„IZ-Begegnung“ mit dem Penzberger Imam Benjamin Idriz

„Das Studium der islamischen Theologie in Deutschland hat, meiner Meinung nach, vertikal angefangen, aber in die falsche Richtung, nämlich von oben her. Wie jede Ausbildung muss auch die islamische Theologie von unten nach oben studiert werden, analog zum Bau eines Hauses.“

(iz). Der Penzberger Imam Benjamin Idriz arbeitet seit Jahren an den Plänen für eine repräsentative Moschee in München. Er könne nicht noch zehn Jahre investieren, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. „In einer absehbaren Frist“ müsse es Fortschritte geben. Dem scheidenden Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) hält der Imam vor, das Projekt zwar unterstützt, aber nie zur Chefsache gemacht zu haben. Der Name des Projektes lautet „Münchener Forum für Islam“ (MFI).

Seit 2007 setzt sich Benjamin Idriz für eine Moschee in München ein. Dazu sollen ein Gemeindezentrum, eine Islam-Akademie mit Imam-Ausbildung, ein Museum und eine Bibliothek kommen. Doch bisher gibt es noch nicht einmal einen Standort. Ein zunächst ins Auge gefasstes städtisches Grundstück kommt inzwischen nicht mehr in Frage. Mit ihm sprach die Islamische Zeitung über das Projekt sowie über die Rolle, die es für den Islam in Deutschland insgesamt spielen könnte.

Islamische Zeitung: Was ist die Absicht Ihres Vorhabens?

Benjamin Idriz: Unsere Initiative will nicht einfach noch eine große Moschee bauen, sondern entscheidend dazu beitragen, dass für Muslime wie Nicht-Muslime sichtbar wird: Islam ist nichts Fremdes in Deutschland und nichts Anachronistisches im 21. Jahrhundert. Die Muslime, die in unserem Fall in München zuhause sind und bleiben, die sich sprachlich und kulturell nicht oder nicht mehr in erster Linie an anderen Ländern orientieren wollen und die sich vom Islam zur Kooperation mit der Gesellschaft, zu Pluralismus und Demokratie, Gleichberechtigung und Religionsfreiheit inspirieren und verpflichten lassen, sollen eine repräsentative Adresse in der Stadt bekommen.

Wir haben das ursprünglich „Zentrum für Islam in Europa – München (ZIE-M)“ genannt, weil es um Islam im Hier und Jetzt geht. Die Bezeichnung ist aber von islamfeindlichen Extremisten propagandistisch instrumentalisiert wollen, die den Menschen einreden wollten, es ginge um ein „europäisches Islamzentrum“ in München. Nachdem Unterstützer, die das Projekt gern in München verwirklicht sehen wollen, dazu geraten haben, haben wir nach langen internen Entscheidungsprozessen kürzlich beschlossen, die Initiative umzubenennen. Sie heißt jetzt: „Münchner Forum für Islam“ (MFI).

Islamische Zeitung: Gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ mahnten sie Fortschritte auf Seiten der politischen Entscheidungsträger an. Was muss Ihrer Ansicht nach Geschehen, damit es zu erkennbaren Fortschritten kommt?

Benjamin Idriz: Wir erfahren schon lange ein eindrucksvolles Maß an Unterstützung quer durch die demokratische Parteienlandschaft und von allen wichtigen Institutionen des öffentlichen Lebens, die großen Kirchen eingeschlossen. Dort ist bekannt, dass wir das, was wir in München verwirklichen wollen, seit vielen Jahren in Penzberg Tag für Tag umsetzen.

Vor mittlerweile vier Jahren haben alle Stadtratsfraktionen gemeinsam eine Beschlussvorlage für die Unterstützung des Projektes formuliert. Für alles Weitere ist aber eine tragfähige Finanzierung Voraussetzung – und darum bemühen wir uns weiterhin. Wir hoffen insbesondere, dass der neue Oberbürgermeister (OB Ude kann bei den bevorstehenden Kommunalwahlen nicht mehr antreten) das Projekt entschlossen unterstützt und wir in enger und guter Kooperation dann zügig vorankommen.

Islamische Zeitung: Welche Elemente sind in Ihrem Projekt vorgesehen? Wie soll es finanziert werden?

Benjamin Idriz: Natürlich ist eine zentral gelegene Gebetsstätte, eine schöne Moschee, Bestandteil des Projekts, die architektonisch in unsere Zeit passt und mit der Umgebung in Einklang steht; aber auch ein Gemeindezentrum, das den Austausch mit allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern der Stadt pflegt, eine Akademie für die Aus- und Weiterbildung von Religionspädagogen/innen, ein Museum, das die Verflechtungen der islamischen Kultur und Geschichte mit Europa, und auch ganz speziell mit München, thematisiert, eine öffentliche Bibliothek über den Islam und interreligiösen Dialog. Das alles macht natürlich nur dann Sinn, wenn es nicht am Stadtrand oder in Industriezonen stattfindet, sondern dort, wo städtisches Leben pulsiert.

Die Finanzierung soll möglichst breit aufgestellt sein, damit auch dadurch zum Ausdruck kommt, wie weit die Unterstützer der Idee reichen. Jeder ist eingeladen, auch nur symbolische Bausteinchen mit beizutragen! Wir freuen uns über Spender jedweder Herkunft, auch über die Unterstützung durch andere Religionen – wir erwarten nur, dass die Sponsoren das Konzept und die Idee des „Münchner Forum für Islam“ befürworten. Was auf jeden Fall ausgeschlossen sein wird, ist eine inhaltliche Einflussnahme durch Geldgeber auf unsere Arbeit, auf die Ausrichtung des MFI.

Das gilt natürlich auch für größere Sponsoren – denn realistischerweise wird es so sein, dass für ganz große Anteile – wir reden hier ja von zweistelligen Millionenbeträgen – nur wenige Spender in Frage kommen können. Das Emirat Qatar hat sich hier seit längerem sehr interessiert gezeigt, und eben erst hat der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude am Rande der so genannten Sicherheitskonferenz in München mit dem qatarischen Außenminister ein Gespräch dazu geführt. Die Signale sind jetzt recht ermutigend.

Islamische Zeitung: In der Vergangenheit mussten Sie Erfahrungen mit Attacken durch so genannte „Islamkritiker“ in München machen. Wie ist die Politik und die Öffentlichkeit mit diesen umgegangen?

Benjamin Idriz: Tatsächlich findet derzeit in München die größte Hetzkampagne gegen Angehörige einer bestimmten Religion statt, die es seit 1945 in Deutschland gegeben hat! Natürlich ist es einerseits so, dass etwas derartiges, wenn es sich gegen eine andere Religion richten würde, nicht im Ansatz geduldet werden würde. Viele Muslime – aber nicht nur Muslime! – sind entsetzt und verstehen nicht, wieso es erlaubt sein kann, dass sie und ihre Religion praktisch täglich per Megaphon in der Fußgängerzone und auf den Straßen und Plätzen der Stadt derart beschimpft werden.

Andererseits erleben wir aber auch, dass die Stadt das ihr Mögliche tut und im Rahmen der Gesetze das Treiben der Rechtspopulisten einschränkt. Es hat sich ein breites politisches und gesellschaftliches Bündnis gegen diese neuen Formen des Extremismus, des Rassismus und der Menschenverachtung gebildet – worin die vielleicht wichtigste Errungenschaft liegen dürfte, die vor dem Hintergrund unseres Projektes jetzt schon verwirklicht wurde. Der Bayerische Verfassungsschutz hat (nachdem dort jahrelang in eine ganz andere Richtung gesteuert worden war) jetzt erstmals die Kategorie „islamfeindlicher Extremismus“ eingeführt und bezeichnet den Landesverband der Mini-Partei „Die Freiheit“ und deren hyperaktive Führungsgestalt, einen gescheiterten Sportjournalisten, der von einer eigenen politischen Karriere träumt, damit ausdrücklich als verfassungsfeindlich. Zu befürchten ist, dass diese Figur bei den bevorstehenden Kommunalwahlen in den Münchner Stadtrat einziehen wird – so wie das bisher vorher schon einem NPD-Mann gelungen war.

Islamische Zeitung: Seit Monaten diskutiert die muslimische Gemeinschaft in Deutschland auch das Thema „Islamische Theologie“. Kann Ihr Projekt auch einen Beitrag zu dieser sich entwickelnden Wissenschaft leisten?

Benjamin Idriz: Die Islam-Akademie des MFI versteht sich als Plattform für den wissenschaftlichen Diskurs. Hier kann an der Entwicklung einer Islamischen Theologie in Deutschland mitgearbeitet werden. Eine theologische Aus- und Fortbildung bringt nicht nur eine Dynamik in die Entwicklung einer Theologie ein, sondern reagiert auch auf das religiöse Leben der Muslime, insbesondere auf das Verlangen der neuen Generationen, ihre Religion in den deutschen Kontext einzubinden, und auf das Bedürfnis der Mehrheitsgesellschaft nach Aufklärung durch kundige Muslime.

Mit den universitären Zentren für islamische Studien strebt MFI eine Kooperation an und will Studierenden die Möglichkeit bieten, in Form von Praktika Gemeindeerfahrung zu erwerben. Hier begegnen die Studierenden den Menschen mit ihren Fragen und Problemen, die eben im Mittelpunkt ihrer Ausbildung stehen müssen, denn nur an der Basis, an den Graswurzeln, wird der akademische Prozess seine Bodenhaftung finden. In Deutschland haben wir mittlerweile in 6 verschiedenen Universitäten theologische Zentren, was wir ausdrücklich begrüßen. Diese Zentren bilden keine Imame aus, auch wenn die Medien das gern so darstellen.

Das Studium der islamischen Theologie in Deutschland hat, meiner Meinung nach, vertikal angefangen, aber in die falsche Richtung, nämlich von oben her. Wie jede Ausbildung muss auch die islamische Theologie von unten nach oben studiert werden, analog zum Bau eines Hauses. Erst steht das Fundament, dann die Wände und dann kommt das Dach. Eine theologische Ausbildung, welche nur an der Uni stattfindet, ist genauso, als wenn jemand ein Haus bauen will und dabei nur an das Dach denkt! Einige, die dort studieren, die kein Fundament haben, lernen erst die arabischen Buchstaben, und das ist dann so, als wenn ein Student der Mathematik erst an der Uni die Zahlen und Nummern lernt.

In islamischen Ländern gibt es zuerst voruniversitäre, anerkannte Schulen mit Schwerpunkt Islamische Theologie, wie „Imam-Hatip Lisesi“ in der Türkei, „Ma’had al-ulum al-schar’iyyah“ in arabischen Länder oder hier in Europa „Medresa“ wie es in Bosnien, Kroatien, Kosovo oder Mazedonien der Fall ist. Nach deren Abschluss erweitern die Schüler ihre Kenntnis an den islamischen Fakultäten.

In Deutschland ist dies leider nicht so, und deswegen ist es fraglich, inwieweit die Universitätsabsolventen entsprechend produktiv für die Gemeinden sein können, und ob überhaupt die Moscheegemeinden bereit sein werden, die Absolventen als Imame einzustellen. Diese Lücke zu schließen kann eine wichtige Funktion der Initiative MFI werden.

Islamische Zeitung: Lieber Benjamin Idriz, vielen Dank für das Gespräch.