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Klimawandel: Nach islamischem Recht hat die Verhinderung von Schaden Priorität

(The Conversation). Als sich diesen November mehr als hundert globale Führer auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow trafen, richtete sich die Aufmerksamkeit unter anderem auf eine Handvoll einflussreiche Wirtschaftsmächte in der Hoffnung, COP26 würde eine Wende beim Klimawandel einleiten. Für echten Fortschritt muss jedes Land seinen Anteil tun – dazu gehören auch Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit.

Mit einer globalen Bevölkerung von 1,8 Milliarden in mehr als 56 Staaten machen Muslime mehr als 23 Prozent der Menschen in aller Welt aus. Sie leben in der Regel in Entwicklungsländern und haben meistens keinen großen Anteil an den globalen CO2-Emissionen. Aber sie müssen Teil des Gesprächs über und der Lösung dieser globalen Krise sein.

Das islamische Denken in der heutigen Welt hat sich oft auf Themen wie Radikalismus, Terror, Sicherheit und den Umgang mit dem Erbe des westlichen Imperialismus und der Entstehung der modernen Wissenschaft konzentriert. Der Klimawandel und die ökologische Nachhaltigkeit nehmen noch keinen wichtigen Platz ein.

Die Pionierarbeit von Personen wie Seyyed Hossein Nasr über ein islamisches Verständnis von der Sorge um die Schöpfung hat nur gelegentlich zu weiterer Forschung und Handlung angeregt. Nasr bezog sich auf die spirituellen und metaphysischen Dimensionen innerhalb der islamischen Tradition, um die Wichtigkeit der Umwelt und der menschlichen Pflicht zu ihrem Schutz zu betonen. In den letzten Jahren hat sich die weltweite Besorgnis von der Nachhaltigkeit und dem Verlust der biologischen Vielfalt auf die dringenden und ernsthaften Bedrohungen durch den vom Menschen verursachten Klimawandel verlagert.

Angesichts der sich verschärfenden Krise veröffentlichten muslimische Umweltaktivisten und Wissenschaften eine „Islamische Erklärung über den globalen Klimawandel“. Sie wurde 2015 kurz vor der Pariser Klimakonferenz auf einem Symposium in Istanbul vorgestellt. In ihr wurde der Versuch unternommen, die Klimawissenschaft gemeinsam mit der relevanten qur’anischen Weisheit zu denken.

Das Dokument macht sich keine Illusionen: Darin wurde jede Person dazu aufgerufen, als „Sachwalter oder Stellvertreter (arab. khalifa)“ in dieser Zeit zu agieren. Die gegenwärtige Frequenz des Klimawandels sei nicht mehr aufrechtzuerhalten und „wir sind in Gefahr, das Leben auf unserem Planeten zu beenden, wie wir es kennen“. Hier findet sich eine krasse Anerkennung des menschlichen Scheiterns in der Ausübung dieser Sachwalterschaft sowie des Effekts, den solche Missbräuche für die Ordnung der Schöpfung hatten.

Die Erklärung schließt mit einer Reihe an Forderungen und Punkten. Verlangt wird eine Rechenschaftspflicht. Darüber hinaus gibt es spezifische politische Aufrufe an wohlhabende Nationen, erdölproduzierende Staaten und Firmen sowie die Finanzwelt und die Industrie.

Das Dokument aus dem Jahre 2015 schließt mit einem Aufruf an alle Muslime: „Wo auch immer Sie sein mögen (…), um Gewohnheiten, Mentalitäten und die Grundursachen des Klimawandels, der Umweltzerstörung und des Verlusts der biologischen Vielfalt in ihrem jeweiligen Einflussbereich zu bekämpfen, folgen Sie dem Beispiel des Propheten Muhammad (Friede und Segen seien auf ihm), um eine Lösung für die Herausforderungen herbeizuführen, vor denen wir heute stehen.“

In dem Text finden sich viele Bezüge zum Qur’an. Allerdings sind das häufig isolierte Stellen, welche die allgemeine Richtung des Arguments unterfüttern sollen, ohne damit eine haltbare Theologie zu formulieren. Die Kritik an der Erklärung bezeichnete sie als „defensiv, wenn nicht gar apologetisch“ und behauptete, sie stelle „angesichts des Ausmaßes der heutigen Umweltkrise“ keine ausreichenden Fragen. Indem die Erklärung die Wissenschaft des Klimawandels unter Berufung auf den Qur’an beschreibt, verankert sie das Problem nichtsdestotrotz im Herzen des Islam, was Muslime nicht ignorieren können.

Der weltweite Schaden, der durch menschliches Handeln verursacht wurde, befindet sich an einem kritischen Punkt. Nach islamischem Recht ist die Verhinderung oder Eingrenzung von Schaden eine Priorität. Sorge um Umwelt und ein Handeln, dass den Klimawandel begrenzt oder sogar umkehrt, sollte für muslimische Völker, Organisationen und Regierungen den Stellenwert einer kollektiven Pflicht (arab. fard kifaja) haben. Im Gegensatz zur individuellen bedeutet diese, dass ihre Erfüllung durch eine Gruppe von Muslimen diese für alle erfüllt. Daneben muss der Schutz der Schöpfung auch einen persönlichen Stellenwert für Muslime haben.

Aus einer aktivistischen Perspektive kann die Möglichkeit des Umweltschutzes auch durch das islamische Konzept von „Dschihad“ abgedeckt werden – insbesondere für Einzelne und Organisationen. Im religiösen Sinne ist das ein wichtiger Oberbegriff. Er bezieht sich auf alle persönlichen Herausforderungen, die man überwinden muss, um Erfolg zu haben. In diesem Hinblick kann Umweltaktivismus dem Konzept zugeschrieben werden. Friedlicher Aktivismus, der sich mit aufrichtigen Absichten gegen Quellen und Kräfte richtet, die der Umwelt Schaden zufügen, ist eine legitime Form, die Allah im Jenseits belohnen wird, wie die islamische Lehre verspricht.

Jede Person und jeder Haushalt hat eine nachweisbare Kohlenstoffbilanz. Solange sie keine Anstrengungen zu ihrer Reduzierung unternehmen, wird die Schädigung an der Umwelt nicht geringer werden: Es wird schlimmer werden. Da die Schädigung der Erde immer mehr zunimmt und die bisherigen Maßnahmen die Situation nicht umkehren, ist jeder Muslim dazu verpflichtet, selbst aktiv zu werden.

Das heißt aber nicht, dass die Pflicht organisierter Gruppen von Muslimen, die größere Ressourcen, Geldmittel und Fähigkeiten haben, damit erledigt wäre. Jede Struktur und Institution muss sich am Umweltschutz beteiligen. Zumindest jede kann ihre Ökobilanz verbessern, indem sie bewusst umweltfreundlich arbeitet und ihre Mitarbeiter und die Gemeinschaft, der sie dient, über die Notwendigkeit des Umweltschutzes aufklärt.

Selbst dieses Handeln dürfte nicht ausreichen. Die Regierungen der mehrheitlich muslimischen Länder sind darüber hinaus in der Pflicht, weil die Kultur- und Wirtschaftspolitik eines Landes einen großen Einfluss auf seinen CO2-Fußabdruck hat. Sie müssen aktiv daran arbeiten, die globale Politik zum Klimawandel über internationale Organisationen zu beeinflussen.

Eine Umkehr der Auswirkungen von Klimawandel verlangt Opfer von allen Menschen. Sie müssen weniger Ressourcen verbrauchen und weniger Müll erzeugen. Durch seine Theologie der Umwelt und die Kraft seiner ethischen Haltung kann der Islam zusammen mit anderen Weltreligionen dieses entscheidende Ergebnis erleichtern.

Dieser Beitrag wurde im Rahmen einer CCL-Lizenz veröffentlicht und übersetzt.

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Die Feuerpausen sollte man angesichts der Opfer auf beiden Seiten zum Nachdenken nutzen

(iz). Es ist die – hoffentlich nicht ewige – Wiederkehr des Gleichen. Die Hamas und einige andere Bewegungen in Palästina setzten ihre Nadelstiche mit Raketen, Israel – oder ­besser die […]

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Der politische Islam verstellt den Blick auf eine wesentliche Dimension unserer Lebenspraxis. Von Abu Bakr Rieger

(iz). Präsidenten kommen und gehen in diesen Tagen, die Krise bleibt. Vielleicht ist der Wechsel im Führungspersonal und die spektakuläre Suche nach politischen Größen ­deswegen so spannend, weil sie uns einige Tage über unser eigentliches Dilemma hinweg tröstet. Wir müssen uns schon aus Vernunftgründen eingestehen, dass der alte Kapitalismus nicht mehr funktioniert. Es sind die bekannten Sensationen, die uns nachhaltig sorgen müssen. Europa hat Schulden in einer Größenordnung, die eine Rückzahlung illusorisch erschei­nen lassen und, wenn wir nichts tun, unsere gewohnten Gesellschaftsordnungen unter unheimlichen Veränderungsdruck setzen werden. Unsere Politik hat bisher, angesichts der größten ökonomischen Krise der Menschheitsgeschichte und angesichts der globalisierten Macht des Kapitals, keine einleuchtende Zukunftsvision hervorbringen können.

Unsichere Zeiten
In Griechenland erleben wir gerade, wie schnell das totgeglaubte Monster des Nationalismus oder des Kommunismus wieder in Europa auferstehen kann. Die Mobilisierung der griechischen Bevölke­rung, die selbst nur ein Bruchteil des Hilfspakets erhält, gegen weitere Einschränkungen oder Sparmaßnahmen gehört zu den aktuellen Schreckensszenarien der Brüsseler Finanzjongleure. Die Prognosen sprechen von einer Verfestigung autoritärer Bürokratien und von der weiteren Einschränkung der politischen Souveränität. Befürchtet werden, nicht nur in Athen, künftig neuartige Staaten, deren Sicherheitsapparate und Verwaltung über Generationen hinaus vor allem die geordnete Abwicklung der Schulden kontrolliert. Wer seine ­Steuern und Zinsen nicht bezahlt, wird zum Staatsfeind. Die nationale Politik hat nicht nur ihren eigenen Entscheidungsspielraum eingegrenzt, sondern als Option, die dem Menschen erlaubt, zwischen wesentlich verschiedenen Entwürfen zu wählen, ausgedient. Im Mutterland der Demokratie heißt das praktisch, dass, unabhängig von künftigen Wahlen, jede Athener Regierung die Vereinbarungen mit der EU befolgen muss.

Teil des Problems
Die Muslime, auch in der 3. Generation noch immer in erster Linie als Immi­granten wahrgenommen, werden von ­einer Mehrheit der europäischen Bevölkerung bisher als Teil des Problems, nicht aber Teil der Lösung wahrgenommen. Man unterstellt ihnen bisweilen, den angeblichen Konsens der europäischen Gesellschaften von innen aufzuweichen. Die ökonomische und soziale, also die geben­de Seite des Islam, blieb gleichzeitig über Jahrzehnte unerkannt. Das ist kein ­Wunder. Der muslimische Intellekt hat bisher die Umkehrung seiner Prioritäten nicht verhindern können. Wichtig sind im Diskurs nur die Aspekte der persönli­chen Moral, ein wenig Politik oder die Klei­derordnung, unwichtig dagegen bleiben die ökonomische Moral, die ­Gesetze des Marktes oder die Zakat. Gelehrte und Funktionäre, falls sie überhaupt einen intellektuellen Führungsanspruch haben, hatten seit dem 11. September in erster Linie ihre politische Verortung klären müssen und dann um ein wenig öffentli­che Anerkennung gerungen. Einen Beitrag zur Bewältigung der ökonomischen und sozialen Krise Europas konnten sie nicht formulieren. Es fehlt hier ­eindeutig auch an dem nötigen „Know-How“. Ohne explizite Kenntnisse und natürlich auch ohne funktionierende Beispiele eines angewandten islamischen Wirtschaftsrechts muss die Existenz der Muslime, inmitten der größten ökonomischen Krise ­dieses Jahrhunderts, natürlich rückwärts gewandt und bestenfalls irrelevant ­erscheinen.

Die Krise – aus ­muslimischer Sicht
Im Mittelpunkt jedes muslimischen Lebens steht natürlich, ganz unabhängig von der Zeit, in der wir leben, die eigent­liche Fundamentalkrise jeder Existenz: die eigene Endlichkeit. Die Erinnerung an Endlichkeit, Schicksal und die Vergegenwärtigung der Allmacht des Schöpfers relativiert die Wucht äußerer Krisen. Die Gelassenheit, nicht etwa ideologische Verbohrtheit, ist daher eine typisch islamische Haltung. Das ist nicht mit ­Fatalismus oder mit der Flucht ins ausschließlich Geistige zu verwechseln. Muslime haben durchaus Realitätssinn. Auf gesellschaftlicher Ebene herrscht das Bewusstsein, dass jede politische Ordnung, wie dies Ibn Khaldun betont, Phasen des Auf- und Niedergangs nicht verhindern kann. Politische Situationen sind der Zeit unterworfen, kommen und gehen, Muslime leben darin, ohne dass ihre islamische Lebenspraxis im Kern gefährdet ist, zumindest dann, solange ihre Riten möglich bleiben und zeitlose ökonomische Grenzziehungen, wie das Zinsverbot, als Fixpunkte des Handelns verbleiben.

Prinzip „contra naturum”
Die Offenbarung prophezeit, dass die Verletzung des Zinsverbotes als ein Prinzip „contra naturum“ für keine Gesellschaft folgenlos bleibt. Aber es bleibt nicht bei dieser negativen Klausel, denn gleichzeitig wird der „faire“ und „freie“ Handel als Sinn stiftend und befreiend definiert. Die Freiheit des Handels und die Freiheit der Auswahl der Zahlungsmittel begründen aus islamischer Sicht jede freie Marktwirtschaft. Europa hat heute diese Grundregeln in sein Gegenteil gekehrt, der Handel ist durch Mono­polisierung stark eingeschränkt, während die Gesetzlosigkeit der Zinswirtschaft legalisiert wurde. Durch die Benachteiligung anderer Zahlungsmittel als die der staatlichen Papierwährungen, ist die Schaffung großer Massen schlechten Geldes und die Flutung der Märkte möglich geworden. Macht hat, wer über die Notenpresse verfügt. Es ist ein Nebeneffekt der Geldherrschaft, dass die öffentliche Meinung jederzeit manipuliert werden kann.

Der Modernismus
Es gibt Debatten, die wirklich ­wichtig sind, weil man nur mit ihnen das ­Wesen der Zeit, in die man hereingeworfen wurde, verstehen kann. Nur wenn man ­seine Zeit versteht, also in unserem Falle begreift, dass wir in einem von der Ökono­mie geprägten Zeitalter leben, kann man den wichtigen Dingen im Islam entsprechendes Gewicht geben. Die ökono­mischen Gesetzlichkeiten, die der Islam offenbart, betreffen nicht nur das Individuum, sondern das komplexe Netz, das heute alle unseren ökonomischen Transaktionen bilden. In den letzten Jahrzehn­ten wurde allerdings das ökonomische Modell des Islam immer mehr auf das „Islamic Banking“ reduziert. Die überfällige Debatte der Muslime um die Legitimität von „islamischen“ Banken ist ein überaus lohnender Streit. Es geht darum, ob wir wirklich echte ökonomische Alternativen und eigene Modelle haben. Keine Frage, die Auseinandersetzung über den geistigen Ursprung der „islami­schen“ Bank, führt uns direkt in die Denkwelt des politischen Islam. Dieses einseitige „politisierte“ Verständnis des Islam, insbesondere in seinen Ausprägun­gen im arabischen Raum, hat sich als eine notwendige Reaktion gegen den westlichen Imperialismus verstanden. Der Westen als Schöpfungsort moderner Technologie und Wissenschaft schien in der historischen Perspektive als „Moder­ne“ der islamischen Lebenspraxis und seinen Traditionen haushoch überlegen. Die politischen und ökonomischen Ins­trumente des Islam mussten, so zumindest die Überzeugung der neuen muslimischen Denker, den neuen Gegebenhei­ten, notfalls auch mit Hilfe einer Neuinterpretation des Rechts, angepasst werden. Heute erscheint diese Reform, insbesondere die Aufgabe wichtiger Institu­tionen und Überzeugungen der islamischen Ökonomie, in vielen Teilen eher fragwürdig.

Moderne und Technik
Der Schrecken über die brutale Ankunft der Moderne, die das Denken der Muslime im 20.Jahrhundert prägt, geht einher mit der gleichzeitigen ­Faszination von den neuen Techniken, die sich auch den Muslimen als neue Hilfsmittel der politischen Macht anboten. Dem politischen Islam ging es darum, diesen Vorsprung durch Technik einzuholen, zum Beispiel die Mobilisierungskraft von menschlichem Willen zu kopieren, die neuen Kampftechniken nachzuahmen, in die Beherrschung der Atome einzustei­gen und mit der industriellen Produktion von Geld Schritt zu halten. Der politische Islam organisierte die Ziele des vermeintlichen Gegenschlags, also die ­eigene Rückgewinnung von Macht, in Form von „islamischen“ Techniken, sei es in Form von Parteien, Atomwaffen oder Banken. Diese neuen – ­islami­sierten – Kopien schienen den alten Originalen überlegen und versprachen den islamischen Staaten die schnelle eigene Machtergreifung.

Es ist dabei wichtig zu verstehen, dass mit der Idee des Modernismus auch eine schleichende Säkularisierung des Denkens einherging. „Was ist und wer hat Macht?”, die Beantwortung dieser ­Fragen bestimmten den neuen Trend im islami­schen Denken. Die Vorstellung, dass Macht etwas sei, das der Mensch nach Gutdünken für sich gewinnen und orga­nisieren kann, passte sich dabei eher unbemerkt der westlichen Vorstellungswelt von Machtprozessen an. Die islamische Welt zwischen Damaskus und Kairo fühlte sich lange Jahre dementsprechend ohnmächtig. Die „Modernisierung“ und -angesichts der „Macht“ des Westens – gleichzeitige „Demoralisierung“ des islamischen Denkens nahm seinen Lauf. Es ist interessant, dass praktisch zu gleicher Zeit im Westen unter dem Eindruck des Unwesens der Ideologien und ihrer technologischen Kriege eine fundamenta­le Technikkritik einsetzte. Heidegger formulierte einen grundsätzlichen, schockie­renden Zweifel an der Basis moderner Politik. Die Technik, die der politische Islam für seine Zwecke instrumentalisie­ren wollte, habe – so Heidegger – eine dem Grunde nach politikfeindliche Dimension, indem sie den Menschen gera­de nicht ermächtige, sondern auf Dauer versklave. Die Finanztechnik, als das kombinierte Wirken von Kapital und Technik, beschleunigte unter den ­Augen der westlichen Intelligenz, bis zum heutigen Stadium, diesen Vorgang der unheimlichen Entpolitisierung. Die Bedürf­nisse der Technik, des Staates und der Partei dominieren den neuen Glauben.

Zweifel am Bankwesen
Es ist ein weiteres Paradox, dass ­heute unzählige westliche Denker die Humanität des Bankwesens längst anzweifeln, während große Teile der islamischen Welt noch immer die angeblichen Segnungen des „Islamic Banking“ feiern. Es stellt sich eine einfache Frage: kann eine Bank überhaupt „islamisch“ sein? Immer mehr Muslime antworten nach den jüngsten Erfahrungen mit nein. Eine Bank ist eine Bank. Jede „islamische Bank“ nimmt als Bank am globalen Geldsystem teil. Das monetäre System beruht auf dem Recht, dass einzelne Zentralbanken praktisch grenzenlos „Geld aus dem Nichts“ schöpfen können. Die Idee einer globalen politischen Macht bedingt natürlich das Vermögen zur Schaffung endlosen Kapitals. Die Voraussetzung für diese Art der Maßlosigkeit ist, dass die Produktion von (inflationärem) Papiergeld nicht an den Besitz realer ­Güter gekoppelt bleibt. Die „islamische“ Bank versucht nun in dieses System eine Art moralischen Impuls einzuhauchen. Sie will angeblich nur die religiös korrekte Seite des Systems bedienen. Hierzu muss sie die Debatte von der (inflationären) Natur des Geldes, das sie wie jede andere Bank bedenkenlos benutzt, weg lenken. Die Frage, ob das Geld an sich ­moralisch, „gut oder schlecht“, sein kann, spielt für die „Islamische“ Bank und ihre Theoretiker (übrigens auch für viele Puritaner und Hardliner) keine Rolle. Die Entfremdung des Sinnes islamischer Verträ­ge und die dreiste Aushebelung des Zinsverbotes, die das „islamische“ Bankenmodell leider auszeichnet, wäre ein Thema für einen anderen Tag.

Das islamische Geld – ein kurzer Ausblick
Im arabischen Raum, mit seinen ungeheuren Ressourcen, wird heute wie in den Jahrhunderten zuvor die Zukunft des globalen Handels diskutiert. Viele muslimische Gelehrte sehen im Tauschgeschäft zwischen Öl und Papier, das wesentlicher Teil der jüngeren Wirtschaft­sgeschichte der Ölländer ist, einen grundsätzlichen Widerspruch hinsichtlich des koranischen Gebotes des „gerechten Handels“. In jeder eigenständigen Wirtschaftsordnung ist die Definition von Geld, als Basis aller Transaktionen, elementar. Im Islam sind Papiere, die nur auf ein Zahlungsversprechen hinauslaufen, eindeutig verboten. Im Qur’an werden gold- und silbergedeckte Dinar und Dirhams als die traditionellen Zahlungs­mittel ausdrücklich erwähnt. Die Frage an den Islam ist heute, ob er noch ein Mo­dell vorstellen kann, das eine ­Antwort „jetzt“, ohne die sinnlose Romantik ­eines „zurück“, ermöglicht. Das islamische Wissen um die Logik des Geldes ­entfaltet bereits wieder erstaunliche Aktualität. Um mehr über diese Seite des Islams herauszufinden, bedarf es des intensiven Studiums des ganzheitlichen Modells der Ökonomie. Man wird bald feststellen, dass die Lehrer und die Lehranstalten, die über dieses, ehemals klassische Reper­toire verfügen, dünn gesät sind. Die meisten Lehrer, gerade im akademischen Betrieb, verfolgen in erster Linie den öffent­lichen Nachweis, zu welcher Form des politischen Islam sie sich zugehörig fühlen. Hier schließt sich dann der Kreis.

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Über die Hadithe: Von den prophetischen Überlieferungen und ihren Wissenschaften. Von Hassan Ritter

(iz). Das Hadith gilt im Islam als zweite Offen­barungsquelle nach dem Qur’an und beinhaltet durch den Gesandten Allahs, Allahs Segen und Frieden auf ihm, übermittelte Gebote und ­Verbote, sowie Taten […]

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Bücher: Dr. Murad Hofmann über Mathias Rohes Werk zum islamischen Recht

(iz) Der Christ Mathias Rohe (49), Inhaber des Erlangen-Nürnberger Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung sowie Gründungsmitglied der Christlich-Islamischen Gesellschaft (CIG), ist für hiesige Muslime ein Glücksfall; denn […]

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