Vorab aus der neuen IZ-Ausgabe: Hintergrund zum aktuellen Angriff auf den Gazastreifen

(London Review of Books). Im Jahre 2004 – ein Jahr vor dem einseitigen israelischen Abzug aus dem Gazastreifen – erklärte Dov Weissglass, die Graue Eminenz hinter Ariel Sharon, gegenüber einem […]

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Deutschlands Medien und Anhänger der „Säkularisten“ entlarven sich durch ihren zynischen Sprachgebrauch

(Emran Feroz). Nachdem in Ägypten erst der Putsch des Militärs gefeiert wurde, hat sich nun die Lage erneut zugespitzt. In den letzten Tagen kam es zu mehreren Massakern gegen friedliche […]

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Eine Dossier von Muhammad Sameer Murtaza zur Genealogie der HAMAS

(iz). Kann man objektiv über den Nahost-Konflikt schreiben? Jeder Autor weiß, er sitzt unter dem Vergrößerungsglas der Leserschaft, das jede Äußerung aufmerksam registriert und begierig darauf aus ist, den Autor einzuordnen, um ihn dann entweder auf die Schulter zu klopfen oder zu verdammen.

Nahost-Konflikt – das ist hinsichtlich der weltweiten Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwird, kein Konflikt wie jeder andere. Es ist ein schmerzvoller Konflikt zweier traumatisierter Seiten. Die Juden – als Volk wie auch als Religionsgemeinschaft – haben im christlichen Europa Judenpogrome und den unfassbaren Holocaust erlitten. Die arabischen Einwohner Palästinas – überwiegend Muslime, aber auch Christen – wurden durch die britische und französische Kolonialpolitik wie auch später durch die UNO ihres Selbstbestimmungsrechts beraubt und erfuhren dann im Zuge des ersten israelisch-arabischen Krieges 1948 Vertreibung und Pogrome durch den neugegründeten israelischen Staat.

Beide sind geprägt durch Katastrophen, die jüdische Seite nennt sie Shoah, die palästinensische Seite Nakba. Um jedem Missverständnis vorzubeugen, der Holocaust soll hier nicht relativiert werden in seiner historischen Dimension, aber auf der persönlichen Ebene der Betroffenen ist Verfolgung Verfolgung, ist Unrecht Unrecht, ist Leid Leid. Beide Traumata stiften uns zum mitleiden an und machen diesen Konflikt weit über seine Grenzen hinaus zu einem dermaßen emotional geladenen Konflikt, sodass wir andere Konfliktherde bedauerlicherweise gar nicht mehr wahrnehmen, wie aktuell etwa die Pogrome gegen die Volksgruppe der Rohingya in Myanmar – die laut UNO am meisten verfolgte Minderheit weltweit.

Wie soll oder kann da ein Autor dem Thema gerecht werden? Nur indem er keine Rücksicht auf seine Leserschaft und deren emotionalen Befindlichkeiten nimmt. Wer objektiv, sachlich, an Fakten orientiert und als ehrlicher Makler über einen Konflikt schreiben will, der muss dies nüchtern und emotionslos tun und seine Leserschaft bitten, diesen Schritt mitzugehen.

Der gegenwärtige Nahost-Konflikt ist nicht nur ein religiöser Konflikt – vielmehr haben sich in ihm unterschiedlichste Konfliktfelder miteinander verstrickt und verheddert. Entstanden ist ein gordischer Knoten und so gibt es auf die eine Frage, worum es in dem Konflikt eigentlich geht, auch nicht die eine Antwort. Der Nahost-Konflikt ist ein:

•territorialer Konflikt, bei dem unterschiedliche Akteure unterschiedliche Grenzvorstellungen haben. Um welches Land wird also gestritten? Etwa um das muslimische Palästina oder um das biblische Land Israel (Eretz Israel)? Um einen säkularen israelischen Nationalstaat in den Grenzen von 1967 und einen säkularen palästinensischen Nationalstaat, der den Gazastreifen, die Westbank und Ostjerusalem umfasst, oder geht es um das Nebeneinander eines jüdischen und eines muslimischen Staates in gänzlich neugezogenen Grenzen? Ist nach der Machtübernahme der HAMAS im Juni 2007 im Gazastreifen überhaupt noch ein einziger palästinensischer Staat ein realistisches Unterfangen oder skizziert die de facto Zweiteilung des palästinensischen Gebietes auch möglicherweise das Entstehen zweier palästinensischer Staaten ab, eines islamisch-ideologischen und eines säkular-nationalistischen? Geht es überhaupt noch real-politisch betrachtet um eine Zwei-Staaten-Lösung oder bewegen wir uns auf eine Ein-Staaten-Lösung zu?
Verbunden hiermit stellt sich die Frage, wer denn überhaupt die Akteure dieses Konfliktes sind. Wer streitet da? Sind es Muslime und Juden? Araber beziehungsweise Palästinenser und Israelis? Säkulare Nationalisten oder religiöse Ideologen?

•ökonomischer Konflikt, bei dem es um Ressourcenknappheit und die Aneignung fremder Ressourcen geht. Der Gazastreifen, die Westbank wie auch Israel verzeichnen eine enorm hohe Wachstumsrate der Bevölkerung. Beide Seiten sind hierdurch mit knappen Wohnraum und einem Erschöpfen der vorhandenen landwirtschaftlichen Nutzfläche konfrontiert.
Diese Lage fördert die Gründung israelischer Siedlungen in der Westbank wie auch früher im Gazastreifen und somit die Enteignung der Palästinenser. Dies wiederum schränkt die Siedlungs- und landwirtschaftliche Nutzfläche der Palästinenser in dem ihnen verbliebenen Land weiter ein.
Zudem wird durch die Bevölkerungsentwicklung die kostbare Ressource Wasser für alle Konfliktparteien immer knapper. Schon heute ist der israelische Staat auf das Grundwasser der Westbank existentiell angewiesen, während die dort lebende arabische Bevölkerung bereits jetzt unter einer unregelmäßigen Wasserversorgung leidet.
Längst ist der Gazastreifen auch zu einem Testgebiet neuester Waffen des israelischen Militärs geworden, die hierdurch im Werbematerial als kampferprobt angepriesen werden können, was auf dem internationalen Markt für bessere Verkaufszahlen sorgt. So haben sich die israelischen Militärexporte durch diesen Umstand in den letzten zehn Jahren verdreifacht. Gegenwärtig ist Israel der viertgrößte Waffenexporteur der Welt.

•ideologischer Konflikt, der die beiden Religionen, den Islam und das Judentum, in ihrer gegenwärtigen geschichtlichen Realisierung verändert hat.
Im Zentrum des ideologischen Islam und des Zionismus steht die Raumbeherrschung. Beide Ideologien setzen sich über die einstige religiös begründete Lebenspraxis der friedlichen Koexistenz von Juden und Muslimen in Palästina hinweg und nehmen die jeweils andere Seite nur noch als Feindbild wahr.
Das Feindbild eint die eigene Seite, presst alles in ein Freund-Feind-Schema, rechtfertigt das Hinwegsetzen über die eigenen religiös begründeten ethischen Werte und Rechtsauffassungen, und mobilisiert für die Auslöschung des Feindes, gleichgültig ob es sich dabei um Kombattanten oder Nicht-Kombattanten handelt.
Hier berühren sich also zwei Extreme, zwei Ideologien, die zugunsten ihres Idols dem Land, die universale Botschaft der Thora und des Qur’an hinter sich gelassen haben, zugunsten des Primat der Raumbeherrschung und einer damit verbundenen pragmatischen Politik, die alles rechtfertigt, um das angestrebte Ziel zu erreichen.

•regionaler Konflikt, da nur zwei arabische Staaten, Ägypten und Jordanien, Israel anerkennen. Darüber hinaus gesteht auch nur eine verschwindend geringe Minderheit muslimischer Staaten (Türkei, Tadschikistan, die Turkstaaten und Senegal) Israel das Existenzrecht zu. Während der Iran offen mit der Auslöschung Israels droht.
Dieser Umstand kann sich nur mit der Gründung eines palästinensischen Staates und Wiedergutmachungsleistungen seitens Israels ändern. Bereits 2002 und abermals 2006 hatte Saudi-Arabien im Namen von 22 arabischen Staaten Israel den Vorschlag unterbreitet, dass die arabischen Staaten es anerkennen, wenn im Gegenzug die Gründung eines palästinensischen Staates in Gaza und Westbank mitsamt Ostjerusalem in den Grenzen von 1967 zugelassen wird.
Des Weiteren besteht zwischen Israel und Syrien ein Konflikt um die von Israel besetzten Golanhöhen und das Ostufer des Sees Genezareth, wodurch der syrische Zugriff auf das Wasser des Sees verhindert wird.

Jedes dieser Konfliktfelder, die wir soeben nur gestreift haben, verdient ein Dossier für sich, um den Nahost-Konflikt in all seinen Facetten zu verstehen. Aber jetzt schon sollte deutlich sein: die Gemengelage dieses Konfliktes, die eine umfassende Friedenslösung erfordert, macht ihn möglicherweise zu einem unlösbare Konflikt.

Verwundern dürfte auch, dass die Religionen nicht als eigenständiges Konfliktfeld aufgeführt wurden. Vielmehr müsste aber die Frage lauten, was mit den beiden Religionen, dem Islam und dem Judentum geschehen ist, die zuvor in diesem Landstrich friedlich nebeneinander lebten. Noch provokanter dürfte die Frage sein, ob nicht gerade die Religionen in ihrer entideologisierten Form Frieden zwischen den abrahamischen Geschwistern stiften können.

Grundlagen I: Die ideologische Salafiyya
Der Islam ist kein Monolith. Unterschiedliche Interpretationen der religiösen Quellen führen auch zu unterschiedlichen geschichtlichen Realisierungen des Islam, die in der Regel friedlich nebeneinander koexistieren.

Die Lage der islamischen Religionsgemeinschaft und Zivilisation in den vergangenen zweihundert Jahren zu beschreiben, ist kein einfaches Unterfangen. Ein Gemisch gewoben aus intellektueller Stagnation beginnend ab dem 13. Jahrhundert, entzog dem islamischen Boden nach und nach jegliche Kreativität des Lebens, jegliche Dynamik in Technik und Wissenschaft, jeglichen materiellen Fortschritt und jegliche Ambiguitätstoleranz.

Eine ermüdete islamische Zivilisation sah sich schließlich einem wiedergeborenen Europa ausgesetzt, dessen Imperialismus und Moderne sie nichts entgegenzusetzen wusste.

Diese Situation hätte eine Ouvertüre für eine eigenständige islamische Erneuerung und Moderne darstellen können; und so verwundert es nicht, dass unzählige solcher Bewegungen, die wir heute unter der Bezeichnung Salafiyya zusammenfassen können, ab dem 18. Jahrhundert allerorts in der muslimischen Welt geboren werden.

Der arabische Ausdruck al-Salaf al-Salih bezeichnet die frommen Altvorderen. Gemeint sind damit die ersten drei Generationen der Muslime. Aus dieser Frühgemeinde hat sich der Islam entwickelt. Sie ist folglich eine wichtige Instanz, wenn es um die Botschaft des Propheten Muhammad geht. Die Salafiyya ist allgemein gesprochen eine Rückbesinnung auf diese Gemeinde zwecks der Erneuerung. Aber inhaltlich könnten ihre Zweige nicht unterschiedlicher sein. Vereinfacht lassen sich vier Strömungen innerhalb der Salafiyya ausmachen: die literalistische Salafiyya, die reformistische Salafiyya, die ideologische Salafiyya und die literalistisch-politische Salafiyya. Für den Kontext dieses Dossiers konzentrieren wir uns auf die ideologische Salafiyya.

Als sich Anfang des 20. Jahrhunderts Ost und West allmählich als Ideologien zu verfestigen begannen und die kolonisierten Länder sich gegen den europäischen Imperialismus erhoben, drohte dem Islam die Bedeutungslosigkeit – der Sozialismus wurde in der arabischen Welt populär und der religionskritische Ton immer schärfer.

In diesem geistigen und politischen Klima war es für den ägyptischen Volksschullehrer Hasan Al-Banna selbstverständlich, den Islam ebenfalls als Ideologie zu deuten. Der Islam wurde in seinem Denken zur dritten Ideologie, die dem Kapitalismus und dem Kommunismus nicht nur ebenbürtig, sondern überlegen ist. Der Slogan der Muslimbrüder „Der Islam ist die Lösung“ wurde zu einem messianischen Versprechen, das die Massen der Muslime anzog und überzeugte. Der Islam erhielt somit eine ein- und überdimensionale Rolle. Hinter diesem Denken steht der Anspruch, eine eigene Identität zu schaffen, die sich von der westlichen unterscheidet, um nach der langen Zeit des Kolonialismus und der Bevormundung wirklich autark zu sein.

Als bid‘a – nun als politischer Begriff verstanden – wurde daher der Import fremder Einflüsse betrachtet, da der Islam als System selber in der Lage sei, eine Antwort auf alle Probleme zu geben. Man unterscheidet somit zwischen al-wafid (importierten Fremden) und al-mauruth (ererbten und authentischen).

Der Qur’an und die Biographie des Propheten (sira) wurden auf eine politische Gebrauchsanweisung reduziert, um das islamische System zu realisieren. In der Heilserwartung eines islamischen Systems lag natürlich der Wunsch nach Unabhängigkeit und wahrer Autarkie, doch muss kritisch gefragt werden, ob diese vorgegebene Restauration islamischer Legitimität von politischer Macht und Gesetz sich tatsächlich vom Qur’an ableiten lässt oder ob es sich lediglich um eine Verzerrung und Überstrapazierung der Religion handelt.

Schlagwörter wie „islamischer Sozialismus“ und „islamische Demokratie“ machen deutlich, dass es sich bei dem islamischen System vielmehr um eine Übernahme formaler Praktiken, die im Westen entstanden sind, handelt, die jedoch abgeschnitten sind von der Philosophie, vor deren Hintergrund sie entstanden. Werden hier also aus einem Gefühl der Unterlegenheit politische und wirtschaftliche Produkte der Säkularisierung im Nachhinein sakralisiert? Vollends zum Durchbruch gelangte der ideologische Islam durch die iranische Revolution 1979. Mehr als jedes andere Ereignis nährte es die Hoffnung einer enttäuschten muslimischen umma. Mohammed Arkoun schreibt hierzu:

„Während der Westen, nachdem er zur Aufgabe der kolonialen Herrschaft gezwungen worden war, seit den sechziger Jahren eine Suche nach neuen Ausdrucksformen der Moderne in Gang gesetzt hat, hat die muslimische Welt sich von der Moderne losgesagt, um ihr ein ‘islamisches’ Modell entgegenzustellen, das sich jeder wissenschaftlichen Untersuchung entzieht. Dabei handelt es sich um den Triumph eines sozialen Imaginären, das wohl als ‘Islam’ bezeichnet wird, aber in Wirklichkeit nur das irreversible Wirken politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Säkularisierung sakralisiert.“

Durch die Erhebung des Islam zur sakralen Ideologie kann und darf diese nicht hinterfragt werden. Hier wird der Bruch mit dem wissenschaftlichen und kulturellen Vermächtnis der Muslime besonders deutlich. Somit ist der ideologische Islam nicht mehr als Romantik und nostalgische Beschwörung der Vergangenheit, die einer wissenschaftlichen, kritischen und konstruktiven Betrachtungsweise keinen Raum schenkt, anzusehen.

Musterbeispiele islamisch-ideologischer Bewegungen sind die arabische Muslimbruderschaft und die indo-pakistanische Jamaat-e-Islami.

So unterschiedlich diese Reformer und ihre Bewegungen sind, so sehr eint sie die Radikalität nach mehr als 1.000 Jahren islamischer Theologie-, Rechts- und Exegesegeschichte, sowie den daraus gewachsenen etablierten Strukturen erneut nach dem Ursprung, dem ursprünglich islamischen, der qur’anischen Botschaft zu fragen. Dieses Zurückgehen auf die Offenbarung des Gesandten Gottes Muhammad ist die Klammer, die diese unterschiedlichen Strömungen verbindet, gleichwohl sie durch eine unterschiedliche Hermeneutik auch zu unterschiedlichen Antworten gelangten.

Im Zentrum der Salafiyya stehen also die Kritik an den mittelalterlichen Strukturen und Ansichten der muslimischen Gelehrsamkeit und ein Maßnehmen mittels des Qur’an. Durch die Kritik an den Traditionen erhofften sie sich Wandel durch eine eigene, authentische und im Islam verankerte Erneuerung und wenn man so sagen will, eine eigenständige islamische Moderne.

Aber auch für die verschiedenen Erneuerungsbewegungen im Islam gilt, dass sie keinen Alleinanspruch auf die Religion besitzen, dass sie nicht mit dem Islam gleichgesetzt werden dürfen, und dass auch sie sich vor der Botschaft des Qur’an zu verantworten haben. Die zentrale Frage an die einzelnen Strömungen der Salafiyya lautet daher: Haben sie in ihrem religiösen Verständnis das islamische Ur-Zeugnis hinter sich? Oder vertreten sie im Ganzen oder in bestimmten Punkten ein religiöses Verständnis, das nicht vom Qur’an gedeckt wird?

Grundlagen II: Der Zionismus und das zweimal verheißene Land
Der Zionismus, begründet durch den ungarischen Juden Theodor Herzl (1860-1904), verfolgte das Ziel, einen jüdischen Staat in Palästina zu gründen, der allen Juden als Zufluchtsort vor den periodischen antijüdischen Pogromen in Europa dienen sollte. Er war also ein radikaler Lösungsversuch für die zentralen Fragen nach der jüdischen Identität und nach dem Ort der Juden in der Welt. So diagnostizierte der russische Jude und Arzt Leon Pinsker im 19. Jahrhundert: „Die Juden bilden im Schoße der Völker, unter denen sie leben, tatsächlich ein heterogenes Element, welches von keiner Nation assimiliert zu werden vermag, demgemäß auch von keiner Nation gut vertragen werden kann.“

Nach Pinsker würden die Juden stets und überall dem Antisemitismus ausgesetzt sein, da sie bestenfalls Gäste seien, somit nie ebenbürtig, ewig verachtet. Daher müsse das jüdische Volk eine Heimat finden, wo sie ihre eigenen Herren und somit sicher vor Verfolgung wären.

Kritiker des Zionismus weisen daraufhin, dass dieser im Grunde die geistigen Grundlagen und die Sprache des Antisemitismus übernahm. Der Zionismus als Reaktion auf den Antisemitismus sei ein Zugeständnis an ersteren, dass in der Tat das Judentum ein fremdartiges und nicht integrierbares Element sei. Die zionistische Lösung, nämlich die Massenemigration, sei auch den Antisemiten nicht fremd gewesen.

Die wechselhafte Situation der Juden in Europa führte bereits 1882 (-1903) zu einer ersten Einwanderungswelle von 25.000 – 30.000 Juden nach Palästina, die sogenannte erste Aliya. So entstanden die ersten jüdischen Siedlungen in Palästina wie etwa Sichron, Ja’akov, Nes Ziona, Ekron, Jesod HaMa’ala, Gedera, Rechovot, Hadera, Mischmar Hajarden, Ain Seitun und Moza.

Auf dem ersten Zionistischen Weltkongress 1897 in Basel wurde schließlich beschlossen, dass die neue jüdische Heimstätte in Palästina liegen sollte. Um dies zu verwirklichen, sollte die Besiedlung dieses Gebietes mit Ackerbauern, Handwerkern und Gewerbetreibenden zur Schaffung einer Infrastruktur gefördert werden. Weiter wurde beschlossen, Einfluss auf Regierungen zu nehmen, die hilfreich sein könnten, das Ziel des Zionismus zu erreichen.

Vor dem Ersten Weltkrieg bemühten sich die Zionisten erfolglos, dem osmanischen Sultan die Erlaubnis einer Kolonialisierung des Heiligen Landes abzuringen, war doch Palästina damals ein infrastrukturell vernachlässigtes Armenhaus, das einzig aus Dörfern bestand. Als sich während des Ersten Weltkrieges abzeichnete, dass Großbritannien und/oder Frankreich die neuen Herren Jerusalems sein würden, begannen die Zionisten auf England und Frankreich einzuwirken. Mit Erfolgt: am 2. November 1917 gab der britische Außenminister Balfour bekannt: „Die Regierung Seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird sich nach Kräften bemühen, die Verwirklichung dieses Zieles zu erleichtern, unter der ausdrücklichen Voraussetzung, dass nichts geschehen darf, was die zivilen oder religiösen Rechte bestehender nichtjüdischer Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und den politischen Status, derer die Juden sich in anderen Ländern erfreuen, beeinträchtigen könnten.“

Mit der inhaltlich unklar formulierten Balfour-Deklaration begab sich Großbritannien aber in Widerspruch mit seinen Versprechungen, die es zuvor den Arabern gemacht hatte, wenn sie sich im Ersten Weltkrieg gegen das Osmanische Reich wenden würden.

In der Hussain-McMahon-Korrespondenz wurde dem Scherifen Hussain am 24. Oktober 1915 versprochen, dass Großbritannien unter Voraussetzung eines arabischen Aufstandes die Unabhängigkeit der Araber anerkennen würde, und zwar südlich vom 37. Breitengrad, abgesehen von den Provinzen Bagdad und Basra sowie von den Gebieten, wo Großbritannien nicht unabhängig von Frankreich entscheiden könne.

Trotz dieser Verlautbarung schlossen am 16. Mai 1916 die Regierungen Großbritanniens und Frankreichs eine geheime Übereinkunft, in dem ihre Einflusssphären im Nahen Osten nach dem Ersten Weltkrieg festgelegt wurden. Nach dem Sykes-Picot-Abkommen wurde Arabien in fünf Zonen aufgeteilt:

a) Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer sollte einer internationalen Verwaltung unterstellt werden.
b) Haifa und Mesopotamien von der Gegend Tikrit bis zum Golf sollten britisch werden.
c) Die syrische Küste von Tyrus (Sur) bis nach Alexandretta (heute: Iskenderun), Cilicien und die Hauptteile von Südarmenien, von Sivas bis Diyarbakir, sollten französisch werden.
d) Das Landesinnere sollte unabhängig arabisch unter zweierlei Arten von Einfluss werden:
1) Zwischen den Linien Al-Aqaba-Kuwait und Haifa-Tikrit sollte Großbritannien wirtschaftliche und politische Priorität haben.
2) Zwischen den Linien Haifa-Tikrit und der Südecke Französisch-Armeniens oder Kurdistan sollte Frankreich wirtschaftliche und politische Priorität haben.

Später wurden dann noch Russland und Italien in das Abkommen eingebunden. Im Zuge der Oktoberrevolution jedoch veröffentlichte die neugegründete Sowjetunion das Sykes-Picot-Abkommen. Das Osmanische Reich hatte nun ein wirksames Propagandamittel und ließ es augenblicklich in arabischen Zeitungen abdrucken. Großbritannien fürchtete die Folgen und versicherte überstürzt einer Gruppe von sieben syrischen Nationalisten am 11. Juni 1917, dass jene arabischen Territorien, die vor dem Krieg frei und unabhängig waren oder durch militärische Operationen ihrer Bewohner befreit wurden, nach dem Krieg unabhängig sein würden.

Damit wurde Palästina das „zweimal verheißene Land“. Der Theologe Hans Küng gibt bezüglich der Balfour-Deklaration zu bedenken: „Diese so genannte ‘Balfour-Declaration’ scheint eindeutig und doch enthält sie einen Zusatz, den man nicht unterschlagen sollte. Denn in dieser Erklärung heißt es zugleich, dass ‘selbstverständlich nichts unternommen werden soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte existenter nichtjüdischer Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und den politischen Status, wie sie die Juden in irgendeinem anderen Land innehaben, präjudiziert’. Und genau hier sollte der Konflikt sich zuspitzen: bei den ‘bürgerlichen und religiösen Rechten existenter nichtjüdischer Gemeinschaften in Palästina’! Denn nicht wenige der führenden Zionisten dachten von Anfang an nur an die eigenen Rechte, die der jüdischen Einwanderer, nicht aber an die der anderen, die Rechte, der seit weit mehr als einem Jahrtausend ansässigen arabischen Bevölkerung.“

Und der Theologe Vierweger schreibt über dieses fatale Gestrick an Zusagen und Versprechungen: „Wie die Araber den Brief von Sir Henry McMahon, so haben auch die Juden die Balfour-Erklärung offensiver ausgelegt als die Briten selbst. Was wurde ihnen wirklich versprochen? Was ist eine »nationale Heimstätte«? Welche Grenzen sollte ihr Gebiet in Palästina haben? Hierüber gingen die Vorstellungen weit auseinander.“

Auch der Zionist Asher Hirsch Ginsberg warnte vor der Ignoranz seiner Mitstreiter gegenüber den palästinensischen Arabern: „Wir neigen gern zu dem Glauben, dass Palästina in diesen Tagen beinahe vollständig unbewohnt und eine unkultivierte Wildnis ist, in der jeder so viel Land erwerben kann, wie er möchte. Aber dies ist in Wirklichkeit nicht der Fall. Es ist schwer, irgendwo in diesem Land arabischen Grundbesitz zu finden, der brach liegt … Wir neigen gern zu dem Glauben, dass alle Araber Wüstenbarbaren sind – ein Volk von Eseln, das nicht erkennt oder versteht, was um es herum vorgeht. Dies ist ein grundlegender Fehler … Die Araber, und hier vor allem die Bewohner der Städte, verstehen sehr wohl, was wir wollen und was wir in diesem Land vorhaben; aber sie verhalten sich so, als ob sie es nicht bemerken, da sie im Augenblick keine Gefahr für sich oder die Zukunft in dem erblicken, was wir tun. Deshalb versuchen sie den besten Nutzen aus diesen neuen Gästen zu ziehen (…) Aber wenn der Tag kommt, an dem der Lebensstandard unseres Volkes im Lande Israel eine derartig hohe Stufe erreicht, dass die örtliche Bevölkerung mehr oder minder verdrängt wird, dann wird diese nicht so einfach ihren Wohnsitz aufgeben.“

Dies wohlwissend hatte Herzl in seinen Tagebüchern festgehalten: „Die arme Bevölkerung trachten wir unbemerkt über die Grenze zu schaffen, indem wir ihnen in den Durchgangsländern Arbeit verschaffen, aber in unserem eigenen Lande jederlei Arbeit verweigern.“

Damit war ein Grundkonflikt geschaffen, der die Identität des späteren demokratischen Staates Israel bis heute belastet, da er als zugleich jüdischer Staat nicht auf diesen fundamentalen Vorbehalt verzichten kann. Denn weil das Land bereits von einem anderen Volk besetzt war, dass hier seit Jahrhunderten seine Heimat hat, nämlich die arabischen Palästinenser, Muslime und Christen, konnte nur durch den Rückgriff auf die biblische Verheißung, dass das Land Israel dem jüdischen Volk vorbehalten sei, die Existenz des Staates Israel legitimiert werden. Der Zionismus betonte den religiösen Aspekt des Landes und erhob ihn zum Staatsfundament. Hierdurch, wenn auch zunächst unter Protest, entwickelte sich ein religiöser Zionismus, der in der Existenz Israels die Antwort sah auf die jahrhundertalte Sehnsucht nach Erlösung und der Rückkehr ins Land der Väter. Und je mehr die Errungenschaften und die Erfolgsgeschichte dieses Staates zunahmen, desto mehr ließen sich die progressiven und orthodoxen jüdischen Richtungen hiervon anstecken und desto mehr nahmen die einstigen theologischen Vorbehalte ab. Scheinbar rückte damit auch der universelle Horizont des Tanach immer weiter in den Hintergrund, was anhand der immer stärker werdenden Siedlungsbewegung zum Ausdruck kommt, deren Vorgehen eine Verweigerung der palästinensischen Existenzberechtigung gleichkommt zugunsten des ideologischen Primats der Raumbeherrschung.

Auf der Pariser Friedenskonferenz nach dem Ersten Weltkrieg sollte der schwelende Konflikt zwischen Arabern und Juden im Sinne des 14-Punkte-Programms des amerikanischen Präsidenten Wilson, das unter anderem das Selbstbestimmungsrecht für alle Völker vorsah, entschärft werden.

Hier bemühte sich Thomas Edward Lawrence (gest. 1935), besser bekannt als Lawrence von Arabien, den von den Briten erkorenen arabischen Führer Faisal (gest. 1933) davon zu überzeugen, eine politische Allianz mit den Zionisten einzugehen. Auch Sykes versicherte Faisal, dass die Zionisten keinen jüdischen Staat ausrufen würden. Dies war Sykes von Chaim Weizmann (gest. 1952) versichert worden, damals einflussreiches Mitglied der jüdischen Gemeinde in Großbritannien, später Präsident des Staates Israel, der noch am 26. April 1918 einer Gruppe Jerusalemer Bürgern entgegnete: „Glaubt denen nicht, die unterstellen, dass wir die politische Macht in diesem Lande am Ende des Krieges in unsere Hände nehmen wollen.“

Zur Jahreswende 1918/1919 kam es schließlich zu einem Treffen zwischen Faisal und Weizmann, im Londoner Carlton-Hotel. Lawrence sollte als Übersetzer fungieren. T.E., der die beiden zusammenführte, war der Überzeugung, dass eine öffentliche Unterstützung des Zionismus seitens der Araber eine gute Politik sei und das Wohlwollen der amerikanischen und britischen Delegation erwirken würde. Bereits 1918 hatte Weizmann Faisal in Al-Aqaba aufgesucht und ihm gesagt: „Wenn er ein starkes und blühendes Araberreich aufbauen will, sind es wir, die Juden, und wir allein, die ihm dabei behilflich sein können. Wir können ihm die erforderliche finanzielle und organisatorische Hilfe leisten. Wir werden seine Nachbarn sein und keine Gefahr für ihn darstellen, da wir keine Großmacht sind und es nie sein werden.“

Faisal schrieb anschließend seinem Vater dem Scherifen Hussain, dass die Zionisten nicht daran interessiert seien, einen Staat zu gründen, sondern als Bürger in Palästina leben und zum Aufbau der Infrastruktur beitragen wollen. Doch hinter den Kulissen stellten die Vertreter des Zionismus andere Forderungen, so schreibt Küng: „Schon 1919 hatte die Zionistische Weltorganisation – die Balfour-Erklärung als ihre Magna Charta benutzend – auf der Pariser Friedenskonferenz eine Landkarte vorgelegt. In ihr umfasste die ‘Heimstätte’ der Juden ganz Palästina, inklusive Transjordanien – also weit mehr als die seit 1967 besetzten Gebiete eines ‘Groß-Israel’. Dies blieb, wie der Altzionist und Historiker Simcha Flapan (1954-1981 Sekretär der Mapai-Partei und Leiter des Referats für Arabische Angelegenheiten) erst neuerdings herausgearbeitet hat, die mehr geheim als offen propagierte Zielvorstellung der maßgebenden zionistischen Führer, wobei man untereinander nur über die Methoden – ob mehr diplomatisch und evolutiv oder mehr gewaltsam-militärisch – im Streite lagen. 1937 etwa hat der 20. Zionistische Kongress mit Unterstützung aller Fraktionen bestätigt, die Juden hätten ein unveräußerliches Recht, in allen Teilen Palästinas zu siedeln – auf beiden Seiten des Jordans! (…) Schon lange hatte sich freilich gezeigt: Mit der Balfour-Erklärung war im Grunde eine widersprüchliche Position formuliert worden. Sie trug entscheidend mit dazu bei, dass Palästina zu einem der umkämpftesten Länder der Erde wurde. Denn das eine war den Kennern der Lage und auch den führenden Zionisten von vornherein bekannt, was freilich von vielen, die im Geist des europäischen Nationalismus und Kolonialismus auftraten, unterschätzt wurde: Palästina war eben gerade nicht das ‘Land ohne Volk’, in welches das ‘Volk ohne Land’ so einfach einziehen konnte.“

Trotz Faisals Annäherung an die Zionisten verlief die Konferenz nicht zu Gunsten der Araber. Der Vorschlag Präsident Wilsons, eine interalliierte Kommission nach Syrien zu entsenden, um den Willen des Volkes zu ermitteln, brachte Frankreich ebenfalls dazu, eine solche Kommission nach Mesopotamien und Palästina entsenden zu wollen. Dies konnte aber nicht im Interesse Großbritanniens und der Zionisten sein. So lehnte Großbritannien die Entsendung einer solchen Kommission ab, und auch die Zionisten übten massiven Druck auf amerikanische Politiker aus, sodass dieses Vorhaben scheiterte. Schließlich gingen Frankreich und England einen Handel ein, bei dem die Engländer trotz des Sykes-Picot-Abkommens das erdölreiche Mossul erhalten und im Gegenzug dafür Faisal und Syrien fallen lassen sollten. Damit war jede Aussicht gescheitert, das Sykes-Picot-Abkommen aufzuheben: „Die Erdölspekulanten hatten begriffen, dass man mit einer Reihe rivalisierender Araberstaaten, denen jedes Einigkeitsgefühl fehlt, leichter um Konzessionen und Ertragsanteile feilschen könne als mit einem großen, unabhängigen Araberstaat im Nahen Osten.“

Zwischen den Arabern und den zionistischen Kolonialisten kam es nun zu immer heftigeren Auseinandersetzungen. Schießereien waren an der Tagesordnung. Der britische Versuch einer gemeinsamen Verfassung scheiterte 1922 am arabischen und 1935 am zionistischen Widerstand. In der Folge brach ein Bürgerkrieg aus, verbunden mit Terroraktionen beider Seiten. Küng schildert die Geschehnisse wie folgt: „Schon 1920 organisierte der Rechtszionist Jabotinsky deshalb die Hagana, jene jüdische Untergrundarmee (…). Ostern 1920 wagte sie in Jerusalem die erste offene Konfrontation mit den hocherregten arabischen Massen. Jabotinsky wurde samt der Führung der Hagana von den Briten verhaftet, aber wieder freigelassen. 1925 gründete er, jetzt in offenen Zwist mit dem gemäßigten Weizmann, seine eigene aggressive New Zionist Organisation mit faschistischen und terroristischen Zügen, die auf ‘einen jüdischen Staat auf beiden Seiten des Jordans’ und auf ‘soziale Gerechtigkeit ohne Klassenkampf’ (…) hinarbeitete. Die Araber Palästinas, meinte Jabotinsky, könnten sich ja schließlich in anderen arabischen Ländern ansiedeln, die Juden nicht. Aber nicht nur er, auch Ben-Gurion, dessen gesamte Politik von Anfang an auf eine größtmögliche territoriale Ausdehnung der jüdischen ‘Heimstatt’ ausgerichtet war, rechnete mit sogenannten ‘Umsiedlungen’ (‚Transfers’) der arabischen Bevölkerung’: Im Zeitalter des Nationalismus, Imperialismus und Kolonialismus (von den Umsiedlungsaktionen Stalins und Hitlers zu schweigen) waren sie ja als Mittel der Politik weithin akzeptiert; England und Frankreich hatten ja gerade eben auch – entgegen der britischen Zusage an die Araber! – den ganzen Nahen und Mittleren Osten mit zum Teil willkürlichen Grenzen und ‘Einflusszonen’ aufgeteilt (…). (…) Schon längst hatte so jener endlose Kreis von Gewalt und Gegengewalt begonnen, der in den Jahren 1936-1939 einen ersten Höhepunkt erreichte und der bis heute Israel und die Welt in Atem hält. Jabotinsky war seit 1937 Kommandeur der seit 1931 von der Hagana abgespaltenen terroristischen Untergrundbewegung Irgun (…). Die Irgun wollte durch geplante Provokationen und willkürlichen Bombenattentate bewusst Hass und Feindschaft säen und versuchen, die Araber mit jenen terroristischen Methoden und Praktiken zu bekämpfen, die dann dreißig Jahre später der Al-Fatah, der palästinensischen Terrororganisation unter der Leitung von Jasir Arafat, als Vorbild dienen sollten.“

Einen weiteren Teilungsplan 1937 lehnten die Araber ab, der aber „von Ben-Gurion, dem Führer der Arbeiterpartei, der stärksten Kraft innerhalb des Zionismus, jedoch aus klugen taktischen Erwägungen akzeptiert wird. Doch das eine scheint für die Briten klar: Die Errichtung eines jüdischen Staates gegen den Willen der Araber kommt nicht in Frage (so noch in einem Weißbuch 1939).“

Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte Großbritannien die jüdische Einwanderung zu beschränken. Die Antwort der Zionisten war ein Guerillakrieg gegen die Briten. Küng fasst die Ereignisse wie folgt zusammen: „[Die Irgun] (zusammen mit der LEHI) trägt die Verantwortung für terroristische Anschläge in den arabischen Märkten von Jerusalem und Haifa, für die Ermordung des britischen Nahost-Bevollmächtigten Lord Moyne (1944), für die teilweise Sprengung des von der britischen Regierung benutzten Hotels King David in Jerusalem mit 91 Todesopfern (1946) sowie für die überall auf der Welt mit Empörung zur Kenntnis genommene Ermordung (durch die LEHI) auch des UNO-Vermittlers Graf Folke Bernadottes (1948), nachdem er einen neuen Teilungsplan vorgelegt hatte: terroristische Anschläge, die von der Jewish Agency (ihre Residenz war 1948 von den Arabern gesprengt worden) und der Hagana offiziell stets verurteilt, aber faktisch toleriert wurden.“

Trotz dieser Gewaltakte erhielt das zionistische Vorhaben durch die Shoah, der Vernichtung des europäischen Judentums, neue und verstärkte Akzeptanz und Unterstützung in der westlichen Welt.

Die Muslimbruderschaft und Palästina
Der Totalanspruch der zionistischen Ideologie mit dem die muslimischen Einwohner Palästinas konfrontiert waren, lud zum Import eines andernorts gewachsenen ideologischen Islam ein: nämlich der ägyptischen Muslimbruderschaft unter Führung Hasan Al-Bannas (gest. 1949).

Durch den Konflikt zwischen zionistischen Kolonialisten und ansässigen Arabern in Palästina sah auch Hasan Al-Banna sich gezwungen, eine Position zu den Geschehnissen einzunehmen. Grundsätzlich war ihm an einem guten Verhältnis zum Judentum gelegen. So äußerte er tiefe Betroffenheit darüber, dass die Juden in Europa wiederholt Verfolgung und Unrecht ausgesetzt waren, allerdings könne Gerechtigkeit nicht darin bestehen, dass man nun den Arabern in Palästina das Gleiche antue.

Andere Muslimbrüder schlugen einen schärferen Ton an und bezeichneten die Juden als die historischen Feinde der Muslime. So äußerte Salih Al-Aschmawi: „Jeder Jude ist ein Zionist. Diese Tatsache wird bekräftigt durch vergangene Zwischenfälle und Experimente. Diese Tatsache ist so klar wie die Mittagssonne und kann nicht verändert oder geleugnet werden.“ und „Es ist die Wahrheit und ihre Essenz, dass die zionistische Frage nichts anderes ist, als eine jüdische Frage mit alledem, was das Wort beinhaltet.“

Zunehmend wurde in den Reihen der Muslimbruderschaft der Zionismus mit dem Judentum gleichgesetzt, womit jeder Jude als ein Feind des Islam angesehen wurde.

Hasan Al-Banna behielt dagegen lange Zeit seine differenzierte Sichtweise bei. Er störte sich nicht daran, dass Menschen jüdischen Glaubens sich in Palästina niederlassen, aber er lehnte die Etablierung eines jüdischen Staates ab und zwar aus folgenden Gründen: 1) Jerusalem war die erste Gebetsrichtung des Islam und ist der drittheiligste Ort im Islam, 2) es ist die Wirkungsstätte vieler Propheten, 3) die Himmelsreise des Propheten Muhammad habe in Jerusalem stattgefunden, 4) Palästina beherberge zahlreiche Gräber von Prophetengefährten, 5) ein jüdischer Staat stelle eine Gefahr für die nationale Sicherheit Ägyptens dar, da er als ein Bollwerk des westlichen Imperialismus dienen würde und 6) eine geographische Unterbrechung zwischen den arabischen Ländern Nordafrikas und Asiens darstelle, und 7) ein jüdischer Staat, der vom Westen massiv unterstützt werden würde, könnte die ägyptische Wirtschaft bedrohen.

Wohl unter dem Eindruck, dass die jüdischen Siedlungen, die Kibbuzim und die Moschavim zunehmend zu Wehrdörfern ausgebaut wurden, glaubte auch Al-Banna, dass der Konflikt nun nicht mehr diplomatisch, sondern nur noch durch Gewalt gelöst werden könne. Salih Al-Aschmawis Blatt al-nadir druckte am 26. Dezember 1938 folgende Stellungnahme des Obersten Führers der Muslimbruderschaft ab: „Die Muslimbrüder werden ihr Leben und ihr Vermögen opfern, um jeden Winkel Palästinas mitsamt seiner arabischen und islamischen Identität bis zum Jüngsten Tag zu sichern.“

Gegenüber dem ägyptischen Premier Muhammad Mahmud äußerte er im Mai 1939: „(…) die Briten und die Juden werden nur eine Sprache verstehen, die Sprache der Revolution, Stärke und des Blutes.“

Und die Charta der später gegründeten HAMAS vom 18. August 1988 schmückt sich mit der Aussage Al-Bannas: „Israel wird bestehen und so lange bestehen bleiben, bis der Islam es annulliert, so wie er davor Bestehendes annulliert hat.“

Hinsichtlich der zunehmend militanteren Position Al-Bannas darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass Großbritannien eigenmächtig und ohne Hinzuziehung der arabischen wie auch der jüdischen Seite, quasi über den Köpfen der Betroffenen hinweg, Kommissionen ins Leben rief, die Teilungspläne erstellten ohne diese hinzuzuziehen. Die Hinwendung zur Gewalt war auf beiden Seiten auch in Teilen Ausdruck der eigenen Ohnmacht.

Mit einem Bündel an Aktionen und Maßnahmen waren es nun die Muslimbrüder, die das Thema Palästina in den Fokus der arabischen Öffentlichkeit rückten. Noch 1938 konnten arabische Politiker wie der ägyptische Premierminister Muhammad Mahmud desinteressiert äußern: „Ich bin der Premierminister von Ägypten, nicht von Palästina.“ Dies änderte sich nun durch die Muslimbrüder. Das Spektrum ihrer jahrelang andauernden Protestaktionen soll im Folgenden angerissen werden:

• Wiederholte Telegramme an die UNO, an die britische Regierung und die politischen Führer der arabischen Welt mit der Bitte, der christlichen und muslimischen Bevölkerung in Palästina beizustehen.

• Veröffentlichungen von Publikationen und Zeitungsartikeln, die auf die Situation in Palästina aufmerksam machten. Seit 1933 war der Palästinakonflikt fester Bestandteil in ihrer Wochenzeitung jarida al-ikhwan al-muslimin und al-nadir. Bücher wie Feuer und Zerstörung in Palästina dokumentierten auf 80 Seiten und mit 50 Abbildungen Gewalthandlungen seitens der britischen Armee gegenüber den Palästinensern. Prompt wurde das Buch verboten und die Polizei bemühte sich fieberhaft, die Druckstätte zu finden. Als dies nicht gelang, wurde Hasan Al-Banna verhaftet. Der Führer der Muslimbruderschaft erklärte sich ad hoc zum Autor der Schrift und verlangte, vor Gericht gestellt zu werden. Doch auf britischer Seite befürchtete man, dass Al-Banna den Prozess als Plattform nutzen könnte, um die breite Öffentlichkeit über den Inhalt des Buches zu informieren, und so ordnete der britische Botschafter die Freilassung Al-Bannas an.

• Seit 1935 organisierten die Muslimbrüder Spendenaufrufe für Palästina. Nach den Freitagsgebeten informierten sie die Moscheebesucher über die aktuellen Geschehnisse und riefen zu Spenden auf.

• Die Muslimbrüder gingen dazu über, die Juden in Ägypten als Fünfte Kolonne des Zionismus zu betrachten und riefen dazu auf, die ägyptischen Juden wirtschaftlich zu boykottieren. Hierzu erstellten sie Listen mit den Adressen von Geschäften mit jüdischen Inhabern. Unterhalb der Liste stand geschrieben: „Die Piastre, die du an diese Geschäfte bezahlst, steckst du eigentlich in die Hosentasche eines Juden in Palästina, der davon Waffen kauft und deine muslimischen Brüder in Palästina tötet.“

• Wiederholt forderte die Muslimbruderschaft von den ägyptischen Juden ein klares Bekenntnis zur arabischen Welt, und damit zu einem arabischen Staat in Palästina, sowie die Verurteilung des Zionismus. Andernfalls würden sie ihnen als Kollaborateure gelten, denen man den Jihad erklären müsse. Die Stimmung wurde noch verschärft, als ans Tageslicht kam, dass ägyptische Juden wöchentlich Geldsummen und Waffen von Ägypten nach Palästina schmuggelten. Ägyptische Juden wie Leon Castro, die sich dem Zionismus verpflichtet fühlten, nutzten die Synagogen als Propagandaplattform, um Unterstützung für die Juden in Palästina zu organisieren. Für den Muslimbruder Umar Al-Tilmisani war dies der Beweis, dass alle ägyptischen Juden Zionisten sind und Ägypten bedrohen. Er warnte sie, dass man entsprechende Maßnahmen gegen sie ergreifen würde.

• Zudem organisierten die Muslimbrüder landesweite Demonstrationen. Bei einer solchen Protestbekundung am 2. November 1945 kam es zu Gewaltausbrüchen gegen jüdische Geschäfte, bei denen fünf Menschen starben und ca. 200 verletzt wurden. Während Hasan Al-Banna diese Ausschreitungen verurteilte, äußerte der Musimbruder Salih Al-Aschmawi, dass die Juden selbst die Brandsätze gelegt hätten.

• Ab 1935 nahm die Muslimbruderschaft Kontakt zu den islamischen Gruppen in Palästina auf. Damit wurde der Grundstein für eine enge Zusammenarbeit gelegt und die Muslimbruderschaft begann die Palästinenser mit Waffen zu versorgen.

Im Kairoer Hauptquartier der Organisation nahm ein 29-köpfiges Palästina-Komitee, angeführt von Hasan Al-Banna, seine Arbeit auf.

Der 20-jährige Said Ramadan wurde im Oktober 1945 beauftragt, die islamischen Führer Palästinas zu bewegen, Teil der Muslimbruderschaft zu werden. Insbesondere die Fürsprache des palästinensischen Großmufti Muhammad Amin Al-Husaini sollte hierbei ausschlaggebend sein, dass sich die ersten Zweigstellen der Muslimbruderschaft in Jerusalem etablierten, die sich aus Gelehrten, Anwälten, Händlern und Schaikhs zusammensetzten. Es folgten innerhalb von drei Wochen weitere Zweigstellen in Haifa, Hebron, Jaffa sowie Gaza und erste Ansätze zeigten sich in Ramallah, Lydda, Ramla und Jericho.

Die Muslimbruderschaft in Palästina sah als ihre zentrale Aufgabe, die 1) Übermittlung islamischer Verhaltens- und Moralprinzipien, 2) die Verbreitung der Werte des Qur’an, um ein modernes Leben auf der Grundlage des Islam zu führen, 3) das Streben nach einem höheren Lebensstandard für die Bevölkerung, 4) den Kampf gegen die Armut und den Analphabetismus und 5) die Bewahrung und Verteidigung der Rechte der Muslime zu gewährleisten.

Die palästinensische Muslimbruderschaft soll im Februar 1946 über 15.000 Mitglieder gehabt haben. Im darauf folgenden Jahr sollen die Zahlen sogar auf 20.000 Muslimbrüder angestiegen sein, bei lediglich 20 bis 25 Zweigstellen. Man kann davon ausgehen, dass diese Zahlen maßlos übertrieben sind, würde dies doch bedeuten, dass jede Zweigstelle über 800 Mitglieder verfügte.

• Schließlich versuchten die Muslimbrüder auch durch militante Drohgebärden Druck auf die ägyptische Regierung auszuüben, aber auch entsprechende Warnsignale an die britische Besatzungsmacht auszusenden, wenn man beispielsweise im Anschluss an die Konferenz in Zagazig am 5. September 1938 öffentlichkeitswirksam polterte, die ägyptische Jugend sei bereit, die heiligen Stätten der Christen und Muslime gegen die Aggressionen der Kolonialmächte und Zionisten zu verteidigen.

Wie viele der politischen Parteien Ägyptens in der damaligen Zeit, verfügte auch die Muslimbruderschaft über einen militärischen Geheimapparat, seine Existenz war nur den wenigsten Muslimbrüdern selber bekannt, hatte Al-Banna doch gelehrt: „Geheimhaltung ist notwendig zu Beginn jeder Bewegung für die Sicherheit und Selbsterhaltung dieser Bewegung.“ Ursprünglich gegründet worden, um das Land notfalls auch mittels Gewalt von der britischen Besatzungsmacht zu befreien, zog man nun auch in Erwägung, den Geheimapparat für eine militärische Auseinandersetzung mit den jüdischen Kolonialisten einzusetzen.

Diese Überlegungen entwickelten sich nicht im luftleeren Raum. Die jüdischen Siedler hatten im britischen Mandatsgebiet mit der Hagana selber eine schlagkräftige Untergrundarmee aufgebaut, die die jüdischen Siedlungen und politischen Ziele des Zionismus verteidigen sollte. Zunehmend bediente sich die zionistische Seite – wie bereits erwähnt – hierzu Terroranschläge, um ihre Gegner auszuschalten.

Der britische Premierminister Churchill (gest. 1965) äußerte desillusioniert über das zunehmende Primat der Gewalt: „Wenn unsere Träume vom Zionismus im Rauch einer Attentäter-Pistole enden und die Arbeiten für seine Zukunft eine neue Gruppe von Gangstern hervorbringt, schlimmer als Nazi-Deutschland, dann müssen viele – auch ich – unsere Position überdenken, die wir so konsequent und lange in der Vergangenheit eingenommen haben.“

Im Februar 1947 fassten die Briten den Entschluss, das kostspielige Engagement in Palästina auf- und das Mandat an die UNO abzugeben. Eine UNO-Kommission empfahl das Mandatsgebiet in einen jüdischen und einen arabischen Staat aufzuteilen und eine separate Enklave Jerusalem zu bilden unter Verwaltung der UNO. Der Plan sah vor, 56,5 Prozent des Gebietes den 650.000 Juden und 43,5 Prozent den 1.135.000 arabischen Einwohnern zu zusprechen. Dieser Teilungsplan wurde schließlich am 29. November 1947 von der UNO-Generalversammlung mit der Resolution 181 mit 33 gegen 13 Stimmen und 10 Enthaltungen angenommen. Zu den ablehnenden Stimmen gehörten Afghanistan, Ägypten, Griechenland, Indien, Irak, Iran, Jemen, Kuba, Libanon, Pakistan, Saudi-Arabien, Syrien und die Türkei, also vor allem die muslimische und die unmittelbar betroffene arabische Staatenwelt. Umso mehr musste für die muslimische Welt der Staat Israel als ein unnatürliches, künstliches Konstrukt erscheinen, eine westliche Kolonie.

Am 14. Mai 1948 proklamierte David Ben-Gurion den Staat Israel, einen Tag später erklärte die neu gegründete Arabische Liga diesem den Krieg. Dies löste eine Massenflucht der arabischen Bevölkerung aus, die Pogrome fürchtete. Und wo die arabischen Einwohner nicht weichen wollten, verübten die Israelis, so der Historiker Benny Morris, auch Massaker, willkürliche Tötungen wie etwa in Sahila (70-80 Ermordete), Deir Yassin (100-110 Ermordete), Lod (250 Ermordete), und Dawayima (mehrere hundert Ermordete). Morris rechtfertigt dieses Vorgehen der israelischen Seite, da ansonsten „kein Staat entstanden [wäre]. Das muss klar sein. Das lässt sich nicht vermeiden. Ohne die Vertreibung der Palästinenser, wäre hier kein jüdischer Staat entstanden.“ Nach dem Historiker Pappe begannen aber die Vertreibungen und Pogrome bereits vor dem 15. Mai und wären somit auch ohne den Krieg fester Bestandteil der Politik Israels gewesen. Um die Geisteshaltung, die hinter diesen Gräuel steckt zu verstehen, sagt Pappe über die ersten Zionisten in Palästina: „Aber dann kam die zweite, die wichtige Einwanderergruppe. Das waren die Zionisten des 20. Jahrhunderts, jene, aus denen die zionistische Führung hervorging, Männer wie Ben Gurion und viele andere. Sie kamen 1905/1906. Sie waren sehr arm und hatten keinen Ort zum leben. Und wer half ihnen? Die Palästinenser. Es existiert dort eine traditionelle Gastfreundschaft, das ist eine jahrtausendealte Kultur. Man gibt Fremden Nahrung und Unterkunft. Man brachte ihnen bei, das Land zu bestellen. Und was schrieben Leute wie Ben Gurion in ihre Tagebücher? >Dieser Platz ist voll von Ausländern.< Die Menschen, die sie aufnahmen, waren für sie die Ausländer. Wenn man das versteht, versteht man die zionistische Mentalität. Dahinter verbirgt sich die Einstellung: Ich will diese Leute nicht sehen, weil sie Ausländer sind, die sich etwas angeeignet haben, was mir gehört. Die Palästinenser sind Fremde und Eindringlinge, und wir werden sie hinauswerfen.“

Nachdem Israel den ersten israelisch-arabischen Krieg gewonnen hatte, annektierte es weitere Gebiete, sodass es eine territoriale Erweiterung von 56 auf 77 Prozent erfuhr. Auf dem verlassenen Land der Araber entstanden so 186 neue jüdische Siedlungen.

Die Muslimbruderschaft hatte bereits im Oktober 1947, also schon vor der Abstimmung der UNO im November über die Teilung Palästinas, damit begonnen, Kämpfer zu rekrutieren, die dann mit Zustimmung der ägyptischen Regierung durch Militäroffiziere ausgebildet wurden. Am 18. Oktober war dann das erste Bataillon zusammengestellt, das zweite folgte am 6. März 1948 und das dritte erreichte Palästina im Mai 1948. Die syrische und die trans-jordanische Muslimbruderschaft entsendeten ebenfalls jeweils ein Bataillon. Insgesamt sollen schätzungsweise 1.500 Muslimbrüder in Palästina gekämpft haben. Al-Banna war gerade mit der Zusammenstellung eines vierten Bataillons beschäftigt, das er selber anführen wollte, als die Muslimbruderschaft am 8. Dezember 1948 aufgrund innerpolitischer Querelen in Ägypten verboten und die ägyptische Armee aufgefordert wurde, die Muslimbrüder festzunehmen.

Der islamisch verbrämte Antisemitismus
Der Konflikt zwischen dem ideologischen Islam und dem ideologischen Zionismus brachte auf Seiten der Muslime etwas neues hervor, dass vorher nicht da war: einen islamisch verbrämten Antisemitismus.

Rabbi Mark Cohen, Professor an der Princeton University, referierte auf der dritten Konferenz für religiösen Dialog in Doha 2005, dass die Beziehungen zwischen Juden und Muslimen in der islamischen Frühzeit in Medina eine feindselige Konfrontation war, deren Ursache jedoch nicht religiösen, sondern politischen Ursprungs war.

Ein Teil der jüdischen Stämme in Medina fühlte sich durch die zahlenmäßige Überlegenheit der Muslime entscheidend bedroht, war doch das eingependelte Machtgefüge in der landwirtschaftlich prosperierenden Oase nun empfindlich gestört. Mehr noch, sie fühlten sich übergangen, denn es waren die beiden arabischen und vormals polytheistischen Stämme der Aus und der Khazradsch, die in Eigeninitiative Muhammad und seine Anhänger nach Medina eingeladen und ihm zunächst die Rolle eines Schlichters zugeteilt hatten. Doch Muhammads Bedeutung und damit auch sein Einfluss wuchsen exponentiell und veränderten Medina grundlegend.

Diese anfängliche Konfliktsituation galt den nachkommenden Generationen von muslimischen Gelehrten aber nicht als essentieller Urkonflikt, sondern wurde in seinem damaligen Kontext verstanden und darin eingeschlossen. Anders ausgedrückt: aus den Erfahrungen der muslimischen Frühgemeinde mit ein paar jüdischen Stämmen konnten keine Schlüsse für spätere Beziehungen zum Judentum an sich gezogen werden. Das Gemisch an positiven wie negativen Aussagen über Juden im Qur’an musste folglich ebenfalls differenziert betrachtet werden. Die positiven Verse galten den Gelehrten als fundamentaler als die negativen, die im Rahmen des medinensischen Konfliktes verstanden wurden. Diese Interpretation wurde durch einen Vers, der zu den letzten Offenbarungen gehörte, die dem Gesandten Gottes Muhammad zuteil wurden, be- und gestärkt:

„Heute sind euch alle guten Dinge erlaubt.
Auch die Speise derer, denen die Schrift gegeben wurde, ist euch erlaubt, so wie eure Speisen ihnen erlaubt sind.
Und (erlaubt sind euch zu heiraten) tugendhafte Frauen, die gläubige sind, und tugendhafte Frauen von denen, welchen die Schrift vor euch gegeben wurde, sofern ihr ihnen ihr Brautgeld gegeben habt und tugendhaft mit ihnen lebt, ohne Unzucht, und keine Geliebten nehmt. Wer den Glauben verleugnet, dessen Werk ist fruchtlos, und im Jenseits ist er einer der Verlorenen.“
(5:5)

Trotz aller erfahrenen Unterschiede und Konflikte zwischen Juden und Muslimen, unterstreicht dieser Vers, so der verstorbene Professor Falaturi, dass Juden (und auch Christen) aufgrund ihrer monotheistischen Ausrichtung gesellschaftlich voll akzeptiert werden sollen, indem zu einer Tisch- und Ehegemeinschaft mit Juden eingeladen wird. Letzteres bedeutete in der arabischen Gesellschaft des 7. Jahrhunderts nicht nur eine Verbindung zwischen zwei Personen, sondern zugleich einen Vergesellschaftlichungsprozess von zwei Großfamilien oder sogar zwei Stämmen. Dies steht im Einklang mit den universellen Prinzipien des Islam, die in Versen, wie dem nachstehenden formuliert sind: „Siehe, die da glauben, auch die Juden und die Christen und die Sabäer – wer immer an Gott glaubt und an den Jüngsten Tag und das Rechte tut, die haben ihren Lohn bei ihrem Herrn. Keine Furcht kommt über sie, und sie werden nicht traurig sein.“ (2:62)

Der Exeget Muhammad Asad sah in diesen Passagen eine grundsätzliche Lehre des Islam: „Mit einem aufgeschlossenen Weitblick ohnegleichen in irgendeinem anderen religiösen Glauben wird hier die Vorstellung von >Rettung und Heil< von nur drei Bedingungen abhängig gemacht: Glaube an Gott, Glaube an den Tag des Gerichts und rechtschaffenes Handeln im Leben.“

Im Mittelalter war es, so Rabbi Cohen, eher die Regel als die Ausnahme, dass Juden als geschützte Leute, von den muslimischen Herrschenden hinsichtlich ihres Lebens, ihrer Religionsausübung, ihrer wirtschaftlichen Freiheit und ihrer Bewegungsfreiheit Schutz erfuhren – natürlich waren Muslime und Juden in der damaligen Zeit nicht gleichgestellt. Aber sie wurden nicht zur Konversion gezwungen, ihre Gemeinden waren autonom und im Geschäftsleben waren sie mit den Muslimen gleichberechtigt. Cohen spricht zwar nicht von einem Goldenen Zeitalter jüdisch-muslimischen Zusammenlebens, aber doch von einem harmonischeren Nebeneinander als es die jüdischen Geschwister im christlichen Europa erfuhren.

In diesem Zusammenhang machte Rabbi Cohen in seinem Beitrag eine interessante Bemerkung hinsichtlich der Abwesenheit eines jüdisch-muslimischen Dialogs im Mittelalter: Dieser sei gar nicht von Nöten gewesen, denn über was hätte man diskutieren sollen. Beide glaubten sie an den einen Gott, sahen in Jesus nicht Gottes Sohn, glaubten an ein offenbartes Gesetz, und sahen Glaube und Tat als die zwei Seite einer Medaille an. Juden und Muslime, so Cohen, fühlten sich einander nicht fremd. Deswegen seien muslimische Polemiken gegen Juden und das Judentum im Mittelalter verglichen mit der Masse anti-jüdischer Polemiken in der christlichen Welt eine Seltenheit geblieben. Ausschreitungen gegen Juden als Juden habe es so gut wie nie gegeben.

Das Verhältnis zum Judentum begann sich erst ab dem 19. Jahrhundert zu verändern. Auf muslimischer Seite verlor man das Bewusstsein für eine Unterscheidung zwischen dem eigenen Wahrheitsanspruch und der Existenz mehrerer Heilswege als Ausdruck von Gottes Barmherzigkeit. Damit verbunden fielen die Muslime hinter die islamische Toleranzkonzeption des Mittelalters zurück, statt sie notwendigerweise weiterzuentwickeln. Hinzu kamen der schwelende Palästinakonflikt und die Begegnung der Araber mit dem europäischen Antisemitismus.

Es waren arabische Christen, die als Erstes europäische antisemitische Traktate ins Arabische übersetzten. Das erste Werk dieser Art erschien 1869 in Beirut, das die angeblichen Bekenntnisse eines zum Christentum konvertierten Rabbiners über die Grausamkeiten der jüdischen Religion beinhaltete. Die erste Übersetzung der Protokolle der Weisen von Zion wurde am 15. Januar 1926 in der Zeitschrift raqib sahyun (Beobachter Zions) veröffentlicht, die in Jerusalem von der römisch-katholischen Gemeinde herausgegeben wurde. Eine weitere Übersetzung aus dem Französischen, erneut angefertigt von einem arabischen Christen, erschien etwa zwei Jahre später in Buchform in Kairo. Eine Übersetzung aus dem Englischen, erstmals aus muslimischer Feder, erfolgte dann 1951. Bald schon stand dem arabischen Leser eine Flut antisemitischer Lektüre zur Verfügung, die ausnahmslos christlichen, europäischen und amerikanischen Ursprung waren.

In dieser ersten Phase wurden antisemitische Anklagen einfach wiederholt – allerdings unter Ausschluss des Rassengedankens und der säkular-messianischen Vorstellung einer Endlösung, wie es der Antisemitismus der Nazis kannte. Dadurch, dass Juden zu den Leuten der Schrift gehören und somit eine von Gott anerkannte Gemeinschaft sind, kann der islamisch verbrämte Antisemitismus den Gedanken einer Endlösung überhaupt nicht aufnehmen und integrieren. Islamische Antisemiten wollen den Staat Israel auslöschen, nicht aber das jüdische Volk.

Die Muslime wurden also mit dem Bild des Juden als Freimaurer, als Großkapitalist, als Kommunist, als Umstürzler und als Verschwörer mit dem Ziel der Weltherrschaft vertraut gemacht. Diese Bilder dienten dann als eine plausible Erklärung, weshalb der israelische Staat im ersten israelisch-arabischen Krieg den Sieg davontrug und weshalb die Zionisten die Unterstützung der jeweils führenden Macht – zuerst Großbritannien, dann die USA – erlangen konnten.

In einer zweiten Phase, wurden diese Vorstellungen verinnerlicht, assimiliert und islamisiert. Dieser islamisch verbrämte Antisemitismus zieht sich durch die meisten Werke des Muslimbruders Sayyid Qutb (gest. 1966) und erhält durch seine sechsbändige Exegese des Qur’an fi zilal al-Qur’an (Im Schatten des Qur’an) eine “heilige” Legitimation. Nach Qutb beginnt die Feindschaft zwischen Juden und Muslimen mit ihrer Auflehnung gegen den Prophet Muhammad in Medina. Seit die Juden militärisch geschlagen wurden, würden sie sich ununterbrochen bemühen aus dem Schatten heraus mit ihren Eigenschaften der List und der Verschlagenheit den Islam zu zerstören. So stände hinter den christlichen Kreuzzügen, die mit dem europäischen Kolonialismus ihre Fortsetzung fänden, und dem Kommunismus, der nach Qutb eine jüdische Erfindung ist, das Weltjudentum. Ziel der Juden sei die Weltherrschaft, an deren Ende nur das Judentum selber überleben soll. Der Kampf gegen die Juden sei daher zum Wohle der gesamten Menschheit.

Eine Differenzierung der Juden von damals und heute sei nicht nötig, da die jüdische Psyche und Verhaltensweise in jeder Generation gleich bleibe. Damit dienen antisemitische Verschwörungstheorien im islamischen Gewand Qutb zur hinreichenden Welterklärung für den Niedergang der Muslime. Das Bündnis der Juden mit den anderen Feinden des Islam, nach Qutbs Weltanschauung waren dies die Christen, sei daher eine Selbstverständlichkeit. Eindringlich warnt Qutb seine Leser, dass niemand sich täuschen lassen solle, es handle sich bei den Konflikten der Gegenwart um politische oder wirtschaftliche Auseinandersetzungen. Als naive und verwirrte Muslime verhöhnt er jene, die nicht sehen könnten, dass der Konflikt zwischen der jüdisch-christlichen und der muslimischen Welt ein religiöser und ideologischer sei.

Nach Benz ist die zentrale Botschaft von Verschwörungstheorien stets die angebliche Feindschaft einer Minderheit gegen die Mehrheit. Auch bei Qutb wird aus der zahlenmäßig bedeutend kleineren jüdischen Religionsgemeinschaft ein monolithischer globaler Weltverschwörer. Gänzlich unreflektiert greift Qutb politische Schlagwörter seiner Zeit auf, wenn er vom Weltzionismus, von den kreuzfahrenden Kirchen und dem Weltkommunismus schreibt, die gemeinsam den Islam bekämpfen.

Qutbs geschlossenes Feindbild “des” Juden, das von einer konstitutionellen Schlechtigkeit aller Juden ausgeht, erfährt auch keine Veränderung durch die positiven jüdischen Gestalten des Qur’an, wie z. B. den Herrscher Saul und den Propheten-Königen David und Salomon. Stattdessen werden Fehlverhalten von Juden überbetont und dienen dazu, die Unveränderbarkeit des jüdischen Charakters zu belegen.

Der jüdische Gelehrte Moses Mendelsohn (gest. 1786) hatte einst prägnant festgehalten, dass Antisemiten den jetzt lebenden Juden die Fehler ihrer Vorfahren vorhalten, „ohne zu bedenken, dass aller der gerügten Untugenden ungeachtet, der gesetzgebende Gott unserer Väter (…) es gleichwohl möglich gefunden, diesen rohen Haufen zu einer ordentlichen, blühenden Nation umzubilden, die erhabene Gesetze und Verfassung, weise Regenten, Feldherren, Richter und glückliche Bürger aufzuweisen hat“.

Es ist wichtig festzuhalten, dass diese Form des Antisemitismus nicht im Islam selber wurzelt, sondern gänzlich ein Produkt unserer Zeit ist. Dies wird deutlich, wenn man aktuell die Situation der Juden auf dem Balkan betrachtet. Während in Kroatien, Serbien und Griechenland antisemitische Literatur den Büchermarkt derzeit überschwemmt, Synagogen wie jene in Dubrovnik wiederholt mit antisemitischen Schmierereien verunstaltet werden, griechische Tageszeiten ungeniert antisemitische Karikaturen abdrucken, Juden wie jene in der Stadt Osijek anonyme Drohbriefe erhalten, serbische Faschisten Todeslisten mit jüdischen Namen online stellen, und Juden in Griechenland angegriffen werden, treten antisemitische Tendenzen in Bosnien und Kosovo am schwächsten auf. Was die Gesellschaft dort, von jener des übrigen Balkans wesentlich unterscheidet und prägt, ist dass sie mehrheitlich muslimisch ist. Daher schreibt Cohen: „Die meisten wissen nichts mehr von den Freundschaften, die Juden im “alten Land” mit den Muslimen pflegten. Sie haben vergessen, dass bis zum 20. Jahrhundert – und in einigen Fällen bis in die 1940er-Jahre hinein – viele Mitglieder der Arabisch sprechenden jüdischen Mittelklasse tief in die arabische Gesellschaft und Kultur verwurzelt waren, wie ihre mittelalterlichen Vorfahren, die die arabische und islamische Kultur mit ganzem Herzen angenommen hatten: Philosophie, Naturwissenschaft, Medizin, Schriftgelehrsamkeit und Poesie. Diese Vorfahren lebten in keiner interreligiösen Utopie, aber in einem Zeitalter der Koexistenz, das wie ein ferner Spiegel dessen wirkt, was in unserer Gegenwart immer noch möglich wäre.“

Die Muslimbruderschaft in Palästina
Nach Ende des ersten israelisch-arabischen Krieges benötigte die Muslimbruderschaft in Palästina vor allem Zeit, um sich zu reorganisieren und sich auf die veränderte Lage einzustellen.

Daher konzentrierte man sich wieder auf die ursprüngliche Programmatik, nämlich der Vermittlung des Islam, um eine rechtschaffene Generation hervorzubringen.

Finanzielle Unterstützung erhielten sie hierbei seitens der Mutterorganisation in Ägypten und von Muslimbrüdern aus der Golfregion. Denn die Realität – insbesondere im Gazastreifen – war nach dem Krieg geprägt durch extreme Armut, Flüchtlingen, die notdürftig in Lagern untergebracht worden waren, und dem Zusammenbrechen der traditionellen Sozialstruktur. Trotz einiger militanter Töne war der Befreiungskampf auf unbestimmte Zeit verlegt worden. Und so widmeten sich die Muslimbrüder in den kommenden Jahrzehnten dem Aufbau einer Infrastruktur für die palästinensische Bevölkerung. Dabei standen zwei Projekte im Mittelpunkt:

– Moscheebau. Von 1967 bis 1987 stieg die Zahl der Moscheen in der Westbank von 400 auf 750, im Gazastreifen von 200 auf 600 – mitfinanziert vom israelischen Militär.

Der israelische Militärgouvernor in Gaza, Brigadier General Yitzhak Segev erklärte, es sei das Ziel gewesen, die Muslimbruderschaft als Gegengewicht zur PLO aufzubauen: „Die israelische Regierung gab mir ein Budget und die Militärregierung gibt es an die Moscheen.“ Auch Brigadegeneral a. D. Benjamin Ben Eliezer, der von 1983 bis 1984 Koordinator der israelischen Politik in den besetzten Palästinensergebieten war, erklärte: „Hinsichtlich der [Palästinenser] Gebiete hat es noch nie ein klares, langfristig angelegtes politisches Konzept gegeben, weil es keine nationale Einigung über die dort zu verfolgenden Ziele gab. Niemand machte sich die Mühe, in die Zukunft zu schauen. (…) Alle betrachteten die Lage durch die Sicherheitsbrille: Was zählte, war, politische Subversion zu verhindern und Prozesse zu blockieren, die zu Terrorakten führen könnten. In diesem Zusammenhang sagte man damals, lasst uns als Gegengewicht zur PLO den Islam gedeihen lassen. Sie [die Palästinenser] sollten sich lieber mit Gott als mit Terrorismus beschäftigen.“

Ähnlich äußerte sich auch Moshe Arens, Israels Verteidigungsminister von 1982 bis 1984: „Zweifelsohne sah man darin (in den Aktivitäten der Islamisten) ein gesundes Phänomen, das die PLO stoppen könnte. Von Seiten des Militärs und des Inlandgeheimdienstes Schabak gab es wohl auch den Versuch, die Fundamentalisten als Gegengewicht zur PLO zu fördern. So hatte man mir bei Amtsantritt mitgeteilt. De facto wurde jedenfalls nichts unternommen, um sie aufzuhalten.“

Die Muslimbruderschaft bestreitet natürlich jede Kooperation mit der israelischen Besatzungsmacht und sieht in solchen Verlautbarungen vielmehr einen Versuch ihrer Diskreditierung.

– Sozialeinrichtungen. Ein Beispiel für eine Sozialeinrichtung der Muslimbruderschaft ist das Islamische Zentrum in Gaza, das eine Moschee, eine Poliklinik, eine Jugendsporthalle, einen Kindergarten, eine Festhalle, ein Frauenzentrum und ein Almosen-Komitee beherbergt. 1978 erhielt es eine offizielle Lizenz von der israelischen Besatzung und fungiert als Hauptquartier der palästinensischen Muslimbruderschaft.

Daneben wurden in den Palästinensergebieten Kindergärten, Schulen, Bibliotheken, Sportclubs, Wohltätigkeitsorganisationen und die Islamische Universität Gaza gebaut.

Als der Muslimbruder Khalil Al-Wazir (1935-1988) 1957 einen Plan vorlegte, der zum Ziel hatte, eine neue militante Organisation zu schaffen, die aber keinerlei offizielle Verbindung zur Muslimbruderschaft besaß, um so deren Infrastruktur vor israelischer Vergeltung zu schützen, und die auch kein islamisches Programm besitzen sollte, um so auch nichtreligiöse Palästinenser anzusprechen, winkte die Führung der Muslimbruderschaft ab. Al-Wazir trat daraufhin aus und gründete mit Yasir Arafat (1929-2004) die FATAH. Als Reaktion hierauf distanzierten sich die Muslimbrüder von der neuen Bewegung und lehnten jede Teilnahme am bewaffneten Widerstand kategorisch ab – zumindest bis zur Gründung der HAMAS 1987.

Diese passive Haltung wurde von vielen Palästinensern als Duldung der Besatzung empfunden, während es die säkularen, nationalistischen Gruppierungen waren, die aktiven bewaffneten Widerstand gegen die israelische Besatzungsmacht für die palästinensische Sache leisteten. Hierdurch geriet die islamisch-ideologische Bewegung zunehmend in die Kritik und wurde geradezu verhöhnt, wann denn das spezifische Datum sei, an dem die Erziehung einer neuen Generation von Muslimen abgeschlossen sei, sodass man auf die Unterstützung der Muslimbruderschaft hoffen dürfe.

Aber auch innerhalb der Organisation waren insbesondere junge Mitglieder frustriert über diese Situation. Schließlich verließen 1980 islamische Aktivisten, aufgeputscht durch die islamische Revolution im Iran 1979, die Muslimbruderschaft, um den Islamischen Jihad zu gründen. Während 1984 eine Gruppe junger Muslimbrüder auf Eigeninitiative hin versuchten eine bewaffnete Zelle zu gründen. Das Unterfangen wurde zu einem Fehlschlag, die israelische Besatzungsmacht erfuhr davon und nahm alle 13 Mitglieder fest. Dieser stümperhafte Aktionismus lässt erahnen, wie sehr die jugendlichen islamischen Aktivisten frustriert waren und wie groß der Druck auf die Führung der Bruderschaft gewesen sein muss, diese Stimmung schleunigst zu kanalisieren.

Denn immer stärker geriet die Muslimbruderschaft in eine Glaubwürdigkeitskrise. Der Islamische Jihad kritisierte, dass man verwundert sei, wie eine Organisation, die sich dem Jihad verschrieben habe, sich diesem nun enthalte. Die Muslimbruderschaft sei von ihrem klaren Weg abgekommen. Und FATAH-Mitglied As‘ad Al-Saftawi meinte 1988, dass die Jugend sich nicht mehr länger von der islamischen Organisation vertrösten lasse. Dies und die Weigerung mit palästinensischen Organisationen zusammenzuarbeiten, die sich nicht auf den Islam beziehen, isolierte die Muslimbruderschaft zunehmend und verhinderte, dass sie in Palästina zu einer Massenbewegung wurde.

Die Geburt der HAMAS
Die erste Intifada 1987 zwang schließlich die Muslimbruderschaft zum Handeln.

Auslöser war ein schwerer Verkehrsunfall am 8. Dezember, bei dem ein israelischer Lastwagen mit zwei Sammeltaxis zusammenstieß, deren Fahrgäste palästinensische Tagelöhner waren, auf dem Weg zurück in ihre Flüchtlingslager. Die Folge: vier Tote. Dieses Ereignis war der Tropfen, der das Fass angestauter Wut über das menschenunwürdige Leben unter israelischer Besatzung und die Ohnmacht gegenüber der israelischen kolonialistischen Siedlungspolitik zum Überlaufen brachte. Allerorts in den besetzen Gebieten fanden in der Regel friedliche, manchmal aber auch von gewalttätigen Ausschreitungen begleitete Massendemonstrationen statt, die auf ein Ende der Besatzung pochten.

Tags darauf versammelten sich die Führer der palästinensischen Muslimbruderschaft, um ihr Vorgehen in dieser Krise zu besprechen. Man befand sich in einem ideologischen Dilemma. Die Intifada kam für die Muslimbrüder völlig überraschend. Nicht an ihr zu partizipieren, hätte der islamischen Bewegung einen Großteil ihres Nachwuchses gekostet und ihr Ansehen nachhaltig in der palästinensischen Bevölkerung beschädigt. Aber wie sollte man diesen Wandel kommunizieren, wenn man noch kurz zuvor proklamiert hatte, die Zeit des Jihad sei noch nicht gekommen und dass man zunächst eine rechtschaffene Generation erziehen müsse?

Der Ausweg stellte die Gründung der HAMAS dar, ein Akronym für harakat al-muqawama al-islamiya (Bewegung des islamischen Widerstandes), zugleich bedeutet das Wort Eifer.

Im Grunde griffen die Muslimbrüder in Teilen die Idee von Al-Wazir auf. Die HAMAS war als eigenständige Organisation gedacht zum Schutz der institutionellen Struktur der Muslimbruderschaft.

Erst Monate später, als sich abzeichnete, dass die Intifada von Dauer sein würde, nämlich bis 1993, gab man sich in einem Flugblatt als Arm der Muslimbruderschaft zu erkennen: „Die Bewegung des Islamischen Widerstandes, der mächtige Arm der Gesellschaft der Muslimbrüder, die ihren ersten Imam um die Jahreszeit 1949 als Märtyrer in Ägypten geopfert und die Märtyrer auf der gesegneten Erde Palästinas gestellt hat, würdigt die Durchhaltekraft unserer Anhänger und Aktivisten (…) und überhaupt unseres gesamten Volkes in unserem besetzten Land, seine Opfer und seine außergewöhnliche brüderliche Solidarität. Sie ruft es auf, die Intifada fortzusetzen.“

In der HAMAS findet der religiöse Zionismus schließlich seinen ideologischen Wiederpart, der für das Primat der Raumbeherrschung den universellen Horizont des Qur’an und seine ethischen Werte unterordnet und mittels des islamisch verbrämten Antisemitismus den Anderen zum Feindbild erklärt, gegen das jedes Mittel legitim ist, selbst die unislamischen Selbstmordattentate. Die Extremen berühren sich. So heißt es in der HAMAS-Charta (Hervorhebungen durch den Autor): „Die Islamische Widerstandsbewegung ist einer der Flügel der Muslimbrüder in Palästina. Die Bewegung der Muslimbrüder ist eine internationale Organisation, und sie ist die bedeutendste der islamischen Bewegungen in der modernen Zeit. Sie zeichnet sich aus durch tiefes Verständnis, präzise Vorstellung und vollkommene Ganzheitlichkeit aller islamischen Konzepte auf den verschiedensten Gebieten des Lebens: in Denken und Glauben, in Politik und Wirtschaft, in Erziehungs- und Sozialwesen, in Rechts- und Regierungswesen, in [religiöser] Unterweisung und Bildung, in Kunst und Medien, in Mysterium und Martyrium und auf den anderen Gebieten des Lebens.“ (Artikel 2)

„Die Feinde haben seit langer Zeit geplant und ihre Planung präzisiert, umso zu erreichen, was sie erreicht haben. (…) Sie strebten danach, gewaltige und mächtige materielle Reichtümer anzuhäufen und sich ihrer zur Verwirklichung ihres Traumes zu bedienen. So erlangten sie durch das Vermögen die Kontrolle über die internationalen Medien- und Nachrichtenagenturen, Presse, Verlage, Rundfunk und andere. Durch das Vermögen lösten sie Revolutionen in verschiedenen Teilen der Welt aus, um ihre Interessen zu verwirklichen und Gewinne zu erzielen. Sie standen hinter der Französischen Revolution und den meisten Revolutionen hier und da, von denen wir gehört haben und hören. Mit dem Vermögen bildeten sie die Geheimorganisationen, die in den verschiedenen Teilen der Welt verbreitet sind, um die Gesellschaften zu zerstören und die Interessen des Zionismus zu verwirklichen, wie die Freimaurerei, die »Rotary« und »Lion Clubs«, die »Söhne des Bundes« und andere. Es sind allesamt subversive Spionageorganisationen. Mit dem Vermögen konnten sie die Kontrolle über die kolonialistischen Staaten erlangen und sie zur Kolonisierung vieler Länder veranlassen, um die Reichtümer jener Länder abzuschöpfen und dort ihre Unmoral zu verbreiten (…). Sie standen hinter dem Ersten Weltkrieg, wo sie es schafften, den Staat des islamischen Kalifats zu beseitigen, und wo sie (…) die Balfour-Erklärung erhielten und den Völkerbund schufen, um die Welt mittels dieser Organisation zu beherrschen. Und sie standen hinter dem Zweiten Weltkrieg, wo sie (…) die Errichtung ihres Staates anbahnten und wo die Bildung der Organisation der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrates anstelle des Völkerbundes anregten, um damit die Welt zu beherrschen. Es gibt keinen Krieg, der hier oder da im Gang ist, ohne dass sie ihre Finger dahinter im Spiel haben. (…) So unterstützten die kolonialistischen Kräfte im kapitalistischen Westen und im kommunistischen Osten den Feind mit aller verfügbaren Kraft, materiell und menschlich, wobei sie sich in den Rollen untereinander abwechseln. Sobald der Islam in Erscheinung tritt, schließen sich ihm gegenüber die Kräfte des Unglaubens zusammen, denn die Gemeinschaft des Unglaubens ist ein und dieselbe.“ (Artikel 22)

„Die Islamische Widerstandsbewegung ist ein Glied in der Kette des Dschihad in der Konfrontation mit der zionistischen Invasion.“ (Artikel 7)

„Die Initiativen und die so genannten Friedenslösungen sowie die internationalen Konferenzen zur Lösung der Palästina-Frage stehen im Widerspruch zum Bekenntnis der Islamischen Widerstandsbewegung, denn die Aufgabe irgendeines Teiles von Palästina bedeutet einen Teil der Religion aufzugeben.“ (Artikel 13)

Schlusswort
Es ist zu simpel, zu realitätsfern den Nahost-Konflikt, die Israelis und die Palästinenser, die Juden und die Muslime, den Zionismus und die HAMAS in ein Gut-Böse-Schema zu pressen. Beide Seiten sind Opfer, beide Seiten sind Täter. Sinnlos ist für die Gegenwart und die Zukunft die Diskussion, wer als erstes mit dem Unrecht begann, wichtiger und konstruktiver wäre eine Debatte darüber, wie weiteres Unrecht verhindert und der blutige Streit zwischen den abrahamischen Geschwistern beendet werden kann. Kann er dies überhaupt noch? Wer ist Freiheitskämpfer? Wer ist Terrorist? Wer ist Aggressor? Wer ist Verteidiger? Bedienen sich nicht beider Seiten unmenschlicher Methoden, um die eigenen ideologischen Ziele zu erreichen? Beide Seiten sind verstrickt in Unschuld und Schuld, in einen Kreislauf der Gewalt und Gegengewalt aus dem es kein Entrinnen gibt, solange man sich nicht von den eigenen Ideologien lösen kann und zum eigenen religiösen Ethos zurückkehrt. Denn die geistigen Wurzeln des Zionismus und des ideologischen Islam liegen nicht in den religiösen Quellen von Judentum und Islam, sondern sie sind im Europa des frühen 20. Jahrhunderts zu finden.

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Muhammad Sameer Murtaza M.A. ist Islamwissenschaftler bei der Stiftung Weltethos (http://www.weltethos.de/). Seit 2010 setzt er sich mit der Vortragsreihe Gemeinsames Kernethos von Judentum und Islam für ein besseres Verständnis zwischen den beiden Religionen ein.

Wo schlägt das Herz der Welt? IZ-Gespräch mit Dawud Stewart Hurrell über geopolitische Fragen

(iz). Nach dem Ende des Systemgegensatzes und des Zusammenbruchs der Sowjetunion hat sich die Geografie und Politik des Raumes – die Geopolitik – durch diverse Konflikte und Entwicklungen wieder ins Gedächtnis der Menschen gerückt. Und das, obwohl der moderne Mensch ungeheuer viel Zeit in virtuellen Räumen verbringt…

Trotz der Tendenz, die Bedrohung ideologischer und nie zu greifender Gegner – wie beim Antiterrorkrieg oder der so genannten Cyber-Kriminalität – über ihre Haltbarkeit hinaus am Leben zu erhalten, wird deutlich, dass sich die Geografie als Teil des menschlichen Schicksals nicht länger verdrängen lässt. Ein Blick auf das Herkunftsland des in Deutschland verbrauchten Erdgases macht verständlich, dass Europa nicht an die USA grenzt, sondern an Kernland Eurasiens.

Hierzu sprachen wir mit dem geopolitischen Fachmann und Lehrer Dawud Stewart Hurrell. In dem Hintergrund-Interview geht Hurrell der Frage nach, wie und warum Geografie heute noch wichtig ist, worum es jenseits ideologischer Streitigkeiten im Nahen Osten geht und wo heute das Herz der Welt heute schlägt.

Islamische Zeitung: Dawud Stewart Hurrell, Sie sind Lehrer und Publizist für Geopolitik. Obwohl es eine dominante Weltsicht gibt, können Muslime zu anderen Antworten gelangen?

Dawud Stewart Hurrell: Ja, das können sie. Der bekannt Satz, dass man die Gegenwart durch Kenntnis der Vergangenheit verstehen kann, gilt auch hier. Die dominante moderne Weltsicht wurde durch eine Sicht der Geschichte gestaltet, die Institutionen und Prozesse von Macht betont. Wir nehmen sie als gegeben an. Das gleiche gilt für die Fortschritts-Philosophie.

Bis ins späte 19. Jahrhundert war sie auf die westliche Welt beschränkt – und auf Eliten und Denker, die mit den „westlichen“ Verhältnissen in Kontakt traten. Sie sahen darin die Lösung für die Krankheiten und die scheinbare Rückständigkeit ihrer Gesellschaften. Ein Beispiel dafür waren die Jungtürken oder die chinesischen Reformer. Die letzteren griffen die chinesischen Mandschu für deren sture Weigerung zur Modernisierung an; angesichts des Erfolges, an dem sich der Rivale Japan unter den Meji erfreute. Auch wenn eine überlegene westliche Militärmacht oft Reaktionen gegen die „Alten und Rückständigen“ provozierte, verstanden die Reformer der muslimischen Welt nicht, dass entlang der Institutionen, die notwendig waren, um ihre westlichen Rivalen nachzuahmen – wie rapide Industrialisierung und Falschgeld-Währung –, der Staat kam.

Der Staat, dessen Behandlung hier den Rahmen sprengen würde, machte eine komplette Revision des Islam notwendig, um die Integration des Staates in der Gesellschaft zu legitimieren. Diese Revision wurde durch eine Weltsicht vervollständigt, die Modernisierung in all ihren Formen betonte. Dies geschah auf Kosten der existierenden – und vermeintlich als archaisch wahrgenommenen – Rolle des Islam. In Folge wurden ganze Bevölkerungen einer Interpretation der Bedeutungen der sich entfaltenden Ereignisse unterworfen, die ihnen von den Medien aufgedrängt wurden. Sie verloren eine Perspektive, die sie gehabt hätten, hätten die Institutionen des Dar Al-Islam noch Bestand.

Diese Perspektive war spirituell und politisch. Ein junger osmanischer Mann konnte sich der Armee des Sultans anschließen. Diese Handlung hätte lebensverändernde Konsequenzen für ihn gehabt, da sie in sich die Saat einer spirituellen Erleuchtung trug. Oft war das die Folge der Anstrengungen der sufischen Tariqats, die in allen Dienstgraden vertreten waren. So war das osmanische Militär eine Erweiterung des Glaubenssystem, das seinem Wesen nach einheitlich war. Der junge Mann, der heute beim türkischen Militär dient, wird keine derartige Befriedigung erhalten, denn die Armee wird durch Wehrpflicht aufgefüllt und dient im Wesentlichen der inneren Sicherheit und anti-kurdischen Patrouillen.

Die Weltanschauung der gegenwärtigen Erziehung und Indoktrinierung kann durch das Studium einer Gesellschaft sowie der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Organisation ihrer früheren Periode umgekehrt werden. Das gilt für die ’abbasidischen Jahrhunderte, das Goldene Zeitalter der Osmanen oder sogar der Vergleich des heutigen Chinas mit den Zivilisationen der Tang und Song, deren historisches Erbe von Mao einer blutigen Revision unterzogen wurde. Eine Vergangenheit, die oft mit Nostalgie betrachtet wird – und das mit gutem Grund! Das Beispiel Mao ist wichtig, weil China mehr eine Zivilisation ist, und weniger ein Staat. Es erlebte eine signifikante Unterbrechung seiner Vergangenheit. Maos Programme führten zum Tod von 30 Millionen Menschen unter dem gescheiterten sozialistischen Experiment – einer Doktrin, die im Übrigen in Europa ihren Ursprung hatte.

Diese historischen Reflexionen dienen als Modell für den Gegensatz zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Die Geschichtlichkeit bietet alternative Lösungen für einige der dringenderen Fragen, der sich Muslime im Besonderen – und die Welt im Besonderen – gegenübersehen. Das Problem erscheint, wenn die „Moderne“ mit dem Islam von früher verbunden wird. Nehmen wir die Muslimbruderschaft: Ihre Lösung für Ägypten – und der muslimischen Gemeinschaft insgesamt – besteht in ihren Augen aus der Verbindung von Islam mit dem Staat, dessen Philosophie und Strukturen. Dies schaffte zuerst den Islam als solchen ab und an zweiter Stelle einen Staat, mit dem Islam als Ideologie. Das ist ein aussichtsreicher Kampf.

Oder nehmen wir die Taliban, die 2001 die Buddha-Statuen von Bamiyan in die Luft jagten; jüngst sprachen einige Muslimbrüder davon, die Pyramiden Ägyptens sprengen zu wollen. Diese Sprengungen wurden von Taliban durch islamische Begriffe begründet, aber warum standen sie nach 1.400 Jahren islamischer Herrschaft in Zentralasien immer noch? Lag dies daran, dass ihre Vorfahren kein Dynamit besaßen? Oder daran, dass die „Analysen“ ihrer Vorfahren sie als unwichtig betrachteten, so als würden sie in den Augen der Taliban heute eine Art Schirk verursachen, die der über sie wehende Wind hätte mitnehmen können.

Im finanziellem Bereich legen zeitgenössische islamische Wirtschaftswissenschaften mögliche Wege nahe, Papiergeld, zinsfreie Darlehen und alle anderen Arten der Täuschung in den islamischen Rahmen zu integrieren. Die Wirklichkeit ist – wie ein Jahrtausend muslimischer Geschichte nahelegt –, dass ein alternatives System finanzieller Stabilität durch eine bimetallische Währung erzielt werden kann. Hierzu gehört ein Handelssystem, dass das Bartering nicht als wichtiges Tauschmittel ausschließt sowie die Auqaf, bei denen große Landstriche für die Wohlfahrt benutzt wurden. Hier empfehle ich das Buch „Osmanli History and Institution“ von Mehmet Maksudoglu.

Islamische Zeitung: Was macht die Geopolitik wichtig für unsere Zeit?

Dawud Stewart Hurrell: Wir leben in einer Welt konkurrierender Mächte. In der Antike – vielleicht mit Ausnahme von Persern, Römern und Chinesen – waren Rivalitäten lokal begrenzt. Heute schwingen die großen Mächte ihr Schwert an allen Ecken der Welt. Ihre Aktionen betreffen uns alle.

Eine Bewertung ihrer Handlungen innerhalb der engen Grenzen ideologischer oder ausschließlich politischer Begriffen reicht nicht, um eine Perspektive zu gewinnen. Die Geopolitik betont drei Disziplinen, wie es vom Amerikaner Nicholas Spykman bestimmt wurde: Geschichtsphilosophie zur Beschreibung territorialer Ausbreitung, politische Geographie im Allgemeinen und die Beschreibung und Analyse der Sicherheitsstrategie eines Staates aufgrund seiner geographischen Bedingungen. Nähert man sich dem Studium und Verständnis der globalen Politik durch den Gebrauch dieser Disziplinen, gelangt man zu einem beispiellosen Erkenntnis des Themas.

Betrachten wir Syrien: Der Beleg für die Theorie eines territorialen Wachstums lässt sich in seinen Bestrebungen zur Wiederrichtung eines „Großsyriens“ erkennen. Dazu gehören Gebiete der Levante, Palästinas, Jordaniens und des westlichen Iraks. Wenn nicht um Gebietszuwachs, so ging es doch immer um die Steigerung des regionalen Einflusses. Der Erfolg von Damaskus blieb auf die vergangene Besetzung und politische Manipulation des Libanon beschränkt. Bedenken Sie, dass Hafez al-Assad 1972 sagte, dass „Syrien und Libanon ein einziges Land“ seien.

Ein politisch-geographischer Ansatz beinhaltet neben den physikalischen Gegebenheiten den Blick auf die ethnische, demographische, industrielle, landwirtschaftliche, hydrologische, mineralische und religiöse Zusammensetzung, um die Funktionsweise der syrischen Maschinerie zu begreifen.

Die Sicherheitsinteressen Syriens werden durch eine Kombination aus seinen historischen Erfahrungen, innenpolitischen Strukturen sowie den außenpolitischen Zwängen angetrieben. Und all dies bewegt sich innerhalb einer geopolitischen Struktur des erweiterten Nahen Ostens. Dazu gehören auch die Beziehungen von Damaskus zu seinen Nachbarn – ob freundlich oder feindlich.

Würde man versuchen, Syrien mit den Augen von Thomas Friedman [eines US-amerikanischen Publizisten] zu sehen, bliebe ein intellektuelles Vakuum zurück. Das Studium der Geopolitik mildert diese Kurzsichtigkeit. Der bekannte geopolitische Denker, Halford Mackinder, betrachtete die verschiedenen Wellen nomadischer Eroberer, die über die Jahrhunderte aus dem Inneren Zentralasiens kamen; als Teil seiner „Theorie des Kernlands“. Jene Theorie, die er in seinen Vorlesungen und Büchern ausarbeitete, war eine theoretische Reflexion auf den russischen – und später sowjetischen – Imperialismus. Mackinder beschrieb die strategische Kultur einer Region, die auf Expansion ausgelegt ist. Ihrerseits bildete sie den Gegenentwurf für die spätere amerikanisch-atlantische Theorie der Eindämmung [engl. containment], die Nicholas Spykman entwickelte. Selbst Ihr Nationaldichter Goethe war nicht immun gegenüber dem Denken in geopolitischen Begriffen. Er sagte 1827 gegenüber seinem Sekretär – ca. 80 Jahre vor dem Bau des Panamakanals –, dass es absolut unverzichtbar für die Vereinigten Staaten sei, eine Passage des Golfs von Mexiko zum Pazifischen Ozean zu bewerkstelligen. Er, so Goethe, sei sicher, dass es dazu kommen werde.

Islamische Zeitung: Vor Kurzem sprach ein bekannter US-amerikanischer Autor von der „Rache der Geografie“ und erinnerte uns an ihren Einfluss für das menschliche Schicksal. Einige wichtige Regionen, darunter viele Energielagerstätten, befinden sich in der muslimischen Welt…

Dawud Stewart Hurrell: Geografie ist Schicksal, heißt der Satz, auch wenn er oft zurückgewiesen wurde. Das Schicksal der Titanic und die Geografie des Nordatlantiks sind eng miteinander verbunden, auch wenn ein aufmerksamer Kapitän die Überschneidung beider hätte verhindern können. Ohne die bewusste menschliche Machenschaft besteht die menschliche Lage in einem bestimmten Raum üblicherweise in einem kulturell-politischen Sinne, der definitiv von seiner Umgebung bestimmt beeinflusst wird.

Als Beispiel dafür mag Afghanistan dienen. Der Großteil seiner multiethnischen Bevölkerung existiert in der gleichen Form, wie es vor tausend Jahren der Fall war. Die fruchtbaren östlichen Windtäler, das zentrale Bergplateau, die Grasebenen des Nordens sowie die Halbwüsten des Südens und Südostens tragen alle zu den unterschiedlichen Formen von sozialer und politischer Organisation bei. Eine Folge davon ist eine Lebensweise, die an das Gelände angepasst ist: Trockenfeldbau, Beweidung oder bewässerter Anbau durch das Wasser aus Bergen oder Flüssen. Die schiitischen Hazaras beispielsweise verdanken ihr Überleben dem zentralen Bergmassiv, wo sie siedeln. Diese Bergformation machte die Verteidigung wesentlich leichter. Die verschiedenen Gruppen – seien es Paschtunen oder Tadschiken – mussten als Folge des jahrzehntelangen Kriegs für sich selbst kämpfen. Der permanente Kampf – gegen in- oder ausländische Feinde – bewirkte einen sturen Sinn für Unabhängigkeit und Misstrauen gegenüber der Herrschaft in Kabul.

Die zentralisierte Kontrolle in einem Staat mit solchen autonomen Regionen ist beinahe unmöglich. Die Provinzen werden zuerst durch Ethnizität, dann durch Stammen, dann Clan und schließlich durch Familie bestimmt. Und mittendrin findet sich der Typus des Warlords. Den letzten erfolgreichen Zentralstaat gab es unter dem Eisernen Emir, Abdurrahman, der 1901 starb. Sämtliche folgende Versuche, erneut die Herrschaft von Kabul zu erzwingen, endeten in einem blutigen Desaster.

An dieser Stelle passt der Bezug zur Titanic, denn sobald Captain Obama den Blick vom Ozean (dem ausländischen Projekt von Demokratie und kapitalistischer Produktionsweise, das Afghanistan aufgezwungen wurde) abwendet, wird er auf den sprichwörtlichen Eisberg treffen. Und Afghanistan wird, wenn man es denn endlich in Frieden lässt, zu dem werden, was es immer war. Aber natürlich haben die Sättigung mit neuen Technologien wie Transport und Telekommunikation einen bleibenderen Einfluss auf die Menschen dieses Landes, als ihn die militarisierten Amerikaner jemals haben konnten.

Es ist bekannt, dass Küstenzonen und solche im Landesinneren erkennbar unterschiedliche soziale und politische Formen entwickeln. Küstenregionen haben – wegen ihrer Bindung zum Überseehandel, der verschiedene Teile des Erdkreises verbindet – einen wesentlich höheren Grad von kulturellem Austausch, dem Transfer von Ideen und Wohlstand. Diese Zonen sind in der Regel wohlhabender als das Landesinnere. Gebiete im Zentrum sind wesentlich konservativer und – dank der Kosten und der logistischen Schwierigkeiten – die Bewegung von Gütern und Ideen ist langsamer. Das heißt, dass zentrale Gebiete ihre traditionellen Identität wesentlich länger bewahren. Man muss nur die historische Entwicklung von England mit der des russischen Reiches vergleichen. Wir können auch [die pakistanische Hafenstadt] Karatschi mit [dem afghanischen] Kandahar vergleichen.

Die Beziehung der Geografie des Nahen Osten zu seinen dominanten kulturellen und politischen Eigenschaften lässt sich bei Ibn Khaldun finden. Erwarten Sie allerdings keine schmeichelhaften Beschreibungen der Araber; und das, obwohl er selbst einer war. Der Prophet Muhammad sprach von barfüßigen, halbnackten Schafhirten, die beim Bau hoher Gebäude miteinander wetteiferten. Man kann sich nur vorstellen, was seine Anhänger unter dieser Aussage verstanden. Immerhin hatte die öde Wüste schwerlich Baumaterialien, von einer Kultur der Befestigung ganz zu schweigen, die auf eine solche Entwicklung hingewiesen hätte.

Aber die Bedeutung von Geografie offenbart sich in der Zeit selbst. Und der umfangreiche Erdölreichtum – unbekannt zu Beginn des 20. Jahrhunderts – veränderte das Schicksal der Region auf unvorstellbare Art und Weise. Der Geografie des Islam nach zu urteilen, kann man nur schlussfolgern, dass es das Schicksal der Muslime ist, über umfangreiche Machtpotenziale für kommende Jahrzehnte zu verfügen; auch wenn das Vakuum in ihrer Führungsschicht hier offenkundig Grenzen setzt.

Islamische Zeitung: Momentan befindet sich der Nahe Osten im Griff diverser Konflikte. Der schlimmste davon ist der zunehmend blutige und komplizierte Krieg in Syrien…

Dawud Stewart Hurrell: Die geopolitischen Folgen der Krise müssen sich erst noch erweisen. Es wäre möglich, dass im Westen Syriens eine alawitische Enklave entsteht, die entlang einer bedeutenden kurdischen Autonomiezone im Norden liegt. Das würde zu einer Verschlimmerung des kurdischen Separatismus in der Türkei führen. Zur Diskussion im heutigen Syrien stehen Fragen nach Nationalismus, Religion und Ethnizität. Der Kampf zwischen Alawiten und Muslimen bewegt sich entlang religiöser Linien, während der kurdisch-arabische Konflikt durch ethnische Trennungen motiviert ist.

Und trotzdem müsste man sehr stark suchen, um einen alawitischen Vertreter in Syrien finden, der sich ernsthaft um seine eigenen, komischen theologischen Vorstellungen kümmert. Die Alawiten sind eher eine Gemeinschaft mit einer dominanten politischen als einer religiösen Identität. Vergleichbares findet man vielleicht in Israel. Jeder dort ist ein Israeli, aber nicht jeder Israeli ist ein Jude. Die Alawiten, die als Nicht-Muslime immer in der Minderheit waren, haben ihren Anspruch auf historische Unterdrückung passenderweise stark übertrieben. Sie haben diese gefährliche Lage dadurch geschaffen, dass sie sich selbst in das Machtnetz von Hafez al-Assad verwickeln ließen. Das ist eine Lage, die offenkundig unhaltbar ist. Das Hama-Massaker von 1982 hat eine aktive Opposition gegen die brutale alawitische Diktatur lange unterdrückt, aber die Entschlossenheit des Widerstands nur gesteigert.

Der Sieg der Muslimbruderschaft hat ihre Entschlossenheit nur gesteigert. Ich glaube, dass das alawitische Regime in Syrien früher oder später fallen wird; die zunehmende amerikanische Beteiligung lässt keinen anderen Schluss zu. Die Türkei, die eine Führungsrolle in der Region will, ist auf Verbündete angewiesen. Das erklärt zum Teil die Kooperation mit jener kleinen, künftigen diplomatischen Supermacht: Qatar. Trotz der hohen Preises, den die Türkei dabei in der Kurdenfrage bezahlen muss.

Qatar und Saudi-Arabien wollen das Assad-Regime aus dem Weg räumen, um den „schiitischen Halbmond“ zu brechen, der sich von Beirut nach Herat zieht. Die schiitische-alawitische Unterstützung für die Hisbollah – die einzige Gruppe, die eine militärische Stellung gegen Israel einnimmt – ist peinlich, denn sie offenbart die Schwäche der „sunnitischen“ Regime.

Die opportunistische Hamas ist ein anderes Thema. Die Vergeltung nach den Katjuscha-Angriffen auf Israel war ein simpler Weg, sich den Säckel zu füllen; jetzt, wo die Hilfsmittel nach dem Krieg in die Region kommen.

Israel hat den Takt geändert: In der Vergangenheit betrachtete Tel Aviv Assad (erst den Vater, dann den Sohn) als notwendige Übel. Das Syrien der Assads mag zu einem bestimmten Punkt ein militärischer Gegner gewesen sein. Aber nach den Kriegen wurde es zu einem rhetorisch militanten, aber berechenbaren Akteur, der das Land stabil hielt und seine Aufmerksamkeit auf den Libanon, und nicht auf Israel richtete.

Nachdem die Hisbollah das politische Establishment im Libanon infiltriert hatte, ist sie jetzt ein Staat im Staate, der soziale Dienstleistungen offeriert und einen überlegenen militärischen Arm hat. Die Zukunft des Libanon sieht düster aus. Die massiven Bombenangriffe gegen die libanesische Infrastruktur während des Krieges 2006 war Israels Weg zu zeigen, dass es keinen Unterschied zwischen diesem syrisch-iranischen Stellvertreter und dem Staat Libanon macht, solange deren Überschneidung anhält.

Um den alawitischen Assad gegen eine sunnitische Regierung mit Bindungen an die Türkei und Qatar – neben anderen – auszutauschen, ist definitiv die bessere Option. Dies wird ein Glied der Kette von Teheran, durch Beirut bis Nasrallah zerbrechen.

Die Interessen Amerikas verlaufen parallel mit denen Israels, sind aber von größerer Natur. Die Syrien-Kampagne ist der erste Schuss einer neuen Schlacht, die zwischen den Koalitionen bestritten wird, die die sunnitischen-schiitischen Linien ausmachen. Dies wird eine neue strategische Dynamik im Nahen Osten erzeugen.

Islamische Zeitung: Sie sprachen in früheren Texten von einem neuen Kalten Krieg im Nahen Osten. Was meinen Sie damit?

Dawud Stewart Hurrell: Zum Verständnis müssen wir einsehen, dass der Kalte Krieg weniger eine Reaktion auf sowjetischen Druck war, sondern vielmehr eine Entschuldigung dafür, den wirtschaftlichen und politischen Einfluss der Amerikaner in aller Welt zu projizieren. Die Historiker Joyce und Gabriel Kolko bezeichneten dies als Forcierung einer „liberalen, Internationalisten“ Agenda. Sowjetische Abenteuer boten eine gute Entschuldigung, wenn es vonnöten war. Dies könnte man 1973 in Chile mit dem Schicksal Salvador Allendes beobachten.

Als Fortsetzung dieses Trends, der nach 1991 durch das Fehlen eines zu identifizierenden Feindes behindert wurde, projizieren und schützen die USA auch weiterhin ihre strategische Interessen in aller Welt. Weil der Zustand Nordamerikas eine Verbindung von unternehmerischen und politischen Parteien beinhaltet, ist es stellenweise schwierig, das nationale Interesse der USA auf Grundlage seiner eigenen Sicherheitsbelange zu bestimmen. Die Folge davon ist, dass man zeitgleich mit zwei Augen auf die US-Diplomatie in jener Kernregion blicken muss.

Im Nahen Osten wird eine neuer Kalter Krieg entlang religiöser Fronten erzwungen. Das beuten die Amerikaner zu ihrem strategischen Vorteil aus. Wie bereits erwähnt, überlagern sich oft die Interessen von Konzernen und die strategischen Belange der USA.

Auf einer Ebene müssen die USA den jetzigen Zustand unter hochwertigen Staaten wie Saudi-Arabien, Qatar, Bahrain und die Vereinten Arabischen Emiraten aufrechterhalten. Wegen der israelischen Sicherheit gehört auch Ägypten dazu.

Der Wert dieser Länder leitet sich aus wirtschaftlichen Erwägungen ab – natürlich Erdöl. Aber da die Regierungen der in Region ihre Rechtmäßigkeit und ihren Wohlstand aus den Erdölexporten ableiten, darf niemand erwarten, dass sie – kollektiv oder einzeln – die Waffe des Erdölboykotts einsetzen. Dafür fehlt es ihnen am politischen Willen. Auch eine koordinierte OPEC-Aktion ist unwahrscheinlich, da diese mittlerweile global ist und wegen der unterschiedlichen nationalen Interessen einer solchen Aktion niemals zustimmen würde (das 1973er Erdölembargo wurde von der AOPEC beschlossen).

Welche andere Großmacht könnte die USA auf rein strategischer Ebene ersetzen? China, mit seinem veralteten ukrainischen Flugzeugträger, oder Russland, das nicht viel mehr zu bieten hat als Waffen und Know-how bei der Entwicklung von Energieträgern? Daher ist das Strategische, im Sinne einer Rivalität zwischen den Großmächten, seit dem Zusammenruch der Sowjetunion weniger wichtig. Allerdings können die erwähnten Mächte die Geo-Ökonomie der Region beeinflussen.

Um es genauer zu sagen: Die erwähnten hochwertigen Staaten des Nahen Ostens bilden den Kern – zusammen mit China im Osten – des Dollarsystems. Solange das Erdöl in US-Dollar berechnet wird, und solange rund 30 Prozent des weltweiten Rohöls aus dem geografisch kleinen „Erdöl-Dreieck“ kommt, bleibt die Verbindung fest. Das wird als die „unsichtbare Hand der Amerikanischen Hegemonie“ bezeichnet.

Die zweite Ebene, die ebenfalls ein Thema des Kalten Krieges ausmacht, ist ein Projekt zur Aufrechterhaltung der Strukturen dieser hochwertigen Staaten, indem sie abhängig vom Schutz des US-Militärs bleiben. Der Gegner ist ein ambitionierter Iran und seine schiitischen Stellvertreter im Irak, Syrien und dem Libanon. Der „schiitische Halbmond“, der sich vom Mittelmeer bis zum westlichen Afghanistan erstreckt, bildet den nördlichen Abschnitt dieses neuen Kalten Krieges. Als Folge der iranischen Ambitionen sind sie nicht nur eine Herausforderung für die arabische Glaubwürdigkeit, sondern auch eine existenzielle Prüfung, wenn sich insbesondere die iranischen Atombestrebungen in der bisherigen Entwicklungsrichtung fortsetzen. Teil davon sind die Förderung von Unruhen in den erdölreichen, östlichen Regionen Saudi-Arabiens sowie in Bahrain. Vergessen werden dabei darf auch nicht das letzte Jahrzehnt der Beziehung von Hamas zum Iran und die breite Beliebtheit von schiitischen Führern wie Hassan Nasrullah und Ahmedinedschad unter der Bevölkerung. Das ist die Folge ihrer aktivistischen Haltung gegen die israelische und amerikanische Macht.

Innerhalb dieser regionalen Rivalitäten begannen die USA damit, sich als Schutzherrn der arabischen Regime gegen das schiitische Abenteuertum einzumischen. Der erste Schritt war die Schaffung von Demokratie im Irak. Dies führte per Definition dazu, dass Macht an die schiitische Mehrheit überging. Und da ihr Führer die Zeit von Saddam im iranischen Exil verbrachte, ergab sich eine unausweichliche Iran-Connection. Der nächste Schritt war die Auflösung der atomaren Drohung durch den Iran, der die Knie von einigen fortschrittlichen arabischen Politikern zum Schlottern bringt. Die Feindschaft und die Kriegsdrohungen gegen den Iran hatten zur Folge, die Entschlossenheit des Irans zur Vervollständigung seines Nuklearprogramms zu steigern. Ein atomarer Iran ohne ein atomares arabisches Gegenstück hätte schwerwiegende Folgen für die Stabilität im Nahen Osten. Es ist daher kaum verwunderlich, dass Saudi-Arabien 2010 ein einen 60 Milliarden US-Dollar schweren Waffendeal mit den USA – oder eher mit den US-Rüstungsschmieden – abschloss.

Das dritte Stadium in diesem Prozess war der so genannte „Arabische Frühling“, der die gemäßigten Männer fürs Grobe in der Region wie Gaddafi, Ben Ali, Mubarak und zukünftig Assad ausschaltete. Im Gegenzug setzte sich der Typus der berechenbaren „islamistischen“ Muslimbruderschaft durch, der natürlich auf die schiitisch-iranischen Ambitionen mit der Bildung einer gemeinsamen Front reagieren wird. Dieser gesteuerter Zustand der Spannung erlaubt den Amerikanern, eine „Nachfrage“ nach Sicherheit zu schaffen, die nur zu gewillt sind, zu „liefern“. Als Folge wird die geo-ökonomische Struktur unverändert bleiben, da es innerhalb dieser Struktur eines Kalten Krieges keinen Raum für unabhängige Aktionen geben wird. Man muss nur an die Gefügigkeit westeuropäischen Alliierten der USA während des eigentlichen Kalten Krieges denken. Dank der Gemütslage der wohlhabenden Monarchen der Region dürfte man kaum erwarten, dass ein arabischsprachiger De Gaulle aufstehen und eine unabhängige Politik ankündigen wird.

Schlussendlich ist dieser neue Kalte Krieg in strategischer Hinsicht für Israel ein Traum, der sich erfüllt. Was könnte besser sein, als dass Israel und die Araber einen gemeinsamen Feind im Iran haben? Und was könnte besser sein, als dass die USA und Israel einen gemeinsamen Feind haben? Ohne die anhaltende wirtschaftliche, militärische und diplomatische Unterstützung der USA ist es fraglich, ob sich Israel in seiner jetzigen Form wird halten können. Ich muss hierbei nur an Efraim Inbar denken, der bereits 2004 feststellte: „Es gab in Israel ein Gefühl, dass sich wegen des Endes Kalten Krieges die Beziehungen zu den USA abkühlen würden und wir einen neuen Leim für das Bündnis bräuchten werden. Und dieser neue Leim war der radikale Islam; Iran war radikaler Islam.“

Islamische Zeitung: Erlauben Geografie und Geopolitik alternative Szenarien, in denen der Nahe Osten oder die muslimische Welt nicht den globalen Frontverläufen von China versus USA folgen? In den letzten Jahren schlugen einige vor, dass das osmanische Modell helfen könnte…

Dawud Stewart Hurrell: Es ist Vorsicht angebracht, wenn wir das regionale Kräftespiel des Nahen Ostens durch die Linse der amerikanisch-chinesischen Rivalität sehen. Zweifelsohne hat China Interessen im Nahen Osten, aber sie sind ökonomischer Natur. Es will sich im Notfall Zugang zu verfügbaren Energiereserven sichern, trotz der diplomatischen Barrieren wie beim Iran. Hierzu gehört auch der Zugang zur arabischen Welt als ein Absatzmarkt. China hat sich den Nahen Osten erschlossen, wo es dank seiner geringeren Kosten einen großen Marktanteil kontrolliert. Hinzu kommen bedeutsame Infrastrukturprojekte [wie der Bau großer Eisenbahnlinien]. Außerdem führt Peking in erheblichem Maße Waffen in die Region aus.

Auf strategischer Ebene ist China im Wesentlichen abwesend. Die Chinesen können es sich einfach nicht leisten, durch ihre Politik in eine Konfrontation verwickelt zu werden, die zu einem Zusammenstoß mit den USA führt. Am Ende braucht Peking – trotz seiner Kontrolle von US-Schatzbriefen in Höhe von drei Billionen Dollars und der US-Schulden – die USA mehr, als sie China brauchen. Amerika hat China, nachdem es von Deng Xiao-Ping geöffnet wurde, durch Investitionen und Auslagerung von Arbeitsplätzen aufgebaut. Es wäre ein Leichtes, dass seine verletzliche Exportwirtschaft beschädigt werden würde.

Man könnte hier auf die chinesische Unterstützung für den Iran und Syrien verweisen – entweder militärisch durch Waffenlieferungen oder diplomatisch in der UN. Aber es ist wichtig sich daran zu erinnern, dass die Hilfe Chinas defensiv ist, und nicht aggressiv. Mit anderen Worten, China verteidigt den Iran und Syrien nur, wenn der Preis dafür nicht zu hoch ist. Peking verteidigt seine Verbündeten vielleicht genauso wie die Sowjets Kuba „verteidigten“; im Interesse ihrer Glaubwürdigkeit. Trotz Waffenlieferungen und diplomatischer Rückenstärkung feuerte Moskau offiziell niemals einen Schuss für seinen kubanischen Verbündeten ab (der Abschuss des U2-Spionageflugzeugs geschah auf Befehl eines eigenmächtig handelnden Generals).

Russland und China sind Großmächte, die Respekt und Einfluss wollen. Sie verabscheuen es, dass die USA auf ihren Interessen und Alliierten herumtrampeln. Das bedeutet aber nicht, dass sie die Fähigkeit hätten, die Verhältnisse umzudrehen, wenn etwas schief geht. Als Beispiel muss man nur die Verschiebung der chinesischen und russischen Positionen in der Libyenkrise betrachten; oder die Veränderung der Haltung Moskaus im Falle Syriens. Die USA betreiben aktive Geopolitik gegenüber bestimmten Staaten und Regionen, während China im Wesentlichen reaktionär handelt. Dies könnte sich in einem oder zwei Jahrzehnten ändern und hängt davon ab, wie sich der Aufstieg Pekings entwickelt. Aber heute ist China bestenfalls eine zweitrangige Macht. Es muss seine eigenen Angelegenheiten in Ordnung bringen, bevor es sich in den Hinterhöfen anderer einmischt.

Das osmanische Modell ist spannend. Es sieht eine supranationale politische Organisation vor und hatte die Kapazität, eine Vielfalt unterschiedlicher Völker friedlich zu regieren. Es ist definitiv eine Lösung, wie Mehmet Maksudoglu in seinem Buch klarmachte. Aber hier geht es um eine Frage, wie solch ein politischer Prozess heute entstehen könnte.

In einer Zeit, in der Gebietserweiterungen illegal sind und mit international sanktionierten Gegenoffensiven beantwortet werden, ist die militärische Option für keinen Staat haltbar. Wegen der intensiven Kombination aus Nationalismus sowie ethnischen und religiösen Unterschieden, durch die der Nahe Osten gekennzeichnet wird, ist es zweifelhaft, ob seine Bevölkerungen freiwillig Teil eines Gemeinwesens werden, das größer ist als sie selbst. Frühere Versuche einer arabischen Union sind gescheitert. Man könnte sich vorstellen, dass zukünftig etwas Vergleichbares zur EU entstehen könnte. Solche eine „Union“ müsste sich jeder spezifischen nationalistischen Identität entledigen, was zu sofortigem Widerstand führen würde. Eine „Union“ der osmanischen Art müsste auf dem Islam als gemeinsamem Faktor beruhen, indem sie verschiedene Staaten und Regionen vereint. Ansonsten dürfte sie scheitern. Der Antrieb dazu könnte aus einer wirtschaftlichen Kooperation kommen, wie es im Falle der Europäer die Montanunion für Kohle und Stahl aus den 1950er Jahren war. Möglicherweise mit der Türkei an ihrer Spitze, sobald der Nahen Osten sich erfolgreich industrialisiert, um seine Verletzlichkeit als Ansammlung von Ländern der Rentenökonomie zu beenden.

In Europa kam es zu dieser Solidarität aber erst nach einer lähmenden Serie von Kriegen, die von 1914-1945 dauerten. Sie brachen den Kampfgeist Europas und zwangen es zur Kooperation, um den Kontinent aufbauen zu können. Daher bleibt es zweifelhaft, ob ein ähnliches Projekt für die arabischen Welt erfolgreich wäre. Folgen wir Henry Kissingers Beschreibung, wonach die dortigen Machtverhältnisse vergleichbar zu denen sind, wie sie im Europa des 17. Jahrhunderts herrschten, dann sehen die Dinge nicht vielversprechend aus.

Dies vorausgesetzt ist die Türkei der stärkste Staat des weiteren Nahen Ostens. Seine Kontrolle der Oberläufe von Euphrat und Tigris bedeutet, dass es dieses Monopol über das lebensspendende Wasser für den Aufbau eines beispiellosen politischen Einflusses nutzen könnte. Das geplante – mittlerweile wahrscheinlich eingestellte – Projekt einer Wasserpipeline nach Israel unterstreicht diese Tatsache.

Würden wir nach einem historischen Beispiel suchen, dann ließe sich vielleicht in der Periode der Kämpfenden Reiche Chinas von 400-220 v.u.Z. ein Hinweis darauf finden, wie sich erneut Einheit im Nahen Osten finden ließe. Die sieben kämpfenden Reiche waren mehrheitlich han-chinesisch. Im Nahen Osten dienen Islam und Arabisch als gemeinsame Faktoren.

Wenn alles andere scheitert, scheint militärische Macht der Schlüssel zur Vereinigung getrennter und unabhängiger Regionen zu sein. Obwohl es logisch wäre, dass gemeinsame Sprache, Religion und Kultur die treibenden Kräfte für eine politische Einheit sind. Historische oder theoretische Lösungen sind einfach, aber die praktischen Mittel ihrer Umsetzung sind fast unmöglich, solange kein Erdbeben das Haus zum Einsturz bringt. Also, wenn Sie „Osmanen“ sagen, denke ich an Janitscharen…

Islamische Zeitung: Offenkundig steht Europa – spätestens seit der Krise seiner künstlichen Einheitswährung – am Rand. Was sind die wichtigsten Regionen unserer Zeit?

Dawud Stewart Hurrell: Seit Ende das Kalten Krieges steht Europa immer mehr abseits; eine natürliche Folge des Zusammenbruches seines feindlichen und nuklearen Nachbarn sowie durch den „Aufstieg des Restes“. Während der 1990er brachten die Jugoslawien-Kriege Europa – oder einen Mangel an Europa – zurück in den Blickpunkt.

Aber es waren Ereignisse anderswo, die drängender waren und drohten, die Sicherheit der Kernregionen zu unterminieren – der Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion, die Öffnung der zentralasiatischen Länder, das irakische Fiasko und die indisch-pakistanischen Spannungen. Diese Entwicklungen verschoben die Aufmerksamkeit vom Nordatlantik in Richtung Asien und Pazifik.

Obamas Hinwendung nach Asien kann als Beginn einer Phase „nach dem Terror“ in Amerikas Generalplan gedeutet werden. Der Aufstieg Chinas ist natürlich ein Modewort, aber er ist fragwürdig, um es vorsichtig zu sagen. Man könnte den logischen Schluss ziehen, dass acht- bis zehnprozentiges Wirtschaftswachstum pro Jahr und parallel dazu wachsende Militärausgaben in ein bis zwei Jahrzehnten eine regionale oder gar globale Herrschaftsmacht hervorbringen werden. Und doch bedeutet diese Logik nach Ansicht von Luttwak, dass sich China selbst eine Falle stellt. Sein wachsendes Durchsetzungsvermögen in der Region schafft neue Feinde, die es blockieren werden, was den Amerikanern in die Hände spielt. In den Augen der USA sollte China ein billiges Erzeugerland bleiben, dass seine Erträge zurück an die USA verleiht, um den Dollar zu stützen und Inflationsraten gering zu halten.

Die Vorstellung, dass die Globalisierung eine rivalisierende Seemacht 6.000 Meilen westlich von Kalifornien hervorbringt – mit schätzungsweise deutlich höheren Fähigkeiten, als sie das imperiale Japan jemals hatte – ist in relativer Hinsicht ein Alptraum. Die enorme Geografie der asiatisch-pazischen Region mit ihren Inseln, Archipelen und riesigen Entfernungen macht ein vorrangiges Setzen auf Seemacht zur Projektion von Macht notwendig. Dies übersetzt sich in die Anschaffung fortschrittlicher U-Boote und oberseeischer Fahrzeuge, um das Machtgleichgewicht zu halten oder zu verändern. Das trifft auch auf die Verbesserung der Luftwaffe zu, die zu einem unverzichtbaren Bestandteil jeder Marine wurde. Um Kissinger erneut zu zitieren: Die internationale Ordnung Asiens erinnert mehr an europäische des 19. Jahrhunderts als die nordatlantischen Staaten im 21. Jahrhundert.

Diese Nationen sehen sich trotz ihrer ökonomischen Bindungen als strategische Rivalen. Der intensive Nationalismus, Ärger über historische Ungerechtigkeiten und Gebietsstreitigkeiten schufen eine Lage, die mit größter Vorsicht zu behandeln ist. Paradoxerweise macht die US-Präsenz die Dinge schlimmer, da sie schwache Länder wie Vietnam oder die Philippinen ermutigt, sich bei Streitigkeiten gegen China zu stellen und sich lauter und kriegerischer zu verhalten, als sie dies bei schwächeren Nachbarn tun würden.

Es bleibt allerdings vollkommen unklar, wie weit die USA gehen würden, um ihre Verbündeten tatsächlich zu verteidigen. Die asiatisch-pazifische Strategie ahmt die nahöstliche nach und erleichtert Risiken für die Sicherheit. Ein Bedarf, der von den USA gefüllt werden kann. Von sehr lukrativen Verträgen zur maritimen Bewaffnung einmal ganz zu schweigen. Allerdings gibt es hier eine erhebliche Konkurrenz der Europäer und Russlands mit seinen verlässlichen U-Booten. Diese sind die gezogenen Schwerter in einer solchen Angelegenheit.

Der Streit zwischen China und Japan um die Senkaku-Inseln ist ein „Siedepunkt“, der vielleicht zu einem militärischen Konflikt führen könnte. Wie es auch ausgeht, diese Entwicklungen stimulieren das maritime Wettrüsten in der Region. Die Amerikaner betreiben ein kluges Spiel. Solange inner-asiatische Streitigkeiten anhalten, ist China gezwungen, seine Energien auf regionaler Ebene zu fokussieren. Das schadet seinen globalen Plänen und erlaubt es den USA, Halt in der Region zu finden. Nach einer Beobachtung des niederländisch-amerikanischen Geopolitikers Nicholas Spykman ist es besser, ein funktionierendes Mitglied eines europäisch-asiatischen Machtgleichgewichts zu sein, um die Entwicklungen innerhalb handzuhabender Grenzen zu kanalisieren, anstatt abwesend oder isolationistisch zu sein. Spykman schrieb dies 1943 und dachte dabei an das imperiale Japan; die Parallelen sind eindeutig.

Jenseits von Ostasien kommt es zu einer Verbesserung der indisch-pakistanischen Beziehungen. Pakistan gewährte Indien vor Kurzem den Status einer meistbegünstigten Nation. Afrika und Lateinamerika bleiben bis auf Weiteres die wirtschaftlichen Jagdgründe für die Großmächte und Russland betreibt immer noch seine schleichende Energiediplomatie. Moskaus jüngste Ankündigung, dass die Bauarbeiten an der South-Stream-Gas-Pipeline durch das Schwarze Meer 2013 beginnen werden, ist ein kleiner, aber teurer Sieg.

Islamische Zeitung: Lieber Dawud Stewart Hurrell, vielen Dank für das Gespräch.

Hurrell lehrt Geopolitik am Dallas College of Leadership in Kapstadt. Seine Artikel und Analysen finden sich auf www.geopoliticus.org.

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„IZ-Begegnung“ mit dem Islamwissenschaftler Muhammad Sameer Murtaza über die Gaza-Krise

„Dies macht deutlich: Die Selbstmordattentate waren von vornherein konzipiert, um Zivilisten zu töten, unabhängig davon, dass der Islam dies nicht legitimiert, unabhängig davon, dass gegen die islamische Kriegsethik verstoßen wird.“ […]

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Wie ist die Lage der Menschen in Gaza? Interview mit dem humanitären Helfer Dr. Mahmoud Almadhoun von Islamic Relief

(iz). Während die Zivilbevölkerung im Gazastreifen unter einem erneuten sinnlosen Krieg zu leiden hat, bemühen sich verschiedene internationale Organisationen zumindest um die Linderung der schwierigsten Versorgungsengpässe und der bedrohlichsten Mängel. Dabei müssen sie, wie unabhängige Journalisten, darauf achten, dass sie nicht selbst in die Schusslinie dieses Konfliktes geraten, der sich zu einem Bodenkrieg ausweiten könnte.

Dr. Mahmoud Almadhoun von Islamic Relief ist einer von ihnen. Almadhoun ist seit 2008 als Manager für das Personalwesen und die Qualitätssicherung sowie im Komitee für die Geschäftsführung aktiv. Während er mit einem Team der Hilfsorganisation in deren Kairoer Räumlichkeiten auf Grünes Licht für eine sichere Einreise nach Gaza wartete, sprachen wir mit ihm über die Lage, die Menge der bisherigen Opfer und den Mangel an wichtigen Gütern.

Islamische Zeitung: Sie stehen kurz davor bereit, mit Ihrem Team der Hilfsorganisation Islamic Relief nach Gaza einzureisen. Wie sieht die dortige Lage aus?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Ich bin seit drei Tagen in Kairo damit beschäftigt, die Lage in Gaza zu beurteilen. Eigentlich wollten wir heute mit einem Team nach Gaza fahren, aber wir konnten nicht. Die Sicherheitslage ist so brenzlig geworden, dass es bisher nicht möglich war. Auch aus Telefonaten mit meiner Familie in Gaza wurde deutlich, dass die momentane Lage mit dem Gazakrieg 2009 [die israelische Operationen „Gegossenes Blei“] zu vergleichen ist. Unser Palästina-Büro in Gaza hat uns kontaktiert und uns absolut von einem Kommen abgeraten. Die Lage ist vollkommen unübersichtlich und es bestehen keinerlei Möglichkeiten, den Schutz unserer Sicherheit zu gewährleisten.

Islamische Zeitung: Wie erlebte die Zivilbevölkerung die Angriffe der letzten vier Tage?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Die Situation ist sehr schwierig. Das Leben hat total aufgehört zu funktionieren. Die Kinder gehen nicht zur Schule. Die Leute bleiben zu Hause. Alle Menschen haben Angst und können überhaupt nicht schlafen, weil der kontinuierliche Beschuss aus der Luft und von See seit fünf Tagen sehr stark ist. Die Häuser wackeln genau wie bei einem Erdbeben.

Islamische Zeitung: Ist die Lage mit dem israelischen Angriffen bei der Operation „Gegossenes Blei“ im Jahre 2009 zu vergleichen?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Ja, unbedingt. Ich habe diese Frage mehrfach gestellt, auch unserem Büro von Islamic Relief in Gaza, und es sieht bisher genauso aus wie im Jahre 2009. Es ist noch nicht ganz so stark, aber die Gesamtlage sieht vergleichbar aus.

Islamische Zeitung: Es gibt in Deutschland Medienberichte, die von einem Ende der Aktion sprechen, da Israel angeblich beinahe sämtliche Raketendepots zerstört haben soll. Ist das glaubwürdig oder rechnen die Menschen in Gaza mit einem Einmarsch israelischer Bodentruppen?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Die arabische Webseite von Al Jazeera behauptete heute morgen so ziemlich das Gegenteil. Die israelische Regierung wolle noch weitermachen und hätte zusätzliche Einheiten mobilisiert. Laut Al Jazeera würde sich Israel auf eine Ausweitung der Operationen vorbereiten.

Islamische Zeitung: Gibt es verlässliche Zahlen zu Getöteten und Verletzten der ersten fünf Tage?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Wir wissen von 52 Personen, die bei den Angriffen getötet wurden. Darunter waren 15 Kinder, wobei das jüngste elf Monate als war. Über die Verletztenzahlen habe ich keine genauen Angaben.

Islamische Zeitung: Während der Operation „Gegossenes Blei“ funktionierten ja noch die Krankenhäuser vom Roten Kreuz und vom UNHCR teilweise. Arbeiten sie dieses Mal immer noch?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Doch, sie arbeiten jetzt immer noch.

Islamische Zeitung: Welche Projekte unterhielt Islamic Relief bis jetzt in Palästina?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Islamic Palästina wurde 1998 gegründet und momentan haben wir 102 Mitarbeiter. Augenblicklich betreiben wir 39 Projekte, davon 19 dienen der Nothilfe. 14 widmen sich der Entwicklungshilfe und sechs sind spezifisch auf die Betreuung von Kindern ausgerichtet. Dazu zählt ein Programm für 6.000 Waisen in Gaza. Islamic Relief hat in den letzten Tagen dieser Krise verschiedene Aktionen gestartet. So hat Islamic Relief Worldwide in diesem Zeitraum 1,2 Millionen Euro gesammelt und nach Gaza überwiesen. Dort besteht ein großer Bedarf an Medikamenten und medizinischer Versorgung. Mittlerweile ist eine Spendenkampagne angelaufen, die bis Ende November eine weitere Millionen Euro ergeben soll. Bis zum Ende des Jahres wollen wir diese Summe auf fünf Millionen steigern. Und bis zum Juni des kommenden Jahres soll das Endziel dieser Kampagne bei 20 Millionen Euro liegen. Insbesondere auf dem palästinensischen Gesundheitssektor gibt es einen großen Bedarf. Dieser ist in einem unglaublichen Zustand. Dabei ist nicht nur diese Krise das Problem, sondern wir müssen immer noch mit den Folgen des letzten Krieges fertig werden. Von 2009 bis heute wurde das Ziel der Entwicklung des Gesundheitssektors noch nicht erreicht.

Islamische Zeitung: Es ist seit mehreren Jahren schon der „Normalfall“, dass Gaza von Hilfslieferungen abhängig ist – wegen der Blockade und wegen einer nicht mehr existenten Industrie. Bei welchen Gütern wird es Ihrer Meinung nach die ersten Engpässe geben?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Gestern [Samstag, den 17. November] erhielten wir vom Gesundheitsministerium die Information, wonach 130 Medikamente für Fälle lebensbedrohlicher Krankheiten fehlen. Als Islamic Relief haben wir eine Liste von solchen Präparaten bekommen und möchten sie gerne mit Hilfe verschiedener Organisationen und Partner bearbeiten. Ein zweiter notwendiger Aspekt ist das Fehlen benzin- oder solargetriebene Notstromaggregate. Derzeit reichen die Kapazitäten nur für drei Tage. Danach können wir keinen Strom mehr bekommen. Das heißt, das die Krankenhäuser ohne Strom nicht mehr optimal werden funktionieren können. Islamic Relief unterstützt im Augenblick das Krankenhaus Asch-Schifa voll. Wenn man dort eintrifft, sieht man dort auch unser Logo. Islamic Relief Palästina hat sich insbesondere der Arbeit auf dem Gebiet der Gesundheit – allen voran den Krankenhäusern – gewidmet.

Islamische Zeitung: Wie sieht es bei der Versorgung mit Lebensmitteln aus?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Die Lebensmittelversorgung hängt von der Lage an den Grenzen ab. Wenn diese geschlossen sind, kommt keine Nahrung nach Gaza. Die Lebensmittel werden entweder in Ägypten oder stellenweise auch in Israel gekauft. Der Versorgungslage ist schwierig; auch, weil alle Leute jetzt versuchen, so viel wie möglich zu kaufen, um für eine Verschärfung der Lage gewappnet zu sein. Bereits jetzt gibt es einen Mangel.

Islamische Zeitung: Die israelische Luftwaffe hat bereits hunderte Angriffe geflogen. Inwieweit wurde auch die Infrastruktur von Gaza in Mitleidenschaft gezogen?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Egal, welche Art die Ziele der Angriffe sind, es bleibt nicht ausgeschlossen, dass alles andere mit betroffen sein wird. Ein Team von Islamic Relief war in einem Supermarkt während einer Beschießung ganz in der Nähe. Das war einer der Gründe, warum wir bisher nicht einreisten. Man weiß nicht genau, wo die Einschläge treffen werden.

Islamische Zeitung: Liegt dies auch an der Schwierigkeit, militärische und zivile Ziele auseinander zu halten, wenn beispielsweise Waffen in Wohngebieten gelagert werden?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Ja, und ich glaube, dass es sehr schwierig ist, wenn einzelne Personen das Ziel sind.

Islamische Zeitung: Wie ist die Stimmungslage in Gaza?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Ehrlich gesagt kann ich nur von der Warte der Helfer aus berichten, habe aber einiges von meiner Familie gehört. Die Leute hoffen natürlich, dass alles gut ausgehen wird. Unsere Sorge als Islamic Relief gilt der Kampagne zur Unterstützung der Menschen in Gaza.

Islamische Zeitung: Arbeiten Sie mit internationalen Partnern in Gaza zusammen?

Dr. Mahmoud Almadhoun: In solchen Fällen, bei denen die Lage sehr schlecht ist, arbeiten wir mit UN-Organisationen und dem Roten Kreuz zusammen. Die internationalen Helfern bilden solchen Fällen Komitees, weil die Aufgaben in solchen Krisen nicht von einzelnen zu bewältigen sind.

Islamische Zeitung: Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Webseite von Islamic Relief:
www.islamicrelief.de

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Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln: Facebook, Twitter und Co sind mit Situation überfordert

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