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Ayasofya bekommt neue Regeln für Besucher

istanbul ayasofya

Ayasofya: Im Sommer 2020 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den berühmten Bau in Istanbul von einem Museum in eine Moschee umgewandelt.

Istanbul (dpa, iz). Es war ein Herzensprojekt des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan – und stieß auf internationale Kritik: Im Sommer 2020 hatte Erdogan die Ayasofya (Hagia Sophia) in Istanbul von einem Museum wieder in eine Moschee umgewandelt. Von Mirjam Schmitt und Linda Say

Erdogan betonte damals, der Eintritt werde immerhin abgeschafft und das Kulturdenkmal stehe allen offen – Muslimen und Nichtmuslimen. Seit Montag gibt es eine neue Änderung: Ihr Betreten soll reguliert und wird für Besucher wieder kostenpflichtig werden.

Der Tourismusminister verspricht sich davon ein besseres Miteinander von Besuchern und Gläubigen. Touristen machten unvermeidlich Lärm und störten damit unfreiwillig den Frieden und das Gebet, sagte Minister Mehmet Nuri Ersoy vor Kurzem.

Foto: Freepik.com

Ayasofya: Trennung von Betenden und Touristen

Touristen wie Betende dürfen bislang gemeinsam den Innenraum betreten. Absperrungen und Hinweisschilder sorgen für etwas Distanz. Seit Montag werden Gläubige und Besucher durch verschiedene Eingänge geschleust.

Während die Betenden die bisherigen Eingänge nutzen können, werden Touristen über eine Galerie im oberen Stockwerk geführt. Reiseführer dürfen laut Ersoy nicht mehr erklärend durch die Gänge geleiten. Stattdessen sollen Kopfhörer eingesetzt werden.

Die 29-jährige Zeliha Duman ist aus Deutschland gekommen, um sich das Gebäude nach der Umwandlung in eine Moschee noch einmal anzusehen. Sie findet sie „atemberaubend“.

Die neue Regelung begrüßt sie. „Solange der Eintritt nicht unbezahlbar ist, finde ich das in Ordnung. Wieso sollte die Türkei und die Regierung nicht davon profitieren?“, sagt sie. Das Geld könne in den Erhalt solcher Glaubensstätten gesteckt werden.

Bedeutend für Christen und Muslime

Seit 1985 gehört die Hagia Sophia als Teil der Istanbuler Altstadt zum Unesco-Weltkulturerbe. Sie hat eine bewegende Geschichte hinter sich. Errichtet von Kaiser Justinian war die Hagia Sophia fast ein Jahrtausend lang das größte Gotteshaus der Christenheit. Sie war Hauptkirche des Byzantinischen Reiches. Ab dem 7. Jahrhundert wurden dort die Kaiser gekrönt.

Foto: Unsplash

Besucher aus der ganzen Welt

Der Beliebtheit des Monuments hat das offenbar keinen Abbruch getan. Rund 13,6 Millionen Menschen besuchten den Bau nach offiziellen Angaben im Jahr 2022. Dabei kommen nicht nur Touristen aus Europa.

Vor allem die Besucherzahlen aus Indonesien hätten zugenommen, sagte ihr Imam, Bünyamin Topuoglu, der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu im Sommer. Oft besuchten Gläubige vor ihrer Pilgerreise nach Mekka noch Istanbul und die Ayasofya.

Die Höhe des Eintrittsgeldes wird noch festgelegt. Die Einnahmen würden, so versichert Minister Ersoy, wieder für Kulturgüter ausgegeben. Etwa für Ausgrabungen oder den Erhalt von Monumenten wie ihr.

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Ein westöstlicher Dichter in Istanbul (2)

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Ein westöstlicher Dichter bereist die westöstliche Weltstadt Istanbul (1)

(iz). Das Volk interessiert mich unendlich“, sagte Goethe. Er sagte auch: Wir lernen die Menschen nicht kennen, wenn sie zu uns kommen; wir müssen zu ihnen gehen, um zu erfahren, […]

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Festnahmen nach Anschlag in Türkei: Wer sind die Verantwortlichen?

Der Tag nach dem Anschlag im Zentrum Istanbuls mit sechs Toten steht ganz im Zeichen der Aufklärung. Für die türkische Polizei und das Innenministerium stehen die Verantwortlichen fest. Von Anne Pollmann und Linda Say

Istanbul (dpa/iz). Die Ermittlungen zum Anschlag mit sechs Toten in Istanbul haben gerade erst begonnen, doch für die türkische Polizei war der Fall am Montag klar: Sie veröffentlichte Fotos einer Frau in Handschellen. Sie soll die Bombe auf der Einkaufsstraße Istiklal platziert haben. Bei dem Anschlag am Sonntag auf der belebten Einkaufsstraße waren sechs Menschen getötet worden, 81 wurden verletzt.

Wenig später habe die Syrerin gestanden, ihren „Befehl“ von der „PKK/YPG/PYD“ bekommen zu haben. Aus türkischer Sicht sind die syrische YPG und deren politischer Arm PYD Ableger der verbotenen Terrorgruppe PKK und ebenfalls „Terrororganisationen“. Beide dementierten am Montag jegliche Verantwortung für den Anschlag mit mehr als 80 Verletzten.

Noch bevor die Ermittlungen abgeschlossen sind, hätten türkische Beamte für eine neue Militäroperation in Nordsyrien plädiert, sagte Berkay Mandirici von der International Crisis Group. Ein Vorhaben, das Präsident Recep Tayyip Erdogan seit Mitte des Jahres ankündigt. Ankara geht regelmäßig gegen alle drei Gruppierungen militärisch vor, in der Südosttürkei, dem Nordirak und in Nordsyrien.

Mit der angeblichen Unterstützung für die YPG etwa hatte Ankara auch das Veto für die Nato-Norderweiterung um Schweden und Finnland begründet. Die USA wiederum sehen die YPG im syrischen Bürgerkrieg als Partner im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Innenminister Süleyman Soylu warf Washington erneut vor, „Terrororganisationen“ zu unterstützen. Er lehnte Beileidsbekundungen aus Botschaft und Konsulat ab.

Mandirici sagte, es bleibe abzuwarten, ob die türkischen Ermittlungen weitere Beweise einer Schuld der PKK/YPG aufdeckten. Die Terrormiliz Islamischer Staat oder das Terrornetzwerk Al-Qaida und Sympathisanten dieser Gruppen sollten noch nicht als potenzielle Täter ausgeschlossen werden. In der Türkei gebe es Schätzungen zufolge Tausende von IS-verbundenen Personen, sowohl türkische Staatsbürger als auch Ausländer, die aus Syrien und dem Irak eingereist sind. „Der Istiklal-Angriff spiegelt in Bezug auf Verhalten und Ziel frühere Angriffe des IS mit Blick auf Methode und Ziel in der Türkei in den Jahren 2015/2016 wider.“

Der Historiker Thomas Weiberg führt in die deutsch-osmanische Freundschaft ein

(iz). Aber wer im Okzident kennt unsere Geschichte? Wer unterzieht sich der Mühe, sie kennenzulernen?“ Mit diesem Stoßseufzer rätselte schon Sultan Abdul Hamid II (1842-1918) vor 100 Jahren über die Bereitschaft Europas, sich mit dem damaligen Osmanischen Reich fair auseinanderzusetzen. Natürlich sind diese Fragen heute noch aktuell, man denke nur an die, von türkischer Seite oft als unfair empfundenen, Debatten über die Rolle der modernen Türkei oder die mediale Begleitung der Politik des neuen „Sultans“ von Ankara, dem türkischen Präsidenten Tayyib Erdogan.

Es ist das Verdienst des Historikers Thomas Weiberg, in seinem neuen Buch einen Versuch der Objektivierung der Debatte um den berühmten osmanischen Regenten vorzulegen. Auch mit der Absicht, wie der Autor im persönlichen Gespräch versicherte, die heutigen Kontroversen um die Türkei und den Islam besser auszuleuchten. Seinen Beitrag versteht Weiberg dabei nicht etwa als Romantisierung der Vergangenheit, sondern als den Versuch, die geschichtlichen Grundlagen heutiger Probleme zu verdeutlichen. Weiberg zitiert dabei treffend den türkischen Romancier Ahmet Tanpinar: „Die Vergangenheit, das heißt die Geschichte, ist für die Gesellschaft, was das Gedächtnis für das Individuum ist“.

In dem vorliegenden Buch geht es Weiberg darum, die Person des Sultans weder zu verherrlichen noch zu verdammen, sondern ein möglichst ausgewogenes Bild herauszuarbeiten. Dem Historiker gelingt dies, weil er nicht nur die persönlichen Erinnerungen des Regenten übersetzt und in das Buch einfügt, er auch in seinem thematischen Teil keine umfassende Biographie vorlegt, sondern sich auf die wichtigsten Fragen seiner Regierungszeit beschränkt und mit zahlreichen Quellen die unterschiedlichen Stimmen und Beurteilungen der Zeitgenossen des Kalifen für sich sprechen lässt. So entsteht ein faszinierendes Bild einer Zeit, die im Spannungsfeld der Begegnung von Islam und Technik, von Globalisierung und wirtschaftlichen Interessen, von Demokratie und persönlicher Herrschaft steht.

Wer aber war dieser Sultan Abdul Hamid II? „Man entdeckt eine autoritäre Persönlichkeit, extrem um ihre Vorrechte und Rechte besorgt, jeden Eingriff in ihre Macht zurückweisend, ein gewiegter Stratege ohne Skrupel, ein geschickter Diplomat“ zitiert Weiberg den Engländer Georgon aus seiner Bioraphie. Tatsächlich gelang es dem Monarchen, drei Jahrzehnte lang den Zerfall eines Reiches, über drei Kontinente ausgreifend, zumindest zu verzögern. Eine beinahe unmögliche Aufgabe, auf der einen Seite der Versuch, das arme Land mit Hilfe der westlichen Industriestaaten zu modernisieren, zum Beispiel durch den Bau der Eisenbahn nach Bagdad, auf der anderen Seite den Ansturm der europäischen Großmächte, die das Reich beherrschen und seiner eigenständigen Traditionen berauben wollen, abzuwehren. So agiert der Monarch und sein Hofstaat inmitten eines komplizierten Geflechts von geopolitischen Machenschaften, diplomatischen Intrigen und wirtschaftlichen Interessen. Das Wunder dabei ist, dass der beinahe „ohnmächtige“ Herrscher seine Machtposition über drei Jahrzehnte hält. Welche Mittel er dazu nötig hat, auch um innenpolitische Gegner wie die Armenier auszuschalten, betrachtet Weiberg mit der nötigen Distanz. „Bis heute scheint es daher schwierig, den Anteil, den Abdul Hamid II selbst an diesen Ausschreitungen hatte, zu bestimmen“ beurteilt Weiberg die Faktenlage eher vorsichtig. Auf der anderen Seite geht Sultan Adul Hamid auch für Weiberg als Reformer in die Geschichte ein, so begründet er nicht nur ein modernes Erziehungswesen, sondern er sorgt auch dafür, dass über einhundert Mädchenschulen in Istanbul eingerichtet werden.

Interessant lesen sich die Passagen, gerade aus heutiger Perspektive, über die Rolle der Medien im Umgang mit dem Herrscher und seiner Politik. Weiberg zeigt in vielen Zitaten, wie sich in der Betrachtung über die Osmanen immer wieder rassistische Motive und Vorurteile verbergen. Hier bringt der Historiker eine verbreitete Stimmung auf den Punkt: „Es lässt sich auch zugespitzter ausdrücken, vielen Europäern jener Epoche mag es geradezu unfassbar erschienen sein, dass es auch in den politischen Lagern außerhalb der fest gefügten europäischen Welt Menschen gab, die sich ihnen gewachsen zeigten, bei denen sie an Grenzen stießen, Menschen eben, die eine begründete Vorstellung von den Dingen hatten und dabei nicht von vornherein bereit waren, die europäische Überlegenheit bedingungslos anzuerkennen.

Natürlich schildert Weiberg in wichtigen Passagen detailliert das Verhältnis zwischen den Deutschen und den Osmanen, bleibt aber auch hier dankenswerterweise seinem eher nüchternen Stil treu. Natürlich ging es bei diesem Verhältnis zweier Monarchen nicht um eine naive Männerfreundschaft, sondern in erster Linie um politische und wirtschaftliche Interessen. Sultan Abdul Hamid schreibt 1898 über das Verhältnis zu Deutschland recht lapidar: „Deutschland ist die einzige Macht, der wir mit einiger Sicherheit den Bau unserer Eisenbahnen anvertrauen können, denn wir können sicher sein, dass für Deutschland ökonomische und finanzielle Interessen vorrangig sind.“

Bei allem Geschäftssinn dürfte dabei auch hilfreich gewesen sein, dass der deutsche Kaiser dem Islam und der osmanischen Kultur durchaus offen und respektvoll begegnete. Seinem Vetter Nikolaus II schrieb er 1898 aus Damaskus unter dem Eindruck seiner Orientreise: „Meine persönliche Empfindung beim Verlassen der Heiligen Stadt war, dass ich mich tief beschämt den Moslems gegenüber fühlte, und dass ich, wenn ich ohne Religion dorthin gekommen wäre, sicherlich Mohammedaner geworden wäre.“

Man muss schlussendlich das Buch von Thomas Weiberg als Pflichtlektüre einstufen, zumindest für alle, denen es um ein vertieftes, auch geschichtlich begründetes Verhältnis zur historischen und aktuellen Türkei geht. Aber auch für das Verstehen der Rolle des Islam in unserer Zeit gibt das Buch wichtige Impulse, denn die moderne Begegnung von „Islam und Technik“, die sich in der Regierungszeit des Sultans vollzieht, ist nach wie vor eine intellektuelle Herausforderung für Muslime in aller Welt.

Thomas Weiberg, Mein Sultan möge lange leben! 528 Seiten, Simurg Verlag

Kommentar der Kommunalwahlergebnisse in der Türkei

Es waren zwar nur Kommunalwahlen. Diese hatten es aber in sich. Die regierende Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan hat wieder einmal eine Schicksalswahl für sich entscheiden […]

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„Die IZ-Blogger“ – wieso die Türkei wieder in Turbulenzen steckt

(iz). Der bekannte Strategiefachmann und Geheimdienstexperte Prof. Mahir Kaynak vermutet hinter den turbulenten Vorkommnissen in der Türkei vor allem außenpolitische Gründe. Seiner Meinung nach hätten US-Neokonservative, Teile der Europäer und „die globale Finanzelite“ aufgrund des außenpolitischen Richtungswandels der Türkei ein großes Interesse am Sturz von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan; das berichten die „deutsch-tuerkisch-nachrichten“.

Ministerpräsident Erdoğan, der am 4. Februar zu Regierungskonsultationen in Berlin erwartet wird, hat das Land im letzten Jahrzehnt wirtschaftlich, politisch und sozio-kulturell verändert: Für die Einen zum Positiven, für die Anderen zum Negativen.

Wirtschaftliche Turbulenzen bis zu den Kommunalwahlen
Die Türkei hat derzeit unter den größten Wirtschaftsmächten den 17. Rang inne. Zum 100-jährigen Bestehen der Republik, also bis zum Jahr 2023, hat die Regierung sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, zu den zehn größten Ökonomien der Welt zu gehören.

In den letzen Wochen herrschte jedoch Panik an den türkischen Börsen. Ausländische Investoren ziehen ihr Kapital aus den Märkten ab. Dollar und Euro klettern auf ihre historischen Höchststände. Wirtschaft hat gleichwohl sehr viel mit Psychologie zu tun. Und diese Psychologie wird sich ehestens nach den Kommunalwahlen im März wieder normalisieren.

Eine sagenhafte Entwicklung in der letzten Dekade
Die Türkei entwickelt seit einigen Jahren zahlreiche eigenständige Projekte, so in den Sektoren Rüstung, Wissenschaft, Raumfahrt und Energie. Der Bauboom der Türkei nimmt atemberaubende Züge an. Wer nach längerer Zeit wieder dort war, berichtet, dass das Land und die Städte kaum noch wieder zu erkennen sind. Außerdem scheinen die Menschen vom Bau der Straßen und der, die Berge durchziehenden Tunnelanlagen beeindruckt zu sein. In den letzten zehn Jahren wurden 500.000 staatlich geförderte neue Wohnungen (TOKİ) gebaut. Die 19 Jahre davor seien indes 43.000 neue Quartiere errichtet worden sein.

Angemerkt seien jedoch auch die protzig-glänzenden Einkaufszentren, von denen es mehrere in fast jeder Stadt gibt, und die den mittelständigen Unternehmen großen Schaden zufügen. Aber dennoch: Bis zum Jahr 2002 beschränkte sich die Länge von mehrspurigen Straßen (Schnellstraßen, die den deutschen Autobahnen ähneln) in der Türkei auf gerade mal 6.000 km. Zwischen 2002 und 2012 wurde dieses Netz, das bis dato lediglich sechs große Städte miteinander verbunden hatte, auf über 21.227 km erweitert und führt seit dem 74 Städte zusammen.

Noch vor zwölf Jahren konnten Studenten nur an 70 Universitäten im Land studieren. Im Jahre 2012 wurden hingegen schon 172 errichtet. Heute gibt es keine Provinz mehr ohne Universität. Die Türkei, die knapp 80 Jahre lang auf vielen Gebieten stagnierte, übersprang in kürzester Zeit mehrere Klassen und sorgte bei vielen Menschen für unglaubliche Blicke sowie neidvolles Erstaunen.

Von den Riesenprojekten wie dem Bau des dritten Flughafens in Istanbul, der als der größte der Welt in Planung ist und damit das globale Flugverkehrssystem auf den Kopf stellen wird, einer neuen Meerenge (ein neuer Bosporus), gigantischen Schienen- und Transportwegen durch die Meere ganz zu schweigen. Auch kolossale Staudammprojekte werden zweifellos einige neidische Blicke auf sich gezogen haben. Was aber das Fass zum überlaufen bringen könnte, sind die seit 200 Jahren außerordentlich bedeutsamen Energieressourcen und Energierouten, die Erdöl und Erdgas aus den Nachbarländern in die Türkei bringen werden.

Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft für den Nahen- und Mittleren Osten
Daher ist es enorm wichtig, für eine dauerhafte und friedvolle Lösung der Konflikte in der Region. Eine Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft im gesamten Nahen- und Mittleren Osten, ähnlich wie die Europäische Union, mit eigenständiger Entscheidungsgewalt und Ressourcenmacht könnte die Region zu der reichsten und prosperierendsten der Welt machen. Es ist erstaunlich, dass gerade die rohstoffreichen Staaten in der Region kaum zur Ruhe kommen.

Die Türkei scheint seit einigen Jahren in ihrer unmittelbaren Umgebung selbst Regie führen zu wollen. Das wiederum führt nach Expertenmeinungen dazu, dass das Land diszipliniert und eingefangen werden muss. Immer öfter wird vom „Neo-Osmanismus“ geschwafelt und ein Bedrohungsszenario gemalt. Die Türkei hat sich von einem „Osmanismus“ vor fast 100 Jahren verabschiedet und wird sich auf so ein Abenteuer nicht einlassen.

Konfliktlinien, deren Lösung nicht mehr in der Ferne liegen
Um jedoch außenpolitisch im Konzert der Mächte gleichberechtigt und eigenständig agieren zu können, gilt, – wenn man es mit den Worten des Historikers Eckart Kehr sagen möchte – das „Primat der Innenpolitik“. Der Fortbestand der gesellschaftlich-politischen Entwicklung der letzten Jahre hängt u.a. auch von der Lösung des jahrzehntelang andauernden so genannten Kurdenkonflikts ab. Ein lang ersehnter Frieden unter den verfeindeten Ethnien sorgte kürzlich auf der einen Seite für Erleichterung. Seit vielen Monaten sterben keine Menschen mehr. Das Blutvergießen ist vorerst gestoppt. Das ist ein wichtiger Schritt.

Für andere wiederum erweiterten sich die Sorgenfalten in den Gesichtern. Die gesamtgesellschaftliche Entschlossenheit zur konfessionellen Eintracht zwischen Sunniten und Aleviten sollte der nächste Punkt für eine dauerhaft stabile Türkei sein. Auch in diesem Punkt gab es in den letzten Monaten gute Entwicklungen.

Ein weiterer Punkt wird nach Einschätzungen die verständnisvolle Partnerschaft mit den nicht-muslimischen Minderheiten sein. Die Türkei unternimmt große Anstrengungen, die Herzen der Armenier, die in der Vergangenheit als „Millet-i Sadıka“ („Das treue Volk“) bezeichnet wurden, der jüdischen, yezidischen, zoroastrischen und christlichen Geschwister zu gewinnen. Christliche Kirchen, jüdische Synagogen, yezidische Glaubenszeremonien werden nicht mehr als Bedrohung angesehen, wie es zu dunklen Zeiten der Republikgeschichte teilweise der Fall war.

Gezi 2.0?
Was diese Tage in der Türkei politisch abläuft, schätzen einige Beobachter als Fortsetzung der Gezi-Proteste ein. Experten wie Prof. Mahir Kaynak gehen davon aus, dass Erdoğan bis zu einem möglichen Rückzug aus der Politik damit zu rechnen hat, dass solche – scheinbar innenpolitischen – Turbulenzen fortbestehen werden.

Eine neue und unabhängige Türkei scheint derzeit nicht gewollt, sodass Erdoğan noch lange mit den Wölfen tanzen muss.

Informationen zum Autor: Yasin Baş ist Politologe, Historiker, Autor und freier Journalist. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?“ sowie „nach-richten: Muslime in den Medien“. Die Themenschwerpunkte von Yasin Baş sind: Türkisch-Deutsche Beziehungen, Ethnomarketing, Integrations-, Migrations- und Sicherheitspolitik und Deutsche Geschichte (nach 1871).

In Istanbul geht es immer wieder um das Schicksal der Syrer. Ein Tagungsbericht von Abu Bakr Rieger

(iz). Istanbul wird zweifellos immer mehr zu dem Treffpunkt der islamischen Welt. Im November war die Metropole am Bosporus wieder einmal Tagungsort wichtiger internationaler Konferenzen. Auf dem „Bosporus Summit 4“ eröffnete Staatspräsident Abdullah Gül eine Kontaktbörse für islamische Geschäftsleute und Entscheidungsträger. Im Mittelpunkt der Veran­staltung, die konzeptionell an den Wirtschaftsgipfel in Davos erinnert, stand nicht nur die Rolle der Türkei als Regio­nalmacht, sondern auch die Rolle des „Nahen Osten“ in der Weltentwicklung. Hier – so auch Staatspräsident Gül – ­liegen gerade für Europa wichtige Herausforderungen für die nächsten Jahrzehnte. Gül forderte zwar kein Interven­tionsverbot raumfremder Macht, er rief aber die „islamische Welt“ auf, zunächst selbst aktiv für Lösungen und eine tragfähige Friedensordnung in der Region zu ­sorgen.

Im Mittelpunkt der aktuellen Sorgen steht dabei aus Sicht der Regierung in Ankara natürlich der ungelöste Syrienkonflikt. Nach einigen Jahren der ökono­mischen und politischen Kooperation mit dem Nachbarland, hat sich die Regierung Erdogan schlussendlich für eine harte Anti-Assad Haltung entschieden. Statt Neutralität zu wahren ist das Land nun mehr oder weniger klar auf der ­Seite der syrischen Opposition. Darin sehen nicht nur Kritiker in der AK-Partei selbst durchaus ein außenpolitisches Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Bei aller verständlicher Empörung über die humani­täre Lage, steht auch die Türkei eher ratlos vor der unübersichtlichen Aufsplitte­rung der Opposition in einige Kleingruppen, deren Agenda auf Dauer kaum abzuschätzen ist. Hinzu kommt, dass sich diese Gruppen immer mehr radikalisieren, je länger der Bürgerkrieg andauert.

Das Dilemma der Türkei ist also offen­sichtlich. Es gibt bisher keine schnelle Lösung. Noch vor kurzem schien die dynamische Außenpolitik der aufstrebenden Wirtschaftsmacht mühelos neue Räume zwischen Sarajevo und Kairo zu erschließen, zwischenzeitlich wurde Ankara sogar eine „neo-osmanische“ Außen­politik vorgeworfen. Heute ist die Lage nach den Ereignissen in Kairo und Damaskus verworren und die alte ­Euphorie über die Rolle als Ordnungsmacht in der Region verflogen. Sicher ist nur, vor den Augen der Weltöffentlichkeit spielt sich jeden Tag eine humanitäre Katastrophe ab. Die UN ist durch die Vetorechte einiger Staaten paralysiert, zum Zuschauen verurteilt und dient eigentlich nur noch, wie Ministerpräsident Erdogan neulich bitter anmerkte, „zum Zählen der Toten“.

Aber, das syrische Problem ist natürlich komplex und die NATO-Staaten angesichts der Rolle des Iran und Russlands mit einigen Gründen nur verhalten aktiv. Der außenpolitische Coup Russlands, nach dem schrecklichen Giftgas-Angriff auf die Zivilbevölkerung, einen bevorstehenden Angriff der USA mit einer Abrüstungsinitiative zu kontern, hat die Kriegsdynamik vorerst beendet. Die Lösung passt auch zur Tendenz in den USA zur „Eisenhower-Doktrin“ zurückzukehren, sich also weniger als Weltpolizist aufzuführen und die eigenen Interessen pragmatischer zu verwalten. Der diplomatische Vorstoß Russlands in Sachen Syrien kam insoweit nicht ganz zur falschen Zeit. Im Moment muss Russland Ergebnisse bei der Abrüstung der Chemiewaffen liefern, Washington spielt dagegen auf Zeit. In Russland und den USA gibt es zudem Stimmen, die dafür plädieren, den Bürgerkrieg einfach sich selbst zu überlassen, denn auf beiden Seiten kämpfen schließlich „bad guys“ gegeneinander. Natürlich wäre ein Zerfall des syrischen Staates, unter den Bedingungen eines Bürgerkrieges, das Ende der Idee „multiethnischer und multikon­fessioneller“ Staaten. Einher ginge diese Entwicklung mit dem fatalen Eingeständnis der Muslime in der Region, kein Garant mehr für das Wohlbefinden und die Sicherheit von Minderheiten zu sein.

Man könnte nach diesen Lektionen der Realpolitik zur Tagesordnung überge­hen, wäre da nicht nach wie vor das unerträgliche Leid der Zivilbevölkerung. Nicht weit von dem „Bosporus Summit“ befasste sich eine andere Konferenz mit der unerträglichen Lage der Syrer. Die „Lawyers International ­Islamic Organization“, ein Ableger der saudischen Muslim World League, befasste sich mit dem Konflikt und seinen Implikationen für das internationale Recht. Im Kern gingen über 120 anwesende Juristen schlicht der Frage nach, ob das Regime Assad vor dem internationalen Gerichtshof zur Verantwortung gezogen werden könne. Viele Muslime, aus ­deren Sicht Asad schlicht ein Kriegsverbrecher ist, verstehen nicht, warum die Taten des Diktators keine Rechtsfolgen oder Anklagen auslösen.

Zur „Einstimmung“ auf die Konferenz wur­de dann auch ein Video über schlimmste Kriegsgreuel gezeigt. Der Rechtsberater der syrischen Opposition, Haitham al Maleh, wies dann auch in seiner Rede jeden Ansatz mit dem – aus seiner Sicht – „Mörder“ Asad zu verhandeln schroff zurück. Zahlen, die der Oppositionelle bitter präsentierte, verstören tatsächlich noch immer. Über 120.000 Tote, davon etwa 15.000 Kinder, unzählige Verletzte und Millionen Flüchtlinge sind die traurige Bilanz des Schreckens. Al Maleh, der unter dem Vater des aktuellen Präsidenten 7 Jahre in einem syrischen Gefängnis verbrachte, berichtete von hunderten Kilogramm Akten, welche die Kriegsverbrechen des Regimes eindeutig belegen könnten. Der Sprecher der UNIW, einem Dachverband islamischer NGOs, Ali Kurt, sprach ebenfalls von tausenden Dokumenten die seiner Organisation vorliegen. Zwar ist dieses Material bisher nicht ins Englische übersetzt und kann deswegen juristisch nicht von unabhängiger Seite bewertet werden, allerdings liegt es natürlich nahe, diesen Vorwürfen auch rechtlich nachzugehen.

Seit Jahren beklagen Muslime, dass der internationale Gerichtshof in diesen Angelegenheiten scheinbar nur sehr schwerfällig vorgeht. Es ist jedoch nicht unmög­lich, dass der Gerichtshof, der politische Bevormundung stets abstreitet, agiert. Die bosnische Juristin Vasvija Vidovic hat nicht nur jahrelang Beweismaterial gegen die Regierung Milosevic gesammelt, sondern stand auch langjährig unter Todesdrohungen serbischer Extremisten. Vor Jahren habe ich die coura­gierte Frau in Sarajevo besucht, die lange Zeit im Alleingang die Beweise für ­einen der spektakulärsten Strafprozesse Europas zusammengetragen hat. Sie weiß also aus leidvoller und langwieriger Erfahrung, wovon sie spricht. Auf der Konferenz verteidigte sie trotz mancher Unzulänglichkeit das System des internationalen Strafgerichtshofes. Doch, so Vidovic, Erfolg ist möglich, vor allem müsse dagegen fortlaufend auch eine interessierte Öffentlichkeit hinter diesen Verfahren stehen.

Eine Beobachtung, die viele Juristen, die Erfahrung mit den Verfahren in Den Haag haben, teilen. Der Autor dieses Berichtes, selbst Rechtsanwalt, hat ebenfalls eine Eingabe an den Staatsanwalt in Den Haag bezüglich der jüngsten Übergriffe gegen die Rohingya in Birma eingereicht. Nach der Erteilung einer Regis­trierungsnummer ist es aber oft schwer, ohne entsprechenden Druck der Öffentlichkeit, mit dem Staatsanwalt weiter in Kontakt zu treten oder zu kommu­nizieren. Ob und wie die Den Haager Staatsanwaltschaft ermittelt, bleibt so in einigen Fällen eher unklar. Hier spielt das öffentliche Interesse, bis hin zu Medienberichten und Konferenzen, eine wichtige Rolle.

Fakt ist, so zumindest die Meinung vieler Teilnehmer der Konferenz, dass der Internationale Strafgerichtshof im Falle Syriens bisher nicht losgelöst von politischen Vorgaben agiert. Dies liegt auch an der Konstruktion der Römer Verträge, die der Gerichtshof 1998 kons­tituierte, die aber von vielen Staaten nicht ratifiziert wurden. In Staaten wie den USA, Israel und natürlich auch Syrien, welche die Römer Verträge nicht gezeichnet haben, hat der Staatsanwalt zunächst keine „automatischen“ ­Befugnisse.

De facto muss der Staatsanwalt nur ermitteln, wenn ihn der UN-Sicherheitsrat dazu auffordert, er kann jedoch auch selbständig und in jedem Land ­ermitteln, wenn Eingaben und Vorwürfe das Vorliegen eines Genozids oder schwerer Kriegsverbrechen nahelegen. Im Falle Syri­ens hat der Sicherheitsrat, wegen des Vetos von China und Russland keine Schritte unternommen. Es macht dennoch Sinn, eindeutiges Beweismaterial gegen das Regime Asad oder sonstiger Akteure der Den Haager Staatsanwaltschaft zuzuführen, auch wenn die Staatsanwaltschaft immer wieder unter einigem politischen Druck steht und auch weder über Personal noch Mittel verfügt, allen Vorwürfen sofort nachzugehen.

Auf der Konferenz wurde teilweise kontrovers diskutiert, inwieweit der Bürgerkrieg erfolgsversprechend auch mit juristischen Mitteln begleitet werden kann. Dabei gab es durchaus Stimmen, die in dem Engagement internationaler Gerichte nur eine lästige Einmischung in das Kriegsgeschehen sehen. Einige ­Juristen wollen sich schon lieber mit einer Rechtsordnung für die „befreiten“ Gebie­te in dem auseinander fallenden Land befassen. In der Schlusserklärung ­wurde dann auch nicht ausdrücklich die Anklage gegen Asad eingefordert, eine Gruppe von spezialisierten Rechtsanwälten soll aber derartige Klagen und ­Begründungen vorbereiten.

Fazit: Es ist sehr wichtig, dass internationale Gruppen von Juristen die Geschehnisse in Syrien genau beobachten. Mittelfristig könnte der Internationale Gerichtshof die Verbrechen in der Regi­on nach dem Vorbild Bosniens ­durchaus aufarbeiten. Dabei dürfen sich gerade muslimische Juristen nicht politisch instrumentalisieren lassen. Leider wurden auf der Konferenz etwaige Kriegsverbrechen der Oppositionellen oder Übergriffe gegen Minderheiten nicht ausdrücklich verurteilt oder angesprochen. Für die Glaubwürdigkeit der Konferenz, gerade aus islamischer Sicht, wäre es meines Erachtens jedoch wichtig gewesen, diese Vorkommnisse nicht einfach nur als „Notwehr“ abzuhaken.

Am Ende scheint ein Waffenstillstand die Bedingung zu sein, um die Anarchie und Rechtlosigkeit in Syrien schnell zu überwinden. In der Zeitschrift „Internationale Politik“ hat es die Politikwissenschaftlerin Bassma Kodmani, wie ich finde, ganz gut auf den Punkt gebracht: „Im Prinzip ist ein Waffenstillstand am gefährlichsten für das Regime“.

Vorab aus der aktuellen IZ: Wie kann man die Menschen in Syrien erreichen? Ein Bericht von Oscar A.M. Bergamin, Gaziantep

Die internationale Gemeinschaft steht an der syrischen Grenze Gewehr bei Fuss. Nicht nur politisch und militärisch sondern hauptsächlich humanitär. Das Abwarten ist nicht ohne Grund, aber für die Betroffenen in Syrien nicht erklärbar. Es braucht dringend eine Anpassung der humanitären Strategie an eine neue Realität bewaffneter Konflikte. Internationale Organisationen stehen in der Kritik, sich vor den Risiken zu drücken.

(iz). Für Zehntausende Menschen, die durch den verheerenden Taifun auf den Philippinen obdachlos wurden, wurde sehr rasch Hilfe geleistet. Helikopter des US-Flugzeugträgers „USS George Washington“ und Armeeflugzeuge warfen Versorgungsgüter über die Regionen ab. Innert kürzester Zeit wurden Nahrungsmittel verteilt, ebenso wie Hygienekits, Kochutensilien und Material für temporäre Unterkünfte. Alle westeuropäischen Zeitungen präsentierten endlose Listen der Kontonummern für Spenden von dutzenden Organisationen.

Der gleichzeitige Appell der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (IFRC) um Hilfe für syrische Flüchtlinge verhallte weitgehend ungehört im Wirbel um den Taifun „Haiyan“ in Südostasien. Im, am 18. November veröffentlichten – und bereits dritten – revidierten Nothilfe-Appell des IFRC in rund zwei Jahren bittet die in Genf ansässige Organisation um zusätzliche 36 Millionen Euro für Flüchtlinge in der Türkei und 35 Millionen Euro für Flüchtlinge im Libanon, im Irak und in Jordanien für die nächsten sechs Monate. Das Schlimme am „Taifun“ in Syrien ist, dass dieser schon seit drei Jahren wütet und kein einziges Nahrungsmittelpaket abgeworfen wurde.

Frust bei der Bevölkerung
Laut Angaben des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR vom 6. November sind 9,3 Millionen Menschen vor der Gewalt in Syrien geflohen, 3,2 Millionen davon ins Ausland (siehe weiter unten). Die große Herausforderung besteht darin die rund 6,5 Millionen Binnenflüchtlinge, so genannte IDP's (internally displaced people), in Syrien selbst mit humanitärer Hilfe zu versorgen. Vor allem jetzt, wo der Winter einsetzt, eine schier unmögliche Aufgabe da das UNHCR und die Weltgesundheitsorganisation WHO in Syrien nur mit Genehmigung der Regierung von Präsident Bashar al-Assad tätig sein dürfen, in der Praxis also gar nicht. Nach dem Ausbruch von Polio in Syrien werden in den umliegenden Ländern zwar massenweise Impfungen durchgeführt, in Syrien selber aber nicht oder kaum.

Die Tatsache, dass es auch etwas mehr als 980 Tage nach Ausbruch der Feindseligkeiten nicht möglich ist Lebensmittel, Decken, Matratzen, Hygiene- und Babyartikel und Medikamente in grösseren Mengen nach Syrien zu entsenden sorgt nicht nur für Frust bei den Hilfsorganisationen, sondern vor allem bei der syrischen Bevölkerung selber. Dass der Taifun „Haiyan“ in Nordeuropa in zwei Tagen mehr Spenden auslöst als die Höhe des Betrags, wofür die Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften fast auf den Knien bitten müssen, muss den Opfern der gewalttätigen Auseinandersetzungen in Syrien wohl wie Hohn in den Ohren klingen.

Kein Zugang, wen kümmert’s?
Obwohl man theoretisch mit jedem Flüchtlingskind per Handy Kontakt aufnehmen kann, steht die internationale Gemeinschaft ratlos an der syrischen Grenze Gewehr bei Fuss. Nicht nur politisch und militärisch sondern hauptsächlich humanitär. Das UNO-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) in der Türkei arbeitet zwar auf Hochtouren an Lösungen, dennoch sind den UN-Organisationen wie das UNHCR oder der Unicef die Hände gebunden. Das Gleiche gilt für andere internationalen Akteure wie die Nobel-Preisträgerin „Ärzte ohne Grenzen“, aber auch „Islamic Relief“.

Keine einzige Organisation ist wirklich im Bürgerkriegsland Syrien tätig – außer das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), das hauptsächlich Verhandlungen über den Zugang humanitärer Hilfe führt. Der Generaldirektor des IKRK, Yves Daccord, führt dies vor allem auf den Zweifel an der Glaubwürdigkeit, ja das fehlende Vertrauen in die internationale Gemeinschaft zurück. Am Humanitären Kongress Ende Oktober in Berlin, organisiert unter anderen von „Ärzten ohne Grenzen“, „Médecins du Monde“ und dem Deutschen Roten Kreuz war das Thema „No Access! Who Cares? How to reach people in need“ (Kein Zugang, wen kümmert’s? Wie Menschen in Not erreichen?).

IKRK-Chef Yves Daccord, der dort die Eröffnungsrede hielt, verlangte von den Hilfsorganisationen mehr Präsenz in den Konfliktzonen. Daccord kritisierte auch das so genannte „Outsourcing of Risks“, die Auslagerung von Risiken, die von der „westlichen humanitären Industrie“ in den vergangen Jahren zur Praxis gemacht wurde. Die Organisationen hätten den Mut verloren, mit Leuten zu verhandeln, an deren Händen Blut klebt. Die Unparteilichkeit verlange aber genau dies.

Zudem hätten die humanitären Organisationen sich trotz Erfahrungen vom Balkan, aus Afghanistan, aus dem Irak, aus Somalia oder Sudan immer noch nicht von der selten gewordene Situation eines Kriegs zwischen Staaten gelöst. Genau die um sich greifenden asymmetrischen Kriege zwischen staatlichen Kräften und nicht-staatlichen Akteuren wie Freischärlern, Guerillas oder Jihad-Kämpfern hätten dazu geführt, dass Hilfsorganisationen ins Abseits gedrängt würden, weil sie Aktivitäten an lokalen Organisationen weiter delegierten.

Das Gleiche macht auch Islamic Relief Deutschland, wie Nuri Köseli, Sprecher der Organisation, kürzlich gegenüber der „Neuen Zürcher Zeitung“ bestätigte. Dennoch will Islamic Relief bis Jahresende für 9,5 Millionen Dollar Lebensmittel, Decken, Matratzen, Hygiene- und Babyartikel sowie Medikamente nach Syrien transportiert haben. Im Gegensatz zu den UNO-Organisationen lässt Islamic Relief die Hilfsgüter nicht über den Syrischen Arabischen Roten Halbmond (SARC) – die einzige nationale Hilfsgesellschaft – in Syrien verteilen. Islamic Relief übergibt diese in der Türkei an syrische Freiwillige. Diese transportieren die Waren nach Idlib, Aleppo oder Hama.

Genau betrachtet ist diese Vorgehensweise illegal, da Hilfeleistungen in Syrien von der Regierung genehmigt werden müssen. Dennoch haben sich europäische und türkische Behörden längst auf diese Situation eingestellt. „Not kennt kein Gebot“, betonte – hinter vorgehaltener Hand – eine EU-Diplomatin gegenüber der IZ.

Lieferungen privater Sammelinitiativen, ein „Tropfen auf den heißen Stein“
Abseits der „westlich-humanitären Industrie“ sind es die Lieferungen privater Sammelinitiativen – in der Regel von muslimischen Organisationen mit besten Absichten – auf dem Landweg, die durch die Türkei nach Syrien gebracht werden. Dass es Organisationen wie „Aktive-Jugend.de“ immer wieder schaffen Krankenwagen und Medikamente nach Syrien zu bringen, mag lobenswert erscheinen, diese „Tropfen auf den heißen Stein“ sind aber kompliziert und brauchen eine professionelle Planung; wenn es um Medikamente geht erst recht.

Die privaten Helfer bekommen es mit Betäubungsmittelgesetzen verschiedenster Länder zu tun und sie transportieren möglicher Weise Medikamente, die in diesen Ländern verboten sind und gar als illegale Drogen gelten. Viele probieren es auf „eigene Faust“, aber an der türkischen Grenze ist dann endgültig halt. Dann braucht es eine in der Türkei offiziell anerkannte Hilfsorganisation als Empfänger, die das Material zu einer anderen privaten Hilfsorganisation nach Syrien bringt.

Ein Fax dieser Organisation mit der Bestätigung der erwarteten Lieferung (inklusive übereinstimmende Inhaltsliste) muss beim Eintreffen an der türkischen Grenze bereits beim türkischen Zoll vorliegen. Das heißt: Eine muslimische Organisation in Nordwesteuropa muss sowohl über eine türkische als auch eine syrische Partnerorganisation verfügen. In der Regel wird die gesamte Lieferung an der Grenze abgelehnt, denn die türkische Regierung weiß, dass 80 Prozent der Hilfsgüter in Syrien einfach verkauft werden. Viele „Islamic-Relief“-Nachahmer wiederholen Aktionen, wie sie schon früher in Bosnien oder Kosovo gemacht haben und vergessen, dass sie sich in der Türkei in ein hochentwickeltes Land mit einer modernen Industrie begeben. Dann fahren sie 4.000 Kilometer durch Europa mit Hilfsgütern, die sie auch vor Ort hätten kaufen und nach Syrien bringen können.

Unvorstellbare Zahlen
Laut Angaben des UNO-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR vom 6. November sind 9,3 Millionen Menschen vor der Gewalt in Syrien geflohen, 3,2 Millionen davon ins Ausland. Das UNHCR schätzt, dass bereits 660.000 Menschen aus Syrien in die Türkei geflüchtet sind und hinter vorgehaltener Hand wird schon von 750.000 gemunkelt. Etwas mehr als 300.000 registrierte Flüchtlinge leben dort außerhalb der Lager, und noch hunderttausende warten auf einer Registrierung.

Der Türkische Rote Halbmond, der Türkiye Kızılay Derneği (TRC), beherbergte Ende November 201‘292 Flüchtlingen in 23 Lagern in den Provinzen Hatay, Gaziantep, Kilis, Adana, Osmaniye, Adiyaman, Kahramanmaraş, Şanliurfa, Mardin und Malatya. Die Kosten für die türkische Regierung haben nach bestätigten Angaben die Zahl von zwei Milliarden US-Dollar bereits überschritten.

Um die enorme logistische Leistung in Zahlen zu begreifen: Seit dem Frühling 2011 hat die Türkiye Kızılay Derneği unter anderem 42.050.073 warme Mahlzeiten abgegeben. Unvorstellbar ebenfalls die Zahlen an Toiletten-oder Dusch-Containers, Hygiene-Sets oder Matratzen.

Jordanien beherbergt laut UNHCR 600.000 Flüchtlinge wovon 25 Prozent in den Lagern Za’atari, Cyber City, King Abdallah Park und Hallabat Maregib Al-Fihud leben. Rund 200.000 Menschen sind in den Irak geflohen. Im Libanon gab es UNHCR-Angaben zufolge im Oktober 800.000 Flüchtlinge. Die libanesische Regierung spricht sogar von 1,5 Millionen.

An dem Wochenende, als der Taifun die Philippinen heimsuchte, erreichte eine Flüchtlingswelle von rund 10.000 Personen die libanesisch-syrischen Grenzstadt Arsan im Beka‘a-Tal im Libanon nach Aufflammen neuer Kämpfe auf der Syrischen Seite.

Von Angesicht zu Angesicht mit Kämpfern
Nach dem Taifun „Haiyan“ auf den Philippinen kann dort die Aufbauarbeit beginnen, in Syrien kann das noch Jahre dauern. Die fünf UNO-Vetomächte und mehrere Nahost-Staaten sind sich zwar einig, dass in Damaskus eine Übergangsregierung die Macht übernehmen soll, an der geplanten internationalen Konferenz zu Syrien „Genf 2“ scheint eine Einigung aber nicht realistisch. Ein kleiner Ansatz wäre aber die Schaffung humanitärer Korridore damit die Hilfsorganisationen ihre Arbeit machen können.

Diese Organisationen müssen aber gleichzeitig lernen, ohne solcher Korridore auszukommen, denn mehr Präsenz in den Konfliktzonen ist zwar Risiko-behaftet, die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht mit am Konflikt beteiligten Gruppen erhöht den Druck auf sowohl alle staatliche Kräfte als auch auf nicht-staatliche Akteure, sich an die Grundprinzipien der Humanität zu halten.

Griechenland und die Türkei haben große Differenzen wegen Moscheen und Muftis

(SETimes). Obwohl man sich nach mehreren Treffen zwischen den Staatschefs eigentlich näher gekommen war, streiten sich Griechenland und die Türkei wegen eines Vorschlages des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan zur Öffnung des Priesterseminars in Halki. Die Bedingung dafür soll die Wiederbelebung zweier Moscheen in Athen sein sowie das Recht der griechischen Muslime, ihre eigenen Muftis zu wählen.

Erdogan und der griechische Ministerpräsident, Antonis Samaras, pflegten freundschaftliche Beziehungen und einigten sich bei einigen, zuvor umstrittenen Fragen. Aber Religion und antike Feindschaften sind schwerer zu bezwingen als erwartet. Beide erklärten, sie wollten die verwirrenden Schwierigkeiten lösen, die sich aus religiösen Fragen ergäben.

Griechenland wies den Ausgleich zwischen Seminar-für-Moscheen zurück, auch wenn Samaras der erste griechische Führer ist, der eine geplante Renovierung der Athener Gebäude durchsetzen will und sich für Religionsfreiheit einsetzt. Aber das Halki-Seminar, das 1971 in Folge des Zypernkrieges von der Türkei geschlossen wurde, hat für Griechen eine besondere Bedeutung. Sie warfen der Türkei vor, sich mehrfach von einer Eröffnung zurückgezogen zu haben.

Es bestanden Hoffnungen, dass zu Erdogans kürzlich vorgestelltem Demokratisierungsprogramm auch die Wiedereröffnung von Halki gehören sollte. Die Abwesenheit des Seminars von dem Gesetzespaket war insbesondere für die nichtmuslimische Gemeinschaft eine Enttäuschung. Sie geht davon aus, dass es sich dabei um einen “Verhandlungsgegenstand” der Regierenden handle, der unter dem Konzept der “Gegenseitigkeit” wieder auftauchte.

Die rechtliche Basis dafür findet sich im Artikel 45 des Lausanner Vertrags, der besagt: “Die Rechte der nichtmuslimischen Minderheiten der Türkei werden gleichzeitig den muslimischen Minderheiten von Griechenland auf seinem Gebiet übertragen.”

Zusätzlich zur Eröffnung der beiden Moscheen forderte Erdogan das Recht zur Wahl von Muftis in West-Thrazien, wo mehr als 150.000 Muslime leben. “Wenn wir uns dazu entscheiden, etwas zurückzugeben, dann haben wir auch das Recht, etwas im Gegenzug zu erwarten”, erklärte Erdogan. Er beschrieb auch, dass die Türkei 18 Geistlichen die Staatsbürgerschaft verliehen hat, aber die griechischen Behörden ernennen die Muftis in West-Thrazien. “So wie ich nicht die Verwaltung des Patriarchat ernennen kann, können Sie nicht die Muftis bestimmen”, meinte er.

Laki Vingas, Beiratsmitglied der Türkischen Generalverwaltung der Stiftungen, sagte SETimes, dass die Neueröffnung von Halki von der Politik getrennt zu betrachten sei – weil es sich dabei um eine Frage der Menschenrechte handle. “Wir, als in der Türkei lebende Nichtmuslime, sind der Reden über Gegenseitigkeit müde. Wir fühlen die gleiche Traurigkeit, wenn wir sehen, dass bedeckte Damen ins Ausland reisen müssen, um ihre Universitätsbildung zu bekommen. Genauso müssen nichtmuslimische Menschen diese Gebiete verlassen, weil sie keine Ausbildung im Priesterseminar von Halki bekommen können”, meinte Ingas.

Früher wurde die orthodoxe Geistlichkeit in Halki ausgebildet, das auf einer Insel vor Istanbul liegt. Die Türkei, ein Land mit einer absolut muslimischen Bevölkerungsmehrheit, entschied sich kürzlich, die Grundstücke des Seminars zurückzugeben, die 1943 beschlagnahmt wurden.