,

Leipziger Autoritarismus-Studie: Weniger rechtsextreme Einstellungen, aber mehr Vorbehalte

gesellscha

Seit zwanzig Jahren untersuchen Forscher in den Leipziger Autoritarismus-Studien, wie es um radikale Tendenzen in Deutschland bestellt ist. Die Wissenschaftler vermelden positive Tendenzen – aber nicht nur. Viele sehen sich im politischen Prozess abgehängt. Von Martina Herzog und Anne-Béatrice Clasmann

Berlin (dpa). Rechtsextreme Einstellungen sind in Deutschland laut einer Studie aktuell weniger stark verbreitet als vor zwei Jahren. Die Autoren der Leipziger Autoritarismus-Studie, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, sehen die Gesellschaft dennoch im Krisenmodus. Wie das Team um die beiden Psychologen Oliver Decker und Elmar Brähler feststellt, sind zwar 82 Prozent der Bürgerinnen und Bürger mit der verfassungsmäßigen Demokratie zufrieden. Bei einer repräsentativen Befragung zwischen März und Mai dieses Jahres war jedoch nur gerade die Hälfte mit der demokratischen Alltagspraxis zufrieden.

Durch die Corona-Pandemie und den russischen Angriffskrieg in der Ukraine seien die Verantwortlichen in Bund und Ländern zwar gestärkt. Ihr Handeln finde auch breite Zustimmung. Diese „autoritäre Sicherheit“ habe aber einen Preis. Ohnmachtsgefühle und die Einschränkungen des eigenen Lebens würden akzeptiert, führten aber auch „zu einer Steigerung der Aggressionen“. Rechtsextreme Einstellungen träten zwar in den Hintergrund, andere „antidemokratische Motive“ gewännen gleichzeitig aber an Bedeutung.

Der Studie zufolge ist fast jeder Zweite (46,6 Prozent) in Ostdeutschland der Auffassung, „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden“. In Westdeutschland vertreten demnach knapp 24 Prozent der Menschen diese Meinung. Etwa genauso viele Menschen im Westen haben laut Studie Vorbehalte gegen Sinti und Roma. Im Osten Deutschlands liegt dieser Wert bei knapp 55 Prozent. Einen Anstieg beobachteten die Forscher bei der Auswertung der Ergebnisse der Befragung, die alle zwei Jahre stattfindet, auch bei antifeministischen Einstellungen. Den Angaben zufolge waren 27 Prozent der Befragten der Ansicht, dass Frauen, „die mit ihren Forderungen zu weit gehen, sich nicht wundern müssen, wenn sie wieder in ihre Schranken gewiesen werden“.

In der Studie heißt es außerdem: „Wir finden autoritäre Reaktionen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie nicht allein an erwartbarer Stelle – den Milieus mit Verschwörungsglauben –, sondern auch weit darüber hinaus.“ Durch die Proteste gegen die Präventionsmaßnahmen der Bundesregierung seien Verschwörungserzählungen zur Grundlage einer breiten Mobilisierung geworden. „Sie wurden von organisierten Rechtsextremen genutzt, fanden aber auch in anderen politischen Milieus Anklang.“ Wie „Ausländerfeindlichkeit, Antifeminismus und Antisemitismus“ so seien auch die mit der Pandemie verbundenen „Verschwörungserzählungen eine Brückenideologie, welche verschiedene antidemokratische Milieus miteinander verbindet“.

Die Stärkung der Exekutive in der Pandemie habe zu einer höheren Zufriedenheit mit der Regierung geführt, sagte Co-Autor Decker. Unterstützer der Corona-Maßnahmen hätten die Regierung wie auch die Wissenschaft als positive Autorität erlebt und sich mit den Vorkehrungen identifiziert. Doch ein Teil der Geimpften hege gegenüber Ungeimpften Aggressionen. Der Wunsch nach harten Strafen zeige ein „autoritäres und damit ebenfalls antidemokratisches Potenzial“, heißt es in der Studie. Manifeste, also ausdrückliche, autoritäre Aggressionen gegen Ungeimpfte seien bei fast jedem fünften Geimpften zu finden. „Doch müssen wir im Rückblick feststellen, dass diese Wut auf die Ungeimpften weniger von der Realität gestützt war als von einem Bedürfnis nach Handlungsfähigkeit, das sich in der Personifizierung des Problems in einer gesellschaftlichen Gruppe äußerte.“

Die Zustimmung zur verfassungsmäßigen Demokratie ist im Osten seit der vorherigen Befragung im Jahr 2020 sprunghaft angestiegen auf über 90 Prozent – ein Zuwachs um mehr als 25 Prozentpunkte. Im Westen blieb der Wert ungefähr gleich bei um die 80 Prozent. Dabei gilt aber: Je abstrakter nach der Demokratie als Konzept gefragt wird, desto größer die Zustimmung. Die „Demokratie, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland funktioniert“, fand nur noch bei 58,8 Prozent der Befragten Zustimmung.

Gleichzeitig haben viele Menschen das Gefühl, selbst nicht politisch mit gestalten zu können. Nur etwa jeder Vierte ist überzeugt, Einfluss auf Regierungsentscheidungen nehmen zu können, nur ein Drittel sieht Sinn in eigenem politischem Engagement, wobei sich im Osten mehr Menschen ohnmächtig fühlen als im Westen. Die Möglichkeiten zur demokratischen Teilhabe gingen zurück, sagte Co-Autor Decker. Die Bereiche, in denen Menschen einen Großteil ihres Lebens verbrächten wie Schule oder Arbeit seien hierarchisch organisiert. Es sei wichtig, hier Möglichkeiten zur Mitbestimmung zu schaffen.

* Unter dem Titel „Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten“ legen Wissenschaftler der Universität Leipzig bereits die elfte Untersuchung dieser Art zu politischen und antidemokratischen Einstellungen in Deutschland seit 2002 vor. Die Untersuchung erscheint im Zweijahres-Rhythmus, sie wird von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung und der Otto Brenner Stiftung der IG Metall unterstützt.

Urteil: Muslimische Schülerin muss mit Jungen schwimmen lernen

(KNA). Muslimische Schülerinnen müssen auch am gemeinsamen Schwimmunterricht von Jungen und Mädchen teilnehmen. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht am Mittwoch in Leipzig. Die Richter des 6. Senats erklärten, es sei Mädchen in solchen Fällen zumutbar, einen sogenannten Burkini zu tragen, einen nur Gesicht und Hände freilassenden Ganzkörperbadeanzug. Damit blieben die muslimischen Kleidungsvorschriften gewahrt. Wer diese Ausweichmöglichkeit ausschlage, habe keinen Anspruch auf Befreiung. (BVerwG 6 C 25.12 – Urteil vom 11. September 2013)

Klägerin in dem Verfahren war eine 13-jährige Schülerin aus Frankfurt am Main. Sie hatte sich vor zwei Jahren geweigert, zusammen mit den Jungen ihrer Gymnasialklasse am Schwimmunterricht teilzunehmen. Das Tragen eines Burkinis lehnte sie mit der Begründung ab, das Kleidungsstück stigmatisiere sie und führe zu Ausgrenzungen. Diese Begründung war nach der Entscheidung der Richter nicht ausreichend genug für eine Befreiung, auch weil die Schülerin ein Gymnasium mit hohem Anteil an Muslimen besuche.

Die Klägerin führte zudem an, dass es ihre Glaubensregeln und ihr Schamgefühl verletze, Jungen in Badehosen sehen zu müssen. Die obersten Verwaltungsrichter führten dagegen an, dass dieser Anblick nur eine „geringfügige Verletzung“ ihrer Religionsfreiheit darstelle. In Deutschland gehöre eine derartige Freizügigkeit zum Alltag im Sommer oder auf Werbeplakaten. Aus dem Grundrecht auf Glaubensfreiheit sei kein Anspruch darauf abzuleiten, in der Schule nicht mit den Verhaltens- und Kleidungsgewohnheiten anderer Menschen konfrontiert zu werden, die allgemein üblich seien.

Mit ihrer Klage auf Befreiung vom Schwimmunterricht aus religiösen Gründen war die Schülerin bereits in zwei Vorinstanzen gescheitert, zuletzt vor dem hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel. Dessen Urteil schloss sich das Bundesverwaltungsgericht jetzt an. Es behandelte erstmalig einen Streit um koedukativen Sportunterricht.

Die Klägerin erklärte, sie akzeptiere das Urteil. Es könne sie dennoch niemand zur Teilnahme am gemeinsamen Schwimmunterricht mit Jungen zwingen. Sie habe die Klage angestrengt, da es zu den Geboten ihrer Religion gehöre, die Wahrheit zu sagen. Sie wolle nicht lügen müssen, um dem Schwimmunterricht fernzubleiben. In der 9. Klasse steht für die Schülerin erneut Schwimmen auf dem Lehrplan.

Die Unions-Bundestagsfraktion begrüßte das Urteil. Es diene der Integration von Menschen verschiedener Herkunft und Religion. Der Verband Bildung und Erziehung betonte, das Urteil gebe den Schulen mehr Sicherheit bei der Planung ihres Unterrichts.

Leipziger Ausstellung will den Blick auf die Buchkultur der frühen islamischen Zeit lenken. Von Katrin Zinoun

(iz). Die Ausstellung „Ein Garten im Ärmel – Islamische Buchkultur“ wurde am 10.Juli in der Universitätsbibliothek Leipzig eröffnet. 45 Handschriften aus der reichhaltigen Sammlung der Bibliothek werden noch bis zum […]

IZ+

Weiterlesen mit dem IZ+ (Monatsabo)

Mit unserem digitalen Abonnement IZ+ (Monatsabo) können Sie weitere Hintergrundbeiträge, Analysen und Interviews abrufen. Gegen einen Monatsbeitrag von 3,50 € können Sie das erweiterte Angebot der Islamischen Zeitung sowie das ständig wachsende Archiv nutzen.

Abonnenten der IZ-Print sparen beim IZ+ Abo 50%.

Wenn Sie bereits IZ+ Abonnent sind können Sie sich hier einloggen.

* Einfach, schnell und sicher bezahlen per Paypal, Kredit-Karte, Lastschrift oder Banküberweisung. Das IZ+ Abo verlängert sich automatisch um einen Monat, wenn es nicht vorher gekündigt wurde. Sie können ihr bestehendes Abo jederzeit auf der Mein Konto-Seite kündigen.