Eine Differenzierung über die Rolle der Muslime in Deutschland gefährdet das konservative Weltbild

„Alle Differenzierung, die sich aus anspruchsvollen Debatten quasi automatisch ergeben, gefährdet den Konsens der neuen Rechten, die im Islam und seinen Anhängern ein notwendiges Feindbild sehen, um die eigenen Reihen zu schließen. Der positive Entwurf einer Gesellschaft, die die Rolle der Muslime anerkennt oder sogar vom Islam lernt, wird von der großen Negation gegenüber der Realität verdrängt.“

(iz). Wie begegnen die Eliten der Konservativen den Muslimen? Die Antwort ist einfach: meist gar nicht. Die Präsenz des Islam in Europa ist den Rechten ein Dorn im Auge und die grundsätzlich kritische Haltung gegen diese Religion ein wichtiger Bestandteil des eigenen Selbstverständnisses. Die Bewahrung des christlich-jüdischen Abendlandes, eine, in diesen Kreisen geläufige rhetorische Figur, negiert den geistigen und historischen Beitrag des Islam bis heute.

Die Auseinandersetzung auf Augenhöhe zwischen Muslimen und Konservativen ist eine Ausnahme. Seit Ende 2021 findet sich auf YouTube ein Beispiel, dass diese Begegnung durchaus denkbar und spannend ist. Der kanadische Psychologe Jordan Peterson veröffentlicht auf seinem Kanal ein Gespräch mit dem amerikanischen Gelehrten Scheich Hamza Yusuf. Bis heute wurde das Video mit dem ungewöhnlichen Titel „Was kann man vom Islam lernen?“ über zwei Millionen Mal abgerufen.

Peterson ist souverän genug, sich dem Phänomen zunächst einmal verstehend anzunähern. Er stellt Fragen nach der Sozialisierung des Gesprächspartners, den Gründen für seine Entscheidung die Religion zu akzeptieren und versucht herauszuarbeiten, was der Islam ist. Das Gespräch über Gott und die Welt, Sinn und Tod, bis hin zu den Gefahren einer möglichen Ideologisierung des religiösen Klientel ist ein seltenes Beispiel für eine echte Begegnung zwischen einem Konservativen und einem Muslim. Dem Publikum wird ein Ansatz angeboten, der die Bedeutung der Lebenspraxis nicht von Extremfällen, sondern vom Normalfall eines gebildeten Gläubigen ableitet.

Der letzte große Konservative in Deutschland, der sich dem Phänomen des Islam verstehend annäherte, dürfte Goethe gewesen sein. In der Bibliothek des Universalgelehrten finden sich zahlreiche Qur’anübersetzungen und einschlägige Fachliteratur. Die typische Haltung des Bewahrers zeigt sich in der Skepsis des Meisters hinsichtlich revolutionärer Bestrebungen, der Abscheu gegenüber Ideologie und der Erkenntnis, dass das griechische Narrativ langsam in seiner Wirkungsmacht aus dem europäischen Bildungskanon ausscheidet. Goethe ist Realist und versteht die wachsende Bedeutung der Finanztechnik und die sich abzeichnenden Folgen der Globalisierung. Eine Dialektik gegen den Islam hält er für die eigene Identitätsfindung in stürmischen Zeiten nicht nötig.

Das fundierte Wissen über Islam gehört heute längst nicht mehr zur Grundausbildung eines Konservativen. Wer kennt oder bezieht sich auf Philosophen wie Ibn al-’Arabi und Ibn Ruschd? Wo ist das Interesse am Beitrag der Gelehrten zur abendländischen Entfaltung, Neugier auf die Aktualität des islamischen Wirtschaftsrechts, Sympathie gegenüber den sozialen Dimensionen der Lebenspraxis, gar ein Gespür für die Tugendlehre, die der religiösen Praxis innewohnt? Verbreitet sind dagegen relativ simpel aufgezogene Feindbilder oder das andauernde Vorurteil der Fremdheit der Religion.

Das paradoxe Ergebnis dieser eingeschränkten Sicht ist es, dass junge Gläubige sich von einem politisch-ideologischen Islam abwenden, aber gleichzeitig in den bürgerlichen Parteien keine Willkommenskultur vorfinden. Die Strategen der CDU erkennen nicht das langfristige Potential der neuen Generationen von Muslimen in Deutschland. Argumente für eine Annäherung wären durchaus vorhanden, so sind Menschen, die an ihrer Religion festhalten, von Natur aus konservativ und auf der anderen Seite liberal, da sie mit einem Realitätssinn für eine sich wandelnde Zeit ausgestattet sind. Junge Muslime halten an ihrem Narrativ fest, bekennen sich zur Familie, zu einer universalen Moral und – Überraschung – in ihrer großen Mehrheit zur Verfassung.

Im Jahr 2006 versuchte der Gründer der deutschen Islamkonferenz, Wolfgang Schäuble, mit einigen klug formulierten Sätzen eine Brücke zu einer der großen Minderheiten im Lande zu bauen: „Der Islam ist Teil Deutschlands und Teil Europas, er ist Teil unserer Gegenwart und Teil unserer Zukunft.“ Der konservative Vordenker spaltete mit seinem Vorschlag seine Gefolgschaft. Es sind dicke Bretter zu bohren. Die These, die den Islam aus der europäischen Geschichte ausschließt, gehört zu den wichtigsten Denkfiguren rechter Kreise in der Bundesrepublik. In diesem Diskurs sind direkte Begegnungen nicht vorgesehen und wenn doch, dann grundsätzlich nur mit ausgewählten VertreterInnen des Spektrums ausdrücklicher Religionskritik. Aufsehen erregte 2011 eine Streitschrift des FAZ-Redakteurs Patrick Bahners („Die Panikmacher“), der den einseitigen Umgang mit dem Islam hinterfragte. Nicht nur für den politischen Raum rechts von der CDU hat seine Analyse nichts an Aktualität verloren: „Die Islamkritik ist ein System von Sätzen, aber nicht bloß ein logisches Gebilde, sondern zugleich eine Ballung von Stimmungen, ein Syndrom des Ressentiments.“

Seit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 sind die Fronten endgültig verhärtet. Auch wenn nur ein Teil der Flüchtlinge praktizierende Muslime waren, dreht sich die rechtskonservative Verschwörungstheorie mit Vorliebe um die angebliche Islamisierung des Abendlandes. Im Jahr 2018 verfassten Akademiker und Intellektuelle von Vera Lengsfeld über Uwe Tellkamp bis zu Tilo Sarrazin eine gemeinsame Erklärung gegen die, wie sie sagen, illegale Masseneinwanderung. Peter Sloterdijk kommentierte die Reaktion der Entfremdeten wie folgt: „Freud hat das Unbehagen in der Kultur durch den Triebverzicht erklärt. Mir scheint, heute sei das Unbehagen eher damit verbunden, dass man das Zuschauerprivileg verliert.“ Mit anderen Worten: Die Kritiker lieferten nicht etwa einen Entwurf zur humanen Bewältigung von Fluchtbewegungen, sondern fordern vielmehr das vermeintliche Recht ein, von geopolitischen Realitäten nicht belästigt zu werden.

Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass heute organisierte, „konservative“ Muslime und Konservative, die von den Volksparteien enttäuscht sind, gegen ähnlich klingende Markierungen wie „Nazi, Islamist oder Faschist“ ankämpfen. Besucht man zum Beispiel den Kanal der Berliner Bibliothek des Konservatismus, eine Denkfabrik der neuen Rechten und für viele Liberale ein Verdachtsfall, begegnet man zahlreichen prominenten Rednern, die sich von der CDU und den rechtsextremen Rändern abgrenzen. Die Grundidee dahinter ist eine Rückbindung an das Narrativ eines Gedankengutes, an das Land der Dichter und Denker, ohne in die Ideologie des Nationalismus und Rassismus der Nazis zurückzufallen. In den Veranstaltungen, in denen gefragt wird, unter welchen Voraussetzungen es eine konservative Moderne oder Zukunft gibt, ist der Islam meist der Elefant im Raum.

Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt sieht in der Präsenz der Muslime in Europa ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Er argumentiert gegen eine mögliche Verwandtschaft von religiös motivierten Konservativen mit unterschiedlichem konfessionellen Hintergrund: „Religion und Konservatismus haben nichts miteinander zu tun.“ Gegenargumente werden kaum zugelassen. In diesen Sphären ist das Gespräch auf Augenhöhe mit Muslimen nicht vorgesehen.

Der Osten Deutschlands ist heute eine Hochburg der neuen Rechten, die von der Mobilisierung der Straße mit rechtsextremen Bürgerbewegungen, bis hin zu möglichen parlamentarischen Mehrheiten der AfD reicht. Gemeinsam ist diesen Parteiungen, jede von Immigranten begangene Straftat der Glaubensordnung anzuhängen und damit der Wille, den Islam in Europa auf Dauer auf die Ebene eines potentiellen Gefahrenherds zu reduzieren. Das Phänomen deutsche Muslime endlich anzuerkennen, ist im Rahmen dieser Logik unmöglich. Hinzukommt die altbekannte „konservative“ Forderung, die ostdeutsche Provinzen aus dem Veränderungsdruck einer Einwanderungsgesellschaft herauszuhalten.

Auf der kulturellen Ebene scheint die Rechte im Osten mit dem Schriftsteller Uwe Tellkamp einen wortgewandten Fürsprecher auf ihre Seite gezogen zu haben. Sein Bestseller „der Turm“ und die anschließende Verfilmung garantierte dem Dresdner eine breite Öffentlichkeit. Ein neuer Dokumentarfilm von Andreas Gräfenstein beschreibt den Einsatz Tellkamps für die Meinungsfreiheit, die Verbreiterung des Meinungskorridors und gegen die Idee der Kontaktschuld. 2018 hatte er mit der These, „dass 95 Prozent der Asylbewerber, Flüchtlinge und Zuwanderer in Deutschland von 2015 und danach bloß in unsere Sozialsysteme einwandern möchten“ einen Empörungssturm ausgelöst.

Der Autor rückte zwar von seiner unhaltbaren These ab, baute aber gleichzeitig seine Kontakte in das rechte Milieu aus und zeigte sich sonst wenig beeindruckt von der Kritik. Die Allianz der Dresdner Pegida mit offen islamophoben Kreisen beschäftigen ihn nicht, eher sorgt er sich mit beleidigtem Unterton um die Verunglimpfung des sogenannten bürgerlichen Widerstandes an der Elbe. Das Thema der Immigration lässt Tellkamp nicht los und spielt eine bedeutende Rolle in seinem neuen Roman „Der Schlaf in den Uhren“. Das Werk über die Tiefen der DDR-Vergangenheit ist ergänzt mit Anspielungen auf die Flüchtlingspolitik der ehemaligen Bundeskanzlerin. Er beschreibt im Rahmen einer komplexen, auf hunderten Seiten ausgebreiteten Fiktion das Phänomen der Macht in einem von Medien beherrschten Staatswesen. In den schlafenden Uhren, so der Autor, verbergen sich die Dämonen und ungelösten Fragen der Republik. Der begnadete Schriftsteller zeigt sich vor allem in langen Passagen, die sich mit der Insel Hiddensee, der Zoologie, dem Rasieren oder sonstigen phänomenologischen Absonderlichkeiten befassen.

An Genauigkeit, zu der Tellkamp sprachlich fähig ist, fehlt es bei seinen Äußerungen, die das Thema Islam berühren. Hier bleibt der Künstler eher vage und belässt es bei nebulösen Vorurteilen über eine vermeintlich andere Weise zu leben. Der Verdacht, dass die meisten konservativen Denker sich niemals einem niveauvollen Gespräch auf Augenhöhe aussetzen, trifft ebenso auf Tellkamp zu. Ist das ein Zufall? Wohl kaum. Alle Differenzierung, die sich aus anspruchsvollen Debatten quasi automatisch ergeben, gefährdet den Konsens der neuen Rechten, die im Islam und seinen Anhängern ein notwendiges Feindbild sehen, um die eigenen Reihen zu schließen. Der positive Entwurf einer Gesellschaft, die die Rolle der Muslime anerkennt oder sogar vom Islam lernt, wird von der großen Negation gegenüber der Realität verdrängt. Sprachlosigkeit ist die Grundbedingung jeder Ideologie.

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Abdassamad El Yazidi über den KRM: „Gute Ergebnisse nicht kleinreden“

Abdassamad El Yazidi wurde 1975 im hessischen Langen geboren, wo er in Dreieich zur Schule gegangen ist. Der Deutschmarokkaner kommt aus dem kaufmännischen Bereich. Nach einem Engagement in einer lokalen […]

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Die eigene Geschichte schreiben

(iz). Es gibt viele analytische Texte über Muslime und Islam in Deutschland. Einige von ihnen behandeln ihre Anfänge im 20. Jahrhundert. Allerdings gehen die meisten von einer „Stunde Null“ aus, mit Beginn der Anwerbeabkommen mit muslimischen Ländern wie der Türkei, Marokko, Tunesien sowie dem damaligen Jugoslawien. Demzufolge ist eine Erzählung entstanden, die den Anfang muslimischer Existenz in diesem Land mit der Ankunft sogenannter „GastarbeiterInnen“ verknüpft.

Doch haben Arbeiten von ForscherInnen wie Gerdien Jonkers oder Gerhard Höpp deutlich gemacht, dass dies zumindest ungenau ist. Spätestens mit Ende des Ersten Weltkrieges, der in Teilen der muslimischen Welt zu Umwälzungen geführt hat, lässt sich eine Präsenz von MuslimInnen in Städten wie Berlin nachweisen, wo in den 1920er Jahren des letzten Jahrhunderts auch die ersten Gemeinschaften und Vereinigungen entstanden.

Ungeachtet dessen, wann die Geburtsstunde eines Islams in Deutschland gesetzt wird, ist den allermeisten Beschreibungen gemeinsam, dass es sich um Fremdbeschreibungen handelt. Eine relativ neue Alternative stellt das Onlineprojekt „Moin und Salam“ dar, das während der Pandemie ins Netz gegangen ist und nicht zu Unrecht den Untertitel „Eine Online Reportage“ trägt.

Eine Gruppe Hamburger Muslime trifft sich zur Koranrezitation (Hamburg, 1952). Foto: Archiv des Islamischen Zentrums Hamburg

In bisher drei Kapiteln (weitere sollen folgen) wird die Geschichte der Muslime und ihrer Religion in Deutschland beschrieben.

Nach Angaben der beiden MacherInnen, dem Fotografen Julius Matuschik sowie der Religionswissenschaftlerin Dr. Raida Chbib, solle hier „über verschiedene Kapitel Schlaglichter auf vergangene Spuren sowie die aktuelle Gegenwart des Islams und muslimischen Lebens in Deutschland“ geworfen werden. Hier kommen insbesondere auch Fotografien – private sowie solche aus der Presse – zum Einsatz, welche MuslimInnen selbst gemacht haben. So werden sie vom Objekt zum eigenständigen Subjekt. Bekommen also auch eine Funktion als Handelnde in der Geschichte.

„Das Projekt ist im Zuge des Praxisfellowship-Programms der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG) an der Goethe-Universität Frankfurt entstanden. Der Fotograf Julius Matuschik hat als Praxisfellow die Idee zu diesem Projekt entwickelt. Er begleitet deutsche Muslim*innen aus verschiedenen Lebensbereichen an zahlreichen Orten fotografisch, um möglichst authentische Einblicke festzuhalten und die Vielfalt des Islams hierzulande abzubilden“, heißt es in der Erklärung der Website.

Was diese Bilder zeigen, ist eine Gemeinde, die vielleicht im Vergleich zu heute sehr viel kleiner war und keine vergleichbare Institutionalisierung kannte. Die sich aber andererseits ohne Scheu bürgerlich zeigte und kleingeistige Differenzen übersah. Im positiven Fall kann unsere Vergangenheit auch Zukunft sein.

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Kommentar: Warum Afghanistan auch für deutsche Muslime wichtig ist

(iz). Seien wir ehrlich: Die allermeisten von uns haben sich nur dann tiefer mit Afghanistan und seinen Menschen beschäftigt, wenn es in den letzten Jahren zu einer Krise gekommen ist […]

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Deutsche Muslime bewerten Demokratie positiver

gesellscha

Frankfurt (KNA). Deutsche Staatsbürger muslimischen Glaubens bewerten die Demokratie und das Funktionieren des politischen Systems in Deutschland positiver als der Durchschnitt der Bürger. Das geht aus einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Mittwoch) hervor. So halten 81 Prozent der muslimischen Bürger die Demokratie für die beste Staatsform, gegenüber 70 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Noch ausgeprägter ist der Unterschied bei der Frage: „Wie zufrieden sind Sie im Allgemeinen mit dem Funktionieren der Demokratie in der Bundesrepublik und dem Funktionieren unseres ganzen politischen Systems?“ In der Bevölkerung insgesamt liegt der Anteil derjenigen, die mit dem Funktionieren der Demokratie sehr zufrieden sind, bei 26 Prozent, zufrieden äußern sich 44 Prozent. Unter den wahlberechtigten Muslimen dagegen liegt der Anteil der sehr Zufriedenen bei 53 Prozent, der Zufriedenen bei 27 Prozent.

Auch ist unter den deutschen Muslimen der Anteil derjenigen deutlich höher, die glauben, dass ihre soziale Lage besser sei als die ihrer Eltern. Bei der Gesamtbevölkerung sagen das 44 Prozent, bei den Muslimen 71 Prozent.

Auch in ihrer parteipolitischen Orientierung unterscheiden sich die Deutschen muslimischen Glaubens nicht sehr stark vom Durchschnitt der Bevölkerung. Tendenziell bevorzugen sie eher die SPD. Insgesamt zeigen die muslimischen Wahlberechtigten eine überdurchschnittliche Neigung zur linken Hälfte des Parteienspektrums mit SPD, Grünen und der Linken.

Berücksichtigt man aber das vergleichsweise niedrige Durchschnittsalter der deutschen Muslime, ist allein bei der SPD ein bemerkenswerter Unterschied zwischen muslimischen und nichtmuslimischen Wahlberechtigten zu erkennen. Hier könnte sich noch immer die sozialdemokratische Orientierung vieler türkischer Gastarbeiter niederschlagen. Umgekehrt findet die FDP bei den wahlberechtigten Muslimen deutlich weniger Zuspruch als bei der Gesamtbevölkerung. Am größten ist der Kontrast – wenig überraschend – bei der AfD, für sie gibt es unter den muslimischen Deutschen praktisch keine Anhänger.

Allerdings ist die Zahl der Muslime mit deutscher Staatsbürgerschaft zu klein, um Wahlergebnisse maßgeblich zu beeinflussen. Laut der Studie „Muslimisches Leben in Deutschland 2020“, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Auftrag der Deutschen Islamkonferenz herausgegeben hat, leben derzeit etwa 5,5 Millionen Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland. Das entspricht 6,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. 47 Prozent dieser Muslime, 2,6 Millionen, besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft und machen damit 3,5 Prozent der 72 Millionen deutschen Staatsangehörigen aus.

Laut der neuen Umfrage bezeichnen sich 64 Prozent der deutschen Muslime als religiös; in der Gesamtbevölkerung sind es 36 Prozent. Protestanten bezeichnen sich laut Bericht zu 46 Prozent als religiös, Katholiken zu 63 Prozent.

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Im Dickicht der Theorien

(iz). Am 21. Januar dieses Jahres beklagte die „Stiftung für die Internationalen Wochen gegen Rassismus“ einen zunehmenden „anti-islamischen Rassismus“ in Deutschland. Nach Ansicht des geschäftsführenden Vorstands Micksch sei diese Entwicklung ein Nährboden für einen Rechtsextremismus, der immer gewaltbereiter werde.
Selbst ein oberflächlicher Blick auf Berichterstattung sowie Statistik legt den Schluss nahe, dass der Rassismus Teil des Alltags geworden ist. Zeugnis davon legen derzeit auch Erfahrungen einzelner Muslime ab, die mit diesem Phänomen konfrontiert sind. Sie können von verbaler „Anmache“ bis zur Ablehnung bei Wohnraum- oder Stellengesuchen reichen. Was früher, platt gesagt, „der Türke“ war, ist heute oft „der Muslim“. Die Muster von Diskriminierung sind oft die gleichen geblieben.
Es geht noch weiter: Bei einigen Muslimen ist die rasante Verbreitung zum festen Bestandteil der Kommunikation in sozialen Netzwerken geworden. Bei aller realen Erfahrung stellt sich die Frage, ob wir es mit dem berühmten „Einzelfall“ zu tun haben, oder ob diese Vorfälle stellvertretend für einen allgemeingültigen Umgang mit Muslimen zu verstehen sind. Angesichts der erodierenden Kommunikationsformen, die insbesondere das Internet produzierte, ist Zurückhaltung bei Subjektivismen geboten. Immerhin ist es die gleiche „Technik“, die der aggressiven Islamkritik selbst zu eigen ist.
Hochkarätiger Diskurs
Diese Phänomene sowie die sich radikalisierende mediale, und damit politische, Behandlung der Schlagworte „Islam“, „Muslime“ und „Migration“, sind Grund genug dafür, dass das Osnabrücker Institut für islamische Theologie zu einer mehrtägigen Fachkonferenz über das Thema lud. Vom 14. bis 16. Januar trafen sich Wissenschaftler wie Prof. Dr. Naika Foroutan, Prof. Dr. Kai Hafez, Prof. Dr. Iman Attia, Prof. Dr. Wolfgang Benz, Dr. Silvia Horsch, Dr. Fared Hafez und viele andere, um das Thema zu diskutieren. Eingeladen waren auch Vertreter muslimischer Verbände wie Dr. Zekeriya Altug, Aiman Mazyek, Burhan Kesici sowie Journalisten wie Eren Güvercin oder Daniel (?) und Aktivisten aus der muslimischen Zivilgesellschaft.
Es ist den Gastgebern gelungen, dass sie als erste auf diesem Niveau – bei Quantität und Qualität von Referenten und Diskutanten – das Phänomen behandelten. Wohl unbeabsichtigt war die Konferenz am Puls der Zeit. Inwiefern der ausgestellte Erkenntnis- und Diskussionsstand Einzug in weitere Kreise finden wird, steht auf einem anderen Blatt. So meinte Prof. Dr. Foroutan melancholisch bei der Auftaktdiskussion, dass Fakten nur eine begrenzte Reichweite hätten. Eine „schwankende Mitte“ ließe sich davon beeinflussen. Bereits in der Vergangenheit hätten Daten- und Faktensammlung auf die von Sarrazin angestoßenen Thesen wenig Auswirkungen gehabt.
Relativ einhellig
Bei den Beiträgen war von einer „Diskussion“ im Sinne gegenteiliger Positionen nicht viel zu vernehmen. Relativ einhellig bezogen Referenten und Diskutanten nicht nur Stellung zu dem behandelten Phänomen des „anti-muslimischen Rassismus“, sie ordneten es – von graduellen Unterschieden – auch ähnlich ein.
Prof. Dr. Naika Foroutan legte in ihrem Impulsreferat die Faktenbasis für die folgenden Debatten dar. Die Zuschreibungen dessen, wer ein „Deutscher“ sei, werden immer schwieriger. Vor Beginn der Fluchtbewegung seien ca. vier Millionen Menschen in Deutschland Muslime gewesen – die Hälfte davon Staatsbürger. Von den rund 1,1 Millionen Flüchtlingen, die laut BAMF 2015 hierher kamen, sei die Mehrheit Muslime. Das habe Folgen für die Gesellschaft und die betroffenen Communities. Die aktuellen Entwicklungen, namentlich die „Flüchtlingsfrage“, trieben die Debatten um eine vermeintliche „Islamisierung“ voran. So überschätze eine Mehrheit der Bevölkerung konstant den muslimischen Bevölkerungsanteil um ein Mehrfaches. Obwohl Wirtschaftsinstitute sich für Auswanderung aussprächen und die Bevölkerung selber von einer positiven Lage ausgehe, herrschten große Ängste.
Was die Einstellungen gegenüber Muslimen in diesem Land betrifft, konstatierte die Berliner Forscherin aufgrund ihrer regelmäßigen Erhebungen einen Unterschied zwischen einer kognitiven Anerkennung der Präsenz von Muslimen und ihrer Einforderung verfassungsgemäßer Rechte mit einer „emotionalen Distanz“. Sie verwies auf einen Widerspruch zwischen der Betonung der Verfassung, zu der Muslime sich zu bekennen hätten, und andererseits der stellenweisen Überzeugung, Muslime dürften sich nicht auf ihre verfassungsgemäß verbrieften Rechte (Moscheebau oder Kopftuch) berufen. Handfest äußere sich das in der Vervierfachung von Angriffen in den letzten Jahren. Die derzeitige Verrohung werde mit Argumenten und dem Verhalten von Muslimen begründet.
Ihre Erkenntnisse wurden in den folgenden Beiträgen bestätigt und theoretisch unterfüttert. Der antimuslimische Rassismus stelle den Übergang vom Biologismus der Rechten, so Hendrik Cremer, zu einem kulturalisierten Vorurteil dar. Gerade die Fixierung auf den rechten Rand sei ein Missverständnis, wie das Beispiel Sarrazin seit 2009 belege. Cremer verwies einerseits auf die bestehenden deutschen und europäischen Gesetzgebungen zur Volksverhetzung. Anstoß erzeugende Rede müsse allerdings grundsätzliche durch Gegenrede beantwortet werden. Der Forscher schränkte aber ein, dass der Staat sich, trotz des Vorwurfes eines „Meinungskartells“, nicht taktisch verhalten dürfe, da sich rassistische Diskurse wie der von Pegida derzeit „in gefährlicher Weise“ ausbreiteten. Diesen Aspekt sprach auch Naika Foroutan an. Diskurse erführen eine Verschärfung, sobald die agitierenden Gruppen den parlamentarischen Raum betreten.
Aufgrund seiner Erforschung von Vorurteilen gab Prof. Dr. Wolfgang Benz eine präzise Definition des anti-muslimischen Rassismus: „Zu definieren ist das Phänomen der Islamfeindschaft als Ressentiment gegen eine Minderheit von Bürgern beziehungsweise von in unserer Gesellschaft lebenden Menschen, die mit politischen, ethnischen und religiösen Argumenten diskriminiert und ausgegrenzt werden. (…) Gleichzeitig stärkt dies das Selbstbewusstsein der Mehrheit, die die Minderheit ausgrenzt.“
Soziologische Welten
Theoretisch – und auch ideologisch – unterfüttert werden diese nüchternen Überlegungen mit einer Rassismusforschung im globalen Stil. Und das nicht ohne Erfolg. Gerade junge Muslime fühlen sich angesprochen von einer Theoriebildung in Nachfolge Fanons oder Du Bois’, die sie irgendwo zwischen antikolonialem Befreiungskampf und der US-Bürgerrechtsbewegung um Luther King oder Malcom X einordnet.
Wie Dr. Silvia Horsch andernorts erläuterte, würden diese Rassismustheorien auch verstärkt bei Muslimen rezipiert. Die Betonung liegt hier auf der strukturellen Komponente. Zu den bekanntesten Vertretern gehören Prof. Dr. Iman Attia aus Berlin oder Dr. Farid Hafez. In seinem intellektuell wie sprachlich brillantem Parforceritt durch die Theoriebildung von Fanon, Du Bois und der Universität Berkeley ordnete er den antimuslimischen Rassismus in diesen Diskurs ein. „Die Berkeley-Schule der Islamophobieforschung konzentriert sich auf Macht- und Herrschaftsstrukturen und versteht die Islamophobie als einen Ausdruck dieser ökonomischen und politischen Disparitäten, die durch einen anti-muslimisch-rassistischen Diskurs stabil gehalten und ausgeweitet werden sollen.“
Laut Hafez werde die Figur des Muslims zum „imaginierten Gegenstand“ zentral für den islamophoben Diskurs. Racial Profiling wäre nicht möglich, wenn nicht die Figur des gefährlichen Muslim vorhanden wäre. Da diese Rassismustheorie damit operiert, den Begriff „weiß“ im Sinne eines asymmetrischen Machtverhältnisses als politische Größe zu definieren (nicht als ontologische), müssen Widersprüche entstehen. Welche Position nehmen in diesem Denken die „weißen Muslime“ des Balkans und Russlands (die zahlenmäßig größte Gruppe der europäischen Muslime) oder die wachsende Gruppe der „Konvertiten“ ein? Ironischerweise entstehen hier Parallelen zu anti-muslimischen Diskursen in Europa, in denen der Islam als wesensfremd zu Kultur, Geschichte und Identität unseres Kontinents verortet wird.
Ein weiter blinder Fleck ist das Verharren in jahrzehntealten Deutungen globaler Verhältnisse. Das de facto koloniale Auftreten „neuer Mächte“ wie China, Indien oder Russland (die allesamt einen problematischen Umgang mit ihren muslimischen Minderheiten pflegen) geht hier unter. Das gleiche gilt für die neuen nichtstaatlichen Akteure wie Banken, Supra-Banken oder Investmentsfonds, die nach neuen Kriterien operieren. Funktioniert die Welt, operieren globale Mechanismen von Macht noch so, wie sich das die Theoretiker in Berkeley und anderswo vorstellen? Wenn nicht, was bedeutet es dann für ihre Gültigkeit?
Foto:
Es ist wohl davon auszugehen, dass die vorgetragenen Erkenntnisse und Theorien von der Mehrheit der Muslime mitgetragen werden. Das kann aber für religiös verfasste und praktizierende Muslime zu Widersprüchen führen. Die Rassismusforschung habe, wie es Dr. Horsch formulierte, Grenzen, weil sie den Glauben an Gott nicht miteinbezieht. „Da können wir nicht stehen bleiben.“
Religion droht hier zu einem nebulösen Faktor unter vielen zu werden – eine „Markierung“ für den imaginären Muslim; neben Herkunft, Ethnie und Kultur. Denn dieser Gegenstand bleibt genauso wenig real, wie er es im Auge seines vermeintlichen Feindes ist. In beiden Welten kann er nicht der oberfränkische Gutbesitzer mit Biolandwirtschaft sein oder die erfolgreiche Ärztin, die ohne Diskriminierungserfahrung oder Identitätsprobleme durchs Leben schreiten.
Obwohl das Institut für Islamische Theologie einladende Institution war, fehlten hier Beiträge, die sich dem Thema antimuslimischer Rassismus von einer theologischen Warte aus näherten. Es bleibt offen, ob sich das von Kenan Kolat geforderte „Empowerment“ ereignen kann, wenn grundlegende Aspekte des Muslimseins ausgeblendet bleiben. Ironischerweise führt dieser säkular-fatalistische Diskurs bisher nicht zu Aktivität. In den letzten zehn Jahren haben muslimische Organisationen bisher keine großen Schritte in Richtung funktionierender Lobbyorganisationen unternommen.
Dr. Silvia Horsch eröffnet in ihrem Vortrag „Eine spirituelle Sicht auf antimuslimischen Rassismus“ eine andere Perspektive. Weil die Rassismusforschung dank ihrer Ausblendung Gottes Grenzen habe, müssten Muslime über sie hinausgehen. Muslime leben in der Anerkennung der Allmacht Gottes. Sie wissen, dass nichts geschieht, was Er nicht will. Und nichts, was geschieht, ist sinnlos. Muslime hätten immer schon über ihre Verhältnisse reflektiert. Aber man dürfte nicht unzufrieden sein mit der Tatsache, dass Allah alle Dinge bestimmt. Muslime müssten sich die Frage stellen, warum sie dieserart auf Diskriminierungen und Vorfälle reagierten. Sind wir wütend, weil Allah und Sein Gesandter verleumdet werden, oder weil wir uns angegriffen fühlen? Der Gesandte Allahs habe, so Horsch, die höchste Möglichkeit aufgezeigt, wie mit solchen Situationen umzugehen ist.
Der bisherige Umgang mit Diskriminierungen berge Gefahren. In ihrem Bemühen um Anerkennung richteten sich Muslime nach Parametern, die die Gesellschaft vorgebe. Natürlich solle man nach gesellschaftlichem Einfluss streben, aber hier sei die Absicht entscheidend. Eine zweite Gefahr bestünde in Äußerlichkeiten. Weil auch äußerliche Elemente der muslimischen Lebensweise, allen voran das Kopftuch, im antimuslimischen Rassismus negativ markiert seien, würden Muslime sie positiv aufladen. Dann werde das Kopftuch zu einem Symbol für Reinheit, Frömmigkeit und Identität. Drittens, seien Muslime gefährdet, passiv und reaktiv zu werden. Eine Opferhaltung habe auch die Funktion, die von Ressentiment Betroffenen moralisch aufzuwerten. Nur, die Tatsache, dass einem Ungerechtigkeit widerfahre, mache einen noch nicht zu einem bessern Menschen.
Eine weitere, tiefere Differenz zur Rassismusforschung sei deren Fehlen einer metaphysischen Dimension. Diese gehe davon aus, dass die Betroffenen nichts mit Vorurteilen zu tun hätten. Wir müssten uns aber die Frage stellen: Warum sind wir in dieser Lage und warum passieren uns diese Dinge?
Laut der muslimischen Lehre können Probleme wie antimuslimischer Rassismus auf mindestens zwei Arten verstanden werden: Negativität ist eine Prüfung. Das sei keine Aufforderung zur Passivität. „Denn wir haben Dinge zu verantworten, die wir ändern können.“ Es kann aber auch Reinigung beziehungsweise Sühne sein. Es könne sein, dass Allah uns durch solche Erfahrungen reinigen wolle.
Will die muslimische Community im Hinblick auf den gegen sie gerichteten Rassismus nicht nur passiv bleiben, muss sie sich nicht nur in Diskurse einbringen wie den, der in Osnabrück so hochkarätig geführt wurde. Sie kommt nicht darum umhin, eigenständige Positionen und Perspektiven zu entwickeln. Das erwähnte Empowerment kann nur aus einer aktiven Haltung erwachsen.

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„Wir leben in radikalen Zeiten“

Die Ausländerfeindlichkeit der 1980er Jahre hat sich in eine antimuslimische Grundhaltung gewandelt, kritisieren Muslime. Über Gründe und Auswege diskutierten Experten in Osnabrück. (iz). Passender hätte der Zeitpunkt nicht gewählt werden […]

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Das deutsche Missverständnis

„Ist Kultur eben in erster Linie eine Aktivität? Schreiben, Bauen, Malen, Dichten oder eben ‘Backen’. Geträumt: Wäre ein Syrer, der in der Provinz das berühmte deutsche Brot macht, ein Beitragender […]

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Muslime im Fokus

Das Thema Muslime in den Medien – im Sinne einer Aufklärung über die Lebenswirklichkeit und Gestalt der Lebenspraxis von Muslimen – wird im Moment wieder lebhaft diskutiert. Muslime tauchen in den Debatten in unterschiedlichem Kontext auf, wenn auch selten als deutsche BürgerInnen und überhaupt nur ausnahmsweise mit positiver Tonierung, aber immer öfter im Kontext von „Flucht“, „Terror“ oder „Immigrationsproblemen“.
Medien folgen heute bei der Berichterstattung über „heiße“ Themen einem „Sofortismus“ (Bernhard Pörksen) und sortieren spektakuläre Ereignisse, wie die schändlichen Angriffe auf Frauen in Köln, immer schneller ein. Soll das Zusammenleben in Deutschland aber weiter funktionieren, gilt es im medialen Umgang mit den Millionen von Muslimen im Lande insbesondere die Kräfte der Differenzierung zu stärken.
Für uns Muslime ist es dabei wichtig, nicht nur die Klage über Grobheiten im medialen Umgang mit uns zu betreiben, sondern das Thema des Umgangs mit den  Medien in einen geschichtlichen, philosophischen und technologischen Kontext zu setzen. Nur so können wir die aktuelle Dynamik der Informationsverbreitung besser einordnen, ihr konstruktiv begegnen und uns hoffentlich besser an den Auseinandersetzungen um die öffentliche Meinung beteiligen.
Am Beispiel der Entstehungsgeschichte von „Zeitungen“ wird klar, dass wir uns bei der historischen Einordnung moderner Medien zunächst mit dem geschichtlichen Kontext der Aufklärung beschäftigen müssen. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts gab es in Europa vor allem eine Anwesenheitskommunikation. Rudolf Schlögl beschreibt dieses Phänomen in seinem wichtigen Aufsatz „Politik beobachten“ wie folgt: „Wenn die Gemeinde der Bürger sich gegenüber dem Rat artikulierte, indem sie vor dem Rathaus zusammenlief, mit dem Sturm auf das Rathaus drohte und einen Ausschuss bildete, der mit dem Rat verhandelte, dann wurde Politik nicht beobachtet, sondern es wurde Politik gemacht.“
Dieser direkte Austausch an der Basis wurde bald selten. Neue Drucktechniken stellten Kommunikationsmedien zur Verfügung, mit deren Hilfe die Reichweite von Herrschaft sich beträchtlich erweitern ließ, weil sie von der Anwesenheit der Herrschenden entkoppelt werden kann. Es entstand nicht nur eine neue Distanz zwischen Herrschenden und Beherrschten, sondern auch eine ganz neue Perspektive, die beobachtende Öffentlichkeit.
Die Zeitschriften und Journale, die seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts in wachsender Zahl gegründet wurden, sahen zunächst darin eine wichtige Aufgabe, dem Leser Orientierung in der Fülle der zahlreichen neuen Buchtexte zu verschaffen. Dies hatte in den periodischen Printmedien naturgemäß eine Säkularisierung des Weltbezuges zur Folge. Das heißt, Medien beförderten mit Macht den „Rückzug der biblischen Prophetie“, stellten die alten religiösen Erklärungsmodelle in Frage und boten dagegen einen diskursiven Freiraum des Politischen an.
Medienkritik begleitete dabei übrigens die Zeitungen seit ihrer Einführung. Der Gelehrte und Sprachwissenschaftler Casper Stieler merkte am Ende des 17. Jahrhunderts an, „dass man in Zeitungen generell mit Nachrichten über wahre und vermeintlich wahre Dinge“ zu tun habe und die Zeitungsnachricht deswegen keinen anderen Status habe als das Gerücht.
Natürlich veränderten „Zeitungen“ auch das politische Feld. So informierten sich europäische Staaten beispielsweise nicht mehr nur mit dem Mittel der Anwesenheitskommunikation über ihre jeweiligen Absichten, sondern man las zunehmend in überregionalen Zeitungen übereinander. Zeitungen schafften so eine permanente Öffentlichkeit, die sich nicht mehr vor Ort informierte. In diesem Kontext zeigten sich auch innerhalb der Staaten die Möglichkeiten von Freiheit und Unfreiheit: Die Öffentlichkeit beobachtete den Staat, der Staat beobachtete die Zeitungen (Zensur).
Als problematisch zeigte sich im 19. Jahrhundert insbesondere das Verhältnis von Medien und Ideologie. Natürlich eigneten sich die neuen Techniken nicht nur für die Verbreitung bestimmter Überzeugungen, sondern im schlimmsten Fall auch zur Steigerung radikaler Subjektivität, bis zur Förderung radikaler Parteiungen. Philosophisch kann man wohl sagen, dass Medien nicht nur Informationen verbreiten, sondern auch einem bestimmten Willen zur Macht dienen können. Der Wille zur Macht ist dabei nicht etwa ein Wille zur Wahrheit, sondern ein Wille zum Schein, und zeigt sich auch gerade in dem Vermögen, subjektive Positionen mit absolutem Wahrheitsfuror zu verbreiten.
Heute wird dieses Phänomen der Einseitigkeit durch die Nutzung von Suchmaschinen und ihren Algorithmen verstärkt. Der individualisierte Medien­rezipient wird oft automatisch nur noch mit solchen Medienbotschaften beliefert, die zu seinen Vorlieben passen und ihm somit jede kognitive Dissonanz ­ersparen.
Natürlich suchten Philosophen wie Nietzsche, ganz im Gegensatz zum Typus des modernen Agitators, immer noch nach höherer, übermenschlicher Wahrheit. Nietzsche stellte über die Machenschaften des Journalismus eher spöttisch fest: „Mit Zeitungen, selbst den wohlgemeintesten, kann und darf ich mich nicht einlassen: — ein Attentat auf das gesamte moderne Presswesen liegt in dem Bereiche meiner zukünftigen Aufgaben.“
Auch Goethe sieht bereits die typische Gefahr der Politisierung der Gesellschaft durch Medien: „Wenn man einige Monate die Zeitungen nicht gelesen hat, und man liest sie alsdann zusammen, so zeigt sich erst, wieviel Zeit man mit diesen Papieren verdirbt. Die Welt war immer in Parteien geteilt, besonders ist sie es jetzt, und während jedes zweifelhaften Zustandes kirrt der Zeitungsschreiber eine oder die andere Partei mehr oder weniger und nährt die innere Neigung und Abneigung von Tag zu Tag, bis zuletzt Entscheidung eintritt und das Geschehene wie eine Gottheit angestaunt wird.“
Die Mahnung des Dichterfürsten klingt auch heute, wo in den Debatten schnell ein Extrem das Andere ablöst, hochaktuell. Tatsächlich sorgte sich schon im 19. Jahrhundert eine Elite, dass die Medien – vor allem, wenn sie in keine friedliche Philosophie eingebettet sind – letztlich die Freund-Feind-Verhältnisse schüren, verstärken und so auch harte Konflikte vorbereiten können.
Wenn man heute modernen Medien oft einseitige Berichterstattung über die Kriege unserer Zeit vorwirft, sollte man nicht vergessen, dass sich die Zeitungskultur gerade auch flächendeckend durchsetzte, weil sie die großen Schlachten des 18. Jahrhunderts begleitete. Dabei prägte ihre subjektive Darstellungsform eine bestimmte Perspektive. Die Berichterstattung erfolgte gewissermaßen vom Posten des Feldherrn und gewöhnte den Leser daran, die Welt aus der Sicht des Herrschers wahrzunehmen. Der Lyriker Christian Friedrich Hebbel (1813-1863) mahnte insoweit: „Zeitungen sind die einzige dem Schießpulver analoge Erfindung, und eine noch gefährlichere als diese, denn sie dienen nur einer Partei.“
Es wäre ein weiteres Thema, die spätere Politisierung der Medien im Zeitalter der Herrschaft des Nationalsozialismus zu untersuchen. Technologische Innovationen, ideologische Positionierungen und die Dialektik gegen die Gegner (und ihre „Lügenpresse“) schafften unter anderem den öffentlichen Raum für die politische Perversion der Nationalsozialisten. Im Dritten Reich war es zudem noch möglich, Rundfunk, Fernsehen und Printmedien einem politischen Willen zu unterwerfen.
Als eine der Erfahrungen aus der Überwindung der Ideologien sollte sich in der Bundesrepublik auch die Rolle der Medien verändern. Sie sollen, als eine Art „Vierte Gewalt“, zwar keine eigene Gewalt haben, aber die Macht zur Änderung der Politik oder zur Ahndung von Machtmissbrauch besitzen und so durch eine freie Berichterstattung die öffentliche Diskussion und das politische Geschehen beeinflussen können. Die eigentlichen Herausforderungen für diese neue Freiheit der Medien sind in der Nachkriegszeit weniger politischer, sondern ökonomischer und technischer Natur. Ein Problem ist dabei die immer größere Abhängigkeit der großen Medien vom Kapital und die Tendenz zur Medienkonzentration.
Die Rolle neuer Technologien verändert heute die Medienlandschaft dramatisch. Der Anteil der Menschen in Deutschland, die sich in einer (Print-) Zeitung über das aktuelle Geschehen informieren, ist seit 2005 von 51 auf nur noch 36 Prozent gefallen. Das Durchschnittsalter des Spiegel-Online-Lesers, so liest man bei Telepolis, liegt heute bei 53 Jahren, bei der Printausgabe sogar noch deutlich höher. Das Internet bietet gleichzeitig auch muslimischen Medien ihre Nischen und Möglichkeiten, das herrschende Bild der Mainstream-Medien zu verändern.
Natürlich müssen wir uns auch gerade in den Onlinemedien mit tendenziöser Berichterstattung und grundsätzlich fragwürdigen Techniken der Berichterstattung beschäftigen. Gerade die neuen Medien bieten auch spezifisch neue Möglichkeiten der Schädigung des politischen Gegners. Wie schon an anderer Stelle in der IZ ausgeführt, geht es hier um „Assoziationstechniken“, Fragen der Definitionshoheit, die Markierung von Andersdenkenden als „Islamisten“ und natürlich auch hier um die Ablehnung paradoxer Wortschöpfungen wie den „islamischen“ Terrorismus.
Der eindeutige Trend der Jugend hin zu den sozialen Medien als die primäre Informationsquelle wird unsere Wahrnehmung von Öffentlichkeit und Privatheit jedenfalls weiter radikal ändern. Die Internetpräsenz der großen Medienhäuser verschärft gleichzeitig den Kostendruck, da die Ausgaben für einen Qualitätsjournalismus gleich bleiben, aber die Werbeeinnahmen nur für sehr erfolgreiche Portale lukrativ sind. Vielen Medien ist der ökonomische Druck, der sich in oberflächlicher und plakativer Berichterstattung zeigt, bereits deutlich anzumerken. Gerade in der Berichterstattung über strittige Themen wie den Islam, entscheiden auch profane Verkaufszahlen über den Tenor der Berichterstattung. Hinzu kommt, dass muslimische Terroristen die mediale Wirkung als Teil ihrer Strategie begreifen. Sie nutzen für sich die Asymmetrie zwischen der eigenen realpolitischen Bedeutung und der öffentlichen Wirkung.
Der Philosoph Peter Sloterdijk beschrieb nach dem 11. September, sicher auch eine Zeitenwende in Bezug der Berichterstattung über die Muslime, ein grundsätzliches Phänomen. Der Terrorismus wird aus Sicht des Denkers bei uns geradezu sakralisiert und Medien nutzten dabei ihre Macht der Vergrößerung. „Nadelstichgroße Effekte im Realen werden “ so Sloterdijk „durch unsere Medien bis auf das Format von interstellaren Phänomenen vergrößert.“
Zweifellos gehört es zur Macht von Medien Ereignisse zu verstärken, manchmal auch quasi zu vermarkten. Muslime werden heute in den Medien nicht zufällig eher als „Täter“, seltener aber als „Opfer“ dargestellt. Gegen diesen Eindruck kann man, wenn man will, allerdings auch Fakten setzen. Natürlich gibt es Journalisten, die – gegen den aktuellen Trend – eine differenzierte Position gewissenhaft recherchieren und auch verbreiten. Diesen Versuch zur Differenzierung unternahm zum Beispiel Rüdiger Scheideges vom „Handelsblatt“. In seinem Artikel weist er nach, dass die größten Opferzahlen des globalen Terrorismus Muslime sind. Auch die schnelle Verknüpfung von Terror und Islam sieht er skeptisch. So mahnt er:  „2014 sind weltweit rund 33.000 Menschen durch Terrorismus (nicht durch Kriege!) vernichtet worden. In westlichen Ländern aber ist der islamische Fundamentalismus entgegen unserer Wahrnehmung nicht die Hauptursache für Terrorismus: 80 Prozent aller Getöteten standen nicht im Fadenkreuz von Dschihadisten, sondern sind Opfer von Einzeltätern, die politische oder religiöse Extremisten, Nationalisten oder Rassisten waren.“
Das Phänomen des IS/Daesh stellt nochmals eine Steigerung der Begriffsverwirrung und der Verbreitung dunkler Assoziationsketten dar. Die Debatte über die Muslime in den Medien hat sich seit dem IS-Terror nochmals deutlich verschärft. Die NGO „Mediatenor“ hat für eine Studie nach eigenen Angaben alle 265.950 Berichte über Akteure sowie 5.141 Berichte über den Islam, die katholische und evangelische Kirche in 19 deutschen TV-, Radio- und Printmedien ausgewertet. Christian Kolmer, Leiter für Politik bei Mediatenor, bringt die Lage auf den Punkt: „Der Islamische Staat katapultiert das Medien-Image des Islam in einen katastrophalen Zustand.“ Gleichzeitig bringt der Experte die künftigen Herausforderungen für uns Muslime auf den Punkt: „Wie das Image des Islam sich aus diesem absoluten Tiefstand erholen soll und in welchem Zeitraum das möglich ist, muss alle Kräfte der Integration mit größter Sorge erfüllen“.

Bundestagspräsident: keine Parallelen zu Weimar

Passau (KNA). Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat eine „zunehmende Verrohung der Sitten und des Umgangs miteinander“ beklagt. „Was wir in den sozialen Netzwerken an Stil und Form der Auseinandersetzung erleben, spottet oft jeder Beschreibung“, sagte der CDU-Politiker der „Passauer Neue Presse“ (Samstag). „Mich bestürzt, dass Woche für Woche Menschen auf die Straße gehen, die ihre vermeintliche Sorge vor der Islamisierung des Abendlandes bekunden, aber selbst nicht die Mindeststandards der Kultur unseres Landes einhalten, für die sie angeblich kämpfen“ sagte der Bundestagspräsident.
Eine Staatskrise und Parallelen zur Weimarer Republik sieht der CDU-Politiker aber derzeit nicht. „Wir erleben erfreulicherweise eine Solidarität von Demokraten, die es damals nicht gegeben hat“, sagte er. Ein beachtlicher Teil des Ringens um die richtige Lösung in der Flüchtlingspolitik finde im Bundestag statt, gerade auch in den Fraktionssitzungen. „Da wird Tacheles geredet, unter Wahrung des Respekts vor dem anderen und seiner Überzeugung, ohne Beschimpfungen und Beleidigungen – im Unterschied zu manchen Entgleisungen auf Straßen, Plätzen und in sozialen Netzwerken.“
Lammert sprach sich für eine faire Auseinandersetzung mit der Partei „Alternative für Deutschland“ aus. „Wir sollten mit der AfD nicht anders umgehen als mit jeder anderen Partei auch. Über ernsthafte Themen muss ernsthaft geredet werden“, forderte der Bundestagspräsident. „Wir sollten Besorgnisse ernst nehmen und offenkundig unzutreffende Behauptungen entlarven. Klartext zu sprechen und gleichzeitig den Respekt gegenüber anderen Überzeugungen erkennen zu lassen, darauf kommt es an“, so Lammert.
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