Al-Qaida auch ohne eine permanente Militärpräsenz in dem Zielland effektiv bekämpfen – das US-Militär zeige dies in anderen Ländern wie Somalia oder Jemen. Der US-Präsident betonte außerdem, es sei nie Ziel des Einsatzes gewesen, dort eine geeinte Demokratie zu schaffen.

Die USA, Deutschland und andere westliche Staaten begannen derweil, in großer Eile ihre Bürger und gefährdete afghanische Ortskräfte aus Afghanistan auszufliegen. Die USA schickten mehrere Tausend Soldaten nach Kabul, um die Evakuierungsaktionen zu sichern. Das US-Militär ist dort nach eigenen Angaben inzwischen mit rund 2500 Soldaten im Einsatz. In einigen Tagen sollen es laut Pentagon bis zu 6000 werden.

Am Flughafen in Kabul spielten sich dramatische Szenen ab. Hunderte oder vielleicht auch Tausende verzweifelte Menschen versuchten, auf Flüge zu kommen, wie Videos in Online-Medien zeigten. Für Entsetzen sorgten Aufnahmen, die zeigen sollen, wie Menschen aus großer Höhe aus einem Militärflugzeug fallen. Es wurde gemutmaßt, dass sie sich im Fahrwerk versteckt hatten oder sich festhielten. Diese Angaben konnten zunächst nicht unabhängig verifiziert werden.

Unter schwierigen Bedingungen angesichts der chaotischen Zustände begann das erste Bundeswehrflugzeug den Evakuierungseinsatz am Flughafen Kabul. Nach stundenlanger Verzögerung und Warteschleifen landete die Maschine vom Typ A400M dort in der Nacht zu Dienstag, setzte Fallschirmjäger ab, die die Rettungsaktion absichern sollen, nahm auszufliegende Menschen an Bord und startete schnell wieder.

Das Chaos in Afghanistan hat international Entsetzen ausgelöst und Biden wegen seiner Abzugsentscheidung unter Druck gebracht. Er hatte im Frühjahr angekündigt, dass die damals noch rund 2500 verbliebenen US-Soldaten Afghanistan bis zum 20. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 verlassen sollten. Zuletzt wurde das Abzugsdatum auf Ende August vorgezogen. Angesichts des Rückzugs der US-Truppen holten auch die anderen Nato-Partner ihre Soldaten nach Hause.

Die Regierung von Bidens Amtsvorgänger Donald Trump hatte den Abzug eingeleitet. Biden entschied sich nach seinem Amtsantritt dafür, davon nicht abzurücken, sondern nur den Zeitplan zu ändern. Damit setzte er sich über Warnungen von Experten hinweg, die desaströse Folgen eines bedingungslosen Abzugs vorausgesagt hatten

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Muslime während des 2. Weltkriegs: Während der Nazizeit halfen auch Muslime vielen Verfolgten

(IZ/Missing Pages). Vor einiger Zeit äußerte sich der bekannte US-amerikanische Rabbiner Shmuley Boteach gegenüber Al Jazeera über das heutige Missverständnis, wonach Muslime und Juden Gegner seien. „Die jüdische Gemeinschaft steht in der Schuld der muslimischen Gemeinschaft. Als die Juden aus Spanien und aus Portugal vertrieben wurden, waren es die Muslime, die uns aufnahmen. (…) Es gab ­keinen Holocaust in den muslimischen Ländern“, beschrieb Rabbi Boteach eine viel älte­re Tradition als die, die heute im Nahen Osten die Norm zu sein scheint. Autoren wie Gil Andjar, mehrere jüdische Historiker oder Rabbi Shmuley Boteach erinnerten zu Recht an eine historische Wirklichkeit, die heute ver­gessen worden zu sein scheint.

Die Tragödie(n) des 20. Jahrhunderts änderte(n) nichts daran. Mit dem Gründungsakt der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem 1953 wurden Regeln bestimmt, dessen Kriterien Personen, die Verfolgten halfen, ­erfül­len müssen, um als „Gerechte unter den Völkern“ bezeichnet zu werden. Dies beinhaltet, dass sie ihr Leben riskierten, um Betroffene zu schützen. Dazu zählen Muslime aus Alba­nien, Kosovo, Bosnien und ein türkischer Diplomat. Über diese Gruppe heißt es in einem Dokument von Yad Vashem: „Angesichts der Rolle, die der christliche Antisemitismus für die Haltung gegenüber Juden während des Holocausts spielte, könnte eine Untersuchung der Taten der muslimischen Retter (…) eine neue Dimension hinzufügen.“

Gavra Mandil, ein israelischer Fotograf, der 1948 mit seiner Familie aus Jugoslawien einwanderte, schrieb in seinem Antrag an die Ge­denkstätte: „Die Albaner sind einfache Leute, aber sehr freundlich, warmherzig und menschlich. (…) sie messen dem ­menschlichen Leben den höchsten Wert bei (…). In diesen dunklen Tagen, als das jüdische Leben in Europa nichts galt, beschützten Albaner die Juden mit Liebe, Engagement und unter großen Opfern.“

Der US-Autor Rob Satloff veröffentlichte ein Buch über muslimische Reaktionen auf anti-jüdische Diskriminierung in Nordafrika. In „Among the Righteous“ spricht er über die zahlenmäßig minoritäre, aber einflussreiche Gruppe von Arabern in Nordafrika, die jüdi­sche Landsleute rettete. „Bei meinen Recherchen stieß ich auf Berichte über Araber, die Juden in ihren Häusern willkommenhießen, deren Eigentum schützten (…), mit Juden ihre mageren Rationen teilten und Führer der jüdischen Gemeinschaft vor Razzien der SS warnten. Der Sultan von Marokko und der Bey von Tunis gaben ihren jüdischen Untertanen moralische Unterstützung und – zu gewissen Zeiten – praktische Hilfe. (…) Ich fand auch erstaunliche Berichte über Rettungen. Inmitten der Schlacht im Zaghoun-Tal [zwischen dt. und alliierten Truppen, westl. von Tunis] (…) klopften internierte Juden aus einem Arbeitslager der Achsenmächte an die Tür eines Bauern namens Si Ali ­Sakkat. Dieser versteckte sie mutig bis zur Befreiung durch die Alliierten.“

Im Gegensatz zu Nordafrika – nur ein Neben­schauplatz des Weltkriegs – standen westeuropäische Staaten wie Frankreich, die ­während des Krieges ganz oder teilweise besetzt waren, wesentlich stärker im Fokus des Vernichtungswillens der Nazis. In einigen dieser Länder fand Hitler-Deutschland willige Helfer unter den lokalen Eliten. In Frankreich war dies das Vichy-Regime, das die Kontrolle über den südlichen Teil des Landes sowie über Kolonien in Nordafrika oder in der Levante (Syrien und Libanon) beibehielt. Im Gegensatz zu Kollaborateuren wie dem Ex-General Petain war die Große Moschee von Paris, die 1927 zur Erinnerung der muslimischen Soldaten gebaut wurde, die für Frankreich im 1. Weltkrieg kämpften und starben, auch ein Ort der Zuflucht für unterschiedliche Verfolgte. Ihr damaliger Direktor, Si Kaddour Benghabrit, nutzte die Moschee als Versteck, und stattete jede Person mit einer falschen Bescheinigung für eine muslimische Identität aus. Albert Assouline, ein nordafrikanischer Jude, der aus einem deutschen Arbeitslager fliehen konnte, schrieb über seine Erfahrung in der Moschee: „Nicht weniger als 1.732 Resistance-Kämpfer fanden Unterschlupf in ihren unterirdischen Räumlichkeiten. Darunter waren muslimische Flüchtlinge, aber auch Christen und Juden. Die letztere Gruppe war bei weitem die größte.“ Die Berichte unterscheiden sich in der Zahl der Geretteten, und doch bleibt die Moschee ein herausragendes Beispiel der menschlichen Solidarität.

Vergessen werden dürfen auch nicht die republikanischen Nachfolger des osmanischen Kernlandes. Während der Nazizeit fanden nicht nur jüdische Emigranten wie Ernst Reuter, der spätere Regierende Bürgermeister Westberlins, hier Sicherheit. Türkische Konsuln in Griechenland organisierten Boote, um Juden in der Türkei in Sicherheit zu bringen. Grenzwächter erlaubten Flüchtlingen den Grenzübertritt, auch wenn sie keine gültigen Papiere hatte. Namentlich erwähnenswert ist beispielsweise Selahettin Ülkümen (1989 als „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet). Der Konsul auf der Insel ­Rhodos intervenierte 1943, nachdem die Wehrmacht dort die Kontrolle übernahm. Gefahr für sich und seine Familie in Kauf nehmend (seine Frau starb später an den Folgen eines Bombenanschlags), hinderte Ülkümen die deutschen Besatzer daran, Juden auf der Insel, die die türkische Staatsbürgerschaft besaßen, zu deportieren. Der Konsul knüpfte an die jahrhundertealte Tradition der Osmanen an, den verfolgten Juden Europas Schutz zu gewähren.

Muslime in Deutschland und Frankreich reagieren mit einhelliger Abscheu und Ablehnung auf den Pariser Anschlag

„Der schreckliche Anschlag von Paris hat uns alle erschüttert. Dieses abscheuliche Verbrechen ist durch nichts zu rechtfertigen. Unser Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen der Opfer, den Beteiligten und dem französischen Volk.“ (Ali Kizilkaya)

Paris/Berlin (KNA/iz) Nach dem blutigen Terroranschlag auf das französische Magazin „Charlie Hebdo“ haben Islamvertreter zu Demonstrationen gegen den Terrorismus aufgerufen. Bei einem Krisentreffen zahlreicher Islam-Organisationen am Donnerstag in der großen Moschee von Paris forderten sie alle Muslime Frankreichs auf, beim Freitagsgebet eine Schweigeminute für die Opfer des Terroranschlags abzuhalten. Einer der vier französischen Islamgelehrten, die am Mittwoch zu einer interreligiösen Begegnung mit dem Papst nach Rom gereist waren, rief seine Glaubensbrüder in Frankreich zu Massendemonstrationen auf.

Die unter Federführung des französischen Islamrats CFCM stattfindende Versammlung in Paris erklärte, alle Muslime Frankreichs sollten sich der für Samstag angesetzten nationalen Friedensdemonstration anschließen. Dabei sollten sie ihren Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben und nach Respekt für die Werte des Landes zum Ausdruck bringen.

Mohammed Moussaoui, Vorsitzender der Vereinigungen der Moscheen Frankreichs, betonte laut der französischen Zeitschrift „La Vie“ in Rom, die Ereignisse von Paris verstärkten die Notwendigkeit des Dialogs zwischen den Religionen. Den Terroristen warf er vor, den Islam für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.

Trotz mehrfacher Aufrufe von Politikern und Religionsvertretern, Ruhe zu bewahren und keine Racheakte zu verüben, wurden in Frankreich in der Nacht zum Donnerstag mehrere muslimische Einrichtungen angegriffen. Medienberichten zufolge setzte ein Unbekannter am Mittwochabend im südfranzösischen Port-la-Nouvelle mit einer Schrotflinte in einem muslimischen Gebetsraum mehrere Schüsse ab. Da das Gebet bereits beendet und der Saal leer war, wurde niemand verletzt.

Muslime in Deutschland drückten Hinterbliebenen ihr Beileid aus
Binnen 24 Stunden nach dem Anschlag haben die meisten größeren und viele mittlere muslimische Vereinigungen eindeutig auf die Morde in Frankreich reagiert. In einer Pressemitteilung vom Mittwoch, den 7.1.2015, verurteile der amtierende Sprecher des Koordinationsrates der Muslime (KRM), Erol Pürlü vom Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ), den „feigen Anschlag“ im Namen seines Gremiums. „Terror hat keinen Platz in irgendeiner Religion. Wir verurteilen diesen feigen Akt auf das Schärfste. Unser Beileid und tiefstes Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen.“

Auch die einzelnen KRM-Mitglieder gingen am gleichen Tag beziehungsweise am 8.1.2015 an die Öffentlichkeit. Ali Kizilkaya vom Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland zeigte sich „erschüttert“. Dieses abscheuliche Verbrechen ist durch nichts zu rechtfertigen. Unser Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen der Opfer, den Beteiligten und dem französischen Volk.“ Mit diesem grausamen Akt hätten die Attentäter den Propheten Muhammed und die Religion des Islams verhöhnt und beleidigt.

Der deutsche Moscheen-Dachverband Ditib zeigte sich indes besorgt über eine erhöhte Gefahr für islamische Einrichtungen in Deutschland. Man müsse „damit rechnen, dass Neonazis, Pegida-Aktivisten und Islamhasser diesen schrecklichen Terrorakt zum Anlass nehmen, ihre Angriffe zu vermehren“, sagte der Bundesvorstandssprecher der türkisch-islamischen Organisation, Bekir Alboga, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Vom größten Islamratsmitgliedsverband, der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, meldete sich deren Generalsekretär, Mustafa Yeneroğlu, in einer Erklärung zu Wort. Das Ziel solcher Gewalttaten sei ungeachtet deren Quelle „die Zerstörung des gesellschaftlichen Friedens“. Daher sei es wichtig, „dass wir geschlossen auf diese schockierende Tat reagieren, damit die Angreifer ihr Ziel nicht erreichen können“. Dass seine Befürchtungen nicht unbegründet seien, zeigten drei Übergriffe gegen muslimische Einrichtungen in Frankreich seit gestern.

Noch am gleichen Tag verurteilte der Zentralrat der Muslime die Anschläge in Paris. „Es gibt in keiner Religion und keiner Weltanschauung auch nur einen Bruchteil einer Rechtfertigung für solche Taten. Dies ist ein feindlicher und menschenverachtender Akt gegen unsere freie Gesellschaft. Durch diese Tat wurde nicht unser Prophet gerächt, sondern unser Glaube wurde verraten und unsere muslimischen Prinzipien in den Dreck gezogen.“ Es stehe zu befürchten, dass der Anschlag „neues Wasser auf den Mühlen von Extremisten jeglicher Couleur“ sein werde. „Wir rufen alle dazu auf, dem perfiden Plan der Extremisten nicht auf dem Leim zu gehen, die die Gesellschaft spalten.“

Der Kölner Journalist Eren Güvercin zeigt sich schockiert von der Perversität des Anschlags. Für ihn ist es nun umso wichtiger, dass die muslimische Gemeinschaft die Gefahr modernistischer Sekten erkennt und die Frage nach islamischen Inhalten aufarbeitet. Der Münchener Imam Benjamin Idriz verurteilt das Verbrechen scharf und erinnerte an das prophetische Vorbild des Vergebens. Wenn auch mahnte er zum Respekt vor den Gefühlen der Gläubigen aller Religionen. Er stellt fest, dass die Täter weder zu Europa, noch zum Islam gehören.

Über Facebook, Twitter und Instagram initiierte die Islamische Zeitung den Hashtag #VerteidigeDenPropheten, um einem Missbrauch des Propheten Muhammed durch Hass und Gewalt entgegenzuwirken.

Eine IZ-Leserin begrüßte auf Facebook die Haltung der IZ-Redaktion zu den Pariser Vorgängen: „(…) das lässt immer noch hoffen, dass der Nährboden des Extremismus versalzen werden kann, wenn wir mit Vernunft und Besonnenheit auf Eskalationsversuche verirrter Irrer reagieren.“ „Diese Idioten“, beklagte eine Leserin die Taten, „werden jetzt wieder Millionen friedliche Moslems mit tatkräftiger Unterstützung der Medien in den Schmutz ziehen.(…) Hoffe, dass die Vernunft siegt“.

Die IZ-Redaktion wird das Thema im Rahmen ihrer online- und Druckausgabe weiter begleiten. Alle Leser- und AutorInnen sind eingeladen, sich mich konstruktiven Beiträgen und Leserbriefen zu beteiligen. (sw & ak)



Frankreichs Nationalversammlung für Anerkennung Palästinas

Jetzt stimmen auch Frankreichs Parlamentarier für die Anerkennung eines Staates Palästina. Das zwingt die Regierung aber nicht, dem zu folgen. Sie setzt zunächst noch auf eine baldige Verhandlungslösung.

Paris (dpa). Die französische Nationalversammlung hat für eine Anerkennung eines Staates Palästina neben Israel gestimmt. Mit 339 gegen 151 Stimmen riefen die Abgeordneten die linke Regierung auf, diesem politischen Schritt zu folgen.

Die Entscheidung der Kammer ist nur symbolisch und für die Regierung unter Staatspräsident François Hollande nicht bindend. Der Entschließungsantrag dazu war von der Parlamentsmehrheit der Sozialisten eingebracht worden. Sie setzte die Resolution auch gegen den Widerstand des konservativen Lagers durch.

Frankreich will Palästina nach den Worten von Außenminister Laurent Fabius dann als Staat anerkennen, wenn es nicht in naher Zukunft eine Verhandlungslösung im Nahostkonflikt gibt. Paris unterstütze Pläne der Vereinten Nationen für einen weiteren Verhandlungsspielraum von zwei Jahren, hatte er während einer Debatte der Nationalversammlung gesagt: „Wenn diese Anstrengungen scheitern, und wenn dieser letzte Versuch für eine Verhandlungslösung keinen Erfolg hat, dann wird Frankreich seine Verantwortung mit der unverzüglichen Anerkennung des Staates Palästina wahrnehmen“. Fabius fügte hinzu: „Wir sind bereit.“

Befürworter erhoffen sich von der Anerkennung einen Beitrag zur Lösung des Nahostkonflikts. Der sozialistische Fraktionschef Bruno Le Roux hatte es unakzeptabel genannt, dass der Weg zum Frieden zwischen Israelis und Palästinensern täglich schmaler werde: „Palästinensische und israelische Politiker müssen ihre Verantwortung übernehmen.“ Über die Palästina-Resolution soll am 11. Dezember der Senat abstimmen.

Bisher haben weltweit 135 Länder Palästina als souveränen Staat anerkannt. Die Parlamente in London und Madrid votierten ebenfalls für einen Staat Palästina; auch dort ist dies keine Verpflichtung für die Regierungen. Die meisten westlichen Länder vertreten wie die USA oder Deutschland die Auffassung, dass ein palästinensischer Staat erst nach einer Friedenslösung anerkannt werden sollte.

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Muslime während des 2. Weltkriegs: Während der Nazizeit halfen auch sie vielen Verfolgten

(IZ/Missing Pages). Vor einiger Zeit äußerte sich der bekannte US-amerikanische Rabbiner Shmuley Boteach gegenüber Al Jazeera über das heutige Missverständnis, wonach Muslime und Juden Gegner seien. „Die jüdische Gemeinschaft steht […]

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Kommentar von Martin Zabel zur französischen Intervention in Mali

Berlin (iz). Es ist schon paradox und an Tragik kaum zu übertreffen – französische Armeeeinheiten befreien eine Stadt, die allgemein hin als eine der wichtigsten Stätten muslimischer Gelehrsamkeit gilt. Und […]

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Die Lage ist schwierig und entzieht sich dem Schwarz-Weiß-Denken. Von Abu Bakr Rieger

(iz). Es ist der Beginn einer literarischen Karriere. Schiller schreibt die „Räuber“ und kehrt dabei geläufige moralische Bilder um. Die Guten sind auch böse, die Bösen auch gut. Die Lehre aus dem Meisterwerk, das in seiner Zeit einen Skandal auslöst, fällt mit dem Beginn einer neuen Epoche zusammen. Sie entzieht sich dem alten Schwarzweiß-Denken und öffnet neue, größere Entscheidungsräume. Es wird schwerer, sich eindeutig auf der Weltbühne zu positionieren. In jedem Moment offenbart sich eine neue Wirklichkeit, die man immer neu und mit höheren Maßstäben beurteilen muss; fixe Ideologie und feste Parteiungen trüben dagegen eher den Blick. Schiller schult auf seiner Bühne den Blick auf das Geschehen, ohne schnelle und eindeutige Lösungen der absoluten Wahrheitsfindung anbieten zu können.

Der Konflikt in Mali, der heute unsere Aufmerksamkeit beansprucht, entzieht sich ebenfalls einer einfachen Einordnung. Die Schwierigkeiten der Sichtung beginnen schon bei den aktiven Konfliktparteien: sind es Staaten oder Unternehmen, Muslime, Terroristen oder Nationalisten? Wer wird von wem benutzt? Die Räuber sind eine bunte Truppe geworden, deren Uniformen, soweit sie welche tragen, im Wüstenstaub Malis nur schwer zu erkennen sind. Auf Seiten der Rebellen kämpfen Tuareg-Nationalisten, einige salafitisch angehauchte Gruppen, Kriminelle und vermutlich auch der eine oder andere „Agent provocateur“. Natürlich darf man auch spekulieren, wer den Rebellen die üppige Ausrüstung zur Verfügung gestellt hat.

Was wissen wir wirklich? Seit 1961 hat Frankreich dutzende Male in Afrika interveniert. Dabei ging es zweifellos um den Schutz dubioser Diktatoren, um Rohstoffe und um imperiale Ziele. In diesen Staaten bildeten sich diverse, teilweise bewaffnete Gegenbewegungen, die mit nationalistischen, islamischen oder kommerziellen Motiven gegen die Herrschaft mobil machte. Mangels entsprechender Ausbildung und Bildung überhaupt, vermischten sich auch die genannten Motivationen der Gegner der offiziellen Staaten, zu einem undurchsichtigen und zugleich explosiven Gemisch.

Es ist beinahe eine Binsenweisheit: In Afrika sind nicht nur Staaten am Ball. Es geht hier weniger um die klassische Verteidigung von Grenzen als um die Sicherung von „Claims“. Viele Konzerne aus der Rohstoffbranche unterhalten Söldner und eigene private Sicherheitsstrukturen. Bis zum heutigen Tag sind „marodierende“ Unternehmen, wie sie Arundhati Roy nennt, an zahlreichen Konflikten in Afrika beteiligt. Es ist kein Geheimnis, dass große Teile der französischen Uranversorgung aus dem Niger, dem Nachbarland Malis, kommen. Wer die Bedeutung der Atomenergie für Frankreich kennt, dem ist klar, dass ein europafeindliches Regime in Mali und die Destabilisierung einer ganzen Region kaum im Interesse der „Grande Nation“ sein dürfte.

Kriege werden also längst nicht mehr nur im geopolitischen Interesse von Staaten geführt, sondern sie werden auch zum Vorteil von börsennotierten Unternehmungen organisiert. Das sind die alten Sensationen aus Afrika, die, ob es gefällt oder nicht, aus der Realität des Kontinents nicht wegzudenken sind. Längst gefährden die ökonomischen Interessen der USA, Europas und Chinas den Frieden und den bescheidenen Fortschritt des ganzen Kontinents.

Der Kampf in Mali mag nun der Einfachheit halber ebenfalls in die Kategorie der Rohstoffkriege abgelegt werden, wäre da nicht das Phänomen, das eine souveräne Position hin und wieder auszeichnet: das Erkennen von Ausnahmen.

Die Horden – so genannter – „Islamisten“ in der Region sind tatsächlich nicht nur ein lokales Ärgernis, das eventuell die französische Energieversorgung gefährden könnte, sondern sie stellen auch aus anderen Gründen eine schwerwiegende Gefahr dar. Die Frage ist nur: eine Gefahr für was oder wen?

Markus Kaim von der Berliner Stiftung und Wissenschaft hält in einer Analyse des westlichen  „Konfliktmanagements“ (was für ein Begriff!) den Ball zunächst eher flach: eine Bedrohung Europas und Deutschlands durch Terroristen aus Mali sei eher unwahrscheinlich. Das mögliche Engagement der Bundeswehr, so der anerkannte Berliner Think Tank, sei in dem Konflikt militärisch kaum von großer Bedeutung. Aber, so die Analyse weiter, Europa müsse auf Dauer mehr Engagement im weiteren Mittelmeerraum zeigen, da sich die USA nicht weiter in militärische Auseinandersetzungen am Boden beteiligen wolle. Der deutsche Verteidigungsminister de Maiziere bereitet schon länger die deutsche Öffentlichkeit auf neue Auslandseinsätze vor. Der Minister ist der Überzeugung, dass es für Deutschland schwieriger werden wird, sich aus dieser Art Konflikte, zumal in der Nähe der Außengrenzen der Europäischen Union, auf Dauer herauszuhalten.

Aber, die Eroberung, oder wohl eher nur die Destabilisierung einer Region in Afrika durch eine radikale Extremistengruppe ist natürlich auch für Berlin ein Problem, ein Ärgernis eben, dass aber nicht nur die Sicherheitsinteressen Europas, sondern durchaus auch die Interessen der Muslime in aller Welt betrifft. Wieder einmal könnte die absolute Mehrheit der Muslime, hilflos dem Treiben einer Kleingruppe, die im Namen des Islam handelt, ausgesetzt sein. Der traditionelle Islam befindet sich schon in großen Teilen Afrikas in Bedrängnis. In Mali schaffen zudem zahlreiche sektiererische Gruppen eine schwer überschaubare Lage. Sie sind auch in Drogenhandel und Menschenhandel verstrickt und könnten das Land auf Dauer unregierbar machen. Auf qantara.de spricht der Führer von Ansar Dine (nicht zu verwechseln mit einer ähnlich benannten Terrorgruppe), Ousmane Haidara, einer sufischen Gruppierung mit immerhin 2 Millionen Mitgliedern in Mali, Klartext: „In Mali geht es nicht um die Scharia, sondern um Banditentum“.

Neben der realen Möglichkeit der Entstehung eines Rückzugsgebietes für Terroristen, bringt die (angebliche) Anwendung des islamischen Rechts, durch ungebildete Horden in der Region, vor den Augen der Weltöffentlichkeit, wunderbare Assoziationsmöglichkeiten für all diejenigen, denen es in Wirklichkeit darum geht, den Islam zu schädigen. Begriffe und Schlagworte wie „Scharia“ oder „islamischer Terrorismus“ stehen bei bestimmten Medien wieder hoch im Kurs. Natürlich sind einige tausend Rebellen und ihre dubiosen Gruppierungen mitsamt ihrer zynischen Glaubensausübung im Weltmaßstab von über einer Milliarde Muslime völlig isoliert.

Die ignoranten Zerstörungen in Timbuktu, einem Welterbe islamischer Kultur, sprachen bereits Bände über den verwirrten ideologischen Kern der Bewegung. Die Rebellen sollen unter Anderem die Bibliothek der berühmten Stadt beschädigt und zahlreiche Bücher, statt sie zu studieren, verbrannt haben. Die Generalsekretärin der UNESCO hatte sich bereits letzten Jahres zu Recht über diese Taten öffentlich empört.

Für muslimische Beobachter ist aber völlig klar: Wer die isoliert agierenden Rebellen und Gruppen in den Rang einer „offiziellen“ muslimischen Bewegung befördern will, dem geht es in Wirklichkeit um eine Kampagne gegen den Islam.  Durchsichtig sind zum Beispiel die Versuche der rechtsextremen Front National in Frankreich, zu behaupten, die Rebellen würden von den Golfemiraten finanziell unterstützt. Hier bastelt die europäische Rechte am Mythos reicher Araber, die den Untergang französischer Soldaten befördern wollen. Für die französischen Rassisten passt das perfekt in ihre Agitation gegen die in Frankreich lebenden Afrikaner aus der Sahelzone.

Wer ein wenig nachdenkt und über ein bisschen Geschichtsverständnis verfügt, wird diese Kampagnen schnell durchschauen. Über Jahrhunderte waren islamische Gelehrte in Afrika nicht nur durch eine umfassende Bildung, sondern auch durch Nachsicht, Vorsicht und Rücksicht gekennzeichnet. In Afrika stammte kein  unerheblicher Teil ihres Wissens aus der berühmten Bibliothek in Timbuktu. Sie verkörperten – charakterlich ausgezeichnet – als ehrwürdige Persönlichkeiten das Recht. Die radikale Umsetzung einer lebensfernen, ideologischen Systematik war ihnen so fern, wie die tägliche Reflexion über das tiefere Wesen der Gerechtigkeit ihnen nah war. Besonders widerlich sind insofern die Fälle der Anwendung von „Hudud-Strafen“ durch Schnellgerichte der Rebellen in dem Land.  Die verzweifelten Armen Afrikas sind in dieser Zeit weder das Problem, noch können sie – ohne in den Zynismus zu verfallen – ernsthaft Gegenstand von irgendeiner strafrechtlichen Maßnahme sein.

Was tun also in Mali? Natürlich könnte man die ganze Region einfach ihrem Schicksal überlassen, nur, wäre dies die Lösung? Wer kann, außer den Franzosen, dem schauerlichen Treiben dieser Gruppen Einhalt gebieten? Soll man sie einfach gewähren lassen, mit welchen Folgen? Man muss – auch als Muslim – also vorsichtig sein mit einer vorschnellen Verurteilung der Franzosen; wenn auch mit einem wachsamen Auge, das beurteilt, ob die Militärführung im Umgang mit der muslimischen Zivilbevölkerung die nötige Vernunft walten lässt. Durch die Einbeziehung der Tuareg in Friedensgespräche könnte Frankreich zudem klarstellen, dass es der Militärführung nicht nur um die Sicherung von Rohstoffen und die Etablierung einer „Marionettenregierung“ geht. Es ist sicher auch kein Nachteil, wenn verantwortliche Kommandeure der Bundeswehr die Lage beobachten und insbesondere ein Auge auf die brutalen, offiziellen malischen Regierungstruppen werfen. Ein Überlassen der Angelegenheit an die afrikanischen Truppen der Nachbarländer wäre – wie die neuerlichen Übergriffe der offiziellen Truppen Malis wieder einmal zeigen – wahrscheinlich zum größeren Nachteil der Zivilbevölkerung und nur eine weitere Einladung zur Barbarei.

In Frankreich nutzen interessierte Dritte den Konflikt in Mali aus

Paris (iz). Manchmal ist es mit Staaten wie mit Privatleuten: Wer viel Geld hat, unterliegt oft einem gewissen Neid und wird auch gerne mit nachteiligen Gerüchten überzogen. Katar geht es zur Zeit ähnlich. Das erdgasreiche Emirat liegt auf einer Halbinsel am Persischen Golf und verfügt über die größten Erdgasvorkommen der Welt. Der Wüstenstaat boomt, lockt sportliche Großereignisse an und investiert in die Wirtschaft – daheim und in aller Welt. Katar ist auch ein islamisches Land, nicht nur mit dem wichtigsten Fernsehkanal der muslimischen Welt ausgestattet, sondern auch aktiv mit diversen Stiftungen, die ­Muslime in aller Welt unterstützen.

Seit der Arabellion wird das Land in einigen westlichen Medien mit stellenweise recht abenteuerlichen Verschwörungstheorien überzogen. So soll Katar auch militante Gruppen in Syrien ­unterstützen oder direkt am Sturz des ­libyschen Despoten beteiligt gewesen sein. Diese Gerüchte sind nicht belegt und schüren eher den Verdacht, dass ­interessierte Dritte einige extremistische Kleingruppen mit dem offiziellen Islam in Verbindung bringen wollen. Ein neues Beispiel hierfür ist die Situation in Mali. Es wundert nicht, dass auch hier wieder der Name Katar fällt.

Die einflussreiche französische Internetseite France24 veröffentlichte am 22. Januar einen Artikel mit der Überschrift „unterstützt Katar die Krise im Norden Malis?“. Der Artikel unterstellt der ­Regierung in Doha die Parteinahme für die brutalen Rebellen in Mali. ­Angeblich wolle das Emirat mit Hilfe der ­Rebellen – so zumindest Segolene ­Allemandou in ihrem Artikel – die Verbreitung des fundamentalistischen Islam in Afrika fördern. Die unterschwellige Absicht der Kampagne ist klar: Eine belegte Parteinahme Katars für Terroristen würde das Image des Staates in Europa natürlich nachhaltig belasten. Verschwiegen wird dabei auch die klare Haltung Katars im internationalen Krieg gegen den Terroris­mus, für den der Staat auch von den Extremisten kritisiert wurde.

France24 zitiert auch andere Nachrichtenquellen, die seit dem Sommer 2012 einfach behaupten, alle Gruppen die gegen die Zentralregierung in Mali agieren – also egal ob muslimische, nationalistische oder säkulare Gruppen –, hätten finanzielle Zuwendungen aus Doha erhalten. Gleichzeitig wird die ­bekannte humanitäre Hilfe seitens ­Katars für humanitäre Organisationen, die der Zivilbevölkerung in Mali helfen – zum Beispiel in Form von Brunnenbau und die seit den 1980er Jahren Tradition hat – plötzlich in den aktuellen „Terror“-Zusammenhang gestellt.

Besonders aktiv an der Verbreitung dieser Verschwörungstheorien ist in Frankreich das Netzwerk um die FN Chefin Marine Le Pen. Der Artikel in France24 zitiert ebenso die Chefin der französischen „Patrioten“, von denen viele überzeugt sind, sie seien auch „Rassisten“. Die rechtsextreme Partei schürt seit Jahren das öffentliche Ressentiment gegen die Muslime im Land und warnt immer wieder vor einer angeblichen ­“Islamisierung” Frankreichs. Jetzt behauptet Le Pen auf Ihrer ­Internetseite, dass sich das Emirat hinterhältig gegen die französische Intervention im Kampf gegen den Terrorismus stelle. Die abstruse Idee, dass die ­reichen Araber der Golfstaaten – zum Nachteil der Franzosen – Terroristen bezahlen, passt in das schräge Weltbild der Partei. Außerdem lenken die Vorwürfe von der brisanten Debatte ab, inwiefern Frankreich selbst ökonomische ­Interessen in der Region verfolgt. Die Populistin Le Pen, Abgeordnete im Europaparlament, hatte 2011 die Führung der ­umstrittenen Partei von ihrem Vater übernommen. Jenem Mann also, der verdächtigt wurde, im Krieg Frankreichs gegen ­Algerien auch muslimische Gefangene gefoltert zu haben.

Kommentar: In den Konflikten Afrikas sind längst nicht nur Staaten beteiligt

(iz). Es ist der Beginn einer literarischen Karriere. Schiller schreibt die „Räuber“ und kehrt dabei geläufige moralische Bilder um. Die Guten sind auch böse, die Bösen auch gut. Die Lehre aus dem Meisterwerk, das in seiner Zeit einen Skandal auslöst, fällt mit dem Beginn einer neuen Epoche zusammen. Sie entzieht sich dem alten Schwarz-Weiß. In jedem Moment offenbart sich eine neue Wirklichkeit, die man immer neu und mit höheren Maßstäben beurteilen muss; fixe Ideologie und feste Parteiungen trüben dagegen den Blick.

Seit 1961 hat Frankreich Dutzende Male in Afrika interveniert. Dabei ging es um den Schutz dubioser Diktatoren, um Rohstoffe und um imperiale Ziele. Bis zum heutigen Tag sind marodierende Unternehmen ebenfalls an den Konflikten beteiligt. Der Krieg ist längst nicht mehr nur die Sache von Staaten, sondern wird auch zum Vorteil von börsennotierten Unternehmungen organisiert.

Der Kampf in Mali mag man nun der Einfachheit halber ebenfalls in diese Kategorie der widerwärtigen Rohstoffkriege einordnen, wäre da nicht das Phänomen, dass eine souveräne Position auszeichnet: das Erkennen der Ausnahme.

Die Horden so genannter „Islamisten“ in der Region sind tatsächlich nicht nur ein Ärgernis, sondern eine schwerwiegende Gefahr. Die ignoranten Zerstörungen in Timbuktu sprachen bereits Bände über den ideologischen Kern der Bewegung. Die kalte Umsetzung von Normen durch eine Heerschar relativ ungebildeter Raufbolde beschädigt nicht nur das Bild des Islam in der Welt, sondern birgt tatsächlich die Gefahr, dass in der Region ein bedrohliches Rückzugsgebiet für Terroristen entstehen könnte. Ein weiterer Alptraum wäre natürlich der anschließende Export des Terrors nach Europa. Es muss gleichzeitig nüchtern untersucht werden, welche Staaten, Firmen oder Parteien die Rebellen logistisch unterstützen.

Klar ist auch: Wer die isoliert agierten Rebellen und Gruppen in den Rand einer offiziellen muslimischen Bewegung befördern will, dem geht es in Wirklichkeit um eine Kampagne gegen den Islam. Die Fakten dagegen sprechen für sich. Über Jahrhunderte waren islamische Gelehrte nicht nur durch eine umfassende Bildung, sondern auch durch Nachsicht, Vorsicht und Rücksicht gekennzeichnet. Sie verkörperten – charakterlich ausgezeichnet – als ehrwürdige Persönlichkeiten das Recht. Die radikale Umsetzung einer ideologischen Systematik war ihnen so fern, wie die tägliche Reflexion über das tiefere Wesen der Gerechtigkeit ihnen nah war. Die verzweifelten Armen Afrikas sind in dieser Zeit weder das Problem, noch können sie – ohne in den Zynismus zu verfallen – ernsthaft Gegenstand von strafrechtlichen Maßnahmen sein.

Man muss – auch als Muslim – also vorsichtig sein mit einer vorschnellen Verurteilung der Franzosen; wenn auch mit einem wachsamen Auge, dass beurteilt, ob die Militärführung im Umgang mit der muslimischen Zivilbevölkerung die nötige Vernunft walten lässt. Durch die Einbeziehung der Tuareg könnte Frankreich klarstellen, dass es der Militärführung nicht nur um die Sicherung von Rohstoffen geht. Es ist auch kein Nachteil, wenn verantwortliche Kommandeure der Bundeswehr die Lage beobachten.

Ein Überlassen der Angelegenheit allein den afrikanischen Truppen wäre – wie viele Beispiele der afrikanischen Wirklichkeit zeigen – nicht unwahrscheinlich nur zum Nachteil der Zivilbevölkerung eine Einladung zur Barbarei.