Kommentar: Das Thema „Islamgesetz“ wird in vielen Foren heiß diskutiert

„Im Ergebnis besteht bis heute keine offizielle Vertretung der Muslime in Berlin. Im Hintergrund wird hinter vorgehaltener Hand schon die Auflösung des Koordinationsrates besprochen. Erklärt wird dies der staunenden Basis nicht. (…) Hier ist also beim Agenda-Setting eine klare Markierung erforderlich; also das Bekenntnis, nur für sich oder eben für die Muslime zu sprechen.“

Berlin (iz). Wie so oft im muslimischen Leben geht es bei Debatten über die Zukunft des Islam in Deutschland um die Suche nach dem Mittelweg. Dieser, so lehrt es die Tradition, bildet sich aus dem aktiven, gemeinschaftlichen Zusammenleben; immer mit dem Ziel, extreme Einzel- und Mindermeinungen im Interesse des Großen und Ganzen eher auszusondern. Natürlich werden auch Individualisten oder Vertreter kleinerer Gemeinschaften einsehen müssen, dass gegenüber dem Staat eigene Interessen am besten dadurch durchgesetzt werden können, wenn Muslime im Idealfall möglichst geschlossen auftreten.

Nach dieser Logik ist ein Koordinationsrat der Muslime, der unsere Position nach außen hin vertritt, eine gute Sache. Soweit die Theorie. In der Praxis ist er an den Machtambitionen von Verbänden bisher kläglich gescheitert. Man ist sich nicht grün; zum einen, weil sich große Verbände ein Veto ausbedingen; zum anderen, weil kleinere so tun könnten, als seien sie befugt, für die Muslime insgesamt zu sprechen oder zu handeln.

Als Folge besteht bis heute keine offizielle Vertretung der Muslime in Berlin. Im Hintergrund wird hinter vorgehaltener Hand schon die Auflösung des Koordinationsrates besprochen. Erklärt wird dies der staunenden Basis aber bisher nicht.

Die konkrete Debatte über ein mögliches Islamgesetz nach österreichischem Vorbild demonstriert ein anderes Dilemma. Es geht hier zunächst und in erster Linie um die innerislamische Meinungsfindung. Vertreter, die über entsprechenden Zugang zu Medien verfügen, neigen an diesem Punkt dazu, Positionen öffentlich zu definieren, ohne überhaupt die Basis bei der Meinungsfindung einzubeziehen. Hier ist also beim „Agenda-Setting“ eine deutliche Markierung erforderlich; also das Bekenntnis, nur für sich, oder eben für die Muslime, zu sprechen. In Sachen Islamgesetz gibt es wohl noch keinen muslimischen Verband, der hier eine Mehrheit seiner Mitglieder überhaupt befragt hätte.

Fakt ist, dass die Verbände noch immer keine zeitgemäße Organisationsstruktur gefunden haben. Im Moment funktionieren sie weder eindeutig nach demokratischen, noch nach islamischen Kriterien; sind sie doch ein Ergebnis des Vereinsrechts der 1970er Jahre des letzten Jahrhunderts. Sie haben kein effektives Verfahren anzubieten, das Wissen der Mitglieder einzubeziehen. Noch verfügen sie – um ein anderes Beispiel anzuführen – über eine klare Linie zur Erhebung und Verteilung der Zakat.

Viele junge Muslime diskutieren zu Recht über die Quintessenz, die sich aus dieser Lage ergibt. Sie stellen sich dem Fakt, dass sie hier in Deutschland Bürger sind und dem Eingeständnis, dass die romantische Rückbindung an andere Kulturen kaum noch überzeugt. Sie leben hier, wollen mitreden und können mit der „hemdsärmeligen“ Art mancher Führungskader wenig anfangen. Sie suchen nach einem Mittelweg, der weder den Individualismus als die letzte Lösung verherrlicht, aber auch nicht die muslimische Organisationen per se verurteilt.

Seien wir ehrlich: Noch wurde der beste Weg nicht gefunden. Wir wissen im Moment nur, dass im Endergebnis unsere Struktur aus Moscheegemeinden, der NGOs, der Zivilgesellschaft weder eine „Kirche“, noch ein kaltes „Verwaltungsgebäude“ sein darf. Es gibt gute Gründe, die Dezentralisierung der Muslime dem Modell starrer Zentralisierung vorzuziehen. Es gilt, den Kern der muslimischen Infrastruktur aufzubauen, aber auch die Politisierung der Religion zu verhindern.

Wichtig wird nu eine ehrliche innermuslimische Debatte – nicht die Frequenz von Interviews oder das peinliche Kalkül der Medienreichweite. Die Frage nach der Imam-Ausbildung ist ein Test für diese Debattenkultur. Sie sollen künftig Deutsch sprechen, möglichst auch Arabisch. Aber vor allem sollen sie die islamische Lehre glaubwürdig vertreten und in keiner Abhängigkeit zu irgendeinem Staat stehen. Im Ergebnis aber sollte jede Moscheegemeinde natürlich völlig frei und ohne Bevormundung entscheiden können, welchem Imam sie am Ende vertraut.

Die Fragen sind auf dem Tisch: Wie organisieren wir uns – modern aber nicht traditionslos? Wie kommen wir zusammen und stärken die Wahrung unserer Rechte? Was sind innermuslimische Angelegenheiten, die den Staat nichts angehen? An welcher Stelle aber können wir mit Behörden aktiv, besser und effektiver zusammenarbeiten? Und – auch nicht unwichtig: Warum scheuen sich eigentlich so viele Verbandsvertreter, die muslimische Basis zu befragen?

Die IZ wird sich in ihrer kommenden Ausgabe (April 2015) mit mehreren Beiträgen diesem Thema widmen.

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Im ungesonderten Netz stößt der Wahn auf fruchtbaren Boden

„Das Wort leitet sich vom griechischen ‘idiotes’ her, das wertfrei bis heute in etwa ‘Privatperson’ bedeutet. Es bezeichnete in der Polis Personen, die sich aus öffentlich-politischen Angelegenheiten heraushielten und keine […]

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Britisch eMuslime brauchen eine Phase der inneren Reflexion

(IslamicComentary). Shakespeare sagte: „Wir wissen wohl, was wir sind, aber nicht, was wir werden können.“ Während sich der Staub der schottischen Volksabstimmung legt, lohnt das Nachdenken über diese Einsicht ganz […]

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Eine richtige Absicht ist wichtig, um den Anforderungen des Ramadans gerecht zu werden

(iz). Es gehört zu den Herausforderungen für Menschen in den Medien, dem Strom des permanenten Nachrichtenzyklus zu folgen und ständig neuen „Content“ zu liefern. Jenseits der Reizüberflutung und dem schnellen […]

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Die Überwindung der alten Gegensätze hat begonnen

(iz). Wie organisieren sich Muslime eigentlich? In der jüngeren Geschichte ist die Antwort klar. Die meisten Moscheegemeinden sind heute eingetragene Vereine, oft eingebunden in große, zentral agierende Dachverbände. Die Organisationen […]

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Der Segen ist mit der Gemeinschaft

(iz). Wenn der Herr der Welten die Menschen in Seinem Qur’an anspricht, dann tut Er dies ­– mit Ausnahme Seines Propheten – immer im Plural. Entweder werden die Menschen, oder ein bestimmtes Volk – wie das Volk von Musa (Moses) – von Allah angeredet, oder beispielsweise die Gläubigen als eine Kategorie adressiert. Dies ist einer (von vielen) der Mosaiksteine, die den gemeinschaftlichen Charakter der islamischen Lebensweise ausmachen.

Sichtbar gemacht wurde dieses Ansprechen des Menschen als soziale Wirklichkeit durch den Propheten und seine Gemeinschaft in Medina. Die von ihm empfangene und überbrachte Botschaft wurde nicht in ein ideologisches Gebäude eingegossen, sondern augenblicklich in eine soziale Realität unter Göttlicher Anleitung verwandelt. So gibt es eine ­ganze Vielzahl von Anlässen zur Offenbarung bestimmter Qur’anverse, die auf reale Be­gebenheiten Bezug nehmen. Gleichermaßen wurde der Qur’an nicht als „Buch“ im herkömmlichen Sinne offen­bart. Seinen Platz fand er nicht zwischen den Seiten eines solchen, sondern in den menschlichen Herzen.

Es gibt im Islam sehr wohl ein fein austariertes Gleichgewicht zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft, zwischen intimen und sozialen Momenten. Auch wenn platte Totalitarismustheorien in diesen Tagen gelegentlich Muslimen eine kollektive Neurose andichten wollen, beziehungsweise ihnen das individuelle Urteilsvermögen abzusprechen versuchen, widerlegen die islamischen Grundprinzipien diese Art der platten Religionskritik.

Es ist vielmehr ein Wechselspiel zwischen den beiden Polen Individuum und Gemeinschaft. Wir haben alle unser eigenes Schicksal und müssen uns am Tage des Gerichts für unsere Lebensführung rechtfertigen. Eine jeweilige Gruppenzugehörigkeit bildet da keinen Schutz. Wenn wir in Gemeinschaft (siehe S. 4) beten, dann hat dies (bei den Pflichtgebeten) bekanntermaßen einen wesentlich höheren Wert. Nichtsdestotrotz sind es aber wir, und nicht die Frau/der Mann neben uns, die/der in diesem Augenblick vor ihrem/seinem Herrn steht.

Eine der Hauptabsichten der Gemeinschaft der Muslime, die nichts mit den Zwangskollektiven des 20. Jahrhunderts gemein hat, ist es vielmehr, erst einmal den äußeren Rahmen zu stellen, in dem überhaupt eine wirkliche, individuelle Nähe zu Allah angestrebt wird. In dem Sinne braucht es die/den Andere/n und die daraus entstehende soziale Form, in der echte Spiritualität, wenn sie nicht im Supermarkt der Esoterik enden will, sich überhaupt erst ereignen kann.

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Heilmittel gegen ein Übel der Zeit

„Er [Schaitan] sagte: ‘Ich bin besser als er. Mich hast Du aus Feuer erschaffen, wohingegen Du ihn aus Lehm erschaffen hast.’“ (As-Sad, 76) Von Wael Hamza Dies ist ein Satz […]

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Gedanken eines Schweizer Muslims über das Warum und Wie einer echten Einladung zum Islam

(iz). Seit dem Jahr 1970 hat sich die Demographie Europas drastisch geändert. Als ich 1972 Muslim wurde, gab es in der deutschen Schweiz relativ ­wenig Muslime. Die Mehrheit stammte aus […]

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Mit seinem Buch „Neo-Moslems“ beschreibt Eren Güvercin das Bild einer neuen Generation. Von Sulaiman Wilms

(iz). Selten schalten sich Deutschlands Muslime hörbar in die Debatte um den Islam ein. Zu sehr sind unsere Repräsentanten durch reaktive, manchmal schwachbrüstige Rhetorik gekennzeichnet. Den wenigen relevanten Stimmen, die es gibt, wird – im Gegensatz zu Randfiguren – nur selten Gehör im Mehrheitsdiskurs geschenkt. Umso höher muss das in den ­nächsten Wochen erscheinende erste Buch des Journalisten Eren Güvercin, „Neo-Moslems: Porträt einer deutschen Generation“, bewertet werden. Es ist mit Sicherheit, zumindest von muslimischer Warte, der wichtigste Titel dieser Saison. In drei Kapiteln widmet sich junge Autor der Generation der „Neo-Moslem“, denkt darüber nach, wer bisher was über den Islam in Deutschland zu sagen hatte (und was das zu bedeuten hat) und führt in die Welt der „Neo-Moslems“ ein. Es ist gut, dass der ­Autor den renommierten Herder-Verlag und einen mutigen ­Lektor fand, der sich dieses wichtigen Textes über die Zukunfts­generation der deutschen Muslime angenommen hat.
Um aufgeregte Reflexe und Kurzschlüsse zu vermeiden, sei erklärt, dass der Autor – wie er im Gespräch mit der IZ mitteilte – mit seinen „Neo-Moslems“ keine neue religiöse Kategorie in die Debatte einführen will. Es geht ihm mit Sicherheit auch nicht um die Wiederbe­lebung des verstorbenen „Euro-Islams“. Seine „Neo-Moslems“ haben mit dem Rest der muslimischen Gemeinschaft die gleichen religiösen Grundlagen gemein. Man könnte auch meinen, dass sie ­näher an der Quelle sind als so mancher, der meint, im Namen des Islam sprechen zu müssen.
Auf 190, recht flotten Seiten beschreibt Güvercin eine Welt jenseits einer multimedialen Arena des professionellen Gewäschs oder der dumpfen Hinterhofwelt. Er begegnet muslimischen und nichtmuslimischen Köpfen, die etwas zu sagen haben. Dabei handelt es sich weder um ethnische Ghetto-Größen, die unver­dient „Respekt“ einfordern, noch um die berühmt-berüchtigten Prediger; die beide nichts zu den anstehenden Problemen unserer Zeit beizutragen haben. Die „Neo-Moslems“ sind – anders als der Titel manchen „Liberalen“ hoffen lässt – in einer nachvollziehbaren, aber spirituell vitalen Glaubenswelt verwurzelt.
Wer sind diese „Neo-Moslems“? Sie sind „die junge Generation der Muslime, die (…) sich eben nicht in die Ethnoecke drängen lassen“, beschreibt der Autor das Objekt seiner Reflexion. „Sie sehen sich in erster Linie als Deutsche, machen aber keinen Hehl daraus, Muslime zu sein.“ Vor allem aber seien sie keine „VIP-Migranten und Berufsmuslime“, die in der Islamdebatte mit einer rechtfertigenden Haltung aufträten.
Eren Güvercin beschreibt die neuen, deutschen Muslime – geborene Muslime und solche Menschen, die sich für den Islam entschieden haben – als Gegenent­wurf zur reaktiven Repräsentanz. Diese Muslime der neuen Generation „reagieren nicht, sondern agieren. (…) Sie sind einfach ein Bestandteil der deutschen ­Gesellschaft. (…) Sie provozieren in beide Richtungen“. Kurz gesagt, eine „Herausforderung“, wie der junge Autor sie beschreibt. Was unterscheidet sie von den üblichen Verdächtigen und trennt ihr Denken vom, immer wiedergekäuten Diskurs? „Sie diskutieren nicht über die Integration und den Islam in Deutschland, sondern machen sich Gedanken über die wirklich relevanten Fragen unserer Zeit, sei es die immer weiter fortschreitende Sozialerosion oder auch ganz aktuell die Auswirkungen der Finanzkrise auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie wenden sich gegen die politisch-korrekten Weichzeichner in den Mainstream-Medien. Die willkürliche Verwendung politischer Labels wie ‘liberal’ oder ‘konservativ’ wird nach ihnen der gesellschaftlichen Realität nicht gerecht.“
Man kann diese „Neo-Moslems“ aber nicht verstehen – zumindest in der Sicht ihres Biografen -, wenn man das Schicksal der „goldenen Generation“ außer Acht lässt. „Man kann sich gar nicht vorstellen, was es für ein Abenteuer für meinen Vater gewesen sein muss, als er in den 60er-Jahren aus seinem Dorf bei Gümüshane aus dem Nordosten der Türkei mit dem überfüllten Zug nach einer anstrengenden Reise in Deutschland ankam“, beschreibt Eren Güvercin diesen Schritt seines Vaters.
Diese „Aufbruchstimmung der ersten Generation“ spüre man immer noch, „wenn sie von dieser Zeit erzählen, von ihren ersten Erfahrungen in Deutschland“. Diese jungen Frauen und Männer ­waren sich nicht zu schade, auch die schwerste Arbeit zu verrichten. „Mein Vater erzählt mit glänzenden Augen von seinen ersten Jahren in Deutschland. Mit einigen Verwandten aus seinem Heimatdorf hat er oft 15 Stunden am Tag hart gearbeitet und in Containern oder Arbeiter­wohnheimen gelebt. Trotzdem erzählen alle mit Nostalgie über die harte, aber glückliche Zeit.“ Besonders die Mütter, „die immer noch oft als unmündige, uniforme Masse von Frauen dargestellt werden“, hätten eine immense Rolle mit ihrem großen Sprachschatz und ihrem hellwachen Geist gespielt.
Der Autor der Generation der „Neo-Moslems“ verweist im ersten Teil des Buches zurecht auf die Bedeutung der deutschen Muslime. Damit meint er aber ausdrücklich nicht „skurrile Konvertiten wie Pierre Vogel“, die durch ihre öffentlichen Aufritte das Bild vom muslimischen Deutschen prägen würden und der seine deutsche Identität abgelegt habe „und eine so genannte ‘islamische Identität’“ angenommen habe.
Für Güvercin spielen sie eine wichtige Rolle für die „Neo-Moslems“, deren Eltern aus der Türkei oder arabischen Welt als Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Sie würden von den Erfahrungen der deutschen Muslimen (denen der Autor das Kapitel „Deutsch-Deutsche Muslime widmet) profitieren, die sich im Laufe ihres Lebens für den Islam entschieden hätten. Oftmals seien sie eher in der Lage, kritisch über bestimmte unheilvolle Entwicklungen in der islamischen Welt zu reflektieren. Es ist für die muslimische Gemeinschaft in Deutschland sicherlich von Nutzen, würden diese – wie Eren Güvercin beschreibt – als Inspiration und Bereicherung wahrgenommen. Bisher sind sie – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht nennenswert in den Rängen des organisierten Islam vertreten.
„Deutsche Muslime revoltieren nicht etwa gegen unser deutsches Erbe, im Guten wie im Schlechten, sie ziehen einfach nur eine andere Quintessenz daraus“, zitiert der Auto den IZ-Herausgeber Abu Bakr Rieger. „Für deutsche Groß-Intellektuelle, die sich gerne gegen ‘Kopftuchmädchen’ und ‘Extremfälle aus dem Milieu’ positionieren, sind wir deutschen Muslime ernst zu nehmende Sparringspartner.“ Vielleicht sei das eben auch der Grund, spekuliert Eren Güvercin, „wieso Freidenker wie Rieger aus der öffentlichen Islamdebatte ausgeschlossen“ ­werden.
Neben dieser Gruppe bezieht sich der junge Autor auf eine „neue kulturelle Avantgarde“ als wichtige Inspira­tionsquelle für die „Neo-Moslems“. Obwohl Migranten lange Zeit ausschließlich als „Gastarbeiter“ angese­hen worden, „gibt es bereits seit drei Generationen Kulturschaffende unter ihnen“. Für den Autor ist dies – neben Künstlern wie Fatih Akin, Neco Celik oder Renan Demirkan – der ­Schriftsteller Feridun Zaimoglu. Zaimoglu, der sich seit Jahren mit relevanten (und deutlichen) Beiträgen an der Islamdebatte beteiligt, gebe vielen „durch seine Texte und Auftritte Selbstbewusstsein“.
Die „Neo-Moslems“ lassen den Leser bis zum Schluss nicht los. Am Ende entwickelt Güvercin die positiven Begriffe der „Gemeinschaft“ und der „Tugend“, die er (in Gesprächen und durch seine Reflexion) im Gegensatz zur (oft virtuellen) „Community“ beziehungsweise zu den „Werten“ sieht. „Die wirkliche, die lebendige Communio [die Gemeinschaft der Gläubigen] – in der Moschee etwas – werden von den diversen Communities unter Druck gesetzt, die ein sehr partielles Heil versprechen und jedem garantiert nicht böse sind, sobald er auf dem Markt der Möglichkeiten sich anders orientiert.“
Die Tugend ihrerseits werde „von den westlichen Wertegemeinschaftlern“ verdächtigt, weil sie immer mit der ­Religion zusammenhänge. „Und vor der haben die ratlosen Europäer eine Angst – deswegen ihre Flucht in die Werte (…).“
Eren Güvercin, Neo-Moslems: Porträt einer deutschen Generation, Herder Verlag, erscheint am 24. April, 200 Seiten, Taschenbuch, ISBN: 978-3451304712, Preis: 14,00 Euro

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Interview: Imam Esad ef. Jukan über die Muslime in Istrien

(iz). Muslime leben in Europa in sehr unterschiedlichen Situationen, in großen und kleinen Gemeinschaften. In Istrien im Nordwesten Kroatiens, das durch seine Nähe zur Adria auch als Urlaubsgebiet bekannt ist, […]

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