Medienanalyse: Warum die Redaktionen so ­gerne über schräge Vögel berichten. ­Hintergründe von Eren Güvercin zur ­Islamberichterstattung

(iz). Die deutschen Medien lieben den Islam. Eine Auswahl von Talkshow-Titeln: „Mord im Namen Allahs“ (Illner), „Gewalt im Namen Allahs – Wie denken unsere Muslime?“ (Jauch), „Auf Streife für Allah?“ (Hart aber Fair) oder „Allahs Krieger im Westen“ (Will). Auch große Magazine ticken ähnlich. Der SPIEGEL brachte Cover wie „Mekka Deutschland“, mit dem Brandenburger Tor vor pechschwarzem Hintergrund, und das lange, bevor Pegida überhaupt existierte. Alles schön dramatisch, alles schön alarmierend. Auch ich als muslimischer Journalist bekomme das zu spüren. Immer wieder fragen mich muslimische Freunde und Bekannte: „Warum berichten die Medien immer negativ über uns Muslime?“

Kai Hafez, der in Erfurt Kommunikationswissenschaft lehrt, beschäftigt sich wissenschaftlich mit dem Islambild deutscher Medien. Seine Ergebnisse veröffentlicht er unter anderem im Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung. Dabei wurden in 13 Ländern insgesamt 14.000 Menschen zu ihren persönlichen religiösen Einstellungen und zum Verhältnis von Religion und Gesellschaft befragt. Er hat festgestellt, dass die Konflikte in der muslimischen Welt die Berichterstattung dominieren, und Bereiche wie Kultur oder Wirtschaft keine oder nur eine sehr geringe Rolle spielen.

Der Blick auf die Region werde stark durch den Faktor Islam beeinflusst. „Der Islam wird sozusagen immer mehr als Schlüssel zur Interpretation der Region benutzt“, so Hafez. „Islamismus ist ein zentraler Faktor, aber bei weitem nicht genug, um die Entwicklung dieser Länder zu verstehen, die man eher sozio-ökonomisch deuten, also mit anderen, ganz anderen Instrumentarien anfassen sollte.“

Auch das Schweizer Institut „Media Tenor“ befasst sich mit Medienanalyse. Christian Kolmer untersucht dort das Image von Religionen und Kirchen, und stellt fest, dass die Islam-Berichterstattung immer wichtiger wurde, aber eben auch immer negativer – gerade im Jahr 2014. „Die Hauptursache dafür ist, dass Terroristen und militante Gruppen, die sich auf den Islam berufen, den größten Anteil der Berichterstattung einnehmen, während der Alltag der Muslime im Nahen Osten aber auch im Westens praktisch keine Rolle spielt.“ Kolmer stellt auch fest, dass nicht nur das Islambild in den Medien durch Negativschlagzeilen geprägt ist.

Religion an sich habe kein positives mediales Image. Ein Grund dafür: die vielen Skandale in der Kirche. Im Gegensatz zu Muslimen hätten Kirchen die Möglichkeit, mit ihren Positionen wahrgenommen zu werden. Geistliche Führer oder Imame kämen in der Berichterstattung selten zu Wort – es sei denn, sie vertreten extreme Positionen. Statt repräsentative Imame, bekommen eher salafistische Prediger eine Bühne.

Vor einigen Monaten etwa war die so genannte Scharia-Polizei von Wuppertal Thema in deutschen Medien. Die Medienaufmerksamkeit war enorm. Salafisten um Sven Lau in Wuppertal haben sich über diese gratis PR-Arbeit gefreut. Ihre Kalkulation ging auf. Die Talkshow „Hart aber fair“ griff das Thema auf und titelte: „Auf Streife für Allah – vor welchem Islam müssen wir Angst haben?“ Gast war unter anderem der Leipziger Prediger Hassan Dabbagh. Warum betitelt „Hart aber Fair“ die Sendung so hysterisch? Und warum einem dubiosen Prediger eine Bühne geben, der für eine verschwindend kleine Minderheit spricht?

Georg Diedenhofen, Redaktionsleiter bei „Hart aber fair“, sieht in solchen Schlagzeilen kein Problem. Die Titel einer Talkshow würde die Menschen nicht beeinflussen. „Ich glaube eher, es bringt sie dazu, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen“, meint er. Schließlich müsse man es als Redaktion hinbekommen, Zuschauer einem 75-minütigen Gespräch im Fernsehen zu folgen. Provokative Titel sollen die Lust beim Zuschauer wecken, und ein schriller Gast hebt die Quote. Das muss nicht primär schlecht sein. Aber die Verwendung von Titeln, die eher aggressiv und zugespitzt sind, prägen langfristig die Sicht der Menschen auf den Islam und die hier lebenden Muslime.

Kai Hafez ist überzeugt, dass Medien die Wahrnehmung von Muslimen und Islam wesentlich prägen. Denn die meisten Menschen haben nach Ergebnis des Religionsmonitors der Bertelsmann-Stiftung mit Muslimen und ihren Lebenswelten keinen direkten Kontakt. Sie sind abhängig von Sekundärinformationen. „In der Schule erfahren sie sehr wenig über die islamische Welt, bleiben am Ende die Medien als Stichwortgeber.“. Wenn dort täglich Negativnachrichten laufen, verzerre das die Wahrnehmung und gebe populistischen und fremdenfeindlichen Bewegungen wie Pegida Vorschub. Hafez benutzt dafür das Bild des Zauberlehrlings: „Die Medien haben eine Kreatur geschaffen – die Islamfeindlichkeit – die sie dann, wenn es zu schwierig und krisenhaft wird, durch kritische Berichterstattung gegenüber diesen fremdenfeindlichen Bewegungen wieder versuchen in Schach zu kriegen.“ Hafez spricht daher von einem „virtuellen Islam“, der mehr und mehr das Islambild der Menschen bestimme. Ein künstliches Bedrohungs- und Repressionsbild führe zu einer verbreiteten Angst unter der Bevölkerung, auch wenn es mit der Realität der hier lebenden Muslime nichts zu tun habe.

Wie gehen hier lebende Muslime mit dem Islambild in den Medien um? Von muslimischen Freunden und Bekannten werde ich oft gefragt: „Hast Du, als muslimischer Journalist, überhaupt freie Hand, dass zu schreiben, was Du willst?“ In der Tat gibt es innerhalb und außerhalb der Redaktionen Leute, die bewusst den üblichen so genannten Islamexperten Raum geben und eine Agenda verfolgen. Eine Redaktion bekam vor einiger Zeit einmal einen Brief von einem „Islam­experten“ einer parteinahen Stiftung, in dem diese Person mich als „Islamisten“ bezeichnete, der „Mainstreammedien unterwandere“. Wir waren uns nie begegnet und gesprochen haben wir auch nie miteinander. Aber anscheinend fühlte er sich durch meine journalistische Tätigkeit ­gestört.

Es gibt solche und ähnliche ideologische Akteure, die nicht wollen, dass Muslime die mediale Bühne betreten und vielleicht ein anderes Bild vermitteln. Da passen Hardliner wie Hassan Dabbagh schon besser ins Bild. Aber auch auf der anderen, der „liberalen“ Seite treten Muslime auf, die den Anspruch haben, für die so genannte schweigende Mehrheit der Muslime zu sprechen. Niemand stellt die Frage, wie man für eine Gruppe, die schweigt, sprechen kann. Die breite Mitte der Muslime bleibt zumindest auf der medialen Plattform erschreckend abwesend.

Vermehrt haben Muslime das Gefühl, dass viele Medien eine Agenda verfolgen. Und hysterische Titelstorys schüren natürlich die Vorstellung einer „Verschwörung“. Wenn man aber einen Einblick in die journalistische Arbeit bekommt, merkt man schnell, dass die wenigsten Journalisten bewusst Dinge unterschlagen oder negativ präsentieren. Es ist eher so, dass viele Redakteure zu einseitig informiert sind und bisher als Quelle oft nur „islamkritische“ Experten hatten. Aber es gibt auch Blätter, die tendenziös berichten und bei bestimmten Themen eine Agenda verfolgen. Im Falle Springer ist dies nicht von der Hand zu weisen. Als muslimischer Journalist steht man auf der anderen Seite immer wieder vor dem Problem, dass man auf ein Thema fixiert wird. Einerseits freue ich mich über Aufträge, aber der Idealfall wäre, dass ich als Muslim nicht nur über Islamthemen etwas schreibe, sondern auch über Themen, die nichts direkt mit Islam oder einem „Migrationshintergrund“ zu tun haben.

Es gibt auch muslimische Medien, die aber erstaunlicherweise von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden. Seit 1995 gibt es etwa die „Islamische Zeitung“. Sie leistet Pionierarbeit, denn sie hat es geschafft, als einziges von Muslimen produziertes Medium jetzt mittlerweile 20 Jahre auf dem Medienmarkt zu bestehen. Trotz einer kleinen Redaktion, vielen ehrenamtlichen Autoren und minimalen Ressourcen leistet sie einen wichtigen Beitrag für den Islam in Deutschland. Lange vor dem 11. September hatte man sich klar zu Selbstmordattentaten und Extremismus positioniert, und zwar aus dem Islam heraus; also das, was jetzt überall lautstark gefordert wird, nämlich sich zu diesen extremistischen Ideologien klar und theologisch zu positionieren. Die Hauptmotivation für die IZ, so Chefredakteur Sulaiman Wilms, sei es gewesen, ein Medium an der Hand zu haben, um mit mehr Leuten über den Islam ins Gespräch zu kommen.

Von der Medienlandschaft unisono zu sagen, die Art und Weise wie der Islam dargestellt wird, sei eine Verschwörung oder münde in eine solche, findet Wilms absurd. „Warum? Weil Medien in Deutschland nicht so funktionieren. Nichtsdestotrotz hat die Islamberichterstattung im Augenblick negative Effekte für Muslime und für den gesellschaftlichen Frieden. Das hat aber andere Ursachen “, so Wilms.

Einerseits gäbe es in der Tat ideologische Netzwerke und Seilschaften wie die „Achse des Guten“. Ein anderer Aspekt spiele allerdings für die Islam-Berichterstattung eine viel wichtigere Rolle. „Was wir bei der Islamberichterstattung erleben, ist das serielle Darbringen der gleichen Fakten, die dadurch eine Vielfalt erzeugen, weil sie immer wieder rezipiert und wiedergegeben werden, und dann quasi eine Vielfalt an Vorgängen und so ein Bild erzeugen“, das der Realität nicht mehr wirklich entspreche. Das habe auch mit Produktionsbedingungen zu tun, unten denen heute Medien entstehen: Rückgang der Abonnentenzahl, Abschaffung von Rechercheuren und die damit verbundenen Begrenzungen. Es gibt ideologisch motivierte Aktivisten, welche sich der Medien bedienen.

Bei diesen Aktivisten handelt es sich anders als bei der „Achse des Guten“ nicht um hauptberufliche Journalisten, sondern um Akteure aus dem akademischen Bereich. Die Autoren Markus Mohr und Hartmut Rübner sprechen in ihrem gleichnamigen Buch von der „Sozialwissenschaft im Dienste der inneren Sicherheit“. Die beiden Politikwissenschaftler behandeln in ihrem Buch von 2010 diese fragwürdige Facette der akademischen Welt. Einrichtungen der politischen Bildung würden verstärkt wie eine Art Vorfeldorganisation des Verfassungsschutzes agieren. Als ein Beispiel nennen die beiden Autoren etwa das in Berlin aktive Zentrum für demokratische Kultur. Ein zentraler Bestandteil ihrer Arbeit ist der „Islamismus“. Solchen Akteuren ginge es nicht um Vermittlung von Informationen, sondern um einen „privaten Verfassungsschutz“, so Wilms.

Der „private Verfassungsschutz“ unterscheide sich vom regulären, legitimen und auch verfassungsgemäßen Verfassungsschutz, denn dieser sei an Gesetze gebunden. Beim „privaten Verfassungsschutz“ werde nach geheimdienstlichen Methoden agiert, aber ohne irgendeinen Kontrollmechanismus. Das habe für die Betroffenen massive Folgen, denn diese privaten Verfassungsschützer seien in einer quasi idealistischen, quasi akademischen Position und würden als Autorität wahrgenommen. „Die Rezipienten dieser Informationen sowohl Journalisten, Institutionen sowie die Leser wissen gar nicht, wer diese Person eigentlich genau ist.“

Mit Muslimen wird operiert; unter anderem, weil sie die Definitionshoheit über die Grundbegriffe des Islamdiskurses verloren haben. Eine Eigendeutung eigener Kontexte ist fast unmöglich geworden. Klassisches Beispiel ist der „Islamismus“-Begriff, dessen Unbestimmtheit fatale Folgen hat. Im Islamdiskurs wird als „Islamist“der Moscheegänger bezeichnet, der Mitglied in einem Verband ist, der als „islamistisch“ eingestuft wird. Wird jeder Muslim, der sich veranlasst sieht, sich dank seiner Religion sozial zu engagieren oder Lösungsansätze für Probleme zu formulieren, damit zum „Islamisten“? Es ist genau diese Unschärfe, die den „Islamismus“ so erfolgreich hat werden lassen. Maßgeblich verantwortlich sind Verfassungsschutzberichte und die unkritische Übernahme des Begriffes durch Medien. Je unbestimmter, desto mehr sind Muslime davon betroffen und desto weniger können sie sich zur Wehr setzen.

Durch die Begriffe wird der Islam im Grunde genommen politisiert und gar nicht mehr als Religion wahrgenommen. Für viele Muslime ist das ein Enteignungsprozess: In der Wahrnehmung eines einfachen Muslims wird ihm die Religion weggenommen und politisiert. Auch die selten hinterfragte Forderung nach „Integration“ ist hier von Bedeutung. Die permanente Anwendung der „Integration“ auf den Islamdiskurs und die Vermischung dieser zwei vollkommen getrennten Themen erzeugt die Vorstellung, dass sich Muslime wegen ihrer Religionszugehörigkeit „integrieren“ müssten. Aber sollte dies auf deutsche Muslime wie mich zutreffen, die hier geboren und aufgewachsen sind und hier studiert haben?

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Zur Erfassung von Hasskriminalität

(KNA). Hetze gegen jüdische Mitbürger hat in der jüngeren Vergangenheit immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Auf anti-israelischen Kundgebungen etwa fielen muslimische Demonstranten negativ auf. Aber auch aus den Reihen der […]

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Eine Positionsbestimmung der IZ-Redaktion, um die Debatte nach Pegida und Paris sinnvoll zu ordnen

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Wutbürger und Ex-Eliten haben in den Herausforderungen unserer Zeit wenig anzubieten

(iz). Gewiss, Jugend ist vor allem auch eine Frage des Herzens und des Geistes. So mancher im Herbst seines Lebens ist im Inneren jung geblieben, während nicht wenige 20-jährige schon […]

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Ein Theaterstück rund um die Dresdner Oper sucht noch nach ihrem Autor. Hintergründe von Abu Bakr Rieger

(iz). „Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“, dichtete einst Heinrich Heine in seinen berühmten Nachtgedanken. Noch immer steht unser Land unter dem Eindruck des furchtbaren nationalistischen Rassenwahns vergangener Tage. Eine Erinnerung, die in Deutschland, mehr oder weniger erfolgreich, bis heute rechtsradikale Parteien klein gehalten hat. Das Gefühl der Sicherheit vor der Verbreitung neuen Ressentiments sollte man daraus lieber nicht ziehen und wenn die deutsch-jüdische Gemeinde wieder vor der Bewegung der Straße warnt, ist dies durchaus ernst zu nehmen.

Die neuen Schweigemärsche in Dresden, mit immerhin 15.000 Teilnehmern, repräsentieren zwar keine parteiähnliche Struktur und betreiben, neben einem in technokratischer Sprache abgefassten „Forderungskatalog“, keine klare politische Agenda, dennoch sind die Demonstrationen Sinnbild von Ängsten geworden. Es ist natürlich nicht undenkbar, dass Teile der Deutschen sich wieder von einem offenen Weltbild hin zu einem dumpfen Nationalismus wenden könnten.

Natürlich gilt es auch bei diesem ernsten Thema die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Die Deutschen gibt es so wenig wie die Ausländer. So engagieren sich, um nur ein Beispiel zu nennen, mindestens 50.000 Deutsche bereits in der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe. Für ein grobes Deutschland-Bashing gibt es angesichts verbreiteter Hilfsbereitschaft und der breiten Akzeptanz für ein humanitäres Engagement der Bundesrepublik insofern keinen Grund. Es gilt vielmehr anzuerkennen, dass ein breiter Konsens in der deutschen Gesellschaft, möglichst vielen in Not geratenen Menschen im In- und Ausland zu helfen, nach wie vor trägt.

Die in Dresden Versammelten lassen aber bewusst Raum für andere Spekulationen und dienen so Freund und Feind als willkommene Projektionsfläche. Für die Einen sind sie an sich brave Wutbürger, die aus einer Art politischer Notwehr zum letzten Mittel des Protestes greifen, für Andere sind sie gleich allesamt „Nazis im Nadelstreifenanzug“. Seit Tagen hat sich an diesen Fragen eine ganze Heerschar von Kommentatoren abgemüht, meist ziemlich eindeutig in ihrem Urteil. In Dresden manifestieren sich, so die meisten Beobachter, „diffuse Ängste“ und eine „latente Fremdenfeindlichkeit“. Das Ressentiment sei nur mühsam versteckt hinter dem skurrilen Titel der „europäischen Patrioten“, die gegen die angebliche Islamisierung des Abendlandes kämpfen. Ein Arbeitstitel, der wohl nicht zufällig an Spenglers Vision des „Untergang des Abendlandes“ erinnert, eine These, die in Deutschland zum Begriff der konservativen Revolution gehört.

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Natürlich ist die Angst vor dem angeblichen „Kampf der Kulturen“, wie es einst bei Huntington hieß, nicht nur in Sachsen verbreitet. Es ist eine Angst der Älteren, die spüren, dass die Bedeutung von Kulturen unter den Bedingungen der Globalisierung stetig abnimmt. Es ist auch mangelnde Bildung, die glaubt, der Islam sei selbst eine Kultur. Auch in Dresden gilt aber die Einsicht: Wo immer der Ruf nach Kultur erschallt, ist sie meist schon untergegangen. Viele jungen Sachsen, deren Eltern nun demonstrieren, würde es wohl schwer fallen, zu erklären, was es denn mit der „sächsisch-abendländischen Kultur“ genau auf sich hat. Längst hat die Kultur neuer Medien die alte Folklore der Regionen abgelöst.

Nebenbei erwähnt, sollten wir Muslime hier ein wenig vorsichtig mit Spott sein. Gibt es nicht auch in unserer Gemeinschaft ein Klientel, dass sich aus Angst vor Identitätsverlust in der Idee verlorener heimatlicher Kultur verbarrikadiert?

Rückt man ein wenig weg von dem aktuellen Geschehen rund um die Dresdner Oper, kommt man nicht umhin, sich allerdings wenig überrascht zu zeigen von der Rebellion der Straße. Sie war nur eine Frage der Zeit. Die Bewegung kommt nicht aus dem Nichts, zum Ersten, weil es in Deutschland immer Fremdenfeindlichkeit gab, die allerdings in das Stichwort „Kampf gegen den Islamismus“ politisch korrekt integriert wurde, zum Zweiten weil die Pegida-Welle ihren Ausgangspunkt auch in deutschen Redaktionsstuben hat. Leider gibt es bei letzterem Punkt noch wenig Neigung zur Selbstkritik.

Über Jahre erschienen deutsche, politische Magazine, wenn es um den Islam ging, zuverlässig in Trauerflor. Hunderte Artikel zelebrierten wilde Assoziationsketten zu einigen der schlimmsten Verbrechen der Welt und immer erschien dabei der Islam als „unheimlich, gefährlich oder dumpf“. Die Muslime in Deutschland wurden in eine Position kollektiver Verantwortung gedrängt. Der veröffentlichte Muslim erschien nun im radikalen Modus des Entweder-Oder, als fanatischer Fundamentalist oder als harmloser Esoteriker. Im besten Fall wurde im Feuilleton noch auf das Paradox verwiesen, der Islam sei allerdings in seiner Geschichte weder verantwortlich für Weltkriege, noch müsse er sich über seinen jahrhundertelangen Umgang mit Minderheiten schämen.

Natürlich kann man hier einwenden, heute ist heute. Muslimische Terroristen und Gewalttäter sind wahrlich keine Erfindung deutscher Medien. Es gibt hierzulande de facto eine sehr kleine Minderheit, im Promillebereich, die sich mit den Zielen des IS identifizieren. Es gibt, deutlich größer im Umfang, eine Sympathie für die reaktive Ideologie der Hamas. Wichtiger als diese Phänomene ist aber die Überzeugung der absoluten Mehrheit aller praktizierenden Muslime, dass die Wortkombination „Islamischer Terrorismus“ unmöglich ist.

Nur, genutzt hat dieses klare Bekenntnis in der Öffentlichkeit wenig. Die Bildersprache läuft eindeutig gegen die Muslime. Die Definitionshoheit über wichtige Begriffe der islamischen Terminologie ist längst nicht mehr bei den Muslimen selbst. Der verbreitete Begriff des „Islamisten“ hat zudem eine unbestimmte Schnittmenge ermöglicht, die Orthodoxe, Schwerverbrecher, Funktionäre, aber auch Andersdenkende in ein Lager zusammenfasst. Oft gleiten die Debatten dabei ins Irrationale ab, so wenn ein desperates Grüppchen von „Scharia-Polizisten“ zur Staatsbedrohung hochgeschrieben wird und das politische Feuilleton in dieser Art der Feindbeobachtung zur Hochform aufläuft. „Wir sind so gut, wie sie so böse sind!“, ist das Motto der schöngeistigen Überheblichkeit.

Aus diesem Sud aus Vorurteilen, Fakten und Begrifflichkeiten zieht auch das Ressentiment der Pegida-Bewegung seine Energie. Die vage Formulierung, man sei gegen die Islamisierung des Abendlandes, ist nicht nur schräg, gerade angesichts der Geschichte des europäischen Islam, sie soll vor allem als Klammer hin zur bürgerlichen Gesellschaft dienen. In einer Umfrage der BILD-Zeitung zeigen sich 58 Prozent der Bevölkerung verängstigt über den wachsenden Einfluss des Islam in Deutschland. Eine Statistik, die in den Ohren der Muslime merkwürdig klingt, kämpfen sie doch vergebens für eine profane Gleichberechtigung ihrer Religionsgemeinschaft. Die Angst der Bürger vor der „Islamisierungs-Welle“ nimmt davon wenig Kenntnis. Auch deswegen fordert kaum jemand zumindest die sofortige Umbenennung der Dresd­ner Aktion, denn, so die abgründige Logik, die zumindest im konservativen Lager verbreitet ist, sind wir nicht alle gegen die Islamisierung?

Bewusst offen bleibt in dieser Logik, was genau gemeint ist, mit dem Phantasiegebäude eines „islamischen Europa“. Ist es der Islam im Alltagsbild, sind es die Moscheen, bereits abgedrängt in die Trostlosigkeit unserer Gewerbegebiete, die Minarette, die praktizierenden Muslime? Gerade weil Pegida zu diesen Dingen schweigt und sich der politischen Vermittlung entzieht, ist hier scharfer Argwohn absolut berechtigt. Das Desaster für die Muslime und ihre Vertreter ist gleichzeitig, dass die Straße zunehmend das Klima und die Lebenswirklichkeit der Muslime definiert. So droht, dass Begriffe, Terminologie und schließlich die Rechte der Muslime, im Wege der Mehrheitsfindung definiert werden.

Die Folgen für die islamische Lebenspraxis sind fatal, wenn künftig ahnungslose Dresdner erklären wollen, was noch legitime Religionsausübung ist. Hierher gehört auch die wachsende Unkenntnis über verfassungsrechtliche Garantien, die wir Muslime als deutsche BürgerInnen, nicht etwas als Fremde, völlig zu Recht in Anspruch nehmen. Die These gar, dass die Kombination von Muslim- und Bürgersein sich ausschließt, ist nichts anderes als offener Rassismus.

Auch eine weitere Schlussfolgerung aus dem Phänomen der Pegida kann abgeleitet werden. Es wäre falsch, ähnlich wie es die Pegida versucht, als Muslime ein ebenso abgeschottetes politisches Lager zu bilden. Natürlich ist eine Querdiskussion mit anderen, auch islamkritischen Bewegungen, geboten. Durchaus denkbar, dass auf diese Weise auch das eine oder andere Vorurteil aus dem Diskurs gedrängt werden kann. Natürlich kann diese Diskussion nur auf der Grundlage unserer eigenen Überzeugungen geschehen, sodass eine „Querfront“ mit jeder rassistischen Gruppierung sich schon aus Glaubensgründen verbietet, zumal diese Gruppen wohl auch kaum gesprächsbereit wären.

Thema wäre bei der „Rettung des Abendlandes“ insofern zusammenzuwirken, als dass es uns Deutschen um die Stiftung neuer Kultur, neuer sozialer Solidarität, neuer ökonomischer Gerechtigkeit in Zeiten totalen Konsums gehen muss. Überhaupt sollte man die eigentlichen Themen unserer Zeit nicht aus den Augen verlieren. Bei aller Hysterie und verständlicher Empörung über ­Pegida lohnt es sich, hier kurz inne zu halten.

Wir leben natürlich im vorgegeben Takt der „Breaking News“, erleben auch eine inszenierte Gesellschaft, mit inszenierten Konflikten. Ohne den Strom der Medien und den Techniken der kanalisierten Aufmerksamkeit, könnte kaum eine politische Bewegung in Deutschland sich auf Dauer halten. Es gilt daher, unbeeindruckt den Fokus und die Aufmerksamkeit auf die richtigen Fragen zu lenken. Vergessen wir also nicht die Konstellation der künftigen Verteilungskämpfe, die uns alle im Kern betrifft. Sie finden rund um das kollabierende Finanzsystem statt, dem eigentlichen Bezugspunkt unserer Zeit.

Hier wurzeln auch gleichzeitig die berechtigten Ängste vor der Dynamik eines drohenden Straßenkampfes. Was passiert mit den bieder wirkenden Wutbürgern von Dresden in Zeiten echter wirtschaftlicher Verwerfungen? Wer gibt der stummen Bewegung am Ende die Sprache? Was werden pseudo-konservative Postillen wie die „Junge Freiheit“, eines Tages schreiben, fordern, wenn sie weniger entschiedenen Widerstand, als vielmehr Rückenwind verspüren?

Rudolf Augstein hat in einem Kommentar auf Spiegel-Online zu Recht darauf hingewiesen, dass Sarrazins medialer Aufstieg „zum dunklen Stern einer Philosophie des Ressentiments“ mit der globalen Finanzkrise zusammenfiel. Der Sieg des Finanzkapitalismus führt bereits zur Krise der parlamentarischen Demokratie, ohne dass die Straße dabei groß aufmuckt. Die These, der Islamismus in Deutschland sei die künftige Schlüsselgefahr für die Existenz der Demokratie, konnte nie wirklich überzeugen, sie ist eher Teil eines Ablenkungsmanövers. Alle Formen des radikalen politischen Islam, so bedrohlich sie agieren mögen, sind schlussendlich nur Garanten für die Etablierung des starken Staates unter den Augen der paralysierten Öffentlichkeit.

Außerhalb des Systems – (geistiger) Stillstand auf PEGIDA-Kundgebung. Ein Augenzeugenbericht aus Dresden

(iz). In Kälte ausharren. Kälte, die das Wetter mit sich bringt. Minusgrade, die am Leibe zehren, die Füße gefrieren lassen. Eine Kälte, die eine Freude ist in Anbetracht der frostigen Gesinnung, welche sich Woche für Woche in der Öffentlichkeit einer Landeshauptstadt artikuliert. Denn das Abendland schlägt zurück und „Dresden zeigt wie’s geht.“

Montag, ein Tag in der Woche der für vielerlei berüchtigt ist: Wochenstart, blau, schwarz, rosig, schwierigster Arbeitstag und Sturz einer Weltordnung. Das Gedächtnis an Montagsdemonstrationen, die ihren Beitrag zum Ende des bipolaren Systems der Welt beigetragen haben, sind gerade hier im kollektiven Bewusstsein. Symbolträchtig, wenn in Sachsen Versammlungen an eben diesen Montagen abgehalten werden, so dass allein die Ehrfurcht vor diesem Tag so mancher Person ein Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung suggeriert.

Im Folgenden soll es nicht um Fragen gehen, nicht um Interviews oder Zitate, nicht um Katastrophe oder Untergang, sondern um exemplarische Geisteshaltung, beobachtet und bewertet nach subjektiven Maßstäben.

Bei Betreten der Kundgebung eine ganz persönliche Begrüßung auf dem Gelände eines Skateparks: schallendes Gelächter und Hohn, nach einem Witz über die Abstinenz vieler Muslime vom Alkohol und kräftigen Schlucken aus der Bierflasche. Die Klientel, wie man gerne liest, ist genauso divergent, wie auf vielen Demonstrationen, in denen gesellschaftliche Belange adressiert werden. Studierende, Rentner, Kinder, Funktionsjacken, Mäntel, Hosen, Röcke, lange Haare, Glatzen unter Mützen. Und präsentiert wird ein geschlossenes Weltbild, außerhalb des Systems.

In Zeiten von unklaren Linien in so vielen Belangen des Lebens, lechzen Menschen nach eindeutigen Strukturen, Bildern und gelebtem Miteinander. Dafür dienlich sind Feindbilder und einfache Lösungen. Eine sich scheinbar täglich verkomplizierende Welt, die undurchsichtig und gefährlich ist, braucht für viele, die Halt suchen und Angst haben, eben simple und schnelle Antworten. Schon immer waren äußere und innere Feinde ein Garant für Einheit, gelebt wird das bei der Anhängerschaft der Pegida. Die eigentliche Divergenz innerhalb der Spaziergängerschaft äußert sich vor allem durch das unterschiedlich laute Applaudieren nach gewissen Äußerungen der Redner.

Wenn zum Beispiel eine Bürgermeisterin einer sächsischen Kleinstadt mit den Worten zitiert wird, dass aufgrund des Fehlverhaltens einzelner keine weiteren Flüchtlinge mehr aufgenommen werden, brechen fast alle Anwesenden zu einem Jubel aus, den deutsche Straßen seit der Fußball Weltmeisterschaft nicht mehr vernommen haben, abgesehen von den anderen Demonstrationen, die das Abendland erretten wollen, HoGeSa et cetera.

Diese Feindbilder sind eben jene Flüchtlinge, die „sowieso zu 95 Prozent Wirtschaftsflüchtlinge sind“, sowie Medien, mit denen man tunlichst keinen Kontakt haben solle, denn auf diesen „gleichgeschalteten Kanälen“ werden „Sätze verdreht“ und „Wahrheiten bewusst verschwiegen“. Weitere mittlerweile dezidierte Feindschaften bestehen selbstverständlich zum Islam und den Muslimen, welche als völlig fremd gelten. Das Wesen der Muslime wird subversiv mit gängigen islamophoben Klischees untermauert: Zwangsehe, Konversion, Ehrenmord, ISIS, Enthauptungen. Die etablierten Parteien gelten ebenso als Erzfeinde, korrumpiert und zusammenarbeitend mit den „linksfaschistischen Gutmenschen“, repräsentieren sie in der Denkweise auf dem Dresdner Lingnerplatz eben nicht das Volk.

Das Volk spielt hierbei eine enorme Rolle. In Anlehnung an den Slogan der Demonstrationen gegen die SED beruft sich die Masse auf die Zugehörigkeit zu einer Volksgemeinschaft. Und nur die Edelsten dieser Gemeinschaft stehen zusammen auf dieser Kundgebung, als eine Bewegung zum Schutze unser aller Identität. Auch deshalb werden Parolen gegen Flüchtlinge und Muslime mit lautstarkem Bekundungen des Sachverhaltes untermauert und wieder und wieder „Wir sind das Volk“ krakeelt, nur getrübt durch sporadische und leisere Forderungen von Einzelpersonen oder Gruppen getrübt, die „Abschieben!“ oder „Erschießen!“ ohne Widerspruch der Nebenleute rufen dürfen. Humanismus nur für Weiße, nur für Europäer. Immerhin darf ein stolzer Niederländer reden und auf gebrochenem Deutsch davon berichten, dass es mittlerweile kleine „Fast-Kalifate“ in holländischen Städten gibt. „Das Volk“ klatscht und hat Angst vor Stellvertreterkriegen in deutschen Städten, die nach Meinung der Pegida bereits existieren, von den Medien jedoch nur heruntergespielt werden.

Es handelt sich hierbei oft um Menschen, deren Segregation aus der Alltäglichkeit so weit vorangeschritten ist, dass sie in ihrem kleinen, subsummierten Weltbild Abläufe und Phänomene erklären. Dabei tangiert es in keiner Weise, was der Rest dazu zu sagen hat, ob dieser „Rassismus!“ ruft oder nicht. Vollkommene Skepsis gegenüber Journalisten, die bei ihrer Arbeit gehindert werden, während gleichzeitig immer wieder – nicht zu Unrecht – die Freiheit der Meinung eingefordert wird. Latente Abneigung gegen alles „etablierte“, bewusste Anknüpfung an die „Helden der Wende“ und die bittere Sorge davor, nochmals alles zu verlieren. Dieses Mal nicht an die Treuhand oder die Nachbarn, sondern an die gierigen und schmutzigen „Mohrenköpfe“ aus dem Morgenland, dem scheinbaren Antagonisten des angeblich hiesigen christlichen Abendlandes.

Bosbach: Politiker und Medien in der Pflicht. Politiker warnen vor islamfeindlichen Pegida-Demonstrationen

(KNA). Innenpolitiker warnen vor einer Teilnahme an Demonstrationen der „Patrioten Europas gegen Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida). „Jeder kann für oder gegen etwas demonstrieren. Aber man sollte sich nicht für extreme politische Ziele instrumentalisieren lassen, die man selbst nicht teilt“, sagte der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Dienstag).

Er sieht Politik und Medien in der Pflicht, über die Hintermänner und die wahren Absichten der Kundgebungen aufzuklären. Seiner Ansicht nach geht es den Veranstaltern um die gezielte „Verankerung radikaler Ansichten in der Mitte der Gesellschaft“. In mehreren deutschen Städten hatten am Montag Anti-Islam-Kundgebungen und Gegendemonstrationen stattgefunden

Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD), erklärte gegenüber derselben Zeitung, er habe dieses Thema auf die Tagesordnung der Innenministerkonferenz in dieser Woche gesetzt. Zugleich warf er den Initiatoren der Demonstrationen gegen eine vermeintliche „Islamisierung des Abendlandes“ vor, sie schürten „mit ausländerfeindlicher Hetze und islamfeindlicher Agitation Vorurteile und Ängste.“ Es mache ihm Sorgen, „dass Rechtspopulisten und Rechtsextremisten hier aggressiv Stimmung machen – und das auf dem Rücken der Menschen, die sowieso schon alles verloren haben“.

In den „Hooligans gegen Salafisten“ („HoGeSa“), die sich zuletzt in Köln und Hannover getroffen hatten, sieht Jäger ebenfalls ein ausländerfeindliches und rechtsgerichtetes Sammelbecken. „Sie missbrauchen ein politisches Thema, um ihre Gewaltbereitschaft auszuleben“, sagte der SPD-Politiker. „Das kann und wird eine wehrhafte Demokratie nicht hinnehmen.“ Jäger kündigte zugleich eine wissenschaftliche Untersuchung zur Zusammensetzung und Motivation von „HoGeSa“ an.

CDU-Innenexperte Bosbach geht bei aller Kritik an den Demonstrationen aber auch davon aus, dass die Mehrheit der Bevölkerung durchaus in der Lage sei „zu unterscheiden zwischen dem Islam als Religion und den Strömungen Islamismus und Salafismus.“

Dynamik hilft: Nur diejenigen, die Lösungen anbieten können, werden ernst genommen. Von Eren Güvercin

Zur Abwechslung sollten Muslime die üblichen und längst langweiligen Integrations- und Islamdebatten ignorieren. Durch solch eine lebendige muslimische Zivilgesellschaft, die für etwas Positives steht, können Muslime ihren Beitrag bei existenziellen Fragen leisten.

(iz). Der demografische Wandel, das Auseinanderdriften von Gesellschaftsgruppen und die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich gehören zu den existenziellen Fragen unserer Gesellschaft, die uns in den kommenden Jahren immer mehr beschäftigen werden. Manch ein Politiker predigte vorschnell, dass wir die Finanzkrise schon überwunden hätten, aber schneller als erhofft, werden wir von der Realität wieder eingeholt. Längst ist vielen Menschen klar geworden, dass die sozialen Verwerfungen in unserer Gesellschaft zunehmen werden. Und auch die hier lebenden Muslime sind als Teil der Gesellschaft in der Verantwortung, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen.

Das mag den einen oder anderen Leser überraschen, denn wenn bisher von Muslimen die Rede war, dann oft nur im Kontext von Debatten rund um Integration, Extremismus und albernen Streitigkeiten über Aussagen von Kabarettisten. Häufig geben Muslime und ihre Vertreter dabei die Schuld „den Medien“. Schnell ziehen sie sich in einer Opferhaltung zurück, agieren viel zu wenig, sondern reagieren immer nur auf bestimmte Themen, die ihnen von außen, von so genannten Islamkritikern oder Politikern, die wieder mal ein Wahlkampfthema gefunden haben, aufgedrängt werden.

Zur Abwechslung wäre es nicht schlecht, mal die üblichen und längst langweiligen Integrations- und Islamdebatten zu ignorieren, die Opferhaltung abzulegen und eine souveräne Haltung an den Tag zu legen. Denn der Rechtfertigungsdiskurs, den manche Muslime in diesen Debatten an den Tag legen, ist nicht wirklich hilfreich dabei, Vorurteile abzubauen und auch der Gesellschaft mitzuteilen, dass man hier verortet ist.

Warum also nicht einmal eine muslimische Position zu existenziellen Fragen unserer Gesellschaft formulieren? Gibt es einen Beitrag von deutschen Muslimen zu wichtigen Problemen unserer Gesellschaft? Was sagt der Islam, was sagen die Muslime eigentlich zum demographischen Wandel, zur sozialen Gerechtigkeit, zur Solidarität zwischen Arm und Reich? Die Vertreter der Muslime scheinen derart mit Integrationsdebatten und der Islamkritik beschäftigt zu sein, dass sie kaum über diese relevanten Themen unserer Zeit reflektieren, obwohl es im Islam spannende Anknüpfungspunkte gibt.

Traditionell ist etwa die Moschee die Institution, die das gemeinschaftliche Leben der Muslime prägt. Moscheen sind aber alles andere als nur Gebetsräume, sondern waren in der Geschichte immer lokale Einrichtungen, die sowohl Muslimen als auch Nichtmuslimen bestimmte Dienstleistungen anboten. Rund um den Gebetsraum fanden sich im Moscheekomplex Stiftungen, Märkte, Bibliotheken, Armenküchen, medizinische- und karitative Einrichtungen. Sie waren Zentren einer lebendigen muslimischen Zivilgesellschaft mit spirituellen, sozialen und vor allem ökonomischen Komponenten. Überhaupt spielen ökonomische Fragen in den klassischen Schriften zum Islamischen Recht eine zentrale Rolle.

Eine andere wichtige ökonomische Komponente im Islam ist die Zakat, die für Muslime verpflichtende Abgabe. Dabei geben vermögende Muslime einen bestimmten Prozentsatz in Höhe von 2,5 Prozent von ihrem Ersparten an ärmere Menschen ab. Anders als im Islam eigent­lich vorgesehen, wird heutzutage die Zakat in Deutschland über Hilfsorganisationen ins Ausland transferiert. Es ist aber nach den klassischen Quellen des Islam verpflichtend, die Zakat lokal zu erheben und auch dort zu verteilen, also die Schere zwischen Arm und Reich in der direkten Umgebung damit zu lindern.

Die Entrichtung per Banküberweisung ins Ausland widerspricht dementsprechend dem Geist dieser wichtigen Säule des Islam. Durch die korrekte Entrichtung der Zakat würde die muslimische Gemeinschaft einerseits gestärkt und sozial verwebt werden – und aber auch eine Eigenverantwortlichkeit aufbauen. Die Zakat kann somit durchaus eine entscheidende Rolle in der notwendigen Neuorientierung des sozialen und gemeinschaftlichen Lebens von uns Muslimen in Deutschland spielen und im Aufbau einer lokalen Identität helfen, die nicht von Faktoren aus den Herkunftsländern abhängig ist. Auch führt sie zu mehr Interaktion unter den hier lebenden Muslimen, aber vor allem auch mit der gesamten Gesellschaft. Um die Zakat effizient zu erheben und vor allem zu verteilen, muss man auch die Bedürftigen kennen.

Durch solch eine lebendige, in Deutschland verortete muslimische Zivilgesellschaft, die für Verantwortung, für Solidarität – als etwas Positivem – steht, können Muslime einerseits ihren Beitrag zu existenziellen Fragen unserer Gesellschaft leisten und auch dem nichtmuslimischen Umfeld zeigen, dass der Islam nichts Fremdes ist und eine Bereicherung für die ganze Gesellschaft darstellt, denn ein zivilgesellschaftliches Wohlfahrtsmodell auf Grundlage der muslimischen Stiftungen und der Zakat sind auf die Linderung akuter wirtschaftlicher Not ausgerichtet und bauen mittelfristig neue, vitale Sozialstrukturen auf, die die Last der zukünftigen Herausforderungen unseres Landes mitstemmen.

Daher der Appell an die Muslime: Die beständige Rechtfertigung gegenüber Vorwürfen, muss einer positiven Haltung Platz machen. Nur so kommt der Islam aus der Ecke heraus, in der er zurzeit steht: ein Problem zu sein, nicht Teil einer Lösung. Nur wer Lösungen und Antworten präsentiert, wird ernst genommen. Und nur so kann man auch effektiv bestehende Ressentiments bekämpfen. Dann kann auch von der verbreiteten Opferhaltung Abschied genommen werden. Die absurde Frage, ob der Islam nun Teil Deutschlands sei oder nicht, wäre dann längst obsolet.

Der Text erschien erstmals am 31.10.2014 im Berliner „Tagesspiegel“.

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