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Gegen Hass, aber ohne die Semantik des Rechtsextremismus

deportation religion semantik

Der Protest gegen die Deportationspläne der AfD ist notwendig, aber seine Semantik muss sich ändern. (iz). Zehntausende Menschen gehen auf die Straßen und protestieren gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Diskriminierung, Islamfeindlichkeit und […]

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Der Hass im Netz

Hass Netz

Ob auf TikTok, Instagram oder X – vor Anfeindungen in sozialen Medien ist kein Nutzer sicher. Einige Gruppen sind aber besonders betroffen. Viele reagieren mit einem Rückzug aus dem Netz. 

Berlin (dpa/IZ) Im Internet werden Menschen in Deutschland laut einer Studie in großem Umfang zu Opfern von Beleidigungen, Drohungen und sexuellen Belästigungen. So wurden 49 Prozent der Nutzerinnen und -nutzer nach eigenen Angaben bereits im Internet beleidigt – 12 Prozent sogar häufig. Über 41 Prozent der Menschen wurden demnach schon falsche Dinge in sozialen Medien verbreitet. „Hass im Netz ist leider allgegenwärtig“, sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) bei der Vorstellung der Studie am Dienstag in Berlin. 

Zum Opfer von sexueller Belästigung oder Androhung von physischer Gewalt wurde laut der Studie jeweils ein Viertel der Befragten – bei 7 beziehungsweise 5 Prozent der Betroffenen kommt dies sogar häufig vor. Persönliche Informationen wie Wohnort oder Adresse fanden sich bei mehr als jeder und jedem Fünften schon einmal gegen den eigenen Willen im Netz. 42 Prozent der jungen Frauen zwischen 16 und 24 Jahren erhielten bereits ungefragt ein Nacktfoto. 

„Neue Welle des Judenhasses“ 

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) mahnte zudem, seit Kriegsbeginn am 07. Oktober gebe es „eine furchtbare neue Welle des Judenhasses“. In nahezu allen sozialen Medien habe die Verbreitung rechtswidriger Inhalte, Desinformation sowie von Hass und Hetze erheblich zugenommen. „Antisemitischer, rassistischer und demokratiefeindlicher Hass wird vor allem im Netz befeuert“, sagte Faeser. 

Mehr Hass als früher 

Insgesamt gilt laut den Herausgebern der Studie: „Hass im Netz hat in den letzten Jahren zugenommen“, wie Hanna Gleiß von „Das NETTZ“ sagte, einer Stelle gegen Hassrede im Internet, die die Erhebung gemeinsam mit anderen Initiativen herausgebracht hat. Befragt worden waren mehr als 3000 Internetnutzerinnen und -nutzer ab 16 Jahren. 89 Prozent von ihnen sagen, es sei heute mehr Hass im Netz zu finden als in der Vergangenheit. 

„Die Jüngsten sind am meisten betroffen“, so Gleiß. Auch Frauen werden überproportional oft Zielscheibe entsprechender Angriffe. Die Frage, ob sie schon von Hass im Netz betroffen waren, bejaht fast jede dritte Frau zwischen 16 und 24 Jahren. Bei den Männern gleichen Alters ist es nur gut jeder Fünfte. Mit dem Alter nehmen die Anteile ab. „Wir laufen Gefahr, dass eine ganze Generation das als Normalität begreift“, sagte Geiß. 

Anfeindungen wegen Ansichten und Aussehen 

Auch Menschen mit „sichtbarem Migrationshintergrund“ und Menschen mit homo- oder bisexueller Orientierung sind laut der Erhebung besonders oft Anfeindungen ausgesetzt – etwa nur 13 Prozent der heterosexuellen Menschen, aber 28 Prozent der homosexuellen und sogar 36 Prozent der bisexuellen.

Bei der Frage, worauf sich bei Betroffenen der Hass im Netz bezog, stehen mit 41 Prozent die politischen Ansichten an der Spitze – dabei sind Anhängerinnen und Anhänger der Grünen besonders betroffen, gefolgt von jenen von AfD und SPD. Bei 37 Prozent der von Hass im Netz Betroffenen bezogen sich Anfeindungen auf ihr Aussehen, bei 24 Prozent auf die eigene körperliche oder psychische Gesundheit, bei 17 Prozent auf einen Migrationshintergrund. 

Folge: Sozialer Rückzug 

Paus sagte, besonders häufig Opfer von Hass im Netz würden etwa Frauen, politisch Engagierte, jüdische, muslimische, nicht weiße Menschen. Die Folge laut der Studie: Die Betroffenen ziehen sich mit eigenen Posts und Äußerungen verstärkt zurück. So gaben 24 Prozent aller Befragten an, ihr Profil im Zusammenhang mit Hass im Netz nicht mehr benutzt, deaktiviert oder gelöscht zu haben. 

Opfer berichteten von sozialem Rückzug, psychischen Beschwerden und Problemen mit ihrem eigenen Selbstbild, sagte der Vorsitzende der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, Rüdiger Fries. Viele erlebten es als unmöglich, etwas gegen die virtuellen Anfeindungen zu unternehmen. 70 Prozent der Betroffenen gaben an, sich selbst wegen Hass im Netz seltener an Diskussionen im Internet zu beteiligen. Die Studien-Herausgeber warnten davor, dass gerade Angehörige von besonders oft angefeindeten Gruppen im Netz verstummen würden. „Den Hatern und Haterinnen wird das Feld überlassen“, sagte Fries.

EU-Regeln sollen helfen 

Effektive Meldesysteme, unabhängiger Rat sowie Hilfsangebote – das soll nach dem Willen der Familienministerin verstärkt gegen Hass im Netz helfen. Paus verwies zudem auf die neuen EU-Vorschriften im Gesetz über digitale Dienste. Dies soll die Entfernung illegaler Inhalte erleichtern. Für große Online-Plattformen und Suchmaschinen sollen besondere Sorgfaltsanforderungen gelten. 

Faeser forderte, die neuen Instrumente des Gesetzes müssten jetzt konsequent durchgesetzt werden. „Wir setzen auf Prävention, auf die konsequente Löschung von Hetze und auf die strafrechtliche Verfolgung der Täter.“ Angesichts der Welle antisemitischer und terroristischer Beiträge habe das Bundeskriminalamt von Oktober bis Februar mit über 3500 Löschersuchen und 290 Entfernungsanordnungen reagiert. 

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USA: Der Hass im Netz eskaliert

USA

In den USA schwappt seit dem Angriff der Hamas eine Welle von Hass durch das Internet. In Netzwerken erreichen Antisemitismus und Muslimfeindschaft Rekordhöhen. Bürgerrechtler sind alarmiert.

Washington (KNA) Sacha Baron Cohen hält mit seiner Empörung nicht hinter dem Berg. „Schämt Euch“, rief er in einer Video-Konferenz vergangene Woche führenden TikTok-Mitarbeitern zu. Der bekannte Komiker und Schauspieler meinte das in diesem Fall sehr ernst. Von Bernd Tenhage

Zusammen mit mehreren jüdischen US-Prominenten hatte er in dem virtuellen Gruppengespräch TikTok aufgefordert, mehr gegen den inflationären Antisemitismus im Netz zu tun. „Was bei TikTok passiert, ist die größte antisemitische Bewegung seit den Nazis.“

Der Hass in den USA ist online auf dem Vormarsch

Und nicht nur dort. Seit Wochen sind Hassparolen auf Social-Media-Plattformen wie X, dem früheren Twitter, Facebook und Instagram auf dem Vormarsch. Das gilt auch für antimuslimische Attacken.

Den Hashtag #HitlerWasRight übernahmen innerhalb eines Monats X-User in mehr als 46.000 Beiträgen, oft in Verbindung mit Aufrufen, gewaltsam gegen Juden vorzugehen. Im gleichen Zeitraum teilten zehntausende Islamfeinde den Hashtag #DeathtoMuslims bei X.

Das Ausmaß des gegenüber Juden und Muslimen im Netz zum Ausdruck gebrachten Hasses nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober hat selbst Kenner der Szene, wie die Experten der gemeinnützigen Organisation „Global Project Against Hate and Extremism“, überrascht. 

Millionen gewalttätige Posts markieren einen noch nie da gewesenen Anstieg von Hetze. Auf Plattformen wie „4chan“, „Gab“ und „BitChute“ schnellten in den ersten 48 Stunden nach den Anschlägen antisemitische und islamfeindliche Beiträge um fast 500 Prozent in die Höhe.

Foto: Voyagerix, Adobe Stock

Vervielfachung hasserfüllter Postings

Laut der jüdischen Bürgerrechtsorganisation „Anti-Defamation League“ verzehnfachten sich seit dem 7. Oktober allein auf Elon Musks Kurznachrichtendienst X die antijüdischen Beiträge. Bei Facebook stieg die Quote um fast 30 Prozent. Parallel wuchs die antimuslimische Hetze nach Angaben des Londoner „Institute for Strategic Dialogue“ bei X um mehr als das Vierfache.

Der Dachverband der Muslime in den USA, CAIR, schlägt Alarm. „Sowohl die Islamophobie als auch der gegen Araber gerichtete Rassismus sind in einer Weise außer Kontrolle geraten, wie wir es seit fast zehn Jahren nicht mehr erlebt haben“, so CAIR-Forschungsdirektor, Corey Saylor.

Besorgniserregend ist das plötzliche Interesse junger Amerikaner an dem Auftraggeber des Terrors vom 11. September 2001, Osama bin Laden. Dessen von Influencern ausgegrabener „Brief an Amerika“ verbreitet sich wie ein Lauffeuer, obwohl das Hasspamphlet aus dem Jahr 2002 stammt. 

Darin rechtfertigt Bin Laden den Terror von Al-Kaida unter anderem mit der Situation der Palästinenser. Der britische „Guardian“ hatte den fast 4.000 Wörter umfassenden Brief seinerzeit zur Dokumentation ins Englische übersetzt und publiziert. Die Zeitung löschte ihn aus dem Archiv, während TikTok den Hashtag #lettertoamerica in der Suchfunktion sperrte.

Dass er im Extremfall von jungen Amerikanern zum Freiheitskämpfer stilisiert wird, korrespondiert mit den erkennbaren Trends in einer aktuellen YouGov-Umfrage. Demnach hält nur jeder zweite US-Amerikaner zwischen 18 und 29 Jahren die Hamas für eine Terrororganisation. Obwohl sie am 7. Oktober rund 1.200 Zivilisten ermordete, mehr als 200 Geiseln nahm und ihre eigene Bevölkerung schutzlos ließ.

Foto: James Duncan Davidson | Urheber: James Duncan Davidson | Lizenz: CC BY-NC 3.0

Scharfe Kritik an Techno-Oligarchen

Scharf in die Kritik geriet der Besitzer des Netzwerks X selbst. Dem Beitrag eines Nutzers, der in einem Post den Juden selbst die Schuld an dem Hass gegen sie gab, spendierte Elon Musk ein „Like“ mit der Bemerkung, „Sie haben gesagt, wie es ist.“

Der Technologiekonzern IBM, Apple und andere Unternehmen kündigten daraufhin ihre Werbebudgets auf der Plattform. Andere prüfen, dem Beispiel zu folgen.

Der Judenhass im Netz hat seit dem 7. Oktober ein neues Gesicht, beobachtet Adi Cohen, Geschäftsführer der Forschungsgruppe Memetica, die digitale Trends verfolgt. Einige antisemitische Nutzer sähen darin „eine Gelegenheit, die Ermordung von Juden online zu feiern“. Sie versuchten, ein Publikum für ihre Hetze zu erreichen, die früher tabu war. „Dies ist ein großer Wachstumsmoment für sie.“

Was im Netz derzeit eskaliert, könnte schon bald im realen Leben gefährlich werden, warnt das US-Heimatschutzministerium. „Gezielte Gewalttaten könnten mit dem Fortschreiten des Konflikts zunehmen.“

TikTok zeigt sich nach dem Treffen mit den jüdischen Prominenten nachdenklich. Es sei ihm peinlich, das sagen zu müssen, aber er habe die Botschaft der Kritiker verstanden, so Adam Presser, operativer Leiter von TikTok und selbst Jude. Es sei „niederschmetternd“ zu sehen, wie viele Nutzer sich angewidert von der Plattform verabschiedeten.

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Elon Musk: Forscher halten Kritik wegen X aufrecht

Tech-Genie Elon Musk

Elon Musk hat gegen die Organisation CCDH geklagt. Sie hält ihre Kritik aufrecht.

San Francisco (dpa). Die von Elon Musks Online-Plattform X verklagten Hassrede-Forscher legen mit neuer Kritik an dem Dienst nach. Die Experten meldeten X (ehemals Twitter) Ende Oktober 200 Beiträge rund um den Hamas-Überfall auf Israel und den Gaza-Krieg, die nach Angaben der Forscher eindeutig gegen die Regeln verstießen.

Eine Woche später seien 196 davon immer noch online gewesen, berichtete die Organisation CCDH am Dienstag.

Elon Musks Online-Plattform: Es soll dort auch zu Gewalt aufgerufen werden

In den Beiträgen sei unter anderem zu Gewalt gegen Juden, Palästinenser und Muslime aufgerufen worden, hieß es in einem Blogeintrag der CCDH (Center for Countering Digital Hate). Auch seien antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet und der Nazi-Massenmord an Juden geleugnet oder verharmlost worden.

Von X gab es zunächst keine Reaktion auf die Kritik der Organisation. Wenige Stunden zuvor veröffentlichte der Dienst allerdings einem Blogpost zu seinem Umgang mit Inhalten, die gegen die Regeln der Plattform verstoßen.

Darin hieß es unter anderem, bisher sei man gegen mehr als 320.000 Beiträge unter anderem wegen Hassrede vorgegangen. Mehr als 3.000 Accounts seien entfernt worden. Bei über 25.000 Posts hätten die Teams wegen manipulierten Inhalten eingegriffen.

EU-Kommission schaltet sich ein

X hatte in den vergangenen Wochen eine offizielle Anfrage der EU-Kommission zur Einhaltung des neuen EU-Digitalgesetzes DSA erhalten. Online-Plattformen werden vom Digital Services Act (DSA) verpflichtet, strikt gegen illegale Inhalte wie zum Beispiel Hassrede und Hetze im Netz vorzugehen.

Musks Plattform hatte die Online-Forscher, die Hassrede und Falschinformationen im Netz aufdecken, im Sommer verklagt. X wirft CCDH in der Klage vor, für Berichte zum Umgang mit Hassrede widerrechtlich auf Daten des Dienstes zugegriffen zu haben. Dem Unternehmen sei dadurch Schaden entstanden, weil Werbekunden abgesprungen seien.

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Moscheen im Visier

moscheen

Moscheen: Im Sommer gingen bundesweit Droh- und Hassbriefe bei muslimischen Einrichtungen ein. (IZ/Agenturen). Mitten in der normalerweise ereignisarmen Sommerpause im Juli und August dieses Jahres ließen Meldungen aufhorchen, wonach mehrere […]

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Antimuslimischer Rassismus: CLAIM startet Kampagne gegen alltäglichen Hass

muslimfeindlichkeit Produktivität antimuslimischer rassismus

Antimuslimischer Rassismus: Betroffene endlich ernst nehmen. CLAIM startet Kampagne und macht Alltagsrassismus zum Thema.

Berlin (CLAIM/iz). Erst Anfang Mai wurden Berliner SchülerInnen aufgrund u. a. antimuslimischer Motive auf einer Klassenfahrt in Brandenburg attackiert. Zugleich wurden in den letzten Wochen in Dessau, Dortmund und Berlin körperliche Übergriffe auf muslimische Frauen gemeldet.

Foto: Markus Spiske, via flickr | Lizenz: CC BY 2.0

Antimuslimischer Rassismus: Übergriffe sind Teil des Alltags

„Heute mal wieder“ ist Leitgedanke der heute gestarteten bundesweiten Kampagne, die antimuslimischen Alltagsrassismus zum Thema macht. Die Kampagne ist Teil eines von Staatsministerin Reem Alabali-Radovan, Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus, geförderten Modellprojekts und wird anlässlich der bundesweiten Aktionswochen gegen antimuslimischen Rassismus gelauncht.

Namhafte Personen aus Politik, Medien und Kultur wie Staatsministerin Claudia Roth (Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien), Staatssekretärin Juliane Seifert (BMI), Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen), Amira Mohamed Ali (Die Linke), Aydan Özoğuz (SPD), Dr. Emilia Zenzile Roig (Center for Intersectional Justice), Kübra Gümüşay (Autorin), Esra Karakaya (Journalistin), Dr. Mehmet Daimagüler (Beauftragter der Bundesregierung gegen Antiziganismus) und Dr. Meron Mendel (Direktor der Bildungsstätte Anne Frank) sind Teil der Aktionswochen.

Foto: Photothek, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 4.0

CLAIM Allianz: kein Randphänomen

Antimuslimischer Rassismus ist nach Ansicht der CLAIM Allianz kein Randphänomen, sondern mitten in unserer Gesellschaft verankert. „Muslim*innen und muslimisch gelesene Menschen“ würden in Deutschland täglich zur Zielscheibe von Hass, Diskriminierungen und rassistischen Übergriffen. Alltäglich sei, dass Menschen aus rassistischen Gründen einen Job oder eine Wohnung nicht erhalten oder Kinder im Schulalltag diskriminiert werden.

Dabei stelle die offizielle Statistik politisch motivierter Kriminalität (PMK) nur die „Spitze des Eisberges antimuslimsicher Vorfälle“ dar. Sie ergibt für 2022 610 islamfeindliche Straftaten sowie 62 Angriffe auf Moscheen (Quelle: BMI 2023).

Gemäß einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung (2023) erführen „72 % der Muslim*innen in Deutschland rassistische Diskriminierung“ und nach CLAIM-Ansicht zu einer der am stärksten benachteiligten Gruppen in Deutschland. Der Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor des DeZIM (2022) zeige gleichzeitig, dass die Mehrheitsgesellschaft antimuslimischen Rassismus deutlich seltener als solchen erkenne.

„Wir haben ein vielfältiges, muslimisches Leben in Deutschland, das unsere Gesellschaft bereichert. Zugleich ist antimuslimischer Rassismus Teil des Alltags vieler Muslim*innen. Das ist nicht nur eine Bedrohung für Muslim*innen oder Menschen, die aufgrund ihres Aussehens oder der Herkunft für solche gehalten werden. Das gefährdet auch den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, die Vielfalt von Kulturen und Religionen und damit unsere demokratische Kultur als Ganzes! Die Bekämpfung von Rassismus in all seinen Erscheinungsformen ist gesamtgesellschaftliche Aufgabe – also machen wir mit, schreiten wir ein, seien wir solidarisch mit Betroffenen und stärken den Zusammenhalt in unserem Land.“

Staatsministerin Reem Alabali-Radovan, Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus

Muslimfeindlichkeit

Foto: Prostock-studio, Shutterstock

Für viele eine „oftmals schmerzliche Erfahrung“

CLAIM-Leiterin Rima Hanano betonte: „Antimuslimischer Rassismus ist für viele Menschen eine alltägliche und oftmals schmerzhafte Erfahrung und gipfelt nicht nur in extremen Gewaltexzessen wie in Hanau – darauf machen wir seit Jahren aufmerksam.“

In seine Arbeit erlebe das Netzwerk, dass gerade antimuslimischer Rassismus im Alltag oft nicht erkannt wird. Die Erfahrungen Betroffener werden nicht selten in Frage gestellt – durch Behörden und die Gesamtgesellschaft. „Uns fehlt nicht nur ein Verständnis und eine Anerkennung von antimuslimischem Rassismus. Was wir dringend brauchen, ist eine echte Solidarität mit Betroffenen, die aus der Mitte der Gesellschaft kommt, eine Ächtung des Hasses, den sie tagtäglich erfahren.“

Gleichzeitig brauche es unbedingt konkrete Maßnahmen wie eine Reformierung des AGG sowie eine bessere statistische Erfassung von antimuslimischen Vorfällen, um Betroffene zu schützen und antimuslimischen Rassismus zu bekämpfen.

Foto: CLAIM Berlin

Kampagne und Aktionswoche sollen aufklären

Die Kampagne ist nach Angaben des Netzwerk Teil des Modellprojektes „Das ist antimuslimischer Rassismus. Antimuslimischen Rassismus erkennen und handeln.“ 

Sie hat zum Ziel, die Öffentlichkeit im Hinblick auf antimuslimischen Rassismus zu sensibilisieren und Betroffene zu stärken. Gefördert wird sie durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration sowie die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus.

Vom 19. Juni bis zum 1. Juli 2023 finden diesjährig die Aktionswochen gegen antimuslimischen Rassismus statt. Seit 2018 werden sie von CLAIM angestoßen und koordiniert. Getragen werden sie von „einem breiten, wachsenden zivilgesellschaftlichem Bündnis“.

Die zugrundeliegende Absicht besteht darin, sich „gegen Hass und antimuslimischen Rassismus“ zu wenden. Am 1. Juli 2009 wurde die Pharmazeutin Marwa El-Sherbini aus antimuslimischen und rassistischen Gründen im Dresdner Landgericht mit 18 Messerstichen ermordet.

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„Hass hat es auch vor dem Internet gegeben“ Was tun?

Hass

(iz). Ähnlich dem Coronavirus sind Hass, Polarisierung und Extremismus auch dank sozialer Medien zu einem virulenten Phänomen geworden. Manche KritikerInnen sprechen geradezu von einer „Pandemie des Hasses“. Diesen Hass und diese Radikalisierung haben die unterschiedlichsten Ideologien – ob politisch oder religiös eingefärbte – gemeinsam, selbst wenn sich die vermittelten Weltbilder diametral gegenüberstehen sollten.

Diese Phänomene haben negative Auswirkungen und verlangen sowohl nach Lösungen als auch nach Immunisierungen bei ihrem Zielpublikum. Hierzu sprachen wir mit dem Politologen und Autor Said Rezek und dem Literaturwissenschaftler Ahmet Aydin. Wir wollten von ihnen wissen, wie sie Hass und Extremismus wahrnehmen, was man gegen sie tun kann und wie wir uns vor ihnen schützen können. (Die IZ-Redaktion sprach separat mit beiden. Fragen und Antworten wurden später separat zusammengefügt.)

Islamische Zeitung: Lieber Said Rezek, Hass und Extremismus von unterschiedlicher Seite – im Netz – werden seit einiger Zeit verstärkt diskutiert. Wie nehmen Sie diese Phänomene wahr?

Said Rezek: Diese Phänomene sind nicht neu, aber es ist ein stärkeres Problembewusstsein entstanden. Hass hat es auch vor dem Internet gegeben, aber die Hetze ist im digitalen Zeitalter noch sichtbarer geworden. Zudem sinkt in der Online-Kommunikation im Gegensatz zu einer analogen Situation die Hemmschwelle, Menschen zu beleidigen.

Darüber hinaus wird durch Filterblasen der Hass im Netz verstärkt, weil immer mehr Menschen permanent einseitig informiert werden. Dadurch verlieren viele die Fähigkeit, Meinungsunterschiede auszuhalten. Wenn Menschen mit unterschiedlichen Einstellungen dann in sozialen Netzwerken aufeinandertreffen und sich über polarisierende Themen wie Umwelt, Rassismus oder Integration austauschen, dann sind Hasskommentare so gut wie vorprogrammiert.

Hass im Netz geht dabei vor allem von einer rechten Gegenöffentlichkeit im Netz aus.  Seit Januar 2017 erfasst das Bundeskriminalamt strafrechtlich relevante Hasspostings in einer eigenen ­Kategorie. Der Anteil politisch rechts motivierter Hasspostings liegt zwischen 2017 und 2019 konstant bei über 70 Prozent. Damit treten rechts motivierte Hasspostings deutlich häufiger auf als politisch linke oder solche, die durch eine ausländische oder religiöse Ideologie ­heraus begangen werden.

Islamische Zeitung: Lieber Ahmet Aydin, Sie sind Literaturwissenschaftler und Poet. Wie wirken als solcher die Phänomene Extremismus, Gewalt und Terror auf Sie?

Ahmet Aydin: Sie erschüttern mich und drohen, meine Gefühle als Mensch abzustumpfen. Umso dankbarer bin ich, dass ich mich mit schönen Gedanken und Gefühlen beschäftigen darf in ­meiner Arbeit. Poesie bildet in uns das aus, was der Terror auslöscht: den Sinn für das Göttliche.

Ich schrieb ein Gedicht über den Sprachrassismus und auch Gedichte, die Bilder wie den Wein und die Liebe zur Frau thematisieren. Daran stören sich nicht bloß Terroristen, sondern auch Menschen, die lediglich nur eine einzige Deutung zulassen, denen, um mit Thomas Bauer zu sprechen, die „Ambiguität“ verloren gegangen ist – vielleicht haben solche Menschen sie niemals gelernt…

Islamische Zeitung: Muss sich Dichtung, wenn sie authentisch sein will, mit Dingen wie Extremismus, Gewalt und Terror beschäftigen?

Ahmet Aydin: Ja, sie muss sich mit dem beschäftigen, was die Menschen beschäftigt. Poesie soll den Menschen im Alltag dort abholen, wo er sich befindet und suchen eine Welt zu eröffnen, die über den Alltag und die Alltagspolitik ­hinausgeht.

Islamische Zeitung: Sind junge Menschen wirklich empfänglicher für solche Tendenzen, wie es manchmal heißt, oder betreffen sie uns alle? 

Said Rezek: Hate Speech ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, aber junge Menschen sind davon häufiger ­betroffen. Die repräsentative Online-­Befragung mit dem Titel #Hass im Netz: Der schleichende Angriff auf unsere Demokratie ergab 2019, dass jede:r Zwölfte in Deutschland schon einmal direkt von Hate Speech im Internet betroffen war, bei den 18- bis 24-Jährigen ist es mehr als jede:r Sechste. Häufig sind Personen von Hass im Netz betroffen, die zu einer benachteiligten gesellschaftlichen Gruppe gehören. Dazu zählen Menschen mit Migrationshintergrund, Muslim:innen, Jüd:innen, Geflüchtete und nicht zuletzt Frauen.

Islamische Zeitung: Lieber Ahmet Aydin, Teil Deines ehrenamtlichen ­Engagements besteht auch darin, jungen MuslimInnen das Dichterische und Spirituelle des Islam nahezubringen. Ist das für Dich auch eine Form, die künftige Generation gegen diese Negativität zu immunisieren?

Ahmet Aydin: Ja, es ist das Heilmittel. Dichtkunst ist dazu da, um im Alltag das Außergewöhnliche wahrzunehmen. Den Alltag „romantisieren“ hat es Novalis ­genannt, von dem wir viel lernen können. Dieses Wort wirkt sehr befremdlich, ­deshalb sage ich: Dichter helfen uns dabei unseren Alltag zu spiritualisieren, dafür sind sie da. Denn wer Spiritualität besitzt, spürt das Leiden anderer, als sei es das ­eigene.

Islamische Zeitung: Lieber Said Rezek, was können wir gegen extreme Parolen und die alltägliche Polarisierung im Internet tun? Haben Sie praktische Tipps?

Said Rezek: Als Blogger:in kann jede:r Beiträge veröffentlichen, die sich online und offline gegen Hass richten und sich für Vielfalt stark machen. Vor allem ­rassistische Aussagen von Politikern, wie die der AfD, oder Personen des öffentlichen Lebens sollten nicht unwidersprochen bleiben, weil sie häufig viele Menschen erreichen. Je nach Situation und Schwere von Hasskommentaren kann man diese melden, moderieren, löschen oder sogar anzeigen. Außerdem reichen die Möglichkeiten von sachlicher bis hin zu sarkastischer Gegenrede.

Islamische Zeitung: Braucht es eine gesellschaftliche Suche nach Wegen, um die Medienkompetenz bei den Menschen zu fördern?

Said Rezek: Das ist absolut wichtig, weil sich viele Menschen in Filterblasen bewegen, ohne sich darüber im Klaren zu sein. Außerdem fallen viele User:innen im Netz auf Fake News herein und verbreiten diese unbewusst weiter, wie die Corona-Pandemie einmal mehr deutlich gemacht hat. Medienkompetenzen sollten viel stärker in Schulen unterrichtet werden, aber auch Erwachsene sollten sich in dieser Hinsicht weiterbilden. Medienkompetenzen sind für eine funktionierende Demokratie unerlässlich, denn Bürger:innen müssen in der Lage sein Informationen einzuordnen und verschiedene Perspektiven kennenzulernen, um beispielsweise bei Wahlen bewusste Entscheidungen zu treffen und sich am öffentlichen Diskurs beteiligen zu können.

Islamische Zeitung: Lieber Said Rezek, lieber Ahmet Aydin, wir bedanken uns für das Interview. (Interview: Sulaiman Wilms)

„Anschlag gegen Menschlichkeit“

Seit Monaten häufen sich in Deutschland Anschläge gegen Flüchtlingsheime. Mit einer Granate im Schwarzwald erreicht die Gewalt eine neue Qualität. Eine entscheidende Frage ist aber offen.
Villingen-Schwenningen (dpa). Mit einem Handgranatenanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft im Schwarzwald hat die Gewalt gegen Zuwanderer in Deutschland eine neue Dimension erreicht. Unbekannte warfen in der Nacht zum Freitag den Sprengsatz auf das Gelände der Unterkunft im baden-württembergischen Villingen-Schwenningen – unklar ist aber, ob die jugoslawische Granate vom Typ M52, eine Kriegswaffe, scharf war und hätte explodieren können. Verletzt wurde niemand.
„Es steht fest, dass sie mit Sprengstoff gefüllt war“, sagte Johannes-Georg Roth, Leiter der Staatsanwaltschaft Konstanz. „Ob ein Zünder verbaut war, ist bisher nicht bekannt.“ Ein Experte des Landeskriminalamtes erklärte, von einer scharfen Granate könne nur gesprochen werden, wenn Sprengstoff und Zünder vorhanden seien. Aus Polizeikreisen hatte es zunächst geheißen, die Granate sei scharf.
Die Polizei ermittelt nach eigenen Angaben in alle Richtungen und schließt ein fremdenfeindliches Motiv nicht aus. Einen konkreten Verdacht gebe es noch nicht. Befragungen in der Nachbarschaft hätten aber den einige Hinweise dazu erbracht, hieß es.
Die Granate wurde von Entschärfern kontrolliert gesprengt. In der Unterkunft leben nach Auskunft des Regierungspräsidiums Freiburg 104 Flüchtlinge aus mehreren Ländern, 39 davon aus Syrien, weitere Flüchtlinge stammten aus Afghanistan, Irak und Albanien.
Die Handgranate sei gegen 1.15 Uhr von der Straße aus über den Zaun in eine Zufahrt des Geländes geworfen worden, sagte der Leiter der Sonderkommission „Container“, Rolf Straub. Der Sprengkörper sei neben einem Container des Sicherheitsdienstes liegengeblieben, in dem sich nach Auskunft von Klemens Ficht vom Regierungspräsidium Freiburg drei Sicherheitsleute aufhielten. Die Granate explodierte jedoch nicht. Zwölf Streifenbesatzungen rückten an, die Polizei sperrte das Gelände und angrenzende Straßen weiträumig ab.
Es ist bundesweit der erste Sprengstoff-Angriff auf Flüchtlinge. „Bis jetzt hatten wir zwar mehrere Fälle, in denen Pyrotechnik verwendet wurde“, sagte eine Sprecherin des Bundeskriminalamts (BKA) in Wiesbaden. „Dass nun eine Kriegswaffe zum Einsatz gegen eine Flüchtlingsunterkunft kam, ist neu.“
Politiker sprachen von einer neuen Dimension der Gewalt. „Also das ist wirklich unfassbar, dass jetzt schon mit Handgranaten – quasi mit militärischen Waffen – auf Asylsuchende losgegangen wird“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann. „Die Täter dürfen nicht ungestraft davon kommen“, twitterte Bundesjustizminister Heiko Maas.
CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf nannte die Attacke einen „Anschlag gegen die Menschlichkeit“. Die Tat müsse mit der ganzen Härte des Rechtsstaates bestraft werden. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck, innenpolitischer Sprecher, bezeichnete die Tat als „Straßenterror“ und forderte einen Gipfel im Kanzleramt mit Diskussionen, „die am Wohl und Schutz der Flüchtlinge orientiert sind und nicht nur an deren Abwehr“.

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Wunsch nach Unruhe?

(iz). Die Übergriffe von Kriminellen und Dieben auf Frauen während der Silvesternacht in Köln und anderen Städten hat eine neue Debatte über Kriminalität und Migration hervorgerufen. Als Reaktion haben sich […]

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Vor Staatsbesuch: Verfolgte Rohingya in Myanmar sehen in US-Präsident Obama als letzte Rettung. Ein Bericht von Simon Lewis

Die muslimischen Rohingya werden im buddhistischen Myanmar gehasst und verfolgt. Sie setzen alle Hoffnung auf US-Präsident Obama. Setzt er als Fürsprecher der Entrechteten andere US-Interessen aufs Spiel?

Rangun (dpa). Für US-Präsident Barack Obama ist Myanmar nur eine Durchgangsstation von einem Gipfel zum anderen. Doch in dem südostasiatischen Land wird ihn ein von der Welt vergessener Konflikt einholen: Die von Staats wegen verfolgte muslimische Minderheit der Rohingya fürchtet um ihr Leben. Seit Mitte Oktober seien bis zu 16.000 auf vollgepferchten und oft kaum seetüchtigen Booten Richtung Thailand und Malaysia geflüchtet, sagt Chris Lewa, Koordinatorin der Hilfsorganisation Arakan Group.

Die Behörden betrachten die meisten Rohingya als illegale Einwanderer aus dem Nachbarland Bangladesch, verweigern ihnen die Staatsbürgerschaft, drohen mit Abschiebung und halten 140 000 hinter Stacheldraht in Internierungslagern fest. Ihre Anführer setzen alle Hoffnung auf den Friedensnobelpreisträger Obama. „Für uns heißt der Obama-Besuch: alles oder nichts“, sagt Kyaw Min, Präsident der Rohingya-Partei „Menschenrechte und Demokratie“. „Wenn er die Rohingya-Frage nicht ernst nimmt und nicht aufwirft, werden wir hier Zielscheibe bleiben, bis zur Vernichtung.“

Doch für Obama ist die Sache schwierig. Er kann einerseits als Verfechter der Menschenrechte nicht schweigen, will aber auch nicht die Reformregierung brüskieren. Er braucht das Ohr von Präsident Thein Sein, weil die USA die 2011 angefangenen Reformen hin zu einer offenen demokratischen Gesellschaft unbedingt vorantreiben wollen. Obama schreibt sich den friedlichen Wandel dort auch auf die eigene Fahne. Er war einer der ersten, der nach dem Ende der Militärdiktatur 2012 kam und dem einstigen Junta-General Thein Sein die Hand reichte.

Nicht nur aus Selbstlosigkeit: Myanmar – früher Birma – liegt strategisch zwischen den aufstrebenden Mächten Indien und China. Da wollen die USA eine starke, offene demokratische und gerne US-freundliche Gesellschaft sehen. Zudem ist Myanmar nach Jahrzehnten Abschottung auch ein Markt mit 51 Millionen Verbrauchern.

„Die USA sind als Gegengewicht zu China unerlässlich“, schreibt das Institut für Strategische und Internationale Studien (CSIS) in Washington. „Die USA haben viel investiert, und das wird erst richtig Früchte tragen, wenn wir am Ball bleiben.“

//1//Viele Rohingya sind schon im 19. Jahrhundert mit dem britischen Kolonialherren in die Rakhine-Region in Westmyanmar gekommen und leben seit Generationen dort. Animositäten mit der buddhistischen Bevölkerungsmehrheit gab es immer. 2012 kam es zu blutigen Zusammenstößen, ausgelöst durch das Gerücht einer Vergewaltigung. Dutzende Menschen kamen ums Leben, Hunderttausende Rohingya wurden aus ihren Dörfern vertrieben. Zu den Aufrührern gegen die Rohingya gehören auch buddhistische Mönche.

Schätzungsweise 300.000 Rohingya, also fast ein Drittel, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ wurde aber aus der Rakhine-Region im Frühjahr ausgewiesen. „Die Regierung tut nichts, um die Übergriffe zu stoppen“, meint Lewa vom Arakan Projekt. „Sie schicken nur mehr Sicherheitskräfte, aber die schüren noch die Gewalt gegen Rohingya.“ Die Behörden weisen das zurück.

Die Regierung treibt die Lösung der Rohingya-Frage voran. Wer die Staatsbürgerschaft will, muss mindestens 60 Jahre Ansässigsein schriftlich nachweisen. Das können die wenigsten der oft bitterarmen Wanderarbeiter. Wer das nicht kann, soll ausgewiesen werden. Deshalb die Flüchtlingswelle. Viele hoffen, ins muslimische Malaysia zu gelangen, wo die Rohingya bislang stillschweigend geduldet werden.

Nach einer Untersuchung der Organisation „Fortify Rights“ müssen Flüchtende Soldaten und Polizisten schmieren, um auf kaum seetüchtigen Booten zu größeren Transportern aufs Meer hinausgebracht zu werden. Die Flucht kostet viele ein Vermögen, wie sie der Organisation berichteten. Auf hoher See warten oft Schlepper, die sie als billige Arbeitskräfte an Fischtrawler verschachern.