Von der Wiederkehr der Untoten

(iz). Seit Herbst vergangenen Jahres ist der Berliner Bühnenhimmel um ein fulminantes Theaterstück reicher. Am 25.10.2015 feierte die Schaubühne Berlin die Premiere ihres alles andere als lautlosen Stückes „FEAR“. Falk Richter trifft mit „FEAR“, als Autor und Regisseur dieses imposanten Bühnenwerkes, den Nerv der Zeit messerscharf: laut, obsessiv und eindringlich.
Längst vergangen geglaubte Denkstrukturen zu Fremdenhass, Flüchtlingspolitik, Gender Mainstreaming und Homophobie keimen hier zu Lande und über die Ländergrenzen hinaus, mit voller Wucht wieder auf. Eindrucksvoll, in Form einer Collage mit Rahmenhandlung, inszenierte Richter, mit den Schauspielern und Tänzern der Berliner Schaubühne, ein packendes und brandaktuelles Stück.
Über verschiedene Videoprojektionen und Performances lässt er das hässliche Gedankengut, unter anderem von Gabriele Kuby, Horst Seehofer, Frauke Petry, Beate Zschäpe, Birgit Kelle, Marine Le Pen und Lutz Bachmann als Untote und Zombies wiederauferstehen. „Wie bekämpfen wir ein Denken, dass tot ist und zwei Weltkriege ausgelöst hat?“ ist nur eine Frage, der sich das Ensemble zugewendet hat.
Eindrucksvoll gibt Falk Richter in seinen Projektionen zu erkennen, dass die Wiederauferstehung von rechtem und religiös-fundamentalistischen Gedankengut durch die Vorreiter und Vertreter der PEGIDA-Bewegung, dem Front National und den Christlich-Konservativen verkörpert wird. Das Erstarken der rechten Strömungen und deren Schüren von Angst und Hass als Untote und Zombies zu inszenieren, ist vortrefflich gelungen.
„FEAR“ bildet das Zündeln der Rechtspopulisten und Rechtsnationalen an den demokratischen Grundwerten ab und bedient sich dabei eines Bühnenbilds mit gesichtslosen und durchgängig schwarzen Pappfiguren, denen zu Beginn des Stückes durch die handelnden Protagonisten die Gesichter von AfD-Funktionären, NPDlern und anderen Christlich-Konservativen erst verliehen werden. Ein Hinweis ohne Fingerzeig – dass wir es sind, die entscheiden müssen, ob wir genau jenen ein Gesicht, eine Stimme und einen Platz in der Gesellschaft geben und wenn ja, welchen – wird dem Zuschauer schonungslos entgegengeschleudert.
Das Spiel mit der Angst vor Überfremdung, Angst vor sozialer Ungleichheit und dem vermeintlichen Abstieg, die Angst vor dem anders sein, die Angst vor allem anderen, die Angst vor dem Tempo der Zeit und der daraus resultierenden Gesellschaftsdynamik, wird dem Publikum über O-Töne unter der Kategorie „Besorgte Bürger sprechen“ aus den Demonstrationen der PEGIDA und ­BAGIDA als überlagerter und durchdringender akustischer Impuls vermittelt. Auch den Versuch einer Erklärung zur Motivation der sogenannten „besorgten Bürger“ liefert Falk Richter in Textphrasen wie: „(…) und die Angst steckt in diesen Körpern und die muss raus, raus aus diesen Körpern. Die müssen diese Angst loswerden und diese Angst ist die unbeantwortete Frage in ihnen selbst: Wieso will uns niemand? Wieso verachten die uns? Wieso leben wir nicht? WER SIND WIR? Was ist das, dieses Deutschsein, Deutschland, Deutschtum, an dem wir uns so festklammern? WAS GENAU IST DAS? WO ist das in uns? Was genau ist das: Heimat?“
Doch Falk Richter lässt auch jene Gegenstimmen laut werden, die sich fragen, wie das alles auszuhalten ist, wie der Angst vor einem weiteren Rechtsruck beizukommen ist und wie ein Umgang, ein Entgegentreten gefunden werden kann. Die Verzweiflung der Protagonisten ist für das Publikum spürbar, wenn sie versuchen, sich dieses schrecklichen und zerstörerischen Gedankengutes zu entledigen. Der unbändige Wunsch und der Wille eine Gesellschaft zu gestalten, die selbstverständlicherweise verschiedenste Lebensentwürfe, Geschlechterrollen und -identitäten, Familienmodelle, Ethnien und Kulturen akzeptiert, setzen den entscheidenden Impuls dafür einzustehen. Die Zuschauer werden mit dieser Art der versuchten Befreiung und des Aufräumens bis in die letzte Reihe durchdrungen, was sie dem gesamten Ensemble zum Ende des Stückes mit nicht enden wollendem Beifall danken.
Mit „FEAR“ – ein künstlerisches und satirisches Manifest als Widerstand gegen den Rechtsruck in unserer Gesellschaft – regten sich auch jene, die sich in ihrer Menschenwürde verletzt sahen. Über das Rechtsmittel der einstweiligen Verfügung versuchten im vergangenen Jahr Hedwig Freifrau von Beverfoerder (CDU) und Beatrix von Storch (AfD) sich gegen die Kunst zu stellen. Beide Frauen sahen sich verunglimpft in der Darstellung als Zombies und begehrten dagegen auf, als Bildmaterial des Bühnenbildes, neben Beate Zschäpe und Anders Behring Breivik, zu brillieren. Sie erwirkten eine einstweilige Verfügung, die der Schaubühne untersagte, ihre Bilder im Rahmen der Inszenierung zu zeigen.
Zudem wurde der Schaubühne zur Last gelegt, dass in dem Stück zur Gewalt gegen die gezeigten Personen aufgerufen werde. Die 27. Zivilkammer des Berliner Landgerichtes hob die einstweilige Verfügung, nach der Verhandlung Mitte Dezember 2015, wieder auf. Der vorsitzende Richter schloss sich umfassend den Ausführungen der Schaubühne Berlin an. Die Vorwürfe gegen Falk Richter und das Theater wurden sämtlich als unbegründet zurückgewiesen.
„FEAR“ – ein zeitgenössisches und ausdrucksstarkes Bühnenwerk, dass daran erinnert, dass Theater bereits über alle Epochen hinweg eine wichtige und wirksame gesellschaftspolitische Instanz bleiben muss. Prädikat: sehr empfehlenswert