Vor Staatsbesuch: Verfolgte Rohingya in Myanmar sehen in US-Präsident Obama als letzte Rettung. Ein Bericht von Simon Lewis

Die muslimischen Rohingya werden im buddhistischen Myanmar gehasst und verfolgt. Sie setzen alle Hoffnung auf US-Präsident Obama. Setzt er als Fürsprecher der Entrechteten andere US-Interessen aufs Spiel?

Rangun (dpa). Für US-Präsident Barack Obama ist Myanmar nur eine Durchgangsstation von einem Gipfel zum anderen. Doch in dem südostasiatischen Land wird ihn ein von der Welt vergessener Konflikt einholen: Die von Staats wegen verfolgte muslimische Minderheit der Rohingya fürchtet um ihr Leben. Seit Mitte Oktober seien bis zu 16.000 auf vollgepferchten und oft kaum seetüchtigen Booten Richtung Thailand und Malaysia geflüchtet, sagt Chris Lewa, Koordinatorin der Hilfsorganisation Arakan Group.

Die Behörden betrachten die meisten Rohingya als illegale Einwanderer aus dem Nachbarland Bangladesch, verweigern ihnen die Staatsbürgerschaft, drohen mit Abschiebung und halten 140 000 hinter Stacheldraht in Internierungslagern fest. Ihre Anführer setzen alle Hoffnung auf den Friedensnobelpreisträger Obama. „Für uns heißt der Obama-Besuch: alles oder nichts“, sagt Kyaw Min, Präsident der Rohingya-Partei „Menschenrechte und Demokratie“. „Wenn er die Rohingya-Frage nicht ernst nimmt und nicht aufwirft, werden wir hier Zielscheibe bleiben, bis zur Vernichtung.“

Doch für Obama ist die Sache schwierig. Er kann einerseits als Verfechter der Menschenrechte nicht schweigen, will aber auch nicht die Reformregierung brüskieren. Er braucht das Ohr von Präsident Thein Sein, weil die USA die 2011 angefangenen Reformen hin zu einer offenen demokratischen Gesellschaft unbedingt vorantreiben wollen. Obama schreibt sich den friedlichen Wandel dort auch auf die eigene Fahne. Er war einer der ersten, der nach dem Ende der Militärdiktatur 2012 kam und dem einstigen Junta-General Thein Sein die Hand reichte.

Nicht nur aus Selbstlosigkeit: Myanmar – früher Birma – liegt strategisch zwischen den aufstrebenden Mächten Indien und China. Da wollen die USA eine starke, offene demokratische und gerne US-freundliche Gesellschaft sehen. Zudem ist Myanmar nach Jahrzehnten Abschottung auch ein Markt mit 51 Millionen Verbrauchern.

„Die USA sind als Gegengewicht zu China unerlässlich“, schreibt das Institut für Strategische und Internationale Studien (CSIS) in Washington. „Die USA haben viel investiert, und das wird erst richtig Früchte tragen, wenn wir am Ball bleiben.“

//1//Viele Rohingya sind schon im 19. Jahrhundert mit dem britischen Kolonialherren in die Rakhine-Region in Westmyanmar gekommen und leben seit Generationen dort. Animositäten mit der buddhistischen Bevölkerungsmehrheit gab es immer. 2012 kam es zu blutigen Zusammenstößen, ausgelöst durch das Gerücht einer Vergewaltigung. Dutzende Menschen kamen ums Leben, Hunderttausende Rohingya wurden aus ihren Dörfern vertrieben. Zu den Aufrührern gegen die Rohingya gehören auch buddhistische Mönche.

Schätzungsweise 300.000 Rohingya, also fast ein Drittel, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ wurde aber aus der Rakhine-Region im Frühjahr ausgewiesen. „Die Regierung tut nichts, um die Übergriffe zu stoppen“, meint Lewa vom Arakan Projekt. „Sie schicken nur mehr Sicherheitskräfte, aber die schüren noch die Gewalt gegen Rohingya.“ Die Behörden weisen das zurück.

Die Regierung treibt die Lösung der Rohingya-Frage voran. Wer die Staatsbürgerschaft will, muss mindestens 60 Jahre Ansässigsein schriftlich nachweisen. Das können die wenigsten der oft bitterarmen Wanderarbeiter. Wer das nicht kann, soll ausgewiesen werden. Deshalb die Flüchtlingswelle. Viele hoffen, ins muslimische Malaysia zu gelangen, wo die Rohingya bislang stillschweigend geduldet werden.

Nach einer Untersuchung der Organisation „Fortify Rights“ müssen Flüchtende Soldaten und Polizisten schmieren, um auf kaum seetüchtigen Booten zu größeren Transportern aufs Meer hinausgebracht zu werden. Die Flucht kostet viele ein Vermögen, wie sie der Organisation berichteten. Auf hoher See warten oft Schlepper, die sie als billige Arbeitskräfte an Fischtrawler verschachern.

Wahl des Bundespräsidenten: Anmerkungen zum Spektakel einer beschlossenen Sache. Von Abu Bakr Rieger

(iz). Die Spannung war – genauso wie die Alternativen – bei der Wahl selbst überschaubar. Der neue Bundespräsident ist Joachim Gauck. Nach dem Gastspiel des Niedersachsen Wulff kommt nun ein Parteiloser und zudem ein guter Redner ins höchste deutsche Amt. Damit könnte Gauck – von seinen ureigensten Voraussetzungen her – durchaus eine, die Alltagspolitik überragende Rolle spielen.

Ein neuer Präsident kann nicht nur viele unbequeme Fragen stellen, sondern vermag eines Tages sogar Gesetze im Rahmen des umstrittenen EU-Rettungsschirms – Regeln, die nach Meinung vieler die Demokratie in Frage stellen – blockieren. Der Ruf des Präsidenten als eine unbestechliche Instanz, die sich auch aus seiner Ferne vom Lobbyismus begründet, könnte durch Joachim Gauck wiederhergestellt werden. Für den 72-jährigen gilt das Wort George Benard Shaws: „Man fürchte sich vor alten Herren, denn sie haben nichts mehr zu verlieren.“

Man sagt dem evangelischen Pfarrer nach, dass er ein großer Demokratielehrer sei (das Wort „Demokratie“ fällt in politischen Reden heute so häufig, dass man vermuten könnte, sie sei bereits abhanden kommen). Keine Frage, Gauck wird zunächst die deutsche Gesellschaft immer wieder vor den Abgründen der Ideologien warnen, die jeder modernen Gesellschaft – zumindest als Möglichkeit – innewohnt. Die Festlegung der Deutschen auf den Anti-Rassismus ist eine der Selbstverständlichkeiten, für die man in Zeiten rechten Terrors doch immer wieder neu eintreten muss.

Damit dies aber nicht nur ein lobpreisender Monolog über die jetzigen Machtverhältnisse wird, wird Joachim Gauck bald auch seine Position zum globalen Kapitalismus klären müssen. Wie steht es heute mit dem Anspruch auf Freiheit, auf Gerechtigkeit? Wie stehen wir zu den Opfern dieser Zeit? Man denke nur – um ein Beispiel zu nennen – an die zynische Spekulation unserer Geldhäuser mit Nahrungsmitteln, das Spiel mit dem Leben Dritter, über das wir ja allzu gut Bescheid wissen.

Die Muslime im Lande könnte Gauck leicht ansprechen und für sich gewinnen. Viele muslimische Immigranten dürften nach den Erfahrungen in ihren Heimatländern verstehen, was der Präsident über den Wert der Freiheit fühlt. Sein Vorgänger hatte schon einfachen „Heldenstatus“ mit einer simplen Formulierung über die Zugehörigkeit des Islam erlangt. Viele deutsche Muslime hören solche Bekenntnisse eher als eine Binsenweisheit. Aber, ein Präsident der an die Wahrung unserer natürlichen Rechte erinnert, ist durchaus willkommen.

Wulff-Nachfolger: Mit Joachim Gauck einigten sich die Bundestagsparteien auf einen Kandidaten der Vergangenheit. Von Sulaiman Wilms

„Experten vermuten, dass die Kanzlerin Gauck vor allem als Übergangskandidaten sieht. Sie verweisen darauf, dass Merkel ihm bereits ihr volles Vertrauen ausgesprochen hat. Üblicherweise muss ein Politiker zwei bis vier Wochen nach so einer Erklärung seinen Posten räumen.“ (Titanic)

„Kurz: Die Personalie Gauck zeigt, was dabei rauskommt, wenn in diesem Land so gut wie alle einer Meinung sind (…). So bekommt dieses Land demnächst einen Winkeaugust, der die Vorzüge seiner Vorgänger in sich vereinigt (…). Schade ist nur, dass er nicht gleich am Donnerstag auf der Gedenkfeier für die Opfer der Nazimorde anstelle von Wulff in die Bütt gehen wird. Andererseits: Der nächste Dönermord oder eine andere Gelegenheit, um Ausländern die Meinung zu geigen, (…) und klarzustellen, dass Nationalsozialisten auch nur Sozialisten sind, findet sich ganz bestimmt.“ (Deins Yücel, Tageszeitung, 20.2.2012)

Berlin (iz). Die Geschichte, so eine banale Weisheit, wiederhole sich ein Mal als Tragödie und ein Mal als Farce. Braucht jemand noch einen Beweis dafür, wenn wir auf die Verhandlungen der letzten Stunden um die Nachfolge von Christian Wulff blicken? Ein Bundespräsident kann nicht durch seine reale Macht, sondern durch seine herausgehobene Position, sich in Debatten einschalten zu können, auf unser Land einwirken. Die letzten beiden Bundespräsidenten agierten leider mehr als nur unglücklich, was dazu führte, dass ihre Amtsperiode nicht fristgemäß zu Ende ging.

Wulffs Vorgänger, der Ex-Banker Köhler, scheiterte an seinem Amt [man munkelt, er habe sich geweigert, bestimmte Maßnahmen zur Bankenrettung zu ratifizieren].

Der eben zurückgetretene Niedersachse hingegen machte manches richtig: Mit einem klugen Einwurf griff er in die vergiftete Sarrazin-Debatte ein, erinnerte in seiner Lindauer Rede an die anhaltenden Gefahren einer unbegrenzten Finanzwirtschaft und setzte sich aktiv für Respekt gegenüber den Angehörigen der Opfer ein, die von der NSU-Terrorzelle ermordet wurden. Wulff musste wegen des unsouveränen Umgangs mit seinen mutmaßlichen Verfehlungen den Hut nehmen, nicht wegen seiner Amtsführung. Seine gelegentlichen, positiven Aussagen rechtfertigen allerdings auch nicht das kritiklose Lob, das ihm von einigen Muslimen und Migrantenverbänden ausgesprochen wurde.

Nun haben sich sämtliche Bundestagsparteien – mit Ausnahme der LINKEN – im alten Stile der Blockparteien auf Joachim Gauck in einer viel beachteten Verhandlungsrunde geeinigt. Sicherlich half es, dass der einflussreichste deutsche Medienkonzern nicht nur Wulff aus dem Amt schrieb, sondern auch in einer Blitzaktion den neuen mit aller Macht dahin bringen wollte, wo er nun zu landen scheint. Ein kurzer Blick auf den einstigen Bürgerrechtler macht deutlich, dass er ein Mann der Vergangenheit, und nicht der Zukunft sein wird.

Anders als Wulff (der sich bereits in Osnabrück und als Ministerpräsident um die Integration bemühte) – das lässt zumindest Gaucks Einschätzung von Thilo Sarrazin (dem er “Mut” attestierte”) vermuten – hat der 72-jährige keinerlei nennenswerte Erfahrungen im Umgang mit Deutschlands Muslimen und den vielen Bundesbürgern, die einen Migrationshintergrund haben. Dies lässt Zweifel aufkommen, ob er überhaupt in der Lage sein wird, bei erhitzten Debatten um diese Themenfelder ausgleichend und klärend einzugreifen Bleibt zu hoffen, dass seine Bewunderung für den “Mut” eines Sarrazins nicht für eine Akzeptanz dessen kruden Thesen steht.

Aber nicht nur Gaucks ungeklärtes Verhältnis zur muslimischen Minderheit, der die meisten Neubürger aus dem Osten bisher fremd geblieben sind, steht zur Debatte. Seine abwertende Kritik an der Occupy-Bewegung, an einer fundamentalen Kritik des Finanzkapitalismus und seine Äußerungen zu Harz-IV-Empfängern hatten viele im Laufe des Tages dazu bewogen, ihn als “neoliberalen” Wunschkandidaten einzustufen. Umso ungläubiger blickt man auf die Unterstützung Gaucks durch die SPD und die GRÜNEN. Ist ihnen entgangen, dass ein Teil ihrer Mitgliederbasis keine oder nur geringe Gemeinsamkeiten mit den Ansichten des zukünftigen Bundespräsidenten hat?

Unterzieht man die Äußerungen Gaucks einer kritischen Untersuchung kann man zu dem Schluss kommen, dass sich seine Positionen seit 1989 in einem Zustand der Regression befinden. Er trat auf die bundesdeutsche Bühne als respektiertes Mitglied der so genannten “Bürgerrechtler” der ehemaligen DDR (so wurde er zumindest in der BRD wahrgenommen), wurde zum mächtigen und einflussreichen Leiter der nach ihm benannten Behörde der Staisunterlagen ernannt und ist nun als Mitglied der einflussreichen “Atlantikbrücke” im neoliberalen Lager gelandet.

Wie Gaucks Positionen mit seiner Herkunft als evangelischer Pfarrer zu vereinen sind, wird der zukünftige Bundespräsident sicherlich am besten wissen. Es stellt sich die Frage, wie der Nachfolger von Christian Wulff bei potenziellen Konflikten und Krisen der nahen Zukunft (Kriegsgefahr im Nahen Osten, der Angriff auf den Euro-Raum und die immer noch nicht geklärten Verwicklungen in der “Zwickauer Zelle”) positiv agieren kann, wenn seine polarisierenden Ansichten bereits vorab derart dokumentiert sind.

Es bleibt zu hoffen, dass der 74-jährige Wunschkandidat in der Lage sein wird, Christian Wulffs Format im Umgang mit Migranten und Muslimen zu übernehmen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Joachim Gauck spalten, und nicht versöhnen wird.

Weiterführender Link:
Joachim Gauck: transatlantischer Wunschkandidat der neoliberalen SPD