Themenschwerpunkt "Islamic Finance": Die IZ-Reihe über den Alltag der Muslime. Von Sulaiman Wilms

(iz). Das Interessante am Publicity-Rummel ist, dass alle ihn ernst nehmen, auch wenn sich am Ende nichts ereignet. Ein Geschmack vom Verhältnis zwischen Hype und Realität konnten Deutschlands Muslime in den letzten Jahren in Sachen Halal-Lebensmittel machen. Obwohl angesagte Branding-Firmen wie der US-Riese Ogil­vy gar, die auf Muslime spezialisierte Tochterfirma Ogilvy-Noor gründete, und eine globale Halal-Konferenz die nächste jagt, ist von dem Trend beim deutschen Verbraucher nichts zu spüren.

Das soll nicht heißen, dass so mancher Branchenriese der Industrie nicht mit „Halal-“Industrieprodukten horrende Gewinne einfahren würde, aber der Hype hat sich noch nicht einmal in den Produktregalen der tristen Lebensmitteldiscounter niedergeschlagen. Zu verängstigt reagierte bisher die Führung des deutschen Einzelhandels.

Genauso verhält es sich „am Boden“ mit dem sagenumwobenen „Islamic Banking“ beziehungsweise dem Zweig der Finanzindustrie, der auf den muslimischen Endverbraucher abzielen soll. Anders als in Großbritannien – einem Zentrum der globalen Finanzindustrie – lässt der Antrag einer türkischen Bank auf die Erteilung einer Vollbanklizenz durch die deutsche Aufsichtsbehörde BaFin seit einiger Zeit auf sich warten.

Bisher sieht es mau aus
Sehen wir vom PR-Rummel und der oft wiederholten Beteuerung ab, backt das so genannte „Islamische Finanzwesen“ hier seit Jahren eher kleine Brötchen. Von der Handvoll unabhängiger Finanzdienstleister und Agenturen, die zumeist als Zwischeninstanzen für so genannte „scharia-kompatible Anlageformen“ beziehungsweise konventionelle Modelle – wie Edelmetalldepots, die mit dem islamischen Recht vereinbar sind – werben, geht es daheim eher ruhig und beschaulich zu. Diese Vermittlungsfirmen, deren Hauptgeschäft aus Provisionen besteht, finden ihre Kundschaft oft auf Veranstaltungen von Muslimen, wo sie mit Infoständen und als Sponsoren vertreten sind.

Am mangelnden Interesse von Muslimen, die etwas auf die Hohe Kante legen wollen, oder die auf der Suche nach islam-kompatiblen Kaufverträgen sind, kann es nicht liegen. Seit Jahren ­erhalten wir im Rahmen unserer redaktionellen Arbeit regelmäßige Anfragen von Lesern und Freunden. Diese Fragen sind ­relativ häufig: Was soll ich mit Zinsen machen, die ich für meine Einlage bekommen? Wie kann ich den Kauf meines neuen Autos finanzieren, ohne dafür Zinsen zahlen zu müssen? Wer vermittelt mir Optionen für den Kauf eines Hauses jenseits der konventionellen Möglichkeiten? Bisher fällt es schwer, auf diese Frage eine plausible und befriedigende Antwort zu geben.

Muslimische Verbände begrüßen Entwicklung
Wenn es nach einigen muslimischen Verbänden in Deutschland geht, soll sich das bald ändern. Die Vorlage des britischen Premiers Cameron (siehe S. 17) auf dem diesjährigen World Islamic Economic Forum, London zum führenden Handelsplatz für „islamische Anlageformen“ machen zu wollen, begrüßten der Zentralrat der Muslime und auch der Islamrat den Verstoß. Beide forderten die Bundesregierung auf, die Bedingungen auch in Deutschland für das „Islamic Banking“ vorteilhaft zu gestalten. Ali Kizilkaya, Vorsitzender des Islamrates, erklärte seine Zustimmung: „Es ist erfreulich, dass alternative Wirtschaftsformen gesucht und anerkannt werden.“

Bereits im Mai 2012 forderte der Verantwortliche des Zentralrates der Muslime für die „Islamic Finance“, Michael Saleh Gassner, „mögliche Anbieter auf, die Muslime als Kundensegment wahrzunehmen und das attraktive Potenzial zu nutzen“. Und am 19. Januar 2013 beschäftigte sich die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) auf einer „hochkarätig besetzten Veranstaltung“ (so die Frankfurter Rundschau) mit „dem Islamischen Bankwesen“. Der ­Zentralrat wurde bereits vor geraumer Zeit selbst Akteur in der Debatte um die „Islamic Finance“. So half er der Westdeutschen Landesbank (WestLB) bei der „Zertifizierung“ eines „risikoreduzierten Investments in die zehn größten islamkonformen Unternehmen Deutschlands“.

Kritik vom Experten
Konträre Meinungen zur „Islamic Finance“ kommen in den Stellungnahmen und Events muslimischer Organisationen und auf akademischen Veranstaltun­gen (für Anfang 2014 ist ein Symposium an der Universität Osnabrück vorge­sehen) bisher nicht vor, obwohl diese eigentlich auf einer qualifizierten Ebene zu finden sind.

Ein muslimischer Jurist und Fachmann, der ungenannt bleiben wollte, sprach von seinen großen Zweifeln bezüglich der geplanten Anleihe von London. „Grundsätzlich würde ich diese Anleihe wie jede andere einschätzen. Komplizierend kommt hinzu, dass sie als ‘islamisch’ bezeichnet wird und die Frage, wie die muslimische Community darauf reagieren wird. Dies alles löst weitere Beobachtungen aus: a.) unser Umgang als Gemeinschaft mit Banking als solche, b.) unsere Einstellung zu Wirtschaftsethik, Armutsfragen und natürlich auch zum Kapitalismus“, beschreibt der international aktive Fachmann das britische Vorhaben, welches in Deutschland ein solch positives Feedback erhielt.

Das Projekt dürfte die Form von Sukuk annehmen. Wahrscheinlich werde die Einkommenssumme am LIBOR [tagesabgängiger Interbanken-Zinssatz] „gefixt“ und es dürfte auch eine Auffangklause geben, wenn bestimmte Rückfluss­summen wegen des gefixten LIBOR-Tatbestands nicht erfüllt würden. „So wird im Prinzip ein fixierter Rückfluss erzeugt. Das ist dann identisch mit ­einem Zinssatz. Auch wenn ich die Einzelheiten nicht kenne, ist dies der Regelfall. Es würde mich wundern, wenn sie jetzt ein neues, revolutionäres Produkt einführen würden“, war seine ernüchternde Einschätzung.

Die Zweifel wachsen
„Grundsätzlich ist mein Problem mit dem ‘Islamic Banking’, dass das, was ‘scharia-konform’ genannt wird, überwiegend von Gelehrten besiegelt wird, die auch von diesen Banken bezahlt werden. Jeder Anwalt kann eine Meinung äußern. Nur ein Richter kann entscheiden, ob diese Ansicht etwas taugt oder nicht. Leider haben wir, soweit es ­Fatwas betrifft, kein Gericht in der Welt, dass autorativ entscheiden könnte, ob eine bestimmte islamische Meinung scharia-konform ist oder nicht“, ist der grundle­gende Zweifel unseres Gesprächspartners.

Die öffentliche Positivität muslimischer Organisationen gegenüber dem Vorschlag Camerons sei für ihn ein „Wer­begag“. „Die Verbände haben nicht das notwendige Know-how beziehungsweise nicht die nötige, diversifizierte Meinung. Sie folgen einer Schule zu Unguns­ten einer anderen und werden wahrscheinlich einseitig beraten“, lautet ­seine Kritik. Er bedauere, dass die hörbaren muslimischen Stimmen „nicht bankkritischer“ seien.

Außerdem werde übersehen, dass das Ziel gar nicht „Ali“ und „Fatima“ in Deutschland seien, sondern die großen Bestände „an Liquidität am Golf und in Asien“. Indien alleine verfüge über 400 Millionen Muslime. Da reiche „nur ein kleiner Anteil“.

Ganz konkret sind weitere Zweifel an „Islamischen Banken“ angebracht. Jeder Rechtsanwalt oder Ökonom wird auch in einigen modernen Finanzprodukten „islamischer Banken“ schnell den einen oder anderen Taschenspielertrick erkennen. Dazu gehört die Umwertung der Murabaha-Verträge (s.u.), die einen großen Platz in der „Islamic Finance“ einnehmen.

Sind auch „Islamische Banken“ haram?

(iz). Es gehört wohl zu den Ergebnissen der Säkularisierung, dass ­viele Menschen sich längst ein Leben ohne Gott vorstellen können, allerdings kaum mehr ein Leben ohne Banken. Die Einrichtung der „Zettelbanken“ im 18. Jahrhundert haben eine ganze Epoche verändert, ihre neuen Finanzierungstechniken den Lauf der Poli­tik ganzer Jahrhunderte mitbestimmt und nicht zuletzt auch die islamische Welt entscheidend geprägt. Der Zusam­menbruch muslimischer Souveränität und die Erscheinung der Banken fällt dabei zusammen.

Heute erscheint das „moderne Banking“ nicht nur alternativlos, es wird auch als institutionelle Garantie für Wohlstand und Zivilisation gepriesen. Nur, ist das wirklich so? Im Westen hat längst eine breite Debatte über Sinn und Wirkung des Bankensystems begonnen. Zahl­reiche Veröffentlichungen, Bücher und Beiträge beschreiben das Unwesen der Banken, deren Kernkompetenz nach wie vor die Schaffung von Geld aus dem Nichts ist. Aber, es scheint kaum alternative Wirtschaftsmodelle zu geben, die ohne Banken auskommen können und die in diesem Falle nicht sofort unter den Verdacht der naiven Träumerei oder einer abgründigen Rückwärtsgewandtheit stehen. Mehr noch, uns wird heute glauben gemacht, dass ein Leben mit moder­ner Technologie, aber ohne Banken ein absoluter Widerspruch sei. Wer will aber schon zurück zur Steinzeit? Gibt es also wirklich kein ökonomisches Modell, das die Banken ersetzt und die Errungenschaften der Moderne nicht radikal in Frage stellt?

Es lohnt sich hier gerade als Muslime kurz innezuhalten und sich auch nach alternativen Denkansätzen in der eigenen Lebenspraxis umzuschauen. Natürlich, auch in der islamischen Welt ist der Siegeszug der Banken, genauer, der islamischen Banken nicht zu übersehen. Insbesondere der Modernismus der arabischen Welt sah in der Kopie dieser Finanztechnik den Weg zur bitter ­nötigen ökonomischen Machtsteigerung, dem Grunde nach der einzige Weg, das ­eigene Machtdefizit gegenüber der expansiven, westlichen Welt auszugleichen. Heute hat sich aber der Blickwinkel abermals geändert. Das Bankensystem erscheint inmitten der größten Finanzkrise der Menschheitsgeschichte nicht mehr nur als Methode zur Machtsteigerung, sondern vielmehr als Ballast von Gesellschaften, die keinen Ausweg mehr aus der erdrückenden Schuldenlast und dem drohenden Kollaps genau dieser Banken sehen.

In der islamischen Welt wird daher das Phänomen der „islamischen Bank“, also einer Bank die moralischer sein will als „normale“ Banken, spürbar kritischer gesehen. Diese Emanzipation gegenüber den gängigen Modellen zeigt gerade ein ungewöhnlicher Rechtsfall in Pakistan.

Pakistan als der Standort einer intelligenten Debatte über ökonomische Alternativen mag dabei zunächst überraschen. Das Land wird ja mit vielen poli­tischen und ökonomischen Problemen in Verbindung gebracht, dabei gibt in dem geschundenen Land in prekärer Lage weiß Gott auch viele offensichtlich untaugliche oder radikale Lösungsansät­ze. Es gibt aber auch eine Elite, die ganz neue Fragen stellt.

Eine graduelle Abschaffung des gegen­wärtigen Banksystems in Pakistan, ­wegen ihres – aus islamischer Sicht – ­verbotenen rechtlichen Charakters wurde nun im so genannten Riba-Verfahren [arab. für ­ungerechtfertigte Kapitalvermehrung] gefordert. Der langjährige Prozess um das grundsätzliche Verhältnis der pakis­tani­schen Verfassung zur modernen Ökono­mie ist vor dem Bundesstaatlichen Scharia-Gericht (FSC) anhängig. Nachdem in dem Verfahren zwischenzeitlich zehn Jahren untätig vergangen sind, kommt nun neuer Schwung in die Verhandlungen. Eine Partei in diesem vielbeachteten Verfahren zum Thema Riba, stellte inzwischen sogar die Gültigkeit des ganzen pakistanischen Bankwesens – also inklusive Zentralbank und der „Islamischen Banken“ – im Licht der islamischen Lehre in Frage. Dieser kritische Ansatz ­sorgte für einige Aufregung.

Wichtiger Kopf in der wachsenden Fraktion der Bankkritiker, die aus allen gesellschaftlichen Schichten kommen, ist eine mutige Frau. Die ehemalige Abgeordnete des Bundesstaates Punjab, Dr. Humaira Shahid, die eine der Klägerinnen in diesem Fall ist, bemüht sich bei jeder ihrer Wortmeldung darum Alterna­tiven zu dem gegenwärtigen System aufzuzeigen. Das eigentliche islamische Finanzsystem definiert sie dabei durch die Regeln der Muamalat. Die couragierte Geschäftsfrau nimmt bei ihren Ausführungen auch auf das islamische Establishment im Land wenig Rücksicht. Zum Schrecken von Millionen Pakistanern, die ihre Ersparnisse in den letzten ­Jahren bei den „Islamischen Banken“ unterbrachten, eben um Riba zu vermeiden, hat die Antragstellerin in ihrem schriftlichen, dem FSC vorgelegten Dokument, ausdrücklich auch die „Islamischen Banken“ als „haram“ bezeichnet.

„Wir fechten die Idee einer Islamisie­rung von kapitalistischen Einrichtungen und Instrumenten als Täuschung an, die statt zu einer Abschaffung von Riba dazu führte, dass ‘Riba halal’ gemacht wurde“, heißt es in dem Dokument zur Klage. Außerdem seien „Islamische Banken“ und die Nutzung von Papiergeld, so liest man dort, nichts anders als eine Täuschung.

Damit noch nicht genug geht sie auch weiter in die Offensive. „Der ­Murabaha-Vertrag“ so Humaira Shahid ­“wurde zu einem der wichtigsten Instrumente der Islamischen Banken gemacht, um Riba hinter der Fassade des islamischen Vertragsrechts zu verstecken.“ Murabaha ist aus Sicht der Ökonomin ein Verkaufs-Vertrag und gerade keine Vereinbarung zur Finanzierung. Der Preisaufschlag im Murabaha sei nur ein Weg zur Feststellung des Preises von verkauften Güter. Er könne keine Bedingung für eine vorherige Vereinbarung sein, wie es im verbotenen Fall der ‘zwei Verkäufe in ­einem’ geschehe.“

Sie betonte gleichzeitig, dass sich jeder Versuch der Abschaffung von Riba auch darauf konzentrieren müsse, was die Alternative dazu sei. „Dies liegt daran, weil wir nicht etwas abschaffen können, das verboten ist, ohne eine Alterna­tive von dem anzubieten, das erlaubt ist“ erklärt Humaira Shahid.

Bezüglich einer solchen Alternative argumentiert sie nun, dass ein Modell dessen, was halal sei, bereits existiere, und es so auch innerhalb des des Rahmens des islamischen Rechts und der pakistani­schen Verfassung umgesetzt werden könne. Dieses Modell seien, so das Dokument, die Muamalat, das sozio-ökonomischen Modell aller islamischen Gesell­schaften vom Anfang des Islam bis zum Fall des Kalifats.

„Dieses Modell war überraschenderweise mehr oder weniger allen vor-kapitalistischen Gesellschaften (darunter einigen nichtmuslimischen) zu eigen und war zur Zeit von Madina Al-Munawwara vollkommen“, fügte die Klägerin hier hinzu.

Natürlich schließt sie dabei nicht die Nutzung moderner Technologien, wie besipielsweise internetbasierte Zahlungs­systeme auf der Grundlage von Gold oder Silber aus. Humaira Shahid weiß natürlich, dass keinen Weg zurück gibt. „Moderne“ ökonomische Modelle, die dennoch in Harmonie mit dem islamischen Wirtschafstrecht stehen, seien bereits in einigen muslimischen Ländern, wie Malaysia und Indonesien eingeführt worden, betonte Dr. Humaira.

Allerdings glaubt sie nicht an die Möglichkeit der Reform von bestehenden Banken. Im Verfahren fügte sie dann auch hinzu, dass die gegenwärtigen Banken und Finanzinstitutionen dem Gericht bereits selbst mitgeteilt hätten, dass ihre Institutionen nicht ohne Riba operieren könnten.

Über das Modell der Muamalat erfährt man nun vor dem Gericht, dass dazu nicht nur vertragliche Aspekte gehörten, sondern auch Einrichtungen und Ins­trumente, die unterstützen und fördern, was halal sei. Dazu gehörten Golddinare, Silberdirhams, Wadias (Einrichtungen zur sicheren Aufbewahrung), Suqs (offene Märkte), Karawanen (offene Ins­titutionen des fairen Handels), Gilden (offene Produktionseinrichtungen), Waqf/Auqaf (Institutionen der Wohlfahrtspflege), Bai Salam (ein landwirtschaftliches Handelssystem), Bait ul Mal etc. Im Zusammenspiel der Einrichtungen geht es um die Etablierung fairen, globalen Handels und die Bekämpfung von Monopolen.

„Das Problem ist“ so Humaira Shahid „dass viele Muslime diese Modelle und damit ihre Aktualität in der ­momentanen Lage der Finanzmärkte einfach nicht mehr kennen“. In dem von ihr vorgeleg­ten Konzept wird erläutert, dass insbesondere die Einführung von Golddinaren und Silberdirhams, die auch in der Region als Scharia-Währung bekannt sind, wesentlich für die Einführung der Muamalat und damit letztlich für die Abschaffung von Riba seien. Kurzum, das bestehende, inflationäre Papiergeld­system ist für die Klägerin in sich das Problem.

Bezüglich der Praktikabilität solcher Systeme gibt es auch schon praktische Erfahrungen auf die sie verwiesen kann. Dr. Humaira Shahid zeigte in ihren Pressekonferenzen auf, dass 2008 die Regierung des malaysischen Bundesstaates Kelantan sich für die Einführung von Dinar und Dirham als Zahlungsmittel im ihrem Gebiet entschied und allen Staatsangestellten anbot, bis zu 25 Prozent ihres Gehalts in Dinar und Dirham auszuzahlen. „Es geht auch im 21. Jahrhundert ohne Banken“ davon ist die Akademikerin inzwischen völlig überzeugt.

„Islamische Anleihe“: Hintergrundgespräch mit dem muslimischen Finanzfachmann Tarek El Diwany

(iz). Der Historiker Leopold von Ranke meinte, dass der Untergang des Römi­schen Reiches an den Verfall seiner Währung gebunden war. Und dabei ging es „nur“ um die Verschlechterung des Edelmetallgehaltes der Münzen. Heute operieren wir mit Tausch- und Zahlungsmitteln, die keinen innewoh­nenden Wert besitzen und deren Mengen gleichermaßen regelmäßig exponentiell steigen.

Während sich immer mehr Menschen gerade auch im Westen um die Beschaffenheit unseres Geldsystems sorgen und nach tragfähigen Alternativen rufen, denken viele Muslime weltweit immer noch kontrazyklisch. Sie setzen auf eine Integration muslimischer Modelle in das bestehende Finanzsystem und seiner Instrumente. Es erwies sich spätestens seit Beginn der Krise 2008 als unhaltbar. machte die Ankündigung des britischen Premierministers Cameron auf dem World Islamic Economic Forum von sich Reden, London neben Dubai zum weltweit führenden „islamischen Finanzzentrum“ zu machen. Der erste Schritt dabei soll eine so genannte „islamische Anleihe“ in Höhe von 200 Millionen Pfund auf Immobilien­besitz der britischen Regierung sein. Einige muslimische Verbände in Deutschland begrüßten die Pläne einhellig und forderten ihre Einführung auch in Deutschland.

Die IZ sprach mit dem muslimischen Finanzexperten Tarek El Diwany über diese Anleihen, ihre Struktur und warum eine „Islamisierung“ des Weltfinanzsystems konzeptionell und rechtlich nicht möglich ist.

Islamische Zeitung: Jüngst ­kün­digte die britische Regierung die Schaffung einer „islamischen Anleihe“ an der Londoner Börse an. Nachdem Sie von den Plänen hörten, glauben Sie, dass diese Anleihen zu Recht mit der Bezeichnung „islamisch“ versehen werden können?

Tarek El Diwany: Nein. Wir müssen auf die Ergebnisse der rechtlichen Konstruktion schauen, die wir bei jedem finan­ziellen Instrument nutzen. Einige sind der Ansicht, dass, solange die Regeln korrekt identifiziert und angewandt sind, wir uns dann nicht um die Ergebnisse zu kümmern bräuchten.

Ich denke, dass das eine gefährliche Behauptung ist, denn rechtliche Regeln können strukturell so genutzt werden, dass sie am Ende zu verbotenen Ergebnis­sen führen; selbst wenn die Regeln auf der Oberfläche korrekt erscheinen mögen. Ein Beispiel dafür wäre, wenn ich Ihnen ein zinsloses Darlehen geben würde und Sie mir ein Geschenk versprechen, wenn Sie das Darlehen zurückzahlen. Man kann mit Bestimmtheit sagen, dass zinslose Darlehen, Geschenke und Versprechen in der Scharia erlaubt sind. Aber wenn man die drei kombiniert, dann hat man offenkundig ein verzinstes Darlehen geschaffen.

Das wird als „Hila“ (Rechtskniff) bezeichnet. Die Gelehrten wissen, dass diese Kniffe existieren und sie beurteilen einen solchen nach seinem Ergebnis. Wenn wir diese „islamische Anleihe“ betrachten, dann ist das Ergebnisse der rechtlichen Komponenten ein Haufen Geldflüsse, der das gleiche ist wie eine verzinste Anleihe.

Daher glaube ich nicht, dass wir diese Technik benutzten sollten. Wir brauchen Techniken, die auf traditionellen Interpretationen des islamischen Rechts beruhen – und kein neues Recht für uns schaffen, nur um Finanzinstrumente zu kreieren, die bei Banken, Regierungen oder bestimmten muslimischen Geschäftsleuten beliebt sind.

Islamische Zeitung: Eine Anleihe – ob konventionell oder „islamisch“ – bedeutet doch, dass ich einer Institution Geld leihe, die eine feste Gewinn­summe verspricht? Ist das nicht das gleiche wie ein verabredeter Zinssatz?

Tarek El Diwany: Ja. Die Art und Weise, wie diese „islamischen Anleihen“ funktionieren – und wie es auch hier ziemlich sicher ablaufen dürfte –, ist, dass die britische Regierung den Investoren in die Anleihe Immobilien mit Hilfe eines Mittelsmannes – entweder einer Firma oder einem Fonds – verkaufen wird. Umgehend wird sie das Gebäude von den Investoren für 10 oder 20 Jahre anmie­ten. Diese Periode wird dann die Laufzeit der Anleihe sein. Am Ende der Frist wird die Regierung dann die Immo­bilie von den Investoren zum gleichen Preis zurückkaufen.

Die Investoren geben eine Summe in Höhe von X Pfund, die sie am Ende zurückerhalten. In der Zwischenzeit nehmen sie Miete(n) ein. Diese wird/werden an den Zinssatz der Bank of England gebunden sein … (lacht) … und jetzt haben wir etwas, das sehr wie eine verzinste Anlage aussieht.

Ich glaube, dass wir als Muslime mehr anzubieten haben als das. Wir sollten den Menschen zeigen, wie man ohne Schulden leben kann. Diese haben weltweit in den letzten hunderten Jahren zu vielen Problemen geführt. Wir haben den Zugang, der es den Menschen ermöglicht, schuldenfrei zu leben. Wir sollten die rechtlichen Komponenten wie echte Part­nerschaften (Muscharaka) und wirkliches Leasing (Idschara) benutzen, die entweder gar keine oder kaum Schulden beinhalten. Dann würden die Menschen auf unser Rechts- und Finanzsystem schauen und wesentlich mehr Respekt dafür haben.

Islamische Zeitung: Ist es nicht riskant, Menschen zur Investition in ein Land zu animieren, das so hoch verschuldet ist wie Großbritannien?

Tarek El Diwany: Nun gut, auf eine Weise stimmt das wegen der Möglichkeit der Inflation schon. Die Regierung ist so sehr verschuldet, dass ihr ­langfristig keine Alternative zur Inflation bleiben wird. Dies wird den wirklichen Wert der Schuld reduzieren.

Was die Höhe der Anleihe betrifft, so kann die Regierung diese Summe zu einem späteren Zeitpunkt schaffen, indem sie neues Geld druckt und damit die Schulden bezahlt. Ich glaube nicht, dass es dabei ein Risiko für ein Scheitern geben wird, die Summe der Anleihe nach zehn Jahren zurückzuzahlen.

Die spannende Frage wird aber sein, wie viel diese 200 Millionen Pfund nach zehn Jahren noch wert sein werden. Bei einer hohen Inflation wird diese Summe nicht mehr den gleichen Wert haben wie heute.

Islamische Zeitung: Gelegentlich wundert man sich, warum muslimische Organisationen in Europa so sehr auf dieses Pferd setzen. Es ist doch offenkundig auf die kapitalreichen Länder am Golf oder in Südostasien ausgerichtet. Ist solch ein Angebot überhaupt interessant für Muslime in Europa?

Tarek El Diwany: Wenn Muslime in Europa das Spiel der verzinsten Kreditaufnahme spielen wollen, um dann zu investieren, so kann ich sagen: Viele Menschen im Westen wurden dadurch sehr reich. Wenn ich Geld zu einem halben Prozent leihen kann – was für viele Banken gilt – und es dann den Kunden – beispielsweise auf einer Kreditkarte oder bei einem Dispokredit – zu zehn Prozent weiter verleihe, dann kann ich sehr schnell sehr reich werden. Angesichts dessen kann ich nachvollziehen, warum einige Muslime Banken gründen wollen. Und ich kann sehen, warum einige Muslime zu geringen Zinssätzen Geld leihen wollen, um damit Immobilien zu kaufen, deren Preise derzeit in die Höhe schießen. In London sind das beispielsweise zwanzig Prozent über ein Jahr.

Es gibt viele betriebswirtschaftliche Gründe, warum Geschäftsleute ein System haben wollen, dass dem ­Zinssystem vergleichbar wäre. Sie werden die musli­mischen Gelehrten dazu veranlassen, es in Begriffen der Scharia zu ermöglichen. Wenn aber ihre Entscheidung auf dem islamischen Recht basieren, und nicht auf dem eigenen Profitinteresse, dann wäre nichts davon möglich.

Eigentlich kann es so etwas wie eine „Islamische Bank“ gar nicht geben. Banken schaffen im Wesentlichen Geld aus dem Nichts und verleihen es dann ­gegen Zinsen. Beide Dinge sind im islamischen Recht vollkommen untersagt. Es ist absolut unmöglich, dies „islamisch“ zu machen – gleiches kann man ja auch nicht mit Roulette oder Glücksspiel tun.

Wenn wir bei unseren traditionellen Ideen bleiben würden, können wir ande­re Vorgehensweisen hervorbringen. Wir könnten beispielsweise ein Elektrizitätswerk bauen und die Investoren hätten die Hälfte des Stroms und könnten die andere aufgrund einer Gewinnbeteiligung verkaufen. Sinken die ­Strompreise, bekommen wir nicht so viel. Wenn sie steigen, bekommen wir viel. Wir könnten Straßen bauen, für diese eine Maut erheben und den Gewinn teilen. Diese Art der Risikoteilung ohne Schulden wäre für viele Leute und Regierungen sehr attraktiv.

Wir haben ihnen dieses aber niemals angeboten. Keine islamische Bank oder Finanzorganisation hat dieses Modell wirklich vorangetrieben – weder in der muslimischen, noch in der nichtmuslimischen Welt. Wir müssen anfangen, richtig nach zu denken über das, was wir tun wollen.

Ich befürchte, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben werden.

Islamische Zeitung: Lieber Tarek El Diwany, vielen Dank für das Gespräch.

Webseite von Tarel El Diwany: islamic-finance.com

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Halal-Business: Interview mit Ulrich Kromer, Geschäftsführer der Landesmesse Stuttgart

(iz). Wenn man globalen Markt-Auguren und PR-Profis Glauben schenken darf, dann befindet sich hinter dem Label „halal“ einer der Zukunftsmärkte. Vom Grillwürstchen bis zur Hypothekenfinanzierung soll – so die Fürsprecher […]

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Ökonomie: Die muslimischen Eliten und ihre Inaktivität in Sachen Finanzkrise. Ein Beitrag von Sulaiman Wilms

(iz). Der zeitgenössische muslimische Diskurs konnte oder wollte die Relevanz der ökonomischen Lehre des Islam bisher nicht verstehen. Was diese heute sein kann, wenn eine grenzenlose Wirtschaft und ihre Strukturen die ­Politik in die Defensive drängen, wurde von den muslimischen Eliten weder formu­liert, noch debattiert.

Es ist festzuhalten, dass es sich bei meinen Überlegungen nicht um eine individuelle „Meinung“ handelt. Vielmehr sind dies nachvollzieh­bare Positionen, die sich im Laufe unse­rer redaktionellen Arbeit ­kristallisier­ten – auch durch den direkten Austausch mit qualifizierten Gelehrten.

Was macht der ­akademische Betrieb?
Der akademische Ansatz geriert sich als Avantgarde des islamischen Denkens – so wird er zumindest von außen beschrieben -, kann relevante Zeitfragen aber nicht beantworten. Zwischen akade­mischer Profession, die sich von der klassischen Lehre abhebt, und dem Experten­tum des „Diskurses“, existiert Islam meist nur als esoterische Morallehre oder als soziales Problem. Vergleichen wir diesen mit allgemeinen anerkannten Quellen der traditionellen islamischen Lehre, könnte man meinen, dass es sich hier um verschiedene Welten handelt.

Was die Relevanz des Islam angesichts einer unaufgeklärten Wirtschafts- und Geldsphäre ist, wurde von diesen Eliten bisher nicht formuliert. Zumindest nicht, wenn wir vom fragwürdigen „islamischen Finanzwesen“ absehen, dass im Umfeld der Muslimbruderschaft entstand, bis es von globalen Bankern geschluckt ­wurde.

In seinem Buch „Neo-Moslems“ erwähnt Eren Güvercin die Krise des Kapit­alismus und die Möglichkeit von Alternativen im Islam: „Typisch für den modernistischen Islam, wie er sich im 19. und 20. Jahrhundert gebildet hat, ist das völlige Fehlen einer kritischen Reflexion über die Mechanismen und Folgen ­einer kapitalistischen Wirtschaftsweise. Schaut man nach Saudi-Arabien und den dort dominanten Wahabismus (…), wird klar, dass der Islam keine Rolle spielt (…). Es sei denn, man zählt dazu, dass es in der Bank getrennte Schalter für Frauen und Männer gibt.“

Die Bilanz der innermuslimischen Debatte – nach Jahren der Finanz- und Wirtschaftskrise – fällt mager aus. Ich kann mich nicht erinnern, dass es in letzter Zeit ein Dokument zur Zakat vom „orga­nisierten Islam“ oder der akademischen Elite gegeben hätte. Die einzige ­Ausnah­me sind Verbände oder Hilfsorganisatio­nen, die Spender animieren wollen. Der Gelehrte Abdulhakim Murad rückt das Fehlen der ökonomischen Debatte in den globalen Kontext: Heute gebe es in ­keiner muslimischen Gesellschaft eine islamische Ökonomie. „Die nationalen Eliten und die Logik der Globalisierung stehen der Wiedergeburt eines ursprünglichen, auf das islamische Recht basierenden Wirtschaftens entgegen.“

Wo bleibt das Leben?
Ein Blick auf die Rechtswerke Muwat­ta’ (von Imam Malik), Mudawwana oder viele andere Bezugspunkte des islamischen Denkens belegt, dass ein ganzheit­licher Din nicht nur aus Anbetung besteht, sondern ebenso aus Verhaltensmustern in den sozio-ökonomischen Transaktionen (Mu’amalat). Kurz nach den „Fünf Säulen“ handelt das Standard­werk von Imam Malik zu zwei Dritteln von Verträgen, Kaufen und Verkaufen, Geschäftsformen, Erbschaften, Geschen­ken usw.

Es ist eine bittere Ironie, dass man sich manchmal bei Autoren wie Bernard ­Lewis – sicher kein Freund des Islam – informieren muss, wenn man etwas über Dinge wie Gilden lernen will. Wo ist die Elite, die in Auqaf, Gilden oder ­Märkten praktische Inspirationen sieht? Was uns fehlt, sind mehr Alexanders, die unsere Gordischen Knoten durchschlagen.

Der Gang zur Quelle
Einige zeitgenössische Gelehrte aus dem Westen, die ihre Verwurzelung in der islamischen Tradition nachhaltig auf die Moderne anwenden, leisteten etwas, was der universitären Elite bisher versagt blieb. Mit dem Erfahrungshorizont der Moderne und einer fundierten islamischen Ausbildung bei traditionellen Lehrern befragten sie ihr Wissen vom Din auf seine Relevanz für die heutige Zeit.

Im Gegensatz zum gescheiterten Diskurs der arabischen Welt, bestand ihre Antwort nicht darin, den Kapitalismus zu „islamisieren“. Vielmehr ­analysierten sie die Ökonomie und das ihr zugrunde liegende Geldsystem vis-à-vis des klassischen islamischen Rechts. Die Konsequenz war zeitgemäß und vorwärtsweisend, hatte aber gleichermaßen eine feste Rückbindung zum prophetischen Vorbild. Ihr Symbol sind der Islamische Golddinar und die freien Märkte.

Ein historisches Beispiel für ökonomische Relevanz ist der Andalusier Ibn Ruschd (Averroes). Er schrieb mit seiner „Bidajat“ nicht nur ein sehr wichtiges theoretisches Werk (mit einem großen Kapitel über Verträge und Verkäufe), sondern befasste sich eingehend mit Wucher (Riba).

Weil der Qur’an und unser Din zu allen Zeiten relevant sind, forschten ­diese Gelehrten in den Quellen nach ökonomi­schen Aspekten. Muslime prägten ­wieder die ersten islamischen Münzen, organisierten Märkte und schufen online-Bezahlsysteme auf Gold- und Silberbasis. Die Dauerkrise und das Scheitern inflationärer Papiergeldwährungen geben ihnen Recht. Apologeten des „Islamic Banking“ hingegen haben nicht viel mehr vorzuweisen, als das wohlige Gefühl, ein moralisch korrekter Teil des Kapitalismus zu sein.

Zakat: Die gefallene Säule
Messen wir den Entwicklungsstand der muslimischen Community und ihrer Eliten an der Zakat, könnten wir skeptisch werden. In der akademischen Debatte und in Verlautbarungen des ­“organisier­ten Islam“ bleibt sie marginal. Wird sie praktiziert, dann in Form von Spenden an Familienmitglieder, als Ermächtigung für muslimische Verbände sowie als ­quasi Entwicklungshilfe für die „Dritte Welt“. Ansonsten herrscht Funkstille. Nicht ohne Grund schrieb Schaikh ‘Abdulhaqq Bewley vor mehr als 12 Jahren in der IZ von der Zakat als einer „gefalle­nen Säule“.

Wir Muslime müssen ihren fundamen­talen Charakter erkennen. An mehr als 30 Stellen bringt Allah sie sprachlich mit dem Gebet zusammen, wodurch ihr der gleiche Rang zukommt. Außerdem wird sie, im Gegensatz zur Spende, genommen und nicht gegeben. Dieses „Nehmen“ setzt voraus, dass sich Muslime einer lokalen Gemeinde auf einen Verantwortlichen einigen, den sie ermächtigen, sie zu nehmen – und in kürzester Zeit vor Ort verteilen.

Innerhalb der Rechtsschulen wird die Versendung der Zakat ins Ausland entweder vollkommen abgelehnt, oder nur als extremste Notlösung geduldet. Die Behauptung, es gebe keine Empfänger in unserer Nähe, da diese ja Hartz-IV beantragen könnten, dokumentiert ein Missverständnis. Zwei Dinge darf man mit der Zakat nicht: Moscheen bauen oder Verbandsstrukturen finanzieren.

Die intellektuellen Eliten der muslimischen Gemeinschaft stehen in der Pflicht, den essenziellen Aspekt der ­Zakat wieder zu entdecken. Auch dann, wenn dies bisher im universitären oder im verbandspolitischen Betrieb kein Thema war. Ein weiteres Jahrzehnt der Obsession mit „Identität“, „Integration“ und „Repräsentation“ können wir uns nicht leisten.

Schweigen der Lämmer
„Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“, ist das bekannte Diktum Max Horkheimers. Soweit es die Mu’a­malat betrifft, kann man diese Feststellung dahingehend abwandeln: Wer aber zur Ökonomie schweigt, hat auch nichts Relevantes über den Islam zu sagen. Wie kann man Führung beanspruchen, wenn man die Frage nach Geld und ­Ökonomie so konsequent ausblendet, wie es heute geschieht? Es sei denn, man akzeptiert, dass der Islam eine esoterische ­Moralleh­re sein soll.

Nicht nur „Islamkritiker“, auch viele Muslime haben einen vorrangig politischen Zugang zum Islam. Ein Blick in den Qur’an und die rechtlichen Standardwerke zeigt, dass es deutlich mehr ökonomische und wirtschaftliche Regeln als politische gibt: das Wucherverbot, die Pflicht der Zakat sowie die Erwähnung von (Gold-)Dinar und (Silber-)Dirham.

Was ist Geld im Islam? Schaikh ­Imran Hossein definiert es so: „Geld im Islam sind entweder wertvolle Metalle wie Gold und Silber, oder haltbare Lebensmittel. So kam es, dass auf dem Markt von Medina bei Mangel an Gold- und Silbermünzen haltbare Waren wie Datteln als Zahlungsmittel verwendet wurden.“ Da sich Gold und Silber als praktisch erwiesen, wurden sie von vielen Kulturen anderen Zahlungsmittel vorgezogen.

Es waren die Salaf, die das Verhältnis von Silber zum Gold festlegten. Dabei stützten sie sich, wie Ibn Khaldun in der „Muqadimma“ schrieb, auf die zur Zeit des Propheten benutzten Münzen. Laut Imam Al-Qurtubi gehört die Garan­tie der Münzen neben der Marktaufsicht zu den grundlegenden Aufgaben der politischen Autorität. Dinar und Dirham sind die (Doppel-)Währung des Islam. Auf ihnen basieren die Transaktionen der Scharia: Zakat, Mahr, Fidja, Kaffara und andere.

Das positive Gebot der Zakat und die Parameter des prophetischen Vorbilds für Verträge, Märkte und korrekte Maße bilden die Grundlage für ein Wirtschaften, das Gerechtigkeit, soziale ­Mobilität und Wohlstand für die Allgemeinheit ermöglicht. Dem angeschlossen sind Stiftungen und Gilden, die in weiten ­Teilen der islamischen Geschichte hochkomple­xe Lösungen für sozio-ökonomische Probleme ermöglichten.

Apologeten des Bankings
Die andere Seite ist das Verbot des Wuchers. Im Qur’an, der Sunna und im Recht wird Riba als extrem gravierend beschrieben. Eine Sache, der Allah und Sein Gesandter „den Krieg erklärt haben“ (Al-Baqara, 279). Diejenigen, die damit beschäftigt sind, sind wie jene, „die Schaitan mit Wahnsinn geschlagen hat“ (Al-Baqara, 275). Die Gelehrten bezeichnen Riba als schwerwiegende Untat, die nicht in dieser Welt gesühnt werden kann.

Riba hat schädlichste Folgen für die Gleichheit des Marktes. Der Wucher eröffnet die Tür für soziale Ungleichheit und Unterdrückung. Das Wort bedeutet im Arabischen „Exzess“ oder „Überschuss“. Der malikitische Gelehrte Qadi Abu Bakr ibn Al-’Arabi definiert ihn in seinem Werk „Ahkam Al-Qur’an“ so: „Jeder Überschuss zwischen dem Wert der gegebenen Güter und ihrem Gegenwert [dem Wert der empfangenen Güter].“

Während das traditionelle Recht auf die Verhinderung von Riba abzielte, gingen die Modernisten ab Ende des 19. Jahrhunderts den gegenteiligen Weg. Sie wollten die Nachahmung des Westens und seiner scheinbar erfolgreichen Macht­instrumente. Daraus erwuchs unter anderem die Idee der „islamischen Bank“ – und Versicherungen, Börsen, Hypothe­ken etc. Damit dies gelingen konnte, musste das Recht dekonstruiert und etablierte Vertragsformen neu definiert werden. Heute hat sich daraus der Riesenmarkt des „islamischen Finanzwesens“ entwickelt. Kontrolliert wird dies von Großbanken und nutzt vor allem ­deren, mehrheitlich nichtmuslimischen Anteils­eignern. An der ökonomischen Wirklichkeit der muslimischen Welt hat es nichts Greifbares verändert, noch die sozio-ökonomische Lage muslimischer Minderheiten – trotz des Hypes – im Wes­ten verbessert.

Es ist ironisch, dass immer mehr Nichtmuslime die Unmöglichkeit unserer ökonomischen Verhältnisse erkennen und händeringend nach praktikablen Alternativen suchen. Zeitgleich dazu war die einzige ökonomische Handlung des „organisierten Islam“ in der letzten Zeit die Legitimierung der – schwer in Mitleidenschaft gezogenen – WestLB in Form ­einer „Fatwa“, um einem auf Muslime zugeschnittenen Fonds einen „islamischen“ Anstrich zu verleihen.

Diejenigen, die für den Islam in Deutschland sprechen, denen Wissen gegeben wurde oder die zur wachsenden akademischen Elite gehören, sind gefragt. Verharren sie in ihrer Nische oder ­tragen nichts Relevantes zu den Problemen unserer Zeit bei, kann es passieren, dass ­Allah andere hervorbringen wird.

Dieser Artikel ist die gekürzte und überarbeitete Version eines Textes, der in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Horizonte – Zeitschrift für muslimische Debattenkultur“ erschienen ist.

„IZ-Begegnung“ mit dem Juristen und Brancheninsider Taris Ahmad über Anspruch und Wirklichkeit des „Islamischen Finanzwesens“

„Das islamische Bankwesen ist wie ein Schwein, dass gewissenhaft nach den Prinzipien und Regeln der Scharia geschlachtet wurde.“ (Schaikh Muhammad Tawfiq)

„Die Folge ist, dass die Produkte der ‘Islamic Finance’ wohl gleichermaßen den Armen wie der Umwelt schaden.“ (Taris Ahmad)

(iz). Seit seiner Einführung ist das vermeintliche „Islamische Finanzwesen“ (zu dem nicht nur der Bankensektor, sondern auch andere „islamisierte“ Variationen der kapitalistischen Geldwirtschaft zählen) die Standardantwort aus dem Diskurs des politischen Islam in Sachen Ökonomie. Unab­hän­gig davon, dass eine Ablehnung ­unter vielen Gelehrten wächst, melden sich auch immer wieder Brancheninsider mit kritischen Beiträgen zu Wort.

Angesichts diverser Überschneidungen zum konventionellen Banking – allen voran das fraktionelle Reservebanksystem – kommen immer mehr Muslime zu dem Schluss, dass es sich dabei um keine nachhaltige Alternati­ve handelt.

Wer weiß beispielsweise, dass ­Kredite für die Renovierung der Haramain – Mekka und Medina – durch die so genannten „Islamischen Banken“ mitunter auch auf dem konventionellen Finanzmarkt angeboten wurden? Oder, dass es in Sachen der vermeintlichen „Islamic Finance“ gar ein regelrechtes „Fatwashopping“ gibt?

Hierzu sprachen wir mit dem Juristen und Brancheninsider Taris Ahmed, der als Anwalt einer internationalen Kanzlei im saudischen Riad arbeitete. Der Jurist machte dabei seine eigenen Erfahrungen mit diesem, vermeintlich islamischen Finanzinstrument.

Islamische Zeitung: Lieber Taris Ahmad, Sie sind Anwalt und haben unter anderem als Wirtschaftsanwalt auf der Arabischen Halbinsel Erfahrungen mit dem so genann­ten „Islamic Banking“ gemacht. Wie sahen diese aus?

Taris Ahmad: Vor meinem Wechsel nach London, war ich zwei Jahre lang bei [der Kanzlei] Allen & Overy in Saudi Arabien tätig, wo ich auch die Gelegenheit hatte, an einem Lehrbuch zum Thema mitzuwirken.

Islamische Zeitung: Was ist Islamic Finance?

Taris Ahmad: Der Begriff ist ein wenig irreführend. Es gibt im Prinzip „Equity Finance“ [Finanzierung mit Eigenka­pital] und „Debt Finance“ [schuldbasierte Finanzierung mit Fremdkapital]. Equity Finance kann im Groben als ohnehin islamkonform betrachtet werden. Denn nach islamischen Recht ist zunächst erst einmal alles erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist. Bloss niemand käme auf die Idee, dies „islamisch“ oder „Islamic Finance“ zu nennen.

„Islamic Finance“ ist der Versuch, Debt Finance scharia-konform zu strukturieren. Im islamischen Recht gibt es meines Wissens jedoch nur eine Art von Schuld; nämlich einen Qard Hassan, also ein zinsloses Darlehen.

Islamische Zeitung: Wie sieht das konkret aus?

Taris Ahmad: Es gibt eine Vielzahl von Verträgen und jeder Vertrag ist anders. Grob gesprochen wird jedoch versucht, Geldrückflüsse zu schaffen, die ­denen von Zins ähneln. Ob diese Zins sind oder nur so ähnlich wie Zins, wird gemeinhin debattiert und hängt vom Kleingedruckten ab.

Ein Kritikpunkt ist, dass sich der ­Profit am LIBOR [der täglich festgelegte Referenzzinssatz im Inter­banken­geschäft] orientiert und ein Verlustausgleich vereinbart wird, womit man einen zinsähnlichen Geldrückfluss geschaffen hat.

Islamische Zeitung: Eine der vorgetragenen Kritikpunkte am „Islamic Banking/Islamic Finance“ ist die Zweckentfremdung oder Verzerrung traditioneller islamischer Vertragsformen, die, ihres eigentlichen Inhalts entleert, als Grundlage für bestimmte Konstrukte – wie den Hypothekenbanken – dienen. Wie würden sie dies als Jurist bewerten?

Taris Ahmad: Commodity-Murabaha-Verträge beispielsweise waren bei den frühen muslimischen Juristen in der heutigen Form, außer als unzulässige Hila [arab. Rechtskniffe; Versuche, das Recht, mithilfe des Rechts zu umgehen], unbekannt. Unorganisierte Tawaruk wurden von der schafi’itischen ­Rechtsschule erlaubt, weil sich die Absicht des Investors dem Richter entzieht und dieser lediglich mit zwei rechtmäßigen Verträgen konfrontiert wird. Organisierte Tawaruk ist jedoch eindeutig verboten.

Aber, das islamische Finanzrecht dreht sich nicht nur um Zinsen. Das Zinsverbot ist nur eine, der relevanten Scharia-Normen. Das islamische Wirtschaftsrecht ist viel komplexer. Zum Beispiel gibt es noch die Konzepte von „Gharar“ und „Salam“ oder die Probleme mit Vertragsstrafen. Wichtig ist auch zu bemerken, dass „Islamic Finance“ sehr heterogen ist. Auch diese Industrie hat ihre „alternativen Banker“, die tatsächlich methodisch rigide Produkte anfertigen wie zum Beispiel das Al-Ansar Eigenheimprojekt in Manchester.

Islamische Zeitung: Woher kommt die große Nachfrage?

Taris Ahmad: Es gibt viel Kapital, jedoch ist der Zugang dazu für die Mehrheit versperrt. Der normale Unternehmer braucht Kapital, um sich auf dem Markt zu etablieren; genauso wie der normale Haushalt Kapital braucht, um sich ein Eigenheim zu finanzieren. Banken spielen daher eine zentrale Rolle. ­“Islamic Finance“ ist der Versuch einer Antwort. Doch ging dieser Versuch für viele schnell in die gleiche, falsche Richtung.

Islamische Zeitung: So mancher Gelehrter hat aber die diversen ­Produkte abgesegnet…

Taris Ahmad: Die „Sharia Gouvernance“ ist ein großes Thema. Die verschiedenen Bankprodukte erhalten ihr Halalsiegel von ihren hauseigenen Juris­ten des islamischen Rechts. Meinungsvielfalt unter muslimischen Juristen gab es immer, jedoch gab es auch immer ­Gerichte und sorgfältig ausgebildete ­Juristen.

„Fatwashopping“ ist möglich, weil die Privatmeinungen nicht autoritativ von Gerichten entschieden werden, die die Vertragsausgestaltungen nach islamischer Rechtmäßigkeit untersuchen können. Das Problem ist also die Abwesenheit methodischer Rigidität, die nur von Gerichten eingefordert werden kann.

Islamische Zeitung: Es gibt jedoch solche Gericht in den Golfstaaten oder in Malaysia…

Taris Ahmad: Die Rechtswahl für ­Finanzverträge ist oftmals das englische Recht, dessen Gerichte hohes Vertrauen genießen, jedoch Scharia-Recht nicht anwenden können, weil dies keinem Staat zugeordnet werden kann. In einigen Golfstaaten wurde die Gerichtsbarkeit den Scharia-Gerichten entzogen, ­sofern eine der Streitparteien eine Bank ist.

Islamische Zeitung: Besteht bei diesen Finanzinstrumenten die Hoffnung auf eine Revitalisierung des islamischen Rechts?

Taris Ahmad: Entwicklungspolitik braucht generell auch einen Rechtsstaat. Problematisch ist jedoch, dass islamisches Recht in der Praxis von Banken – im neoliberalen Geiste – mit weiter entwickelt wird und damit die Belange der Rechtstradition, die auf einen Interessenausgleich aller Parteien abzielt, nicht berücksichtigt. Die Folge ist, dass die Produkte der „Islamic Finance“ wohl gleichermaßen den Armen wie der Umwelt schaden. Alle möglichen konventionellen Produkte – sogar Derivate! – werden nun „islamisiert“. Commodity-Murabaha und organisierter Tawaruk usw.: All dies sind, dogmatisch betrachtet, Mutationen des islamischen Rechts.

Islamische Zeitung: Haben sich das „Islamic Banking“ und die „Islamic Finance“ wirklich als krisenfester ­erwiesen?

Taris Ahmad: Krisenursache bleiben das fraktionelle Reservebankwesen (frac­tional reserve banking) und Papiergeld ohne Deckung (Fiat money). Weder die Occupy Bewegung noch die „Islamic Finance“ ändern etwas daran. Ähnlich dem ethischen Bankwesen kann es etwas milder sein.

Islamische Zeitung: Oft wird die ­“Islamic Finance“ als nachhaltige Alternative zum konventionellen Finanz­wesen gepriesen. Ist diese (Selbst-)Zuschreibung ihrer Erfahrung nach noch tragbar?

Taris Ahmed: Investitionen in Unternehmen mit beispielsweise einem bestimmten Maß an Zinseinnahmen oder in bestimmten Industrien wie etwa der Waffen- oder Alkoholproduktion sind verboten. Das ist schon mal ein guter ethischer Anfang. Jedoch ändert dies nichts am Zins, der die Umweltressourcen unkontrolliert verbraucht und globale Armut perpetuiert.

Islamische Zeitung: Viele sehen den Arabischen Frühling als islamisches Erwachen. Kann dieser Zweig der Finanzwirtschaft hier überhaupt eine Rolle spielen?

Taris Ahmad: Freilich bringt diese Industrie viele lukrative Jobs und Profite mit sich. Die Volkswirtschaft wird jedoch langfristig nur von einer tiefer gehenden Reform der Juristenausbildung, der Unabhängigkeit der Gerichte und des politischen Willens zinsfrei zu arbeiten profitieren. Das würde auch Menschenrechte stärken und eine Umverteilung herbeiführen. Was gebraucht wird, sind kompetente traditionelle Gelehrte, die die Scharia methodisch beherrschen und auch in der Praxis als Anwälte und Richter tätig sein können.

Islamische Zeitung: Lieber Taris Ahmed, vielen Dank für das Interview.

Ohne eine Einordnung bleibt die „Errungenschaft“ der islamischen Bank unverstanden. Von Abu Bakr Rieger, Berlin

(iz). Seit nunmehr einem Jahrhundert ist der sogenannte islamische Modernismus fasziniert von den Machtinstrumenten des Westens. Die Kraft dieser technologischen Errungenschaften, die letztendlich zum Souveränitätsverlust der arabischen Welt führten, spiegelte […]

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