Hintergrund: Der Polizist, der ein Salafist war! "Bewegung in der Szene". Recherchebedarf wächst stetig. Von Khalil Breuer

(dpa/iz). Das ist schon eine merkwürdige – man könnte auch sagen, abenteuerliche – Geschichte. Ein 31-jähriger Polizist aus Essen ist ganz zufällig als Salafist aufgefallen und soll nun aus dem Polizeidienst entfernt werden. Der Beamte wurde suspendiert. Es sei ein Disziplinarverfahren mit dem Ziel eingeleitet worden, ihn aus dem Staatsdienst zu entlassen, teilte der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) am Dienstag in Düsseldorf mit. Doch damit noch nicht genug. Die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ (WAZ) berichtete, der Beamte habe im Jahr 2009 auch für den NRW-Verfassungsschutz gearbeitet. Er sei bei einem mobilen Observationskommando eingesetzt gewesen und habe Extremisten ausspähen sollen. In Polizeikreisen wurde dies bestätigt.

Der Kommissar mit ausländischen Wurzeln sei in seiner Freizeit durch Aktivitäten für die radikalen „Islamisten“ aufgefallen. So habe er Info-Stände für salafistische Vereine angemeldet und sich an deren Koran-Verteilaktion beteiligt, bestätigte die Polizei. Soweit die offizielle Geschichte. Jetzt kommen die Fragen, denn so langsam sollten in den deutschen Redaktionsstuben ein wenig der journalistische Ehrgeiz angefacht sein. Es drängen sich ein paar Punkte geradezu auf. Wie viele V-Leute gibt es denn in der salafitischen Szene? Hatte der durch die Koran-Verteilaktion bekannt gewordene Ibrahim Abou-Nagie eigentlich auch Kontakte zum VS (wie er auf Youtube selbst behauptet)?

Ganz neu ist das strategische Interesse des Verfassungsschutzes an der Salafismus-Szene nicht. Schon in einem Artikel der FAZ vom 3.10.2010 über den Prediger Vogel wird auch die Einschätzung des Islamwissenschaftler Müller vom VS Stuttgart einbezogen. „Er tritt den gängigen Islam-Organisationen vors Schienbein“, wird Müller dort zitiert, denn „er ist ein spannendes Experiment, er bringt Bewegung in die Szene.“

Der baden-württembergische VS hatte schon einmal mit der radikalen Szene zu tun: In Freiburg beschäftigte die Behörde von 1995-2002 einen radikalen Prediger als V-Mann; Yehia Youssif, der später die radikale, teilweise militante Ulmer Bewegung der Salafiten gründete. Bei seinem Sohn wurde zudem Sprengstoff gefunden. Die näheren Umstände der Beschäftigung des zwielichtigen V-Mannes sind bis heute ungeklärt.

Die sagenumwobene Ulmer Gemeinschaft wurde de facto zum Berührungspunkt nicht nur der „Sauerlandgruppe“, sondern praktisch aller in Deutschland lebenden oder als solche, verdächtigten Terroristen. Der Mann flüchtete übrigens 2004 ins Ausland, ohne bis heute Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen geworden zu sein.

Zu den Hintergründen einer Kampagne: Geteilte Meinungen über neue Behauptungen. Von Khalil Breuer

(iz). Eigentlich ging die „Bombe“ schon am 14. April hoch: Die „Stuttgarter Nachrichten“ berichteten, dass der Initiator der so genannten „Lies-Aktion“, Ibrahim Abou-Nagie, Hartz-IV-Empfänger sei. Diese Informationen hatte die Stuttgarter Journalisten damals – nach ihren eigenen Aussagen – aus vorliegenden Unterlagen des NRW-Verfassungschutz. Außerdem, so wird behauptet, habe Abou-Nagie, zur Verwunderung der Ermittler – und ohne weitere Konsequenzen – hohe Telefonrechnungen produziert und fahre zudem ein drittfinanziertes, teures Auto. Ob dies alles so stimmt, wurde bisher nicht von der Behörde bestätigt.

Heute legt die „BILD“ nach und berichtet mit großen Buchstaben über die Hinweise der „Stuttgarter Zeitung“. Das Boulevardblatt wirft dem „Prediger” auf Seite 1 – neben seinem bekanntem Gerede – vor, auch den deutschen Staat auszubeuten.

Der Bericht gibt damit eine weitere Vorlage für ein nachhaltiges Ressentiment gegen Muslime. Nicht nur in unserer Facebook-Community wird das merkwürdige Zusammenspiel zwischen Massenmedien und Kleingruppen – zu Lasten einiger Millionen Muslime im Lande – mit einigem Argwohn verfolgt.

In der muslimischen Community hat im Internet eine breite Debatte über den Fall begonnen. Grundsätzlich wird dabei immer wieder zu Recht erinnert, dass die kleine Gruppierung der „Salafiten“ nicht nur facettenreich, sondern auch in sich selbst zerstritten ist.

Die Meinungen im konkreten Fall sind gespalten. Zwar wird gewarnt, andere Muslime mit noch unbewiesenen Behauptungen zu schaden. Üble Nachrede ist immerhin ein schweres Delikt im Islam. Andererseits, so die zweite Meinung, ist aber das auf Öffentlichkeit ausgerichtete Politikum „Salafismus“ so schädlich für die Muslime, dass auch eine kritische, innerislamische Debatte über alle Fakten erlaubt sein muss. „Sozialhilfe kassieren und den Staat attackieren“, empfindet eine große Mehrheit natürlich als inakzeptabel. Gerade auch, weil die genannte Gruppe sehr schnell anderen Muslimen „Heuchelei“ vorwirft. Sollten die Vorwürfe gegen Abou-Nagie nicht stimmen, wäre natürlich eine Gegendarstellung des in die Schlagzeiten geratenen Muslim fällig.

Nicht nur das: Es gibt auch Misstrauen. So hat Abou-Nagie in einem YouTube-Video aus dem Jahr 2010 selbst eingeräumt, dass er vom Verfassungsschutz – angeblich wegen seiner Wortwahl – angesprochen und sogar „eingeladen“ worden sei. Was aus diesen Kontakten genau wurde, ist bisher von beiden Seiten nicht bekannt und wird zum Gegenstand kritischer Nachfragen.