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Thema Muezzin: Endlose Debatten, unzählige Meinungen

Islamfeinde dominieren Muezzin-Debatte. Wen lassen Medien zu Wort kommen, wenn mal wieder über Islam und Muslime debattiert wird? (iz). „Ruf des Schreckens… Vorauseilender Gehorsam… Machtdemonstration des Politischen Islam…“ Das sind […]

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Thema Muezzin: Medien scheiterten bei Berichterstattung

Verschwörung Medien

Wie ausgewogen haben Medien über den islamischen Gebetsruf in Köln berichtet? Der Journalist Fabian Goldmann hat hierzu 135 Artikel aus über einem Jahr ausgewertet und einmal mehr aufgezeigt, was in der „Islamdebatte“ bei uns schief läuft.

(Islam.de) Vor rund einem Jahr hatte die Stadt Köln ein Pilotprojekt gestartet, wonach islamische Gemeinden unter Auflagen freitags für fünf Minuten den Gebetsruf ertönen lassen dürfen – in der Lautstärke eines Gesprächs. Nach der Vorstellung des Projekts war eine bundesweite Debatte entflammt. Von Ranya Nassiba

Foto: Fabian Goldmann

Medien schrammen erneut an Betroffenen und dem Kern vorbei

Die islamdistanzierende bisweilen feindliche Haltung in vielen Berichterstattungen verdrängt immer wieder das im Grundgesetz verankerte Recht auf freie Religionsausübung. So wurde ein genuin religiöses Thema, das ein selbstverständlicher Teil der Vielfalt in diesem Land bildet und zudem vom GG vollständig geschützt ist, problematisiert und verunglimpft, als wäre der Islam eine extremistische Ideologie. 

Mehr noch zeigt die Debatte auf, wie selbstverständlich rassistische Motive in der Islamberichterstattung bedient werden. So waren verschwörungstheoretische Behauptungen einer „Unterwanderung“, „Islamisierung“ oder „Machtdemonstration des Politischen Islam“ das häufigste Argument gegen den Gebetsruf.

So wird der Gebetsruf, ein für Muslime alltäglicher und friedvoller Aufruf zum Gebet, zu einem Kampfprogramm umgeschrieben. Und das nicht etwa von muslimischen Fundamentalisten, die den Gebetsruf instrumentalisieren, sondern von sogenannten Islamexperten und Islamgegnern selbst. Damit stiften sie genau das, was sie angeblich bekämpfen wollen: die Politisierung der Religion.

Foto: Freepik.com

Es wird über Muslime gesprochen, aber nicht mit ihnen

Fabian Goldmanns Analysen zeigen die Absurdität des Ganzen auf: negative Expertenstimmen kamen am häufigsten zu Wort. Betroffenen und Verantwortlichen wurde kaum Gehör verschafft, um die Thematik kompetent einzuordnen. Es scheint, als würde sich ein blinder Automatismus einschalten, sobald das Thema Islam auf der Tagesordnung steht. 

Der Journalist untersuchte 135 Artikel aus über einem Jahr und schaute sich die Berichterstattung großer Zeitungen wie „Bild“, „Die Zeit“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ), „Süddeutsche Zeitung“ (SZ), „Die Welt“ und „Die Tageszeitung“ sowie die vier auflagenstärksten Zeitungen in und um Köln an.

Goldmann ging der Frage nach, wer bei Islamdebatten zu Wort kommt und wer nicht. Wird nur über Muslime geredet oder auch mit ihnen? Werden Islamverbände hinzugezogen oder wird nur sogenannten Islamkritikern die Bühne geboten?

Auffallend ist das geringe fachliche Niveau deutscher Islamdebatten: Am häufigsten kamen Personen zu Wort, die in der Öffentlichkeit vor allem für Kritik am Islam bekannt sind oder ihm gar feindlich gegenüberstehen. Hingegen wurden Fachleute wie Islamwissenschaftler, Theologen oder Verfassungsrechtler kaum in Medien gehört.

Foto: Zentralrat der Muslime, Facebook

Das Gespräch mit Vertretern von Islamverbänden wurde ebenfalls kaum gesucht. Dass die SZ den ZMD-Vorsitzenden Aiman Mazyek mit den Worten zitierte, Köln sende mit dem Muezzinruf „ein Zeichen der Toleranz und der Vielfalt in die Welt“, blieb eine Seltenheit.

Stattdessen treten altbekannte Namen wie Ahmad Mansour und Necla Kelek in den Vordergrund. Ersterer hatte insgesamt dreimal so viele Erwähnungen (28) wie alle Islam- und Religionswissenschaftler, islamische Theologen und Verfassungsrechtler zusammen (9).

Und das, obwohl die Mehrheit der sonstigen Fachleute ein positives Statement zum Muezzinruf gaben. Mansour nutzte diese ihm von Teilen des Mainstreams gebotene Plattform geschickt, um gleich sein neustes Buch mitzupromoten, das wie alle anderen seiner Bücher die Angst-Rhetorik über den Islam bedient, aber mit null Lösungsansätzen daherkommt.

Vor allem Medien des Springer-Verlags fallen mit überwiegend negativen Stimmen zur Thematik auf. Allen voran die „Bild“-Zeitung: 13 abfällige Statements stehen einer einzigen positiven Stimme gegenüber.

Foto: Alexander Khitrov, Shutterstock

Islamfeindlichkeit in Redaktionen

islam.de befragte Goldmann zu den Missständen der Islamberichterstattung rund um den Gebetsruf. Dieser wies eindringlich auf den Mangel an Repräsentation hin. 

So ist eklatant, dass die großen islamischen Religionsgemeinschaften wie DITIB, der Zentralrat oder Islamrat, die die überwiegende Mehrheit der Moscheegemeinden repräsentieren, in der öffentlichen Debatte kaum präsent waren. „Das zeigt: Die angebliche mediale Dominanz der großen islamischen Verbände ist lediglich ein rechter Mythos“, so Goldmann.

Die Analysen bestätigen nur, was seit jeher Praxis bei den sogenannten „Islamdebatten“ deutscher Medien ist. Goldmann fasste die Tragik dahinter pointiert zusammen: 

Es ging in der Debatte um einen Ruf, der für fünf Minuten pro Woche in einem Kölner Innenhof zu hören ist (…), dass Medien darüber über ein Jahr in hunderten Beiträgen unter Überschriften wie „Ruf des Schreckens“ oder „Wie der Politische Islam unsere Demokratie unterwandert“ berichteten, zeigt wie akzeptiert und verbreitet Islamfeindlichkeit in vielen Redaktionen ist.“

* Erstmals auf der Webseite islam.de erschienen: https://islam.de/34571

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Fast ein halbes Jahr beschwerdefreier Muezzinruf in Köln

Muezzin

Auch im Ramadan gälten die vereinbarten Bedingungen zum Muezzinruf. Eine Anfrage zur Ausweitung des Rufes über das Freitagsgebet liege der Stadt nicht vor.

Köln (KNA/iz). Der vor fast einem halben Jahr eingeführte öffentliche Muezzinruf in Köln hat sich ohne Probleme etabliert. „Im Moment liegen der Stadt Köln keine Beschwerden seitens Anwohnenden oder Bürger*innen vor“, sagte ein Sprecher der Stadt auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Muezzin: Gebetsruf problemfrei

Die DITIB-Zentralmoschee im Stadtteil Ehrenfeld erfülle alle Auflagen zum Lärmschutz. Auch im Ramadan gälten die vereinbarten Bedingungen zum Muezzinruf. Eine Anfrage zur Ausweitung des Rufes über das Freitagsgebet liege der Stadt nicht vor.

Foto: Raimond Spekking | Lizenz: CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Im vergangenen Jahr hatte Köln ein auf zwei Jahre angelegtes Pilotprojekt gestartet, wonach der Muezzinruf in islamischen Gemeinden unter Auflagen ertönen darf. Die Stadt begründete den Schritt mit der Religionsfreiheit. An der Zentralmoschee erklang der Ruf erstmals am 14. Oktober über zwei Lautsprecher im Innenhof.

Die maximal fünfminütige Gebetsaufforderung ist seitdem immer freitags von 12.00 bis 15.00 Uhr zu hören – je nach Jahreszeit und Sonnenstand. Außerhalb des Moscheegeländes darf der Ruf 60 Dezibel und damit Gesprächslautstärke nicht überschreiten. Für mögliche Beschwerden muss eine Ansprechperson benannt sein.

Begrenztes Interesse bei anderen Gemeinschaften

Bislang hätten keine weiteren Gemeinden die Erlaubnis für den Ruf beantragt, sagte ein Stadtsprecher dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Dienstag). Im vergangenen Jahr hatten rund zehn weitere Moscheen Interesse an dem Projekt bekundet. Deutschlandweit gibt es der DITIB zufolge etwa 250 Moscheen, an denen der Muezzin offiziell ruft. Die Kölner Zentralmoschee habe aber einen höheren Symbolwert.

Foto: Creative Images, Shutterstock

Nach der Vorstellung des Projekts war eine bundesweite Debatte entflammt. Kritiker warnten vor einer unzulässigen Bevorzugung einer Minderheit. Zudem könnten konservative oder frauenfeindliche Strömungen in den Gemeinden gestärkt werden. Auch sei die DITIB der verlängerte Arm des türkischen Staats.

Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) wertete das Projekt als Zeichen gegenseitiger Akzeptanz: „Wenn wir in unserer Stadt neben dem Kirchengeläut auch den Ruf des Muezzins hören, zeigt das, dass in Köln Vielfalt geschätzt und gelebt wird.“

Deutsche Debatten um den Ruf des Muezzins

Seit der Ankündigung von Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker, muslimischen Gemeinden den öffentlichen Gebetsruf (arab. adhan) zu erlauben, kannte die Debatte kein Halten mehr: In unzähligen Gastbeiträgen und Interviews haben echte und vermeintliche „Experten“ in den vergangenen Tagen kundgegeben, warum ihrer Meinung nach der Adhan erlaubt oder verboten werden sollte.

Die einen argumentieren mit persönlichen Erfahrungen, die zweiten machen den Muezzinruf abhängig von der Erfüllung integrationspolitischer Forderungen, die dritten reihen einfach plumpe Klischees aneinander. Das mag alles sehr interessant sein, für die Frage aber, ob Muslime zum Gebet rufen dürfen, ist es letztlich unerheblich. Denn die Antwort darauf ist eindeutig: Natürlich dürfen sie.

Der Grund hierfür steht in Art. 4 des Grundgesetzes. In Absatz 1 heißt es: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich“. Absatz 2 fügt hinzu: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ Dass diese grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit auch öffentliche Gebetsrufe abdeckt, haben Gerichte immer wieder bestätigt.

Foto: Deutscher Bundestag, Thomas Köhler, photothek.net

Maßgeblich ist hierfür ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1968, wonach die Religionsfreiheit „extensiv“ zu interpretieren sei:  „Zur Religionsausübung gehören danach nicht nur kultische Handlungen und Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozession, Zeigen von Kirchenfahnen, Glockengeläute, sondern auch religiöse Erziehung, freireligiöse und atheistische Feiern sowie andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens.“

Auch die Bundesregierung kennt das Recht auf Muezzinruf. In einer Antwort auf eine Große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Thema „Islam in Deutschland“ aus dem Jahr 2000 schreibt sie: „Der islamische Gebetsruf als Betätigung einer Glaubensüberzeugung im Sinne der Bekenntnisfreiheit und der freien Religionsausübung wird durch Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG geschützt.“

Gegner von Muezzinruf und/oder Glockenläuten argumentieren häufig, dass Religionsfreiheit der Gläubigen dann ein Ende finden müsse, wenn die Religionsfreiheit von Dritten, also zum Beispiel von Anwohnern, gefährdet sei. Doch das ist sie nicht.

Entgegen dem landläufigen Verständnis begründet die „negative Religionsfreiheit“ kein Recht darauf, von religiösen Bekundungen unbehelligt zu bleiben. Sie bedeutet lediglich, dass niemand zu religiösen Bekenntnissen oder Praktiken gezwungen werden darf.

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Köln will Muezzinruf ab Mitte Oktober erlauben

Düsseldorf/Köln (KNA) An der Kölner Zentralmoschee könnte die Türkisch Islamische Union DİTİB womöglich ab 14. Oktober den Muezzin per Lautsprecher zum Gebet rufen lassen. Eine Sprecherin der Stadt Köln bestätigte auf Anfrage der „Rheinischen Post“ (Sonntag, den 02. Oktober), dass es nur noch kleinere Nachfragen gebe, dass die Stadt aber im Prinzip grünes Licht geben werde.

Formale Voraussetzung für den Muezzinruf ist nun noch ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zwischen Stadt und DİTİB. Sollte er in den nächsten Tagen unterschrieben werden, könnten ab dem 14. Oktober die ersten Muezzinrufe in Köln erschallen. Erlaubt wäre das dann immer freitags in der Zeit zwischen 12.00 und 15.00 Uhr für fünf Minuten.

Die Stadt Köln hatte Anfang Oktober 2021 erklärt, dass Moscheegemeinden auf Antrag und unter Auflagen künftig ihre Gläubigen zum mittäglichen Freitagsgebet rufen dürften. Zu den Auflagen gehört etwa, dass der Gebetsruf nicht länger als fünf Minuten dauert. Für die Lautstärke gibt es eine Höchstgrenze, die je nach Lage der Moschee festgelegt wird. Außerdem muss die jeweilige Moscheegemeinde die Nachbarschaft frühzeitig mit Flyern informieren und eine Ansprechperson benennen, die Fragen beantworten oder Beschwerden entgegennehmen kann. Das Modellprojekt ist zunächst auf zwei Jahre befristet.

Die Erlaubnis ist umstritten. Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) steht dahinter. Auch der Kölner katholische Stadtdechant Robert Kleine befürwortet das Muezzin-Projekt. Das Grundrecht auf freie Religionsausübung stehe auch „den islamischen Gemeinden in Form des Muezzinrufes“ zu, sagte er im Mai. „Es geht dabei ja um ein verfassungsmäßiges Recht, das auch nicht mit dem Hinweis auf religiöse Intoleranz oder die politische Instrumentalisierung der Religion in anderen Teilen der Welt relativiert werden darf. Wir nehmen uns eben kein Maß an autoritären Staaten.“

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) äußerte dagegen Kritik. Er fürchtet um den gesellschaftlichen Frieden, wenn viele Moscheegemeinden entsprechende Anträge stellten.

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Natürlich dürfen Muslime zum Gebet rufen

(iz). Seit Wochen diskutieren Politik und Medien über die Frage, ob man Muslimen den Gebetsruf erlauben sollte. Dabei stellt sich die Frage gar nicht. Denn juristisch ist das Recht auf Muezzin-Ruf eindeutig.

Seit der Ankündigung von Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker, muslimischen Gemeinden den öffentlichen Gebetsruf (arab. adhan) zu erlauben, kennt die Debatte kein Halten mehr: In unzähligen Gastbeiträgen und Interviews haben echte und vermeintliche „Experten“ in den vergangenen Tagen kundgegeben, warum ihrer Meinung nach der Adhan erlaubt oder verboten werden sollte. Die einen argumentieren mit persönlichen Erfahrungen, die zweiten machen den Muezzinruf abhängig von der Erfüllung integrationspolitischer Forderungen, die dritten reihen einfach plumpe Klischees aneinander. Das mag alles sehr interessant sein, für die Frage aber, ob Muslime zum Gebet rufen dürfen, ist es letztlich unerheblich. Denn die Antwort darauf ist eindeutig: Natürlich dürfen sie.

Der Grund hierfür steht in Art. 4 des Grundgesetzes. In Absatz 1 heißt es: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich“. Absatz 2 fügt hinzu: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ Dass diese grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit auch öffentliche Gebetsrufe abdeckt, haben Gerichte immer wieder bestätigt.

Maßgeblich ist hierfür ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1968, wonach die Religionsfreiheit „extensiv“ zu interpretieren sei:  „Zur Religionsausübung gehören danach nicht nur kultische Handlungen und Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozession, Zeigen von Kirchenfahnen, Glockengeläute, sondern auch religiöse Erziehung, freireligiöse und atheistische Feiern sowie andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens.“

Auch die Bundesregierung kennt das Recht auf Muezzinruf. In einer Antwort auf eine Große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Thema „Islam in Deutschland“ aus dem Jahr 2000 schreibt sie: „Der islamische Gebetsruf als Betätigung einer Glaubensüberzeugung im Sinne der Bekenntnisfreiheit und der freien Religionsausübung wird durch Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG geschützt.“

Gegner von Muezzinruf und/oder Glockenläuten argumentieren häufig, dass Religionsfreiheit der Gläubigen dann ein Ende finden müsse, wenn die Religionsfreiheit von Dritten, also zum Beispiel von Anwohnern, gefährdet sei. Doch das ist sie nicht. Entgegen dem landläufigen Verständnis begründet die „negative Religionsfreiheit“ kein Recht darauf, von religiösen Bekundungen unbehelligt zu bleiben. Sie bedeutet lediglich, dass niemand zu religiösen Bekenntnissen oder Praktiken gezwungen werden darf.

Im Kruzifix-Urteil von 1995 urteilte das Bundesverfassungsgericht beispielsweise, der Einzelne habe „in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben.“

In diesem Sinne wies auch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen im Jahr 2020 eine Klage gegen einen Muezzinruf ab. Die Richterin urteilte damals: „Jede Gesellschaft muss akzeptieren, dass man mitbekommt, das andere ihren Glauben ausleben.“

Politiker, die den Adhan verbieten wollen, ohne auf Kirchenglocken verzichten zu müssen, greifen ohnehin lieber zu einem anderen Argument. Ihnen zufolge passe der muslimische Gebetsruf schlicht nicht zur christlichen Kultur des Landes. Lässt sich diese These juristisch untermauern? Ja. Zumindest wenn man im Jahr 1955 hängengeblieben ist.

In einer aus heutiger Sicht abenteuerlich anmuteten Argumentation urteilte das Bundesverfassungsgericht damals: „Das Grundgesetz hat nicht irgendeine, wie auch immer geartete freie Betätigung des Glaubens schützen wollen, sondern nur diejenige, die sich bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet hat.“

Wer nun hofft, das passende Urteil gefunden zu haben, um allen Nicht-Christen ihre Religionsfreiheit abzusprechen, muss leider enttäuscht werden: Die sogenannte Kulturadäquanzklausel wurde von späteren Verfassungsrichtern nie wieder aufgegriffen und spielt heute keine Rolle mehr. Die heutige Rechtsprechung ist eindeutig: Das Grundrecht auf freie Ausübung der Religion gilt für alle Gläubigen gleich welcher Religion.

Trotzdem könne man Glockengeläut und Adhan doch nicht gleichsetzen. Schließlich handelt es sich bei dem einen nur um harmloses Gebimmel, während die anderen ihre Nachbarschaft mit einem religiösen Bekenntnis beschallen. Dieses Argument hat tatsächlich juristische Relevanz. Allerdings zugunsten der Muslime.

Denn gerade der eindeutig religiöse Charakter des Adhan lässt keinen Zweifel daran, dass er unter die Religionsfreiheit fällt. Im Falle von Kirchenglockenläuten unterscheiden Juristinnen hingegen manchmal zwischen liturgischem (wie Gottesdienst, Taufe) und profanem Glockenläuten (Zeitangabe, Sturmwarnung). Nur erstes fällt dieser Argumentation zufolge unter den Schutz der Religionsfreiheit. Andere sehen hingegen jegliches Glockengeläut von der Religionsfreiheit gedeckt. Sie argumentieren: Eine staatliche Unterscheidung zwischen liturgischem und profanem Geläut sei ein unzulässiger Eingriff in die Autonomie der Religionsgemeinschaften.

Grenzenlos ist das Recht auf öffentliche Gebetsrufe in der Bundesrepublik dennoch nicht. Das in der Rechtsprechung häufigste und wirksamste Argument gegen öffentliche Gebetsrufe lautet: Lärmschutz. Zwar stehen Glockengeläut und Muezzin-Rufe unter dem Schutz der grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit, unantastbar macht sie das dennoch nicht. Vor allem dann nicht, wenn sie mit anderen Grundrechten kollidieren.

Ein von Kirchenglocken oder „Allahu Akbar“-Rufen täglich aus dem Schlaf gerissener und in Schlafstörungen, Migräne und Depressionen gestürzter Anwohner kann mit gutem Grund auf die Verletzung von Art. 2, Abs. 2 des Grundgesetzes verweisen: das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Der Großteil der Gerichtsverhandlungen zu Kirchenglockenläuten befasst sich tatsächlich mit diesem Konflikt.

Aber auch in diesen Fällen führt die Rechtsprechung nicht zum Verbot von Gebetsrufen. „Praktische Konkordanz“ nennen Juristen das Prinzip, wonach bei kollidierenden Grundrechten stets der Kompromiss gesucht werden sollte. In der Praxis bedeutet das zum Beispiel: der Muezzin ruft etwas leiser, die Kirchenglocken läuten etwas später. Häufig urteilen Richterinnen aber auch völlig pro Religionsfreiheit und muten Anwohnern Gebetsrufe weit jenseits der örtlich geltenden Lärmschutzbestimmungen zu. Urteile hingegen, in denen ein öffentlicher Gebetsruf zugunsten lärmgeplagter Anwohnerinnen generell untersagt wurde, gibt es nicht.

Was es dennoch leider reichlich gibt, sind Politiker, Journalistinnen und „Experten“, die fordern Muslime die Ausübung ihrer Religionsfreiheit zu verweigern. Auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen sie sich – anders als zum Gebet rufende Muslime – nicht.

Wie die Schweizer Innenpolitik fast in die UN-Vollversammlung geriet. Von Peter Ziegler, Basel

(iz). Die Schweiz hat es schwarz auf weiß und will es nicht wahrhaben: Die Vereinten Nationen schelten das urdemokratische Land im Herzen Europas wegen der Minarett-Initiative. Diese hat das Ziel, […]

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