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Die CDU empört sich über Wahlspot, aber problematisiert politisch aktive Muslime

Tabubruch, schmutzige Wahlkampf, Angriff auf Religionsfreiheit: Nach der Kritik eines katholischen Laschet-Vertrauten in einem SPD-Wahlwerbespot, kennt die konservative Empörungsbubble kein Halten. Dabei gehören Angriffe auf die Religionszugehörigkeit von Menschen bei der CDU zum Alltag.

(iz). Wahlkampfzeiten sind auch immer Festivals der Doppelmoral. Da werden dem politischen Gegner Missstände vorgeworfen, die die eigene Partei selbst verbockt hat. Da wird die konkurrierende Kandidatin mit Schmutz beworfen – im vollen Wissen, dass die Leichen im eigenen Keller nur einen illoyalen Genossen, einen investigativen Journalisten von der nächsten Titelseite entfernt sind.

Soweit, so gewöhnlich. Was allerdings die CDU in diesem Wahlkampf an Bigotterie aufgeboten hat, lässt selbst erfahrene Politik-Frustrierte ungläubig zurück. Grund der geheuchelten Aufregung: In einem Wahlwerbespot hatte die SPD CDU-Politiker gedisst: Laschet, Merz, Maaßen sowie der bisher wenig bekannte Nathanael Liminski. Ein – so erklärte die Stimme aus dem Off – „erzkatholischer Laschet-Vertrauter, für den Sex vor der Ehe ein Tabu ist“.

Nun kann man darüber streiten, wie wichtig die Einstellung eines Düsseldorfer Staatskanzleichefs zum außerehelichen Geschlechtsakt für die Zukunft Deutschlands ist. Zumal es unzählige bessere Möglichkeiten gibt, um Liminski als christlich-reaktionären Hillbilly zu sehen: sein langjähriger Anti-Abtreibungskaktivismus, die Gründung einer Organisation, die Deutschland „rekatholisieren“ will, die Vermittlung eines AfD-nahen Vereins in den WDR-Rundfunkrat und und und.

Worüber sich aber nicht streiten lässt, ist die Verlogenheit, mit der sich das CDU-Establishment anschließend empörte. Von Tabubruch war die Rede. Von Schmutzwahlkampf. Vom einmaligen Angriff auf die Religionsfreiheit. Doch das vermeintliche Tabu „Religion nicht für den Wahlkampf zu missbrauchen“ – wie es CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak formulierte – brechen CDU-Politiker ständig. Zum Beispiel Paul Ziemiak selbst: Der schloss sich im Wahlkampf 2017 der Forderung nach einem Islamgesetz an und stellte damit nicht nur einen Politiker, sondern gleich fünfeinhalb Millionen Menschen allein wegen ihrer Religion unter Verdacht.

Einen „Tabubruch, den ich unter Demokraten nicht für möglich gehalten hätte“, machte auch Günter Krings aus. „Dass höchstpersönliche Themen und religiöse Überzeugungen zum Gegenstand politischer Angriffe gemacht werden, hat es in der Nachkriegszeit so noch nicht gegeben“, erklärte der Vorsitzende der CDU-Landesgruppe NRW im Bundestag gegenüber dem „Kölner Stadtanzeiger“. Sollte Krings nicht den Afghanistankrieg gemeint haben, liegt er mit dieser Einschätzung allerdings ebenfalls daneben.

Denn noch 2015 gehörte Krings selbst zu den Initiatoren eines CDU-Papiers „für einen Islam mitteleuropäischer Prägung“. In völliger Missachtung des grundgesetzlich gesicherten religiösen Selbstbestimmungsrechts bastelten sich Krings und Kollegen in dem Papier ihren Wunschislam. Dass Religion für Krings nur im Falle katholischer CDU-Politiker, nicht aber bei Muslimen ein „höchstpersönliches Thema“ ist, machte schon die Überschrift des Dokuments deutlich: „Religion ist keine Privatsache.“

Während die sehr realen christlich-reaktionären Einflüsse auf die Politik von Laschet-Vertrautem Nathanael Liminski vielen CDU-Politikern als Privatsache und damit nicht zu kritisieren gelten, reicht den Konservativen schon die bloße Vorstellung eines muslimischen Politikers, um auf die Barrikaden zu gehen.

Als der Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag Ralph Brinkhaus 2019 in einem Interview eher beiläufig auf eine Frage antwortete, dass er sich auch einen muslimischen Bundeskanzler vorstellen könnte, folgte eine Welle der Empörung: Unter der BILD-Schlagzeile „Aufruhr um Moslem als CDU-Kanzler“ standen CDU-Politiker Schlange, um sich von ihrem Parteikollegen und der Vorstellung eines muslimischen Regierungschefs zu distanzieren.

Ein Union-Kanzlerkandidat müsse „christdemokratische Werte vertreten und sich Deutschland zugehörig fühlen“, erklärte auch CDU-Innenpolitiker Christoph de Vries und stellte umgehend klar, wen er damit nicht meinte: „Dies gilt in gleichem Maße leider nicht für einen größeren Teil der Muslime“. Schließlich würden „die einem religiösen Fundamentalismus nacheifern und sich ausländischen Staatschefs verbunden fühlen.“

Der Hamburger Bundestagsabgeordnete De Vries ist so etwas wie der Beauftragte der CDU für inflationäre Islamismus-Vorwürfe und die Ausgrenzung von Muslimen aus dem öffentlichen Leben. Als Autor des im April dieses Jahres veröffentlichten Positionspapiers zum „Politischen Islam“ ist de Vries hauptverantwortlich dafür, dass die CDU mittlerweile so ziemlich jedes muslimische politische Engagement zum „Politischen Islam“ und damit zum Extremismus verklärt.

Gegenüber christlichen Hardlinern zeigt sich aber auch de Vries tolerant und solidarisch. Von einem „Schmutzwahlkampf der SPD unter der Gürtellinie“ und „AfD-Style“, tweetete der Katholik infolge des SPD-Wahlspots. Auch er erklärte: Liminskis Ablehnung von Sex vor der Ehe, sei dessen „höchstpersönliche Einstellung“.  Von so viel Verständnis gegenüber ihren religiösen Werten und Normen können Muslime nur träumen.  Als Merkmal islamistischer Bedrohungen identifizierte de Vries im erwähnten Positionspapier unter anderem Folgendes: „Die umfassende Reglementierung der Lebensführung von Musliminnen und Muslimen anhand der Kategorien des Erlaubten (halal) und des Verbotenen (haram).“

Wäre Nathanael Liminski Muslim, er hätte von der CDU vielleicht keinen kritischen Wahlwerbespot zu befürchten. Stattdessen würde er wohl gleich auf der Liste islamistischer Gefährder landen.

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Zweifel an Verfassungstreue von Petry & Co.

Auf Flüchtlinge an der Grenze schießen lassen – steht jemand, der das fordert, noch auf dem Boden der deutschen Rechtsordnung? Mancher Politiker hat da seine Zweifel. Und hält die AfD für einen Fall für den Verfassungsschutz.
Berlin (dpa) – Die Kritik an der AfD wegen Äußerungen ihrer Führung zum Schusswaffeneinsatz gegen Flüchtlinge an der Grenze ebbt nicht ab. „Die AfD zeigt einmal mehr ihr wahres Gesicht“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Max Straubinger, in Berlin. Mit Schusswaffen gegen Flüchtlinge an der Grenze vorzugehen, sei an Zynismus nicht zu überbieten. „Es sind Einlassungen wie diese, die das gesellschaftliche Klima in Deutschland vergiften und das radikale Gedankengut der AfD offenbaren.“
Die Vorsitzende der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland, Frauke Petry, hatte dem „Mannheimer Morgen“ gesagt, Polizisten müssten illegalen Grenzübertritt verhindern, und dabei „notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen. So steht es im Gesetz“.
Ihre Stellvertreterin Beatrix von Storch legte später auf Facebook nach. „Wollt Ihr etwa Frauen mit Kindern an der grünen Wiese den Zutritt mit Waffengewalt verhindern?“, wurde sie in dem sozialen Netzwerk gefragt. Storch antwortete knapp mit „Ja“, ruderte später aber etwas zurück: „Gegen Kinder ist der Schusswaffeneinsatz richtigerweise nicht zulässig. Frauen sind anders als Kinder verständig.“
Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet sagte „Spiegel Online“, die AfD verletze Prinzipien wie die Würde des Menschen, die Verhältnismäßigkeit der Mittel und den Respekt vor dem Leben. „Sie entwickelt sich zu einer Partei, die das Grundgesetz, die Werte unseres Landes und der Zivilisation verrät.“
Unionsfraktionschef Volker Kauder warf der AfD-Führung in der „Süddeutschen Zeitung“ (Montag) eine „unmenschliche Haltung“ vor: „Die Äußerungen von Frau Petry sind rundum entlarvend: Sie zeigen die wahre Gesinnung der AfD-Führung, ihre ganze Verachtung für die Menschen, die vor Krieg und Vertreibung bei uns Zuflucht suchen.“
Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach sagte der „Rheinischen Post“ (Montag): „Der Einsatz von Schusswaffen gegen die Flüchtlinge an der Grenze wäre völlig absurd und nicht rechtens.“
Aus Sicht der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt muss der Verfassungsschutz tätig werden. „Der Verfassungsschutz sollte prüfen, inwieweit Teile der AfD die Voraussetzung einer Beobachtung erfüllen“, sagte sie „Spiegel Online“. „Es ist äußerst fraglich, ob eine Partei, die Flüchtlinge an der Grenze erschießen will und Rassentheorien in die Welt posaunt, ein Teil unseres demokratischen Systems sein kann und sein will.“ Der Grünen-Innenpolitiker Volker Beck argumentierte in der „Welt“ (Montag) ähnlich: „Das sind Feinde des Rechtsstaates.“
Auch der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hatte am Wochenende dafür plädiert, die AfD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Dafür erntete er Kritik aus den Reihen der Linkspartei: „Das ist mal wieder typischer Gabriel-Aktionismus“, sagte Linken-Fraktionsvize Jan Korte der „Welt“. „Sinnvoller wäre es, wenn der Vizekanzler nicht jede Woche eine Forderung der AfD wie beim jüngsten Anti-Asylpaket erfüllen würde.“
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