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Gaza: Krankenhäuser in furchtbarem Zustand

Krankenhaus Gaza Israelische Armee Angriff

Die Angriffe der israelischen Armee haben Gaza in ein Inferno verwandelt. Ärzte berichten über die entsetzlichen Qualen der Menschen, die zwischen die Fronten geraten.

Amman/Gaza (dpa/IZ) Ausländische Hilfsorganisationen haben von grausigen Zuständen in den wenigen noch im Gazastreifen arbeitenden Krankenhäusern berichtet. „Wir sehen Verletzungen, die überwiegend durch Explosionen und Splitter verursacht wurden“, wird der Leitende Chirurg des Universitätskrankenhauses Oxford und Klinischer Leiter des Medizinischen Notfallteams, Nick Maynard, in einer Mitteilung der privaten Hilfsorganisation International Rescue Committee (IRC) mit Hauptsitz in New York vom Freitag zitiert. „Viele Erwachsene, Kinder und Babys werden mit traumatischen Amputationen von Armen und Beinen eingeliefert. Wir haben kleine Kinder mit den furchtbarsten Verbrennungen im Gesicht gesehen“, fügte Maynard hinzu. 

Flure, Treppenhäuser, Empfangsbereiche, Stationen – auf jedem Quadratzentimeter des Krankenhauses lägen Patienten auf dem Boden, sagte er. Viele seien zudem schwer unterernährt. 

Verletzte werden auf dem Boden versorgt

Ein erstes Medizinisches Notfallteam von Medical Aid for Palestinians (MAP/Großbritannien) und International Rescue Committee (IRC) seien inzwischen in einem Krankenhaus im Gazastreifen im Einsatz, um die vielen Opfer israelischer Bombardierungen zu versorgen, berichtete IRC weiter. „Die Szenen sind erschütternd. Schon in den ersten Stunden im Krankenhaus behandelte ich einen etwa einjährigen Jungen, der bei der Bombardierung seinen rechten Arm und sein rechtes Bein verloren hatte – auf dem Boden, da keine Tragen zur Verfügung standen“, berichtete die Kinderärztin Seema Jilani von IRC. „Waisenkinder und Babys kommen mit schweren Verbrennungen an, stehen unter Schock, zittern vor Angst und leben kaum noch. Mein Herz bricht für die Kinder in Gaza“, sagte die Frau. 

Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden seit Kriegsbeginn am 7. Oktober mehr als 57 600 Menschen im Gazastreifen verletzt. Die Zahl der Toten wurde mit mehr als 22 400 angegeben. Beim Kampf der israelischen Armee gegen die Hamas wurden zudem immense Schäden an Wohngebäuden sowie der zivilen Infrastruktur wie etwa Krankenhäuser angerichtet. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilte kurz nach Weihnachten mit, es seien nur noch 13 der ursprünglich 36 Krankenhäuser teilweise funktionsfähig. Sei seien völlig überbelegt und es fehle ihnen an Treibstoff, Medikamenten, Narkosemitteln, Lebensmitteln und Trinkwasser.

Neben den Medizinischen Notfallteams würden MAP und IRC zusammenarbeiten, um die Krankenhäuser in Gaza über den Rafah-Grenzübergang aus Ägypten mit lebenswichtigen medizinischen Gütern zu versorgen. Am 29. Dezember hätten vier Lastwagen mit Medikamenten und anderen Hilfsgütern den Gazastreifen erreicht. Das Material sei an Krankenhäuser im südlichen und mittleren Gazastreifen verteilt worden.

Hilfsorganisationen erhalten tagelang keinen Zugang nach Gaza

Hilfsorganisationen können nach Angaben des UN-Nothilfebüros OCHA seit Tagen keine dringend benötigte lebensrettende Hilfe in den Norden liefern. Wie OCHA in der Nacht zum Freitag mitteilte, seien UN- und ihre Partnerorganisationen vier Tage lang nicht in der Lage gewesen, humanitäre Hilfe nördlich des Flusses Wadi Gaza zu liefern, da der Zugang zu den Gebieten verzögert oder verweigert worden sei und in dem Gebiet weiter gekämpft werde. Zu den dringend benötigten Hilfslieferungen gehörten Medikamente, um mehr als 100 000 Menschen einen Monat zu versorgen. 

Man fordere einen dringenden, sicheren, dauerhaften und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe zu den Gebieten nördlich des Wadi Gaza, die seit mehr als einem Monat vom Süden abgeschnitten seien, hieß es.

90 Prozent der Kinder im Gazastreifen nicht ausreichend ernährt

Nach drei Monaten Krieg im Gazastreifen spitzt sich dem UN-Kinderhilfswerk Unicef zufolge die Lage auch für Minderjährige weiter zu. 90 Prozent aller 1,1 Millionen junger Menschen in der Region seien Ende Dezember einer Untersuchung zufolge nicht vollständig mit Nährstoffen versorgt gewesen. „Die meisten Familien gaben an, dass ihre Kinder nur Getreide – einschließlich Brot – oder Milch bekommen, was der Definition von ‘schwerer Nahrungsmittelarmut’ entspricht“, teilte Unicef am Freitag mit. Derweil sei auch die Zahl der Durchfallerkrankungen extrem gestiegen. em Bericht zufolge sterben täglich etwa 115 Kinder am Tag.

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Al-Shifa-Krankenhaus im Zentrum von Kämpfen

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Al-Shifa-Krankenhaus: Das Vorgehen der israelischen Armee gegen das wichtigste Krankenhaus in Gaza stößt international auf Kritik.

Jerusalem (KNA, iz). Der UN-Chefkoordinator für humanitäre Hilfe, Martin Griffiths, erklärte am Mittwoch, er sei entsetzt über den militärischen Vorstoß auf das Al-Schifa-Hospital. „Krankenhäuser sind keine Schlachtfelder“, schrieb er auf dem Kurznachrichtendienst X.

Al-Shifa: Schutz der Betroffenen muss Vorrang haben

„Der Schutz von Neugeborenen, Patienten, medizinischem Personal und aller Zivilisten muss alle anderen Erwägungen überragen“, so Griffiths. Kritik kam auch von der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Das jordanische Außenministerium verurteilte das Vordringen der israelischen Armee in das Al-Schifa-Krankenhaus als Bruch des Völkerrechts und insbesondere der Genfer Konvention. Jordanien mache Israel für die Sicherheit von Patienten und Mitarbeitern der Klinik verantwortlich, hieß es am Mittwoch.

Foto: Palestinian News & Information Agency (Wafa) in contract with APAimages, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 3.0

Zuvor waren israelische Streitkräfte nach eigenen Angaben in Teile des wichtigsten Hospitals in Gaza eingedrungen. Derzeit laufe „auf der Grundlage nachrichtendienstlicher Informationen und einer operativen Notwendigkeit“ eine „präzise und gezielte Operation gegen die Hamas“ in Teilen der Klinik, teilte die Armee am Mittwoch mit. Die Bodenoperation richte sich nicht gegen Zivilisten in Gaza.

Hinweise, dass derzeit israelische Geiseln in dem Krankenhaus festgehalten werden, gibt es nach Armeeangaben nicht. Man hoffe auf weitere Informationen über sie. Israel wirft der Hamas vor, das Krankenhaus als Kommandozentrale für ihre terroristischen Aktivitäten zu missbrauchen.

Krankenhäuser werden zu letzten Schutzräumen für Zivilisten

Der Direktor des Krankenhauses, Mohammed Zakout, bestätigte laut Berichten arabischer Medien das Eindringen israelischer Soldaten in die chirurgischen und notfallmedizinischen Einrichtungen. Es gebe keine Hinweise auf die Anwesenheit von Hamas-Mitgliedern in dem Krankenhaus während der Operation.

Ein Klinikarzt, Ahmed Muchallalati, berichtete der „Washington Post“ von stundenlangen Schusswechseln und Explosionen rund um die Klinik. Er habe israelische Panzer in Nähe des Gebäudekomplexes gesehen. Unabhängig überprüfen ließen sich diese Angaben am Morgen nicht.

Nach palästinensischen Angaben beherbergt der Komplex rund 650 Patienten, darunter 100 Intensivpatienten sowie 500 medizinische Mitarbeitende. Ferner hielten sich 4.000 Binnenvertriebene dort auf. Aufgrund mangelnder Wasser- und Stromversorgung sowie Kriegsschäden sei das Krankenhaus nicht mehr in Betrieb.

Foto: UN Geneva, via flickr | Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0

Guterres fordert Feuerpause „im Namen der Menschlichkeit“

UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich „zutiefst beunruhigt“ über die Lage in den Krankenhäusern im Gazastreifen. Diese verzeichneten dramatische Verluste an Menschenleben, ließ er mitteilen. „Im Namen der Menschlichkeit fordert der Generalsekretär eine sofortige humanitäre Waffenruhe.“

Israel kritisierte Guterres wegen seiner Rolle im Gaza-Krieg. „Guterres hat es nicht verdient, UN-Chef zu sein“, sagte der israelische Außenminister Eli Cohen. Er habe sich nicht entschieden genug gegen den Terror der Hamas gestellt. „Guterres sollte wie alle freien Nationen klar und laut sagen: ‘Befreit Gaza von der Hamas’», so Cohen weiter.

Foto: Palacio do Planalto, via flickr | Lizenz: CC BY 2.0

Brasilien: Präsident Lula spricht von „Terrorismus“

Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva hat Israel vorgeworfen, im Krieg mit der radikalislamischen Hamas Unschuldige zu töten. Israel begehe „mehrere Akte von Terrorismus“, erklärte er laut Medienberichten (Dienstag) bei einem Empfang für 32 aus dem Gazastreifen geflüchtete Brasilianer in der Hauptstadt Brasilia.

„Israel interessiert nicht, dass die Kinder und Frauen nicht an diesem Krieg teilnehmen. Es interessiert Israel nicht, dass sie statt Soldaten Kinder töten“, sagte der Präsident. Bereits mehr als 5.000 Minderjährige seien in dem Gebiet getötet worden, und weitere 1.500 vermisste würden „mit Sicherheit unter den Trümmern“ liegen, so Lula.

Zuvor hatte er erklärt, dass Tel Avivs Vorgehen in Gaza genauso schwerwiegend sei wie die Terrorattacke der Hamas. Dabei waren am 7. Oktober in Israel rund 1.200 Personen getötet worden. „Bomben auf Kinder und Krankenhäuser zu schmeißen, unter dem Vorwand, dass sich dort Terroristen verstecken, ist unerklärlich“, so Lula mit Blick auf Israels militärische Reaktion.

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Angriff auf Krankenhaus in Gaza: Hunderte Tote und Verletzte

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Nach Angriff auf das Al Ahli Arab-Krankenhaus schieben sich beide Seiten die Schuld zu. Fest steht: Hunderte Menschen starben.

Gaza (dpa, UN Media, KNA, iz). Bei einem Raketenangriff auf das christliche Al Ahli Arab-Hospital in Gaza sind am Dienstagabend Hunderte Menschen getötet und verletzt worden. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde machte die israelische Armee dafür verantwortlich.

Diese wiederum beschuldigte die Organisation „Islamischer Dschihad“ im Gazastreifen. Es habe sich um eine fehlgeleitete Rakete gehandelt. Eine unabhängige Untersuchung des Angriffs steht aus. Die Ereignisse lösten in vielen Ländern der Welt spontane Proteste aus.

Die Weltgesundheitsorganisation verurteilte den Angriff und forderte den sofortigen Schutz der Zivilbevölkerung und der medizinischen Versorgung in der palästinensischen Enklave. „Die WHO verurteilt den Angriff auf das Al Ahli Arab Hospital aufs Schärfste“, sagte der Generaldirektor der UN-Gesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, auf der Social-Media-Plattform X.

Das Hospital war bereits am Samstag bei einem Luftangriff beschädigt worden. Dabei wurden nach Angaben der anglikanischen Kirche vier Menschen verletzt. In einem früheren Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erklärte die Krankenhausdirektorin Suhaila Tarazi, das Haus „basiert auf unserem christlichen Glauben und der Nächstenliebe“. Die Mehrheit des Personals und der Patienten sind Muslime, nicht zu diskriminieren sei Teil der Mission und Vision.

Screenshot: X (Twitter)

Angriff auf Hospital: „Das ist völlig inakzeptabel“

Tareq Abu Azzoum von Al Jazeera berichtete aus Gaza, dass das Areal, in dem der Luftangriff stattfand, „voller Vertriebener“ war. „Dieses Gebiet (in dem die Bombardierung stattfand) ist dicht bevölkert, voller Geschäfte, Wohnhäuser und sogar voller Vertriebener, die ihre Häuser evakuiert haben, nachdem sie von der IOF den Befehl zur Evakuierung erhalten hatten“, so Azzoum.

„Mir fehlen die Worte“, erklärte der UN-Menschenrechtsbeauftragte Volker Türk in der Nacht. Bei dem massiven Angriff auf die Einrichtung seien Patienten, medizinisches Personal und Familien, die dort Zuflucht gesucht hatten, „auf schreckliche Weise“ getötet worden.

„Wieder einmal die Schwächsten. Das ist völlig inakzeptabel.“ Krankenhäuser seien unantastbar und müssten um jeden Preis geschützt werden. „Wir kennen das volle Ausmaß dieses Massakers noch nicht, aber es ist klar, dass die Gewalt und das Morden sofort aufhören müssen“, unterstrich Türk.

Zivilisten müssten geschützt werden, humanitäre Hilfe müsse die Bedürftigen dringend erreichen können, die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, betonte der UN-Beauftragte. Das Gesundheitsministerium im Gazastreifen teilte mit, in der Klinik seien tausende Flüchtlinge aus dem Norden der Küstenenklave untergebracht gewesen.

Foto: ICRC

Evakuierungsaufrufe kann das Gesundheitswesen nicht bewältigen

Das Al Ahli Arab Krankenhaus war betriebsbereit, und Patienten, Gesundheits- und Pflegepersonal sowie Binnenvertriebene seien dort untergebracht gewesen, so die WHO in einer Erklärung. Es war eines von 20 Hospitälern im Norden des Gazastreifens, das von Evakuierungsforderungen des israelischen Militärs betroffen war.

„Der Evakuierungsbefehl konnte angesichts der gegenwärtigen Unsicherheit, des kritischen Zustands vieler Patienten und des Mangels an Krankenwagen, Personal, Bettenkapazität des Gesundheitssystems und alternativen Unterkünften für die Vertriebenen nicht ausgeführt werden“, so die WHO.

Die UN-Organisation appellierte an den sofortigen aktiven Schutz der Zivilbevölkerung und der Gesundheitsversorgung. „Die Evakuierungsbefehle müssen rückgängig gemacht werden. Das humanitäre Völkerrecht muss eingehalten werden, was bedeutet, dass die Gesundheitsversorgung aktiv geschützt werden muss und niemals ins Visier genommen werden darf.“

UN-Generalsekretär Guterres ruft zu Waffenruhe auf

UN-Generalsekretär António Guterres hat zu einer Waffenruhe aufgerufen. „Ich rufe zu einer sofortigen Feuerpause auf, um genug Zeit und Platz bereitzustellen, damit meine beiden Aufrufe realisiert und das epische menschliche Leid gelindert werden kann“, sagte er am Mittwoch in Peking. Damit bezog er sich auf seine Aufrufe an die Hamas, Geiseln freizulassen, und an Israel, humanitäre Hilfe nach Gaza zu lassen.

Guterres reist angesichts der Eskalation der Gewalt nach Kairo. Dort will er nach UN-Angaben ab Donnerstag unter anderem den ägyptischen Staatschef Abdel Fattah al-Sisi treffen, um eine Öffnung des Grenzübergangs Rafah von der Sinai-Halbinsel nach Gaza zu erreichen.

Diplomatische Bemühungen angesichts der Tragödie stark beeinträchtigt

Jordanien hat nach dem Anschlag ein für Mittwoch geplantes Treffen zwischen König Abdullah II. und US-Präsident Joe Biden abgesagt. Das Treffen, an dem auch Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi teilnehmen sollte, werde erst stattfinden, wenn es eine Vereinbarung gebe, den Krieg zu beenden und „diese Massaker“ zu stoppen, sagte Außenminister Aiman al-Safadi dem jordanischen Fernsehsender Al-Mamlaka. Militante Palästinenser und die israelische Armee hatten sich gegenseitig für den Raketenbeschuss verantwortlich gemacht.

Saudi-Arabien verurteilte das „abscheuliche Verbrechen“ aufs Schärfste – und machte Israel dafür verantwortlich, wie es in einer Erklärung des saudischen Außenministeriums hieß. Riad verurteilte die „anhaltenden Angriffe der israelischen Besatzung“ auf Zivilisten. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) gaben Israel die Schuld.

Marokko verurteilte die „Bombardierung“ der Klinik «durch israelische Streitkräfte» ebenso «aufs Schärfste». Zivilisten müssten „von allen Seiten geschützt werden“. Bahrain schloss sich der Kritik am „israelischen Bombenanschlag“ an.

UN Vereinte Nationen

Foto: UN Photo, Evan Schneider

UN-Sicherheitsrat soll sich mit Angriff befassen

Der Weltsicherheitsrat soll sich am Mittwoch mit dem Raketenangriff befassen. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Russland beantragten am Dienstag eine Dringlichkeitssitzung des UN-Gremiums für Mittwochmorgen New Yorker Zeit, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Diplomatenkreisen erfuhr.

Brasilien, das dem Gremium derzeit vorsitzt, bestätigte zudem, dass der Rat in der Sitzung ab 10 Uhr New Yorker Zeit (16 Uhr MESZ) über einen vorliegenden Entwurf für eine Nahost-Resolution abstimmen soll.

Der Text, der auf eine Initiative Brasiliens zurückgeht, fordert neben dem Zugang für humanitäre Hilfe in den Gazastreifen unter anderem, dass Israel – ohne das Land direkt zu nennen – seine Aufforderung zur Evakuierung der Zivilbevölkerung aus dem nördlichen Teil der Küstenregion zurücknimmt. Zudem müssten sich alle Konfliktparteien an das Völkerrecht halten.

Dynamik hilft: Nur diejenigen, die Lösungen anbieten können, werden ernst genommen. Von Eren Güvercin

Zur Abwechslung sollten Muslime die üblichen und längst langweiligen Integrations- und Islamdebatten ignorieren. Durch solch eine lebendige muslimische Zivilgesellschaft, die für etwas Positives steht, können Muslime ihren Beitrag bei existenziellen Fragen leisten.

(iz). Der demografische Wandel, das Auseinanderdriften von Gesellschaftsgruppen und die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich gehören zu den existenziellen Fragen unserer Gesellschaft, die uns in den kommenden Jahren immer mehr beschäftigen werden. Manch ein Politiker predigte vorschnell, dass wir die Finanzkrise schon überwunden hätten, aber schneller als erhofft, werden wir von der Realität wieder eingeholt. Längst ist vielen Menschen klar geworden, dass die sozialen Verwerfungen in unserer Gesellschaft zunehmen werden. Und auch die hier lebenden Muslime sind als Teil der Gesellschaft in der Verantwortung, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen.

Das mag den einen oder anderen Leser überraschen, denn wenn bisher von Muslimen die Rede war, dann oft nur im Kontext von Debatten rund um Integration, Extremismus und albernen Streitigkeiten über Aussagen von Kabarettisten. Häufig geben Muslime und ihre Vertreter dabei die Schuld „den Medien“. Schnell ziehen sie sich in einer Opferhaltung zurück, agieren viel zu wenig, sondern reagieren immer nur auf bestimmte Themen, die ihnen von außen, von so genannten Islamkritikern oder Politikern, die wieder mal ein Wahlkampfthema gefunden haben, aufgedrängt werden.

Zur Abwechslung wäre es nicht schlecht, mal die üblichen und längst langweiligen Integrations- und Islamdebatten zu ignorieren, die Opferhaltung abzulegen und eine souveräne Haltung an den Tag zu legen. Denn der Rechtfertigungsdiskurs, den manche Muslime in diesen Debatten an den Tag legen, ist nicht wirklich hilfreich dabei, Vorurteile abzubauen und auch der Gesellschaft mitzuteilen, dass man hier verortet ist.

Warum also nicht einmal eine muslimische Position zu existenziellen Fragen unserer Gesellschaft formulieren? Gibt es einen Beitrag von deutschen Muslimen zu wichtigen Problemen unserer Gesellschaft? Was sagt der Islam, was sagen die Muslime eigentlich zum demographischen Wandel, zur sozialen Gerechtigkeit, zur Solidarität zwischen Arm und Reich? Die Vertreter der Muslime scheinen derart mit Integrationsdebatten und der Islamkritik beschäftigt zu sein, dass sie kaum über diese relevanten Themen unserer Zeit reflektieren, obwohl es im Islam spannende Anknüpfungspunkte gibt.

Traditionell ist etwa die Moschee die Institution, die das gemeinschaftliche Leben der Muslime prägt. Moscheen sind aber alles andere als nur Gebetsräume, sondern waren in der Geschichte immer lokale Einrichtungen, die sowohl Muslimen als auch Nichtmuslimen bestimmte Dienstleistungen anboten. Rund um den Gebetsraum fanden sich im Moscheekomplex Stiftungen, Märkte, Bibliotheken, Armenküchen, medizinische- und karitative Einrichtungen. Sie waren Zentren einer lebendigen muslimischen Zivilgesellschaft mit spirituellen, sozialen und vor allem ökonomischen Komponenten. Überhaupt spielen ökonomische Fragen in den klassischen Schriften zum Islamischen Recht eine zentrale Rolle.

Eine andere wichtige ökonomische Komponente im Islam ist die Zakat, die für Muslime verpflichtende Abgabe. Dabei geben vermögende Muslime einen bestimmten Prozentsatz in Höhe von 2,5 Prozent von ihrem Ersparten an ärmere Menschen ab. Anders als im Islam eigent­lich vorgesehen, wird heutzutage die Zakat in Deutschland über Hilfsorganisationen ins Ausland transferiert. Es ist aber nach den klassischen Quellen des Islam verpflichtend, die Zakat lokal zu erheben und auch dort zu verteilen, also die Schere zwischen Arm und Reich in der direkten Umgebung damit zu lindern.

Die Entrichtung per Banküberweisung ins Ausland widerspricht dementsprechend dem Geist dieser wichtigen Säule des Islam. Durch die korrekte Entrichtung der Zakat würde die muslimische Gemeinschaft einerseits gestärkt und sozial verwebt werden – und aber auch eine Eigenverantwortlichkeit aufbauen. Die Zakat kann somit durchaus eine entscheidende Rolle in der notwendigen Neuorientierung des sozialen und gemeinschaftlichen Lebens von uns Muslimen in Deutschland spielen und im Aufbau einer lokalen Identität helfen, die nicht von Faktoren aus den Herkunftsländern abhängig ist. Auch führt sie zu mehr Interaktion unter den hier lebenden Muslimen, aber vor allem auch mit der gesamten Gesellschaft. Um die Zakat effizient zu erheben und vor allem zu verteilen, muss man auch die Bedürftigen kennen.

Durch solch eine lebendige, in Deutschland verortete muslimische Zivilgesellschaft, die für Verantwortung, für Solidarität – als etwas Positivem – steht, können Muslime einerseits ihren Beitrag zu existenziellen Fragen unserer Gesellschaft leisten und auch dem nichtmuslimischen Umfeld zeigen, dass der Islam nichts Fremdes ist und eine Bereicherung für die ganze Gesellschaft darstellt, denn ein zivilgesellschaftliches Wohlfahrtsmodell auf Grundlage der muslimischen Stiftungen und der Zakat sind auf die Linderung akuter wirtschaftlicher Not ausgerichtet und bauen mittelfristig neue, vitale Sozialstrukturen auf, die die Last der zukünftigen Herausforderungen unseres Landes mitstemmen.

Daher der Appell an die Muslime: Die beständige Rechtfertigung gegenüber Vorwürfen, muss einer positiven Haltung Platz machen. Nur so kommt der Islam aus der Ecke heraus, in der er zurzeit steht: ein Problem zu sein, nicht Teil einer Lösung. Nur wer Lösungen und Antworten präsentiert, wird ernst genommen. Und nur so kann man auch effektiv bestehende Ressentiments bekämpfen. Dann kann auch von der verbreiteten Opferhaltung Abschied genommen werden. Die absurde Frage, ob der Islam nun Teil Deutschlands sei oder nicht, wäre dann längst obsolet.

Der Text erschien erstmals am 31.10.2014 im Berliner „Tagesspiegel“.

Wie ist die Lage der Menschen in Gaza? Interview mit dem humanitären Helfer Dr. Mahmoud Almadhoun von Islamic Relief

(iz). Während die Zivilbevölkerung im Gazastreifen unter einem erneuten sinnlosen Krieg zu leiden hat, bemühen sich verschiedene internationale Organisationen zumindest um die Linderung der schwierigsten Versorgungsengpässe und der bedrohlichsten Mängel. Dabei müssen sie, wie unabhängige Journalisten, darauf achten, dass sie nicht selbst in die Schusslinie dieses Konfliktes geraten, der sich zu einem Bodenkrieg ausweiten könnte.

Dr. Mahmoud Almadhoun von Islamic Relief ist einer von ihnen. Almadhoun ist seit 2008 als Manager für das Personalwesen und die Qualitätssicherung sowie im Komitee für die Geschäftsführung aktiv. Während er mit einem Team der Hilfsorganisation in deren Kairoer Räumlichkeiten auf Grünes Licht für eine sichere Einreise nach Gaza wartete, sprachen wir mit ihm über die Lage, die Menge der bisherigen Opfer und den Mangel an wichtigen Gütern.

Islamische Zeitung: Sie stehen kurz davor bereit, mit Ihrem Team der Hilfsorganisation Islamic Relief nach Gaza einzureisen. Wie sieht die dortige Lage aus?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Ich bin seit drei Tagen in Kairo damit beschäftigt, die Lage in Gaza zu beurteilen. Eigentlich wollten wir heute mit einem Team nach Gaza fahren, aber wir konnten nicht. Die Sicherheitslage ist so brenzlig geworden, dass es bisher nicht möglich war. Auch aus Telefonaten mit meiner Familie in Gaza wurde deutlich, dass die momentane Lage mit dem Gazakrieg 2009 [die israelische Operationen „Gegossenes Blei“] zu vergleichen ist. Unser Palästina-Büro in Gaza hat uns kontaktiert und uns absolut von einem Kommen abgeraten. Die Lage ist vollkommen unübersichtlich und es bestehen keinerlei Möglichkeiten, den Schutz unserer Sicherheit zu gewährleisten.

Islamische Zeitung: Wie erlebte die Zivilbevölkerung die Angriffe der letzten vier Tage?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Die Situation ist sehr schwierig. Das Leben hat total aufgehört zu funktionieren. Die Kinder gehen nicht zur Schule. Die Leute bleiben zu Hause. Alle Menschen haben Angst und können überhaupt nicht schlafen, weil der kontinuierliche Beschuss aus der Luft und von See seit fünf Tagen sehr stark ist. Die Häuser wackeln genau wie bei einem Erdbeben.

Islamische Zeitung: Ist die Lage mit dem israelischen Angriffen bei der Operation „Gegossenes Blei“ im Jahre 2009 zu vergleichen?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Ja, unbedingt. Ich habe diese Frage mehrfach gestellt, auch unserem Büro von Islamic Relief in Gaza, und es sieht bisher genauso aus wie im Jahre 2009. Es ist noch nicht ganz so stark, aber die Gesamtlage sieht vergleichbar aus.

Islamische Zeitung: Es gibt in Deutschland Medienberichte, die von einem Ende der Aktion sprechen, da Israel angeblich beinahe sämtliche Raketendepots zerstört haben soll. Ist das glaubwürdig oder rechnen die Menschen in Gaza mit einem Einmarsch israelischer Bodentruppen?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Die arabische Webseite von Al Jazeera behauptete heute morgen so ziemlich das Gegenteil. Die israelische Regierung wolle noch weitermachen und hätte zusätzliche Einheiten mobilisiert. Laut Al Jazeera würde sich Israel auf eine Ausweitung der Operationen vorbereiten.

Islamische Zeitung: Gibt es verlässliche Zahlen zu Getöteten und Verletzten der ersten fünf Tage?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Wir wissen von 52 Personen, die bei den Angriffen getötet wurden. Darunter waren 15 Kinder, wobei das jüngste elf Monate als war. Über die Verletztenzahlen habe ich keine genauen Angaben.

Islamische Zeitung: Während der Operation „Gegossenes Blei“ funktionierten ja noch die Krankenhäuser vom Roten Kreuz und vom UNHCR teilweise. Arbeiten sie dieses Mal immer noch?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Doch, sie arbeiten jetzt immer noch.

Islamische Zeitung: Welche Projekte unterhielt Islamic Relief bis jetzt in Palästina?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Islamic Palästina wurde 1998 gegründet und momentan haben wir 102 Mitarbeiter. Augenblicklich betreiben wir 39 Projekte, davon 19 dienen der Nothilfe. 14 widmen sich der Entwicklungshilfe und sechs sind spezifisch auf die Betreuung von Kindern ausgerichtet. Dazu zählt ein Programm für 6.000 Waisen in Gaza. Islamic Relief hat in den letzten Tagen dieser Krise verschiedene Aktionen gestartet. So hat Islamic Relief Worldwide in diesem Zeitraum 1,2 Millionen Euro gesammelt und nach Gaza überwiesen. Dort besteht ein großer Bedarf an Medikamenten und medizinischer Versorgung. Mittlerweile ist eine Spendenkampagne angelaufen, die bis Ende November eine weitere Millionen Euro ergeben soll. Bis zum Ende des Jahres wollen wir diese Summe auf fünf Millionen steigern. Und bis zum Juni des kommenden Jahres soll das Endziel dieser Kampagne bei 20 Millionen Euro liegen. Insbesondere auf dem palästinensischen Gesundheitssektor gibt es einen großen Bedarf. Dieser ist in einem unglaublichen Zustand. Dabei ist nicht nur diese Krise das Problem, sondern wir müssen immer noch mit den Folgen des letzten Krieges fertig werden. Von 2009 bis heute wurde das Ziel der Entwicklung des Gesundheitssektors noch nicht erreicht.

Islamische Zeitung: Es ist seit mehreren Jahren schon der „Normalfall“, dass Gaza von Hilfslieferungen abhängig ist – wegen der Blockade und wegen einer nicht mehr existenten Industrie. Bei welchen Gütern wird es Ihrer Meinung nach die ersten Engpässe geben?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Gestern [Samstag, den 17. November] erhielten wir vom Gesundheitsministerium die Information, wonach 130 Medikamente für Fälle lebensbedrohlicher Krankheiten fehlen. Als Islamic Relief haben wir eine Liste von solchen Präparaten bekommen und möchten sie gerne mit Hilfe verschiedener Organisationen und Partner bearbeiten. Ein zweiter notwendiger Aspekt ist das Fehlen benzin- oder solargetriebene Notstromaggregate. Derzeit reichen die Kapazitäten nur für drei Tage. Danach können wir keinen Strom mehr bekommen. Das heißt, das die Krankenhäuser ohne Strom nicht mehr optimal werden funktionieren können. Islamic Relief unterstützt im Augenblick das Krankenhaus Asch-Schifa voll. Wenn man dort eintrifft, sieht man dort auch unser Logo. Islamic Relief Palästina hat sich insbesondere der Arbeit auf dem Gebiet der Gesundheit – allen voran den Krankenhäusern – gewidmet.

Islamische Zeitung: Wie sieht es bei der Versorgung mit Lebensmitteln aus?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Die Lebensmittelversorgung hängt von der Lage an den Grenzen ab. Wenn diese geschlossen sind, kommt keine Nahrung nach Gaza. Die Lebensmittel werden entweder in Ägypten oder stellenweise auch in Israel gekauft. Der Versorgungslage ist schwierig; auch, weil alle Leute jetzt versuchen, so viel wie möglich zu kaufen, um für eine Verschärfung der Lage gewappnet zu sein. Bereits jetzt gibt es einen Mangel.

Islamische Zeitung: Die israelische Luftwaffe hat bereits hunderte Angriffe geflogen. Inwieweit wurde auch die Infrastruktur von Gaza in Mitleidenschaft gezogen?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Egal, welche Art die Ziele der Angriffe sind, es bleibt nicht ausgeschlossen, dass alles andere mit betroffen sein wird. Ein Team von Islamic Relief war in einem Supermarkt während einer Beschießung ganz in der Nähe. Das war einer der Gründe, warum wir bisher nicht einreisten. Man weiß nicht genau, wo die Einschläge treffen werden.

Islamische Zeitung: Liegt dies auch an der Schwierigkeit, militärische und zivile Ziele auseinander zu halten, wenn beispielsweise Waffen in Wohngebieten gelagert werden?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Ja, und ich glaube, dass es sehr schwierig ist, wenn einzelne Personen das Ziel sind.

Islamische Zeitung: Wie ist die Stimmungslage in Gaza?

Dr. Mahmoud Almadhoun: Ehrlich gesagt kann ich nur von der Warte der Helfer aus berichten, habe aber einiges von meiner Familie gehört. Die Leute hoffen natürlich, dass alles gut ausgehen wird. Unsere Sorge als Islamic Relief gilt der Kampagne zur Unterstützung der Menschen in Gaza.

Islamische Zeitung: Arbeiten Sie mit internationalen Partnern in Gaza zusammen?

Dr. Mahmoud Almadhoun: In solchen Fällen, bei denen die Lage sehr schlecht ist, arbeiten wir mit UN-Organisationen und dem Roten Kreuz zusammen. Die internationalen Helfern bilden solchen Fällen Komitees, weil die Aufgaben in solchen Krisen nicht von einzelnen zu bewältigen sind.

Islamische Zeitung: Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Webseite von Islamic Relief:
www.islamicrelief.de

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