Hochrangig besetzt: Bericht vom Brandenburger Tor über Kundgebung zu den Pariser Anschlägen

(iz). Etwa 10.000 Menschen kamen am Dienstagabend (13. Januar) in Berlin zusammen um ihre Gesichter zu zeigen und zusammenzustehen, wie der gemeinsame Aufruf der Türkischen Gemeinde zu Berlin (TGB) und des Zentralrats der Muslime (ZMD) lautete. Zahlreiche namenhafte Persönlichkeiten aus Politik, Religion und Gesellschaft zierten die große Bühne vor dem, aus Solidarität mit Frankreich, in den Farben der „tricolore“ beleuchteten Brandenburger Tor.

Neben dem angekündigten Redner Bundespräsident Gauck waren unter anderem ebenso Bundeskanzlerin Merkel, Vizekanzler Gabriel, aber auch Bundespräsident a.D. Wulff anwesend. Geistliche der drei monotheistischen Religionsgemeinschaften Berlins standen geschlossen zusammen, als die Kundgebung mit der Rezitation einiger Qur’anverse und der Übersetzung ihrer Bedeutungen begann. Es ist der ruhigste Moment des Abends, die bunte Masse lauscht gebannt.

Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, moderierte den Abend. Seine Anmoderationen sind verlängerte Redebeiträge. Er zeigt sich erfreut über das zahlreiche Erscheinen und die Symbolkraft der vielfältigen Teilnehmer aus der Hauptstadt. Die Muslime in Deutschland ständen unter dem „Schock der brutalen Terroranschläge“ und zeigten ihre Solidarität mit dem französischen Volk, so Mazyek von der Bühne aus, die direkt im Blickfeld der Französischen Botschaft lag. Er rief auf, die Terroristen mit ihrem Fehlverständnis vom Islam nicht siegen zu lassen.

Als Vertreter der der Deutschen Bischofskonferenz appellierte Berlins Weihbischof Matthias Heinrich an die Religionsgemeinschaften, sich nicht gegeneinander aufbringen zu lassen. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer, prangerte nur kurz nach ihm einen „Antisemitismus unter vor allem jungen Muslimen“ an. Er erwarte von der muslimischen Welt ein strengeres Vorgehen gegen Terrorismus und Antisemitismus. Das „Gefahrempfinden der Juden“ erklärte er zum Alarmsignal für die europäischen Gesellschaften. Nur einige Meter von ihm entfernt wehen die israelische und die palästinensische Flagge nebeneinander. Während seiner Rede hallt es immer wieder Rufe nach der „Freiheit Palästinas“.

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Der evangelische Bischof Markus Dröge solidarisierte sich offen mit den Muslimen Deutschlands. Es dürfe nicht sein, dass Extremisten mit dem Missbrauch einer Religion Übergriffe auf Moscheen bewirken, mahnte er. Nun sei es besonders wichtig, aufeinander zuzugehen und für gemeinsame Werte einzustehen. Es ist der lauteste Moment des Abends, die bunte Menschenmenge klatscht und jubelt.

Bundespräsident Gauck soll den Abend abschließen. Er zeigt sich angesichts der Pariser Anschläge „schockiert“ und „traurig“. Dennoch dürfe es nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft führen. „So, wie wir hier heute zusammenstehen, so wünsche ich mir den Zusammenhalt in der ganzen Gesellschaft“, ermutigt er. „Wir sind alle Deutschland“, fährt er fort. Um gegen die Radikalisierung junger Europäer vorzugehen, sieht er die muslimischen Verbände klar in der Verantwortung. Die drei größten Verbände (DITIB, IGMG und VIKZ) waren zwar nicht die Mitorganisatoren, aber dennoch mit Vertretern anwesend.

In einem symbolischen Ineinanderhaken der Arme durch die Gäste auf der Bühne – um Zusammenhalt zu demonstrieren – wurde der Abend abgeschlossen.

Vor dem Bundespräsidenten-Besuch schlagen die Wellen hoch

Münster (KNA). Klappern gehört zum Handwerk. Vor allem zur rechten Zeit. Das haben offenbar auch die muslimischen Verbände verstanden. Sie sind unzufrieden mit dem Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Münster – kurz ZIT genannt. Diese Einrichtung, an der angehende Lehrer für den neuen bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht studieren, findet besonderes Interesse bei Bundespräsident Joachim Gauck. Ende November will er die Universität besuchen. Da stößt die Kritik der Verbände auf besonderes Echo.

Der Unmut wurzelt im komplizierten Verfassungsrecht. Zwar feiert die Politik den neuen islamischen Religionsunterricht an Schulen und die bundesweit insgesamt vier Studiengänge für die Lehrerausbildung als Meilenstein, weil sich nur so die religiöse Unterweisung junger Muslime aus Hinterhofmoscheen herausholen lässt. Doch die Frage, wer verbindlich über die Inhalte von Unterricht und Studiengang sowie das Lehrpersonal an Schulen und Uni bestimmt, ist nur behelfsmäßig gelöst.

Bei der christlichen Theologie sind die Kompetenzen klar in Konkordaten und Staatskirchenverträgen geregelt: Die Uni als staatliche Behörde garantiert die Forschungs- und Lehrfreiheit, die Inhalte aber bestimmen die Kirchen. Das Personal wird nach wissenschaftlichen Kriterien ausgesucht, aber nur mit Zustimmung der Kirchen ernannt.

Solche Rechte kommen den Muslimen nicht zu. Sie werden wegen fehlender Mitgliederlisten vom Staat nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt. Allerdings kann eine Landesregierung nicht festlegen, was zum muslimischen Glaubensbekenntnis gehört. Diese Aufgabe soll in Münster nach einem Vorschlag des Wissenschaftsrates ersatzweise ein Beirat übernehmen: Vier Vertreter benennt die Universität im Einvernehmen mit dem Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM), vier weitere schlägt der KRM selbst vor.

Die Zahl vier passt genau auf den Zuschnitt des Koordinationsrates. Denn er ist Dachverband von eben genau vier Verbänden: dem Zentralrat der Muslime, der DITIB, dem Verband der Islamischen Kulturzentren und dem Islamrat. Intern gilt die Regelung, dass jede Organisation einen Vertreter entsendet. Für den Islamrat sollte das sein Generalsekretär Burhan Kesici sein. Der Bund aber, der das Zentrum in Münster mitfinanziert, zweifelt an dessen Verfassungstreue und meldete Vorbehalte an. Auch für eine weitere vorgeschlagene Theologin gab es kein grünes Licht. Die Folge: Der Beirat hat sich noch gar nicht konstituiert, obwohl der Lehrbetrieb in Münster bereits seit einem Jahr läuft.

Die Verbände fühlen sich nun übergangen. Vor allem aber stoßen sie sich an dem mit ihrer Zustimmung berufenen ZIT-Leiter Mouhanad Khorchide. In Büchern wie „Scharia – der missverstandene Gott“ vertritt Khorchide eine gemäßigte Form des Islam und lehnt eine buchstabengetreue Erfüllung von Gesetzen ab. Nun haben die Verbände ein Gutachten über den Professor angekündigt.

Die Rektorin der Universität Münster, Ursula Nelles, weist entschieden zurück, die Mitspracherechte der Verbände zu übergehen. Bislang seien mitwirkungsbedürftige Beschlüsse nicht gefällt und Professoren nur befristet beschäftigt worden. Auch die Lehrinhalte seien nur für ein Semester fortgeschrieben und vom NRW-Schulministerium abgesegnet worden.

Auch dort gibt es einen Beirat, der über die Lehrpläne für den Religionsunterricht befindet. Das Pikante: Dort darf Islamrat-Generalsekretär Kesici mitarbeiten, der auch Vizevorsitzender der Islamischen Föderation Berlin ist. Die muslimischen Verbänden verstehen die Ungleichbehandlung ihres Kandidaten nicht und machen vor dem Gauck-Besuch in Münster ordentlich Druck. Uni-Rektorin Nelles hält eine Abberufung Khorchides sogar für möglich – wenn der Uni-Beirat das so entscheidet. Dazu muss er sich aber formieren. Der KRM sucht nach einem neuen Kandidaten.

Bundespräsident Joachim Gauck zu Besuch in der Berliner Sehitlik-Moschee: Abu Bakr Rieger kommentiert

(iz). Ein großer Tag für die Sehtlik-Moschee, lese ich. Bundespräsident Joachim Gauck hat die ehrwürdige Anlage in Berlin besucht. Er lässt sich vorbeten und hört interessiert den Ausführungen des Imams zu. Die ungewöhnlichen Protokollfragen werden souverän gemeistert: Sicherheitsbeamte tragen ihm dezent die Schuhe hinterher. Gauck wird fast begeistert empfangen und hat inmitten der Gläubigen, die der berühmten Gastfreundschaft türkischer Muslime ­entsprechen, die erwartete gute Zeit. Er ist ­wohlwollend, Vorurteile sind eher subtil verpackt und äußern sich in der Idee einer Begegnung von Kulturen, die den Islam und damit auch die deutschen Muslime, kulturell anders oder gar „außereuropäisch“ verorten.

Überraschend finde ich aber etwas Anderes. Im „Tagesspiegel“ wird berichtet, dass ­unser Präsident zum ersten Mal eine Moschee betreten hat. Zum ersten Mal? Heißt das, dass der Präsident – bevor er einmal eine der vielen hiesigen Moscheen betrat – schon wusste, dass der Islam kein Teil Deutschlands ist? Tatsächlich entspricht diese Begegnung dem Bild, dass die Eliten bisher kaum echte Be­rüh­rungspunkte mit den Muslimen ­hatten. Ganz selten sind diese – statt der medialen Inszenierung – inhaltlich geprägte auf intellektueller Augenhöhe. Häufig geht so ­größte Distanz mit dem härtesten Urteil einher. Was man über den Islam und die Muslime zu wissen meint, stammt zumeist aus Zweiter Hand. Offensichtlich hatte der Islam, bevor er zu der großen Sicherheitsfrage des 21. Jahrhunderts wurde, für unsere Eliten keine besondere positive Relevanz. Auch Gauck interpretiert den Islam vor allem als Phäno­men der modernen Poli­tik. Die ideologische Verformung des Islam muss für den ­Pfarrer aus Rostock ein Gräuel sein. Im „Salafisten“ erscheint ihm ein Ty­pus, der das auf Millio­nen Muslime Schat­ten werfende Gegenbild zur europäischen Aufklä­rung verkörpern soll; eine Aufklärung, der sich Gauck ausdrücklich verpflichtet sieht.

Für Gauck ist die Freiheit von Tyrannei und den Ideologien des 20. Jahrhunderts schlicht die Grundfrage seines Lebens. Wohl auch deswegen haben ihn der Angriff auf die Demokratie aus dem ökonomischen Feld und die Versäumnisse der Aufklärung diesbezüglich überrascht. Wegen der üblichen Re­duzierung des Islam auf seine politische Wirkung dürften ihm die fundamentalen, freiheitlichen Maximen islamischer Ökono­mie gänzlich unbekannt sein.

Wenn es je einen Austausch der Eliten über den Islam geben sollte, so wäre das ­aktuelle Verhältnis des Islam zum ökonomisch geprägten Totalitarismus unserer Zeit eine der spannendsten Fragen. Nach der öffentlichen Zertrümmerung der Reputation des Islam bedarf es hierzu der Mentalität eines Archä­ologen, der die Essenz des Islam freilegen muss.

Es gab Momente, als sich unsere Eliten dem Islam grundsätzlicher zuwandten: Goethe erforschte den Islam noch anders, unbeküm­merter, denn den Universaldenker regte der offensichtliche Unterschied der Glaubensinhalte von Christen und Muslimen an. Mehr noch, er konnte den Islam und seine Einheitslehre einfacher und ohne intellektuelle Widerstände denken.