Ein Kommentar zu den aktuellen „Verteilaktionen“ in deutschen Fußgängerzonen. Von Cemil Sahinöz

(iz). Zunächst sei einmal gesagt, dass niemand bei gesundem Verstand gegen das Verteilen von Übertragungen der Bedeutungen des Qur'ans ist [nach islamischer Sicht lässt sich der Qur’an so nicht „übersetzen“; Anm. d. Red.]. Kaum einer wird dies negativ einstufen oder als sinnlos sehen. Auch wir Muslime bekommen ständig Bibeln in die Hand gedrückt. Das ist völlig legitim – und vor allem legal.

Warum aber Muslime selbst gerade diese Verteilung anzweifeln, hat einen anderen Hintergrund. Es liegt nicht am Qur’an oder an seiner Verteilung. Die Salafiten können nicht mit dem Argument kommen, Muslime wären gegen die Verteilung von Allahs Offenbarung. Dies ist schlicht und einfach falsch. Schon jetzt werden Muslime, die sich dagegen aussprechen, in salafistischen Kreisen als Feinde oder sogar als „so genannte Muslime“ apostrophiert.

Muslime – allen voran die Dachverbände – sind aus anderen Gründen gegen diese Verteilung. Schauen wir uns dazu einfach mal den Effekt dieser Verteilungen an: Die Verteilenden behaupten, dass sich dadurch die Meinung zum Islam verbessern würde. Demnach würden die Menschen den Qur'an lesen und so ein anderes Bild vom Islam bekommen.

Mal Hand auf Herz, liebe „Salafiten“? Ist das wirklich so? Ist nicht durch diese Aktion genau das Gegenteil bewirkt worden? Hat man so die Herzen der Menschen gewonnen?

Der Prophet Muhammed hat immer kontext-gebunden gehandelt. Er hat die Psychologie der Menschen gut verstanden und dementsprechend Liebe in den Herzen der Menschen erzeugt? Leider ist durch diese Aktion genau das Gegenteil entstanden. Nur noch mehr Hass, noch mehr Provokation und noch mehr undifferenzierte Polemiken.

Das Ganze hat einen psychologischen Effekt, der bisher ganz außer Acht gelassen wurde: Im unseren Unterbewusstsein werden nun die Begriffe „Salafismus“ und „Koranverteilung“ miteinander verknüpft. Jedes Mal, wenn nun ein Qur’an verschenkt wird, wird man an Salafiten denken. Das ist sehr schädlich. Das Thema des Schenkens von Qur’anübertragungen wird damit sicherlich für viele Moscheevereine nicht mehr in Frage kommen. Und das ist der eigentliche Knackpunkt dieses Theaters. Der Weg für die Verteilung von Qur’anübertragungen wird hier ganz verschlossen.

Dass, was die Betreiber der Aktion also erreichen wollen, erreichen sie aber nicht. Sie bewirken genau das Gegenteil. Warum tun sie es aber trotzdem?

Der Salafist hinter dem Stand wird sich dafür nicht wirklich interessieren. Dieser würde sagen, er mache es „für Allah“ – was immer er auch damit meint. Schauen wir daher nicht auf die Theaterbühne und auf die Inszenierung, sondern dahinter. Fragen wir uns einfach einmal, wem das Ganze nützt?

Nichtmuslimen? Wohl kaum. Wie bereits oben beschrieben, hat es hier genau den Gegeneffekt erzeugt.

Muslimen? Sicherlich nicht. Da der Islam und die Muslime allgemein wieder im Visier stehen, muss sich jeder Muslim rechtfertigen. Es folgen wieder viele undifferenzierte Meinungen und Berichterstattungen zum Islam.

Den Salafiten? Richtig. Die Salafiten sind die einzigen, die davon profitieren. Maximal 5.000 gibt es in Deutschland. Im Gegenzug gibt es ca. 4,5 Millionen Muslime. Dass heißt, 0,11 Prozent der deutschen Muslime haben einen Nutzen davon. Die restlichen 99,89 Prozent müssen es ausbaden.

Es scheint also alles eine PR-Strategie zu sein. So, wie wir es schon in der Vergangenheit von diesen Gruppierungen kennen. Das Schlimme dieses Mal ist jedoch, dass dafür der Qur’an missbraucht wird. Ob sich dessen wirklich alle Salafiten bewusst sind?