Meinung: weiterführende Überlegungen von Zeycan Çetin über den Salafismus in Deutschland und seine politischen Folgen

“Um die Machtausübung zu bewahren, ist es notwendig, sich zu gewissen Zeiten des Terrors zu bedienen” (Niccolò Machiavelli, florentinischer Staatsphilosoph und Dichter)

(iz). Salafisten (Salafi) machen nicht erst seit der Koranverteilaktion auf sich aufmerksam. Die Bewegung existiert schon seit langen Jahren in Deutschland. Wieso aber wird erst jetzt so ausgiebig über diese Gruppierung berichtet? Wieso stürzen sich Politiker, Behörden und Medien gerade zu diesem Zeitpunkt so öffentlichkeitswirksam auf das Thema?

Bereits in den 1990er Jahren, insbesondere während und nach dem Krieg in Ex-Jugoslawien bildeten sich in immer mehr deutschen Städten salafistische Zirkel. Interessanterweise spielten auch einige Protagonisten der Kriege auf dem Balkan (sowohl des Bosnien- als auch Kosovokriegs) keine unbedeutenden Rollen beim Aufbau der salafistischen Gemeinden. Süddeutschland, vor allem Baden-Württemberg mit ihren Städten Freiburg, Heidelberg und nicht zuletzt Ulm/Neu-Ulm, scheinen schon in den 1990ern als Pilotregionen ausgewählt worden zu sein.

Aus dieser Region bereitete sich die Bewegung bekanntermaßen rasch in die gesamte Republik aus. Von hier stammten auch die vermeintlichen Inspiratoren und Mentoren der Szene. Hier wurden daher auch die konspirativen Begegnungsstätten wie der „Islamische Verein Ulm“, das „Multi-Kulturhaus“ (MKH) oder das „Islamische Informationszentrum“ (IIZ) – von Dritten unterstützt – aufgezogen. Nicht zuletzt betätigten sich in diesen Zirkeln zahlreiche V-Leute und Mitarbeiter verschiedener Nachrichtendienste.

Der Journalist und Autor Jürgen Elsässer enthüllt die Donau-Doppelstadt Ulm/Neu-Ulm in seinem Werk: „Terrorziel Europa. Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste“ als Einsatzgebiet dieser Dienste: „Wer dort nach 9/11 zu Allah betete, geriet nicht nur in das Visier deutscher Staatsschützer, sondern auch ihrer US-amerikanischen Kollegen.“ Daneben sollen in Ulm auch ägyptische-, saudische- marokkanische- und israelische Geheimdienste um „islamistische“ Informanten geworben haben.

Weiter schreibt Elsässer, dass die Stadt „seit Ende der neunziger Jahre vom Verfassungsschutz gezielt zu einem ‘Honigtopf’ aufgebaut wurde, um militante Islamisten anzulocken, auch als Rekruten [!] für die Dienste.“ Der Publizist zitiert in diesem Zusammenhang auch einen Informanten, der folgendes zu Protokoll gibt: „Es geht dem Verfassungsschutz schon seit Jahren darum, Verdächtige aus einem größeren Umkreis nach Ulm zu locken. Dort wurden sie einerseits radikalisiert, andererseits als V-Leute gewonnen. Das war offensichtlich überhaupt kein Widerspruch für Staatsschützer.“

Interessant wird es, wenn man nachliest, wie wichtige Personen und „Organisator[en] des süddeutschen Islamisten-Netzes“ auf Drängen von Dritten nach Ulm und in die „Begegnungsstätten“ wie das Multi-Kulturhaus kamen. So zog beispielsweise Yehia Yousif, ehemaliger Unterstützer von muslimischen Kämpfern im Ex-Jugoslawien-Krieg und Schlüsselperson bei der Radikalisierung von vermeintlichen „Islamisten“ und von Juli 1996 bis März 2002 auch Mitarbeiter des baden-württembergischen Verfassungsschutzes, im Oktober 2000 von Freiburg nach Ulm, um die „Salafisten-Szene“ weiter zu konstruieren.

Yousif, der 1988 aus Ägypten nach Deutschland auswanderte, promovierte 1994 an der Universität Freiburg im Fachbereich Medizin. Er lieferte seinen Auftraggebern Indizien, die gegen das MKH, wo er selbst als Prediger tätig war, verwendet wurden, was Elsässer im Gespräch mit dem Anwalt des MKH aufdeckt. Den Anwalt Christoph Käss erinnere die ganze Geschichte an das NPD-Verbotsverfahren, wo viele Beweise überhaupt von V-Leuten produziert worden seien. Wie widersinnig ist es, möchte man sich fragen, dass jemand im Auftrag von Dritten kriminell operiert und seine Handlungen den Behörden als Beweismittel für seine Bösartigkeit zur Verfügung stellt.

Heribert Prantl schreibt in der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) in einem anderen Bezug über Spitzel: „Der Staat geht in die Irre, wenn er sich zu sehr auf solche Leute verlässt. Prantl, selbst ehemaliger Richter und Staatsanwalt, stellt zudem die Frage, die sich auch viele andere Menschen stellen: „Welchen Anteil an Straftaten hat der V-Mann? Hat er die Täter verleitet? Hat er sie zu den Taten angeleitet?“ Denn wenn dies so sein sollte, machen sich die Auftraggeber selber strafbar. Dann gibt es wieder viel Arbeit für Untersuchungsausschüsse und -kommissionen.

„Interessant“ sei für den Autor und Journalisten Eren Güvercin im Übrigen, „dass bei einer Hausdurchsuchung in der Wohnung von Yehia Yousifs Sohn, Omar Yousif, Unterlagen für die Herstellung des Flüssigsprengstoffs TATP gefunden wurden, mit dem später die Sauerland-Gruppe auf dilettantische Weise experimentiert“ habe. „Seltsamerweise wurde sowohl gegen Yehia Yousif als auch seinen Sohn kein Auslieferungsantrag gestellt, nachdem sie sich 2004 nach Saudi-Arabien abgesetzt hatten“, schreibt Güvercin in seinem kürzlich vorgestellten Werk: „Neo-Moslems. Portrait einer deutsche Generation“. Diese Dubiositäten verleiten Güvercin in seinem Buch zu der Frage und der danach folgenden Erkenntnis: „Wieso wird in den Mainstream-Medien bisher die Rolle des Hasspredigers Yousif, der gleichzeitig auch Informant des Verfassungsschutzes war, nicht hinterfragt? Yousif hatte entscheidend zum Erstarken salafitischer Gruppen beigetragen. Gleichzeitig war er aber auch Lohnempfänger des Verfassungsschutzes.“

Yehia Yousif, Reda Seyam und weitere wichtige Persönlichkeiten der salafistischen Szene haben nach diesen Feststellungen im Auftrag anderer Stellen für das Erstarken des Salafismus in Deutschland gedient. Die Personen, Organisationen und Wirkungsstätten sind beliebig austauschbar. Was in Ulm stattfand, kann heute genauso in Solingen, Hamburg, Bonn, Berlin oder Buxtehude stattfinden. Was früher die Aufgabe von Yehia Yousif und anderen Predigern gewesen ist, könnten heute Gans, Vogel, Fuchs und Adler übernommen haben. Was spricht dagegen, dass die Funktion, die früher beispielsweise das MKH, IIZ oder die „Sauerland-Gruppe“ spielten, heute Organisationen wie die „Internationale Dschihad Union“ (IJU), „Globale Islamische Medienfront“ (GIMF), „Islamische Bewegung Usbekistan“ (IBU) oder andere kleine und lokale Gruppen übernommen haben könnten?

Die Verteilung des Korans bringt Hebel in Bewegung
Im April 2012 wurden in zahlreichen deutschen Städten Gratisexemplare des Korans verteilt, wodurch der Salafismus (Salafiyya) urplötzlich zu einem „Mainstreamthema“ avancierte. Der zeitliche Kontext dieser Aktion, kurz vor den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und dem bevölkerungsreichsten Bundesland, Nordrhein-Westfalen, ist nicht zu unterschätzen.

Die Nordrhein-Westfalen-Wahlen waren schon immer richtungweisend – auch für die Bundestagswahlen. Die konservativen Parteien benötigten daher jede einzelne Stimme, auch aus dem rechten Spektrum. Für sie ging es um alles oder nichts. Dass am Ende sogar der Spitzenkandidat und Vorsitzende seinen Hut nehmen musste und auch noch vor aller Öffentlichkeit von der Kanzlerin gedemütigt wurde, zeigt die Dramatik dieses Wahlkampfes, in der auch die rechtsgerichtete Pro NRW durch sensationslustige Provokationen auffiel. Außerdem wurde das Thema verdächtig kurz vor der Islamkonferenz zum Sieden gebracht. Politiker forderten – besonders von den muslimischen Verbänden – eine Distanzierung und Verurteilung der Salafisten.

Die kostenlose Verteilung von Koranexemplaren war bis heute in Deutschland weniger üblich. In der Regel haben Vereine oder einzelne Gruppen religiöse Literatur zum Kauf angeboten. Hinter der PR-trächtigen Verteilaktion soll ein wohlhabender Kölner Prediger und Geschäftsmann stehen, der zur Zeit, so berichtet eine große Boulevardzeitung, angeblich von Hartz-IV lebe. Der Mann heißt Ibrahim Abou-Nagie. Doch wer ist der neue Hauptdarsteller in diesem schlechten Film?

Khalil Breuer stellt in seinem Hintergrundbericht: „Der Polizist, der ein Salafist war!“ für die Islamischen Zeitung (IZ), zwei zutiefst denkwürdige Fragen: Hatte der durch die Koran-Verteilaktion bekannt gewordene Ibrahim Abou-Nagie eigentlich auch Kontakte zum Verfassungsschutz (wie er auf Youtube selbst behauptet)?“ und weiter: „Wie viele V-Leute gibt es denn in der salafitischen Szene?“ Ebenso große Beachtung verdient dieser Paragraph des Journalisten: „Ganz neu ist das strategische Interesse des Verfassungsschutzes an der Salafismus-Szene nicht. Schon in einem Artikel der FAZ vom 3.10.2010 über den Prediger Vogel wird auch die Einschätzung des Islamwissenschaftlers Müller vom Verfassungsschutz Stuttgart einbezogen. ‚Er tritt den gängigen Islam-Organisationen vors Schienbein’, wird Müller dort zitiert, denn ‚er ist ein spannendes Experiment, er bringt Bewegung in die Szene’.“

Das Ziel Abou-Nagies soll es sein, Millionen Exemplare des Korans in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu verschenken. Bis jetzt seien etwa 300.000 Exemplare verteilt. Sie seien eine Übersetzung von Mohammed Ibn Ahmas Rassoul und Abdullah Bubenheim. Die Behörden halten die Übersetzungen für neutral beziehungsweise nicht verfassungsfeindlich. Dennoch hat die Ulmer Druckerei Ebner & Spiegel die Auslieferung der Korane aufgrund der medialen Kritik eingestellt. Der Initiator der Verteilaktion Abou-Nagie, betreibe zudem die Internetplattform „Die wahre Religion“ (DWR), die im Bundesverfassungsschutzbericht 2010 dem politischen Salafismus zugeordnet wird.

Orientierung am „Urislam“
Der Salafismus ist nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes ein Sammelbecken einer als „islamistisch“ bezeichneten Bewegung in Deutschland. Nach Schätzungen von Sicherheitskreisen sollen der Bewegung etwa 3.000 bis 5.000 Personen angehören.

Der Terrorismusexperte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Guido Steinberg, geht dagegen von fast 10.000 Anhängern der Gruppe aus. Insgesamt gebe es in Deutschland etwa 130 gewaltbereite „Gefährder“. Nicht alle davon, lediglich „zwei Dutzend“ seien der salafistischen Szene zuzuordnen. Ziel von Salafisten sei laut Sicherheitsbehörden die Gründung eines islamischen Staats, in dem wesentliche Grund- und Menschenrechte keine Geltung haben sollen. Die Bewegung soll im 19.Jhd. in Ägypten entstanden sein und orientiere sich an einer wortgetreuen Koranauslegung sowie einem Urislam ohne jede theologische Entwicklung.

Andere Beobachter weisen auf die engen Parallelen zwischen dem Salafismus und dem saudi-arabisch dominierten Wahhabismus hin. Heute werden beide Strömungen, die als ultrakonservativ gelten, im Sprachgebrauch gleichbedeutend verwendet. Moderne Medien und Kommunikationskanäle wie das Internet spielen nach Ansichten von Experten eine wichtige Rolle in der Propagandatätigkeit der Salafisten in Deutschland.

Daher richte sich die Arbeit der Bewegung nach Erkenntnissen von Sicherheitsbehörden besonders auf junge Muslime und Konvertiten in einer „schwierigen Lebensphase“. Auch junge Nichtmuslime sollen von den Salafisten, mit dem Ziel, sie zur salafistischen Strömung zu bekehren, umworben werden.

Zu den bekanntesten Mitgliedern der Szene zählen Pierre Vogel oder der Berliner Ex-Rapper Deso Dogg (Abou Maaliq). Die Bewegung, die in Solingen, Remscheid, Berlin, Bonn, Braunschweig, Mönchengladbach, Ulm und weiteren Städten im Bundesgebiet organisiert ist, steht unter einer intensiven Beobachtung der Dienste. Für zahlreiche Salafisten gelten Muslime, die nicht auf ihrer Seite stehen oder die Bewegung zumindest kritisch betrachten, als „Ungläubige“ (Kuffar). Sie sind daher nicht selten Anfeindungen und Drohungen ausgesetzt.

Debatte breitet sich rapide aus und bedroht alle Muslime
Die Verteilaktion hatte sich nach dem Osterwochenende 2012 anfänglich zu einer Debatte über das heilige Buch der Muslime ausgeweitet. Das Thema wurde seitdem in den Medien intensiv diskutiert und weitet sich täglich mit neuen Meldungen wie ein Feuer aus. Im Zusammenhang mit den Mai-Kundgebungen, den Attacken auf Polizeibeamte in Solingen (1.Mai) sowie Bonn (5.Mai), Provokationen der rechtsradikalen Gruppierung Pro NRW und den Drohungen von „Islamisten“ auf der Videoplattform Youtube, werden die Anhänger der Salafiyya und damit instinktiv auch die übrigen Muslime pausenlos mit Gewalt, Radikalismus und des Sicherheitsrisikos in Verbindung gebracht.

So wurde wenige Wochen nach der Koranverteilaktion die Dosis der Nachrichten stetig erhöht. Zunächst gerieten Pro-NRW-Aktivisten und einige gewaltbereite Salafisten in Solingen aneinander. Ähnliches ereignete sich ein paar Tage später in Bonn. Dabei griffen einige Gewalttätige auch Polizisten an und verletzen diese – zum Teil schwer.

Kurz darauf folgte diese kuriose Meldung: Ein 31 Jahre alter Essener Polizeikommissar ist unter besonderen Umständen als Salafist aufgefallen und wurde Anfang Mai aus dem Polizeidienst suspendiert. Gegen Ali K. sei ein Disziplinarverfahren mit dem Ziel eingeleitet worden, ihn aus dem Staatsdienst zu entlassen. Heinz Tutt vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtet, dass der Beamte im Jahr 2009 für sechs Monate auch für den NRW-Verfassungsschutz gearbeitet habe. Er sei bei einem mobilen Observationskommando eingesetzt gewesen und habe Extremisten ausspähen sollen.

Der Beamte mit Migrationshintergrund soll sich in seiner Freizeit für „radikale Islamisten“ engagiert haben. So habe er Infostände für salafistische Vereine angemeldet und sich an deren Aktivitäten beteiligt, bestätigte die Polizei. Ein „Salafist“ in den Reihen der Polizei und des Verfassungsschutzes: Ein Einzelfall?

Es vergeht mittlerweile kein Tag, wo nicht über Salafisten und so genannte „Islamisten“ gesprochen wird. Zudem haben sich zahlreiche Politiker, muslimische Funktionäre und Kirchenvertreter in die Debatte eingeschaltet. Fast täglich wenden sich Pressevertreter/innen mit Fragen an die muslimischen Verbände und verlangen nach Statements von Repräsentanten. Damit werden auch die islamischen Organisationen in Deutschland – bewusst oder unbewusst – mit in die Debatte um Extremismus, Gewalt und Terror eingespannt. Wissentlich?

Populistische Forderungen wirken destruktiv
Auch wenn jetzt einige Politiker danach rufen, die Personen, die Korane verteilen auszuweisen, sie noch strenger zu kontrollieren oder gar die Koranverteilung zu verbieten, wer soll denn ausgewiesen werden? Deutsche Konvertiten oder jugendliche Deutsche mit Migrationsbiographie, die hier geboren, hier sozialisiert, aufgewachsen und nicht zuletzt hier „geködert“ wurden?

Die Probleme, mit denen sich die Politiker, die jetzt nach harten Strafen, Verboten oder Abschiebungen rufen, sind nicht so klar und einfach, um sie mit Untersagungen oder Ausweisungen zu lösen. Zum Teil sind sie sogar hausgemacht. Die „Panikmacher“ (Patrick Bahners, FAZ) sind wieder im Scheinwerferlicht. Der Dauergast in spätabendlichen Talkshows, Bosbach, seine Kollegen Uhl und Innenminister Friedrich, der die Öffentlichkeit im Zuger der Publikation der Studie „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“ bewusst getäuscht hat und verantwortlich für die Lancierung der Untersuchung an die Bild-Zeitung war (siehe Interview von Yasin Baş mit Ulrich Paffrath), übertreffen sich mit Vorschlägen.

Christian Bommarius von der „Frankfurter Rundschau“ (FR) spricht in dieser Hinsicht von „großmäuligen Forderungen“ und „schlechter Rhetorik“. Er sagt, dass Vereinsverbote „nicht nur das letzte Mittel im Kampf gegen extremistische Gruppen“, sondern im Fall der Salafisten auch „wirkungslos“ seien. „Deren Vereine lösen sich schneller auf, als ein Innenminister sie verbieten kann. Und was den Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft betrifft, so verbietet ihn das Grundgesetz (Art. 16 Abs. 1).“ Da viele Salafisten in losen Strukturen oder in gar keinem Verein organisiert sind, bringen Verbote bedauerlicherweise wenig.

Außerdem: Eine Ausweisung, Ausbürgerung oder der Entzug der Staatsbürgerschaft hört sich zwar spannend an, erinnert aber eher an totalitäre und menschenverachtende Staatssysteme. Oder möchte ein Innenminister einen deutschen Salafisten von Bayern nach Mecklenburg-Vorpommern ausweisen? Bommarius hält es überdies für „gefährlich“, dass Politiker zwar von Salafisten reden, die deutsche Öffentlichkeit aber „Moslems“ versteht. So wird die große Mehrheit der Muslime – wieder einmal – unter Generalverdacht gestellt.

Kontrolliert außer Kontrolle
Zunächst einmal sollte die Problemgruppe besser erkannt werden. Es sind meist junge Menschen, unter ihnen auch viele mit durchaus guter Bildung, die in den Salafismus treiben. Für die Islamismus-Expertin Claudia Dantschke vom Zentrum für Demokratische Kultur in Berlin sei der Salafismus nicht, wie viele denken, „von außen eingeschleppt“, sondern „ein Problem hier aufgewachsener Jugendlicher, die sich entfremdet, isoliert und unverstanden fühlen“ (zit. n. Jan Bielicki, Süddeutsche Zeitung).

Es sind in aller Regel deutschsprachige und deutsch sprechende Menschen, die auch in ihrer Freizeit deutsch sprechen. Es sind immer mehr deutschstämmige, also ethnische Deutsche, die der Bewegung angehören. Auch die „intelligenten“ Prediger sprechen nahezu fehlerfrei Deutsch. Beachtlich sind auch die fast fehlerfreien und sehr professionell erstellten Videobotschaften von einigen „Radikalen“. Sie sprechen in diesen Videos teilweise noch besser Deutsch als ein Germanist oder Literaturwissenschaftler.

Der Salafismus entfaltete sich und gedieh in seinen „jungen Jahren“ besonders in den deutschen Zentren in Süddeutschland, worauf anfangs eingegangen wurde. Heute ist die Bewegung in ganz Deutschland verbreitet. Momentan scheint etwas aus der Kontrolle geraten zu sein in Bezug auf den Salafismus in Deutschland. Oder sollte etwa etwas kontrolliert außer Kontrolle geraten?

Dantschke empfiehlt zumindest eine Doppelstrategie in der Angelegenheit. Sie fordert zum einen ein hartes Eingreifen und die konsequente Bestrafung von Gewalttätern. Zum anderen, das erscheint ihr wichtiger, fordert sie eine bessere Jugendarbeit in Kommunen, Jugendzentren, Schulen und Moscheen, um Jugendliche vor Gefahren zu schützen. Prävention ist damit auch in der Jugendarbeit von zentraler Bedeutung.

Kostenlose PR
Eine so große mediale Aufbereitung des Themas, beginnend mit einer Verteilaktion des heiligen Buchs der Muslime über weitere Aktivitäten von Salafisten ist von Anfang an Wasser auf die Mühlen der Salafisten gewesen. Die Bewegung bekommt jetzt noch mehr Zulauf und gewinnt bei vernachlässigten Jugendlichen an Attraktivität. Ist das ein kalkuliertes Risiko?

Steffen Hebestreit vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ wies zu Recht auf ein Paradox hin und sagt, dass sich die Behörden „seltsam zwiespältig“ verhalten. Hebestreit übt dabei auch Selbstkritik, wenn er es als „seltsame Logik“ bezeichnet, dass vermeintliche „Einzeltäter“ erst durch das „mediale Echo“ auf den Salafismus oder Drohvideos aufmerksam (gemacht!?) werden. Die Kommentare der Behörden und Politiker sowie die großzügige mediale Aufbereitung des Themas, bringen nur noch mehr Aufmerksamkeit für die Aktivisten. Es ist eine kalkulierte und kostenlose Werbekampagne.

Die Verteilung des Korans scheinen zwar auch abendländische Untergangssorgen und Ängste zu befeuern. Im Nachhinein kann aber festgestellt werden, dass die Verteilaktion nur der Beginn einer neuen Sicherheitsdebatte gewesen ist. Kaum einer, der jetzt nach einem Verteilverbot für das heilige Buch ruft, kennt den Koran, hat ihn jemals gelesen. Sogar Innenminister Friedrich gab in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ vom 31. März 2011 zu, noch nie im Koran gelesen zu haben. Vielleicht hat er es inzwischen – wegen seines Amtes oder als Gastgeber der Islamkonferenz – nachgeholt? Wenn die Menschen den Koran kennen würden, sähen sie die Parallelen zur Bibel und der Thora. Dann sähen sie, dass es weitaus mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen den heiligen Büchern gibt.

Fehlende Gelassenheit auch Ausdruck von fehlender Souveränität?
In Deutschland und anderen Staaten der Welt werden „Wachttürme“ (Periodika der Zeugen Jehovas), Bibeln, Korane und weitere religiöse Schriften verteilt. Am aktivsten verbreiten christliche Missionare, Stiftungen und Verlage ihre „heiligen Schriften“ auf der Welt. In manchen Staaten werden sie daran gehindert. Wenn sie Glück haben, werden sie aus den jeweiligen Ländern ausgewiesen. Doch es kommt auch vor, dass sie gefoltert werden oder ihr Handeln mit ihrem Leben bezahlen. Warum? Weil sie das Wort Gottes verbreiten? Zum Glück gibt es in Deutschland die Religionsfreiheit. Aus diesem Grunde wäre es ratsam, gelassener, unaufgeregter, ja souveräner mit dem Thema umzugehen.

Der „Anti-Koran-Reflex“
Lucas Wiegelmann von der Tageszeitung „Die Welt“ bezeichnet das, was nach der Koranverteilung passierte, als einen „Reflex“. Er nennt es einen „Anti-Koran-Reflex“, das es in Teilen der deutschen Gesellschaft gebe. Er schreibt: „Jede Sekunde [!] verteilt der evangelische Gideonbund weltweit zwei Bibeln. Würde man die Bände stapeln, käme jede Stunde ein Turm in der Höhe des Big Ben (96 Meter hoch) heraus.“ Wiegelmann gibt zudem den Christen einen beschwichtigenden Rat mit auf den Weg: „Für Christen gibt es keinen Grund, die Konkurrenz der heiligen Bücher zu scheuen. Jeder wirkliche Gläubige geht ohnehin davon aus, dass seine Ansichten überzeugender sind als andere.“

Auch die Meinungsfreiheit garantiert den Menschen, Literatur zu drucken und zu verteilen, deren Inhalt sich im Rahmen des Grundgesetzes bewegen. Für Muslime ist es eine Pflicht, sich an die Verfassung und Normen der Gesellschaft zu halten, in denen sie leben. Demokratie, Rechtstaat und Grundrechte stehen nicht zur Debatte. Die islamischen Verbände, die im „Koordinierungsrat der Muslime“ (KRM) organisiert sind, haben das des Öfteren klar und deutlich verkündet.

Unglücklicherweise wurden diese, dem Frieden, gegenseitigem Respekt und der Toleranz dienenden Botschaften – im Gegensatz zu den jetzigen Negativereignissen – von den Medien nicht genügend registriert. Bibel- und Koranverteilungen sind das gleiche, solange sie nicht gegen die Verfassung verstoßen. Daher ist es schwer verständlich, dass es demokratische Politiker sind, die eine Verteilung als Akt verboten sehen möchten. Die Initiatoren oder Hinterleute der Aktion zu überwachen, zu kontrollieren und zu zähmen, ist eine ganz andere Frage als die der Verbreitung des heiligen Buches der Muslime.

Mordsserienskandal an Migranten gerät ins Abseits
Angemerkt sei noch, dass die schockierenden Enthüllungen der Nazi-Morde an neun Migranten und eine deutsche Polizistin durch diese Salafisten-Debatte überlagert wurde. Nach Bekanntwerden des Skandals, diskutierte Deutschland erst monatelang über Christian Wulff. Nun setzt sich die Öffentlichkeit abermals mit „gewaltbereite Islamisten“ auseinander.

Die NSU-Morde und das abartig organisierte Netzwerk dahinter, werden insofern erneut durch andere Themen ins Abseits gerückt. So verwundert auch diese Meldung aus den letzten Tagen nicht mehr sonderlich. Im Gegenteil, es fügt sich in das angesprochene perverse Bild: Die Polizei in Bayern suchte im Zuge der Mordserie an Migranten mit großem Aufwand nach „kriminellen Ausländern“ und nicht nach Rechtsterroristen.

Dafür betrieben die Ermittler eigens einen Dönerimbiss. Der Inhaber sei ein V-Mann gewesen, der absichtlich keine Rechnungen von Lieferanten bezahlte, um „kriminelle Ausländer“ anzulocken. Dies spricht für die Einseitigkeit der Ermittlungen. Zusätzlich melden die Nachrichtenagenturen, dass der Thüringer Verfassungsschutz einen als V-Mann arbeitenden Neonazi in den neunziger Jahren mehrmals vor Durchsuchungen der Polizei gewarnt habe. Es gebe vier bis fünf solcher Fälle, sagt Gerhard Schäfer, Vorsitzender der Kommission zur Untersuchung des Thüringer Behördenverhaltens rund um die Nazi-Terroristen.

Barbara John, die Ombudsfrau der Naziopfer sagt: „Dieser Wahnsinn hat Methode“. Wenn es sich bewahrheiten sollte, dass diese verbrecherischen Taten „Methode“ und „System“ haben, dann ist das Vertrauen vieler Menschen ins Rechts- und Gerechtigkeitssystem missbraucht. Die Enthüllungen aus dem Thüringer Untersuchungsausschuss deuten auf chaotische Zustände bei Justiz, Polizei und Diensten hin.

Kommunikationsdefizite und „Revierkämpfe“ sind nur die Spitze des Eisbergs. Peinlich ist jedoch eines: Noch immer gibt es niemanden, der Verantwortung für diese abscheulichen Taten übernimmt und von seinen Ämtern zurücktritt. Noch immer gibt es keinen, der eigene Fehler zugeben möchte. Ob die Untersuchungsausschüsse und Prüfungskommissionen daran etwas ändern werden, bleibt abzuwarten.

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