Zum Hintergrund der jüngsten Übergriffe auf Moscheen. Interview mit der Medienwissenschaftlerin Dr. Sabine Schiffer

(iz). Vor Kurzem wurde bekannt, dass vier Moscheen an unterschiedlichen Orten zum Ziel anti-muslimischer Übergriffe wurden. Trotz muslimischer Stellungnahmen dazu erreichte das ­Thema entgegen der Schwere der Vorgänge nur die Seiten einiger Lokalblätter sowie von Muslimen betriebene Webseiten.

Die IZ sprach mit der Medienwissenschaftlerin Dr. Sabine Schiffer über den Zusammenhang zwischen medialer Muslimfeindlichkeit und solchen Übergriffen. Wir fragten nach den Mechanismen der öffentlichen Islamkritik, wollten wissen, wie groß die Fähigkeit zur Selbstkritik unter Deutschlands Qualitätsmedien ist und reflektieren über die Möglich­keit, ob und wie anti-muslimische Webseiten einer stärkeren Kontrolle unterzogen werden. Dr. Schiffer sieht „Zitierzirkel“, die am Fortbestand und der Verfestigung von Vorurteilen beteiligt sind. Abschließend beleuchten wir mit der Expertin die Möglichkeit, ob und wie Muslime Gegenstrategien entwickeln können, solange sie – wie bisher – keine Diskurshoheit in den Mainstreammedien haben.

Islamische Zeitung: Frau Dr. Schiffer, in den letzten Tagen wurde bekannt, dass es Übergriffe auf vier unterschiedliche Moscheegemeinden gab. Viele Muslime sehen Zusammenhänge zwischen solchen Taten und einer medial präsenten „Islamkritik“ unterschiedlicher Färbung. Erkennen Sie als Medienwissenschaftlerin hier einen Zusammenhang?

Dr. Sabine Schiffer: Ja, wir sehen hier einen Zusammenhang und warnen davor bereits seit Langem.

Islamische Zeitung: Wie genau funktioniert dieser Zusammenhang zwischen den Segmenten der medialen Muslimfeindlichkeit und dieser ideologischen Kriminalität?

Dr. Sabine Schiffer: Die so genannte „Islamkritik“, die oft weit über Religionskritik hinausgeht, führt zu einer regelrechten Dämonisierung aller Muslime und schürt Ängste. Sie wird in Teilen der allgemeinen Medien seit Langem, extrem im Internet und jetzt auch auf der Straße in Form von ­Infoständen ausgefochten. Das ist gewissermaßen eine Dauerberieselung, die bei einigen verfängt und Ängste auslöst. Es ist immer wieder so wie das, was wir von den Anschlägen von vor 20 Jahren kennen [Solingen], sodass sich gerade junge Leute aufgefordert fühlen, endlich mal etwas zu tun, während die Alten nur reden. Der Ausgrenzungscharakter ­solcher diffamierenden Debatten wird sehr oft unterschätzt.

Islamische Zeitung: Gilt das für alle Erscheinungen, die unter „Islamkritik“ firmieren, oder gibt es eine Grenze zwischen legitimer Meinung und Diffamierung?

Dr. Sabine Schiffer: Natürlich gibt es solche Grenzen. Die Frage ist aber, ob noch zwischen beidem ­unterschieden wird. Geht es wirklich um Religionskritik? Das ist ja normalerweise kein Thema öffentlicher Debatten. Währenddessen gibt es Muster bei der Äuße­rung bestimmter Themen, deren ­Kritik oft berechtigt ist. Deren Fokus aber ist ein anderer. Sehr oft werden ­allgemeine Missstände wie Gewalt, Terror, Krieg, Frauenunterdrückung oder Antisemitismus, die auf der ganzen Welt zu beklagen sind, einfach Muslimen allein zugewiesen. Derart wird eine kleine Verschwörungstheorie konstruiert, so als müsse man gegen Islam und Muslime vorgehen, um diese Probleme zu beseiti­gen. Hier haben diese Kritik beziehungs­weise die allgemeine Religionsdiffamierung eine Funktion, die man in einem solchen Moment erkennen muss. ­Dabei werden immer wieder zu verallgemeinernde Klischees in den Raum gestellt und wiederholt, sodass ich glaube, dass die öffentliche Debatte ein bisschen kritischer betrachtet werden müsste.

Islamische Zeitung: Jüngst veröffentlichten Medienwissenschaftler Studien, in denen sie das Maß der Selbstkritik in der Medienarbeit untersuchten. Das Ergebnis sah nicht so gut aus… Gibt es Reflexion in Medien, was Veröffentlichungen über den ­Islam auslösen können?

Dr. Sabine Schiffer: So wenig, wie es „den Islam“ gibt, so wenig gibt es „den Journalisten“ oder „die Medien“. Viele stellen selbstkritische Fragen. Aber es gibt auch einige, die dadurch auffallen, dass sie eine ganz starke Tradition einer bestimmten Ausrichtung pflegen. Insofern herrscht ein bisschen der Ruch, dass ja nur über Fakten berichtet werde. Es wird aber nur selten überprüft, ob diese ­Fakten überhaupt relevant für den vorliegenden Sachverhalt sind. Wenn ich dies immer zusammen konstruiere, dann suggeriere ich natürlich Zusammenhänge, die vielleicht bei etwas umfassenderer Betrachtung gar nicht als etwas spezifisch musli­misches oder islamisches erkennbar wären. Hier gibt es Leute, die das reflektie­ren, und es gibt solche, die eine Reflektion verweigern. Sie halten sich für sehr gut informiert und entwickeln daher sowieso eine gewisse Barriere, die Dinge selbstkritisch zu betrachten. Studien belegen dies. Auch die Fähigkeit der Kolle­gen untereinander, in öffentlichen Debatten tatsächlich Dinge und Kollegen in Frage zu stellen, ist gerade in Deutschland eher selten ausgeprägt.

Islamische Zeitung: Gelegentlich drängt sich der Eindruck auf, dass Behauptungen, die ihren Ursprung in Meinungen haben (wie „der Islam unterdrückt Frauen“) gerade in letzter Zeit zu nicht hinterfragten Fakten geworden sind. Ist das ein Problem?

Dr. Sabine Schiffer: Ja, das ist wohl richtig. Aus Vorurteilen sind inzwischen feste Wissensstrukturen geworden, die dann auch gar nicht mehr hinterfragt werden. Gerade beim Thema Frauen herrscht bei sehr vielen Leuten eine ganz feste Vorstellung. Diese wurde in den letzten Jahren durch derlei Debatten noch weiter verfestigt. Da die Benachtei­ligung von Frauen ein allgemeines Phänomen ist, fehlt zwar die Spezifik, aber entsprechende Beispiele werden trotzdem traditionell Muslimen zugewiesen, weil Muslime im Fokus der Debatte stehen und nicht alle, die Frauen unterdrücken.

Das ist ein Phänomen der Feindbildkonstruktion. Man sollte ganz klar erken­nen, dass wir es hier mit einer tiefsitzen­den rassistischen Struktur zu tun haben, die eben Feindbildcharakter hat.

Islamische Zeitung: Welche Rolle spielen Aktivisten, die öffentlich als Experten oder objektiv schreibende Journalisten wahrgenommen werden?

Dr. Sabine Schiffer: Es gibt natürlich gewisse, zu beobachtende Zitierzirkel, in denen sich kolportierte Meinungen von einflussreichen Leuten ­verselbstständigen, wobei die Gegenstimmen schnell unter­gehen. Insofern haben wir keine gleichwertige Debatte zwischen einzelnen Meinungen, sondern ganz starke Kräfte, die bestimmte Dinge veröffentlichen können; und andere eben nicht.

Andererseits fehlt in Sachen Strafverfolgung von behördlicher und politischer Seite eine Gleichbetrachtung der Dinge. Man sollte alle bedrohten Menschen schützen und nicht nur bestimmte Opfergruppen als solche festlegen, wobei andere nach dem Motto ignoriert werden: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Hier wird ein Potential unterschätzt, dessen extremste Ausformungen sich in Norwegen beobachten ließen.

Islamische Zeitung: Ist es ein Fortschritt, dass bestimmte Landesverfassungsschutzämter anfingen, bestimmte muslimfeindliche Webseiten und Newsgroups zu beobachten?

Dr. Sabine Schiffer: Zunächst ja, aber wenn der oberste Dienstherr des „Verfassungsschutzes“ erklärt, dass man den wichtigsten Hetzblog nicht beobachtet, weil man den Islam nicht lieben müsse, dann ist das natürlich ein ganz starkes Signal. Es wird in den entsprechenden Kreisen wahrgenommen und auch gelobt. Da fühlt man sich bestätigt.

Wir hätten längst aus den Anschlägen vor 20 Jahren lernen müssen, dass solche Äuße­rungen aus der politischen Mitte den rechtsextremen Rand stärken, dass der Rassismus der Mitte die Ränder stärkt und die Extremisten irgendwie ermutigt, dann aktiv zu werden. Wir sehen das an den zunehmenden Anschlägen auf Einrichtungen, die ganz klar als ­muslimische erkennbar sind.

Islamische Zeitung: Sie haben eben vom rechten Rand gesprochen. Oft wird die kritisierte Islamkritik mit den Vokabeln rechts, rechtsextrem oder rechtspopulistisch in Verbindung gebracht. Dieses Phänomen findet sich – Stichwort Kritische Islamkonferenz oder Zentralrat der Ex-Muslime – auch bei Leuten, die gemeinhin als Linke wahrgenommen werden. Ist das nicht ein simples Beschreibungsmuster?

Dr. Sabine Schiffer: Da haben Sie Recht. Die Verlagerung an den rechten Rand suggeriert ein bisschen, dass die Gesellschaft an sich immun sei und funktioniere und dass es nur rechts ein Problem gäbe. Hier handelt es sich auch darum, eine Projektionsfläche zu haben. Wir haben es hier mit einem ganz breiten Phänomen zu tun und das ist genau das Problem, warum es politisch so anschlussfähig ist. Teilweise wird es auch von politischen Gruppierungen und Strömungen ausgenutzt.

Islamische Zeitung: Haben Sie Ratschläge, wie Muslime und/oder ihre Interessenvertretungen im Rahmen eigener Medienstrategien etwas tun können? Sehen Sie hier Potenziale?

Dr. Sabine Schiffer: Ehrlich gesagt sehe ich da kein großes Potenzial, weil sie nicht entscheiden, was in den Mainstreammedien erscheint. So erschien zu den Anschlägen auf die Moscheen nichts beim ZDF oder bei der Tagesschau.

Die Presseerklärung des KRM fand ein Echo bei Lokalzeitungen; ich nehme an, nicht auf deren Titelseiten. Insofern ­haben wir es hier mit einer Diskurshierarchie zu tun. Hier Einfluss zu nehmen, ist sehr, sehr schwierig.

Eine Strategie wären sicherlich, Bündnisse mit rassismuskritischen Organisationen und deutlich zu machen, dass es sich hier nicht um eine ganz besondere Form von Rassismus handelt, sondern eine wie andere Rassismen auch. Über die Zusammenarbeit mit solchen Bündnissen lassen sich Leute werben, die diese Problematik jetzt schon ernstnehmen. Ich denke, die Zielgruppe muss ganz klar die Zivilgesellschaft sein, denn von politischer Seite hätten sich bisher schon klare Akzente setzen lassen.

Islamische Zeitung: Angesichts des stellenweise phänomenalen Erfolges, den kleine Teams oder Einzelpersonen haben, auch ohne große Mittel Gegenöffentlichkeit herzustellen, sollte es möglich sein, koordiniert etwas auf die Beine zu stellen…

Dr. Sabine Schiffer: Es bleibt das Problem zu lösen, dass Betroffene sehr oft als unglaubwürdig wahrgenommen werden, da sie ja im eigenen Interesse sprechen. Zudem erkennt das Unterbewusstsein Verneinung nicht, das heißt, dass oftmals eine Wiederholung der Klischees stattfindet – mehr nicht. Hier könnten wir aus dem antisemitischen Diskurs Ende des 19. Jahrhunderts lernen, wie es nicht geht.

Was die neuen Medien anbelangt, gibt es da natürlich Potenziale, aber die nutzen auch andere – und die erreichen nur bestimmte, eingeschränkte Zielgruppen. Wie aber die Mainstreammedien zu gewinnen sind für eine menschenfreundlichere und repräsentativere Darstellung, das bleibt eine wichtige Frage, die wiederum auch andere Themen betrifft.

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