, ,

Zyklon „Mocha“ zerstört Flüchtlingscamps in Myanmar und Bangladesch

Zyklon Rohingya Klima

Ein Zyklon hat in Myanmar und Bangladesch vor allem in Regionen gewütet, in denen Millionen verzweifelte Flüchtlinge leben. Humanitäre Organisationen fordern dringend Hilfe.

Yangon/Dhaka (dpa). Der Kategorie-5-Zyklon „Mocha“ hat in Teilen von Myanmar und Bangladesch schwere Verwüstungen angerichtet. Das ganze Ausmaß der Schäden wird aber erst langsam deutlich, weil die meisten Kommunikationsverbindungen zusammengebrochen sind. „Wir erhalten jetzt ständig neue Berichte, wonach der Grad der Zerstörung immer weiter wächst“, teilte die Hilfsorganisation Oxfam am Montag mit.

Foto: IPS News

Zyklon vernichtet Flüchtlingslager der Rohingya

Der tropische Wirbelsturm war am Sonntag mit Windgeschwindigkeiten von teilweise mehr als 250 Stundenkilometern an der Westküste der beiden Nachbarstaaten auf Land getroffen. Es war der heftigste Zyklon in der Region seit mehr als einem Jahrzehnt.

Auf Fotos und Videos aus den betroffenen Gebieten waren viele abgedeckte Häuser und Hütten zu sehen. Überall lagen Trümmerteile. Zudem gab es wegen Starkregens und Sturmfluten heftige Überschwemmungen. Zahlreiche wunderschöne Pagoden in Myanmar standen unter Wasser.

Auch zahlreiche Bäume und Strommasten knickten um. „Manche Ortschaften sehen aus wie Seen, in einigen Dörfern steht kein Haus mehr“, sagte Min Thein, ein Einwohner aus dem besonders schwer betroffenen Rakhine-Staat an der Westküste des früheren Birma.

Foto: NASA | Lizenz: Public Domain

Rettungsmaßnahmen konnten viele retten

In beiden Ländern waren zuvor Hunderttausende Menschen vorsorglich in Sicherheit gebracht worden. Offenbar rettete dies vielen das Leben: Oxfam zufolge starben in Myanmar mindestens acht Menschen, in Bangladesch gab es zunächst keine Berichte über Opfer.

Das Krisenland Myanmar versinkt seit einem Militärputsch vor zwei Jahren in Chaos und Gewalt. Die regierende Junta unterdrückt jeden Widerstand mit eiserner Faust und startet immer wieder Luftangriffe auf das eigene Volk. Mehr als eine Million Menschen leben bereits als Vertriebene im eigenen Land, oft in notdürftigen Camps.

Der Sturm habe „enorme Auswirkungen“ auf das Leben der Binnenvertriebenen, sagte Rajan Khosla, Oxfam-Direktor in Myanmar. „Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, die erforderlichen Mittel bereitzustellen, um ihnen ein Leben in Würde zu ermöglichen.“

Großbrand Flüchtlingslager

Hunderttausende Rohingya sind hoffnungslos in den Lagern im Grenzgebiet von Bangladesch gedrängt. (Foto: Pablo Tescar/MSF)

Bereits vor dem Sturm in Not

Bereits vor dem Zyklon hätten sich in den Bundesstaaten, in denen der Zyklon wütete (Rakhine, Chin, Magway und Sagaing), schätzungsweise sechs Millionen Menschen in humanitärer Not befunden. Der Bedarf an Grundbedürfnissen wie Unterkünften, sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen werde nun noch weiter steigen, betonte Oxfam.

Betroffen war auch die Stadt Cox’s Bazar in Bangladesch. In der dortigen weltgrößten Ansammlung von Flüchtlingslagern leben rund eine Million Rohingya-Flüchtlinge aus Myanmar, zumeist in Behausungen aus Bambus und Plastikplanen. Etwa 2500 dieser Unterkünfte seien vollständig oder teilweise zerstört worden, sagte der Chef der für Rohingya zuständigen Behörde in Bangladesch, Mizanur Rahman.

Viele in der Region hatten befürchtet, dass „Mocha“ so schreckliche Auswirkungen haben könnte wie vor 15 Jahren der Zyklon „Nargis“: Im Mai 2008 hatte der Tropensturm in Myanmars Irrawaddy-Delta Schätzungen zufolge fast 140 000 Menschen in den Tod gerissen.

, , , ,

Strafanzeige gegen Myanmars Militärjunta in Deutschland

Naypyidaw/Berlin (dpa). Eine Menschenrechtsorganisation und 16 Beschwerdeführer aus Myanmar haben in Deutschland Strafanzeige gegen Mitglieder der Militärregierung des südostasiatischen Krisenlandes gestellt. Die Gruppe will erreichen, dass die Generäle im Zuge ihres Putsches vom 1. Februar 2021 wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestraft werden. Die in Südostasien tätige Organisation Fortify Rights begründete den Schritt am Dienstag in einer Mitteilung mit dem Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit bei schweren Verbrechen.

„Das Militär von Myanmar genießt immer noch völlige Straffreiheit, und das muss ein Ende haben. Diese Verbrechen können nicht ungesühnt bleiben“, sagte Matthew Smith, Geschäftsführer von Fortify Rights. Das im deutschen Recht verankerte Weltrechtsprinzip sei ein globales Modell zur Bekämpfung der Straflosigkeit bei den schlimmsten Verbrechen, „unabhängig davon, wo die Verbrechen begangen werden oder wo sich die Überlebenden aufhalten.“

Seit dem Putsch, der sich in der kommenden Woche zum zweiten Mal jährt, versinkt das frühere Birma in Chaos und Gewalt. Die Junta unterdrückt jeden Widerstand mit eiserner Faust. Immer wieder gibt es Berichte über brutale Angriffe und schwere Folter. Die entmachtete Regierungschefin Aung San Suu Kyi (77) wurde vor Gericht gestellt und zu insgesamt mehr als 30 Jahren Haft verurteilt.

Bei dem Strafantrag geht es auch um die blutigen Attacken in dem mehrheitlich buddhistischen Land gegen die muslimische Minderheit der Rohingya. Seit Beginn der Militäroffensive im August 2017 flohen Hunderttausende Rohingya über die Grenze nach Bangladesch.

„Die 215-seitige Anzeige und mehr als 1.000 Seiten Anhänge liefern Beweise, um die Bundesanwaltschaft bei der Untersuchung und Verfolgung der Verantwortlichen des Rohingya-Völkermords sowie der Gräueltaten im Zusammenhang mit dem (…) Staatsstreich der Militärjunta zu unterstützen“, so Fortify Rights weiter. Bereits im vergangenen Jahr hatten Menschenrechtler in der türkischen Hauptstadt Istanbul Strafanzeige gegen Mitglieder der Junta gestellt.

,

Rohingya: „Alarmierender Anstieg der Todesopfer“

Genf (KNA) Mindestens 348 Rohingya sind nach UN-Angaben im vergangenen Jahr bei ihrer Flucht mit dem Boot in Südostasien ertrunken oder verschollen. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Genf sprach am 17. Januar von einem alarmierenden Anstieg der Todesopfer. Insgesamt suchten im Jahr 2022 demnach mehr als 3.500 Angehörige der muslimischen Minderheit den Weg über die Andamanensee und den Golf von Bengalen, rund fünf Mal mehr als im Vorjahr.

Die meisten Boote kamen laut UNHCR aus Myanmar und Bangladesch. Dies zeige die wachsende Verzweiflung der Rohingya in diesen Ländern. Fast 45 Prozent derer, die einen Hafen erreichten, waren den Angaben zufolge Frauen und Kinder. Unter den Flüchtlingen befänden sich Opfer von Menschenhandel und geschlechtsspezifischer Gewalt sowie unbegleitete oder von ihren Familien getrennte Minderjährige.

Das UN-Hilfswerk forderte umgehende Such- und Rettungseinsätze, Unterstützung für die Aufnahmeländer und stärkere Maßnahmen gegen Schlepperei und Menschenhandel.

, , ,

Rohingya: Flüchtlingsdrama im Indischen Ozean

Im Schatten der Flüchtlingswellen aus der Ukraine und aus Afrika spielt sich im Indischen Ozean ein weiteres Drama ab. Tausende Rohingya fliehen in kaum seetüchtigen Booten aus den Flüchtlingslagern in Bangladesch.

Bangkok (KNA). Ein undichtes Holzboot mit 184 Rohingya-Flüchtlingen an Bord hat in der ersten Januarwoche die Küste der indonesischen Provinz Aceh erreicht. Es wird nicht das letzte gewesen sein. Seit Herbst 2022 ist die Zahl der Rohingya-Bootsflüchtlinge sprunghaft gestiegen. Nach Angaben der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen waren es 2022 schon mehr als 2.400. Mehr als 200 seien ums Leben gekommen. Die Boote seien nicht nur „unsicher und überfüllt“, sondern trieben oft auch tagelang hilflos auf See, weiß UN-Menschenrechtshochkommissar Volker Türk.

Ziel der Flüchtlinge sind Thailand, Malaysia oder Indonesien, aber auch Indien und Sri Lanka. Doch in kaum einem dieser Länder herrscht eine „Willkommenskultur“. Fehlanzeige auch bei Rettungsschiffen humanitärer Organisationen, wie es sie im Mittelmeer gibt.

Anfang Dezember strandeten rund 200 Rohingya-Flüchtlinge mit ihrem Boot an der Küste Thailands. Angaben der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR zufolge trieb das Boot tagelang mit einem Motorschaden auf See. Die Menschen an Bord seien ohne Nahrung und Wasser und stark dehydriert gewesen. Mehrere seien gestorben. Ebenfalls im Dezember wurde ein Flüchtlingsboot von einem vietnamesischen Schiff aufgegriffen – und die 184 Rohingya an Bord der Marine des Herkunfts- und Verfolgerlandes Myanmar übergeben. Anders verhielt sich die Marine von Sri Lanka, die Mitte Dezember 104 Flüchtlinge aus Seenot rettete und an Land brachte.

Malaysias Umgang mit Bootsflüchtlingen ist ambivalent. Mit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 lehnte das mehrheitlich muslimische Land die Aufnahme muslimischer Rohingya-Flüchtlinge ab. Malaysia habe sich geweigert, Rohingya von Bord zu lassen und die Boote zurück aufs Meer getrieben. „Jene, die es dennoch geschafft haben, wurden auf unbestimmte Zeit in Einwanderungsgefängnisse eingewiesen; und dem UNHCR wurde in den vergangenen zwei Jahren der Zugang zu diesen Zentren verweigert“, sagt Chris Lewa von der „Arakan Rohingya National Organisation“ der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Indonesien ist derzeit also das einzige Land in Südostasien, das Rohingya-Bootsflüchtlinge aufnimmt. „Die Rohingya werden zunächst in Aceh in Unterkünften untergebracht. Nachdem sie von den Behörden und dem UNHCR registriert wurden, werden sie auf andere Regionen und Städte verteilt“, sagt Atika Yuanita Paraswaty telefonisch aus Jakarta der KNA. Die Bevölkerung stehe den Flüchtlingen aber distanziert und skeptisch gegenüber, so die Leiterin der Flüchtlingsorganisation SUAKA.

Die katholische Wohlfahrtsorganisation Caritas Bangladesch warnt die Rohingya mit einer Aufklärungskampagne in den Lagern in Cox’s Bazar vor Menschenhändlerbanden, die teure, riskante und lebensgefährliche Fluchtmöglichkeiten per Boot nach Südostasien anbieten. Myanmar hatte 2017 mehr als 750.000 Rohingya gewaltsam nach Bangladesch vertrieben.

Durch Einschränkungen des Lebens in den Lagern macht Bangladesch deutlich, dass die Flüchtlinge nur geduldet sind. Die meisten leben in Hütten aus Bambus und Plastik, weil sie keine festen Unterkünfte bauen dürfen. Mehrere Feuersbrünste haben in jüngerer Vergangenheit Tausende Hütten zerstört; andere überstehen die Monsun-Regenfälle nicht. Jeder dritte der Flüchtlinge lebt laut der deutschen Caritas international, die in den Lagern humanitäre Hilfe unterstützt, unterhalb der Armutsgrenze.

Eine Lösung der Flüchtlingskrise ist nicht in Sicht. Eine Rückkehr der mehr als 750.000 Rohingya in ihre Heimat Rakhine, dem ehemaligen Arakan, ist aufgrund des Bürgerkriegs in Myanmar nicht möglich. Die Vereinigung von ASEAN-Parlamentariern für Menschenrechte warnt: „In dieser verzweifelten Lage begeben sich viele von ihnen auf der Suche nach einem besseren Leben in die Hände skrupelloser Menschenhändler – auf die extrem gefährliche Seereise.“

,

Bosniaken und Rohingya: Hintergründe zum Thema Völkermord

Die Geschichte zeigt ein anhaltendes Muster, das im Laufe der Zeit immer wieder gewoben wurde: Völkermörderische Verbrechen an Minderheiten wie Muslime. Der fortgesetzte Genozid gegen die Minorität der Rohingya ist […]

IZ+

Weiterlesen mit dem IZ+ (Monatsabo)

Mit unserem digitalen Abonnement IZ+ (Monatsabo) können Sie weitere Hintergrundbeiträge, Analysen und Interviews abrufen. Gegen einen Monatsbeitrag von 3,50 € können Sie das erweiterte Angebot der Islamischen Zeitung sowie das ständig wachsende Archiv nutzen.

Abonnenten der IZ-Print sparen beim IZ+ Abo 50%.

Wenn Sie bereits IZ+ Abonnent sind können Sie sich hier einloggen.

* Einfach, schnell und sicher bezahlen per Paypal, Kredit-Karte, Lastschrift oder Banküberweisung. Das IZ+ Abo verlängert sich automatisch um einen Monat, wenn es nicht vorher gekündigt wurde. Sie können ihr bestehendes Abo jederzeit auf der Mein Konto-Seite kündigen.

, , ,

Gewalt in Myanmar: UN-Menschenrechtschef beklagt tote Rohingya-Bootflüchtlinge

Genf/New York (kann/dpa). UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk fordert ein koordiniertes regionales Vorgehen zum Schutz Tausender verzweifelter Rohingya, die bei gefährlichen Fluchtversuchen auf See ihr Leben riskieren. „Mehr als 2.400 Rohingya haben versucht, Bangladesch und Myanmar allein im Jahr 2022 zu verlassen, und ich bin zutiefst traurig, dass Berichten zufolge über 200 auf dem Weg ihr Leben verloren haben“, erklärte Türk am 30. Dezember in Genf. Laut jüngsten Berichten seien überfüllte und unsichere Boote mit Geflüchteten tagelang auf dem Meer getrieben, ohne dass sie Hilfe bekommen hätten.

Bereits Anfang Dezember hatte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR vor einem starken Anstieg von Bootsfluchten muslimischer Rohingya aus Bangladesch und Myanmar gewarnt. Die meisten steuerten Malaysia oder Indonesien an. Viele der alten und überfüllten Boote sänken, hieß es.

Türk forderte die Länder in der Region mit Nachdruck auf, einen Koordinierungsmechanismus einzurichten, um Suche, Rettung und Schutz der Rohingya-Flüchtlinge auf ihrem Territorium sicherzustellen. Einige Staaten hätten bereits Hilfe geleistet, betonte er.

Der Menschenrechtskommissar rief die Länder in der Region und weltweit auf, Bangladesch bei der Hilfe für die mehr als eine Million Rohingya zu unterstützen, die dort seit 2017 Schutz suchten. Es müsse dringend eine Lösung gefunden werden, um die freiwillige Rückkehr aller Rohingya als gleichberechtigte Bürger Myanmars zu ermöglichen, sagte Türk.

Bereits Mitte Dezember hatte Caritas Bangladesch in einer Aufklärungskampagne Rohingya-Flüchtlinge vor Menschenhändlern gewarnt. Das Programm soll demnach etwa 23.000 Betroffene davon abhalten, illegale, teure und lebensgefährliche Fluchten per Boot anzutreten. Die Angehörigen der Minderheit versuchten, „das eingesperrte und unsichere Leben in den Lagern in Bangladesch zu verlassen und in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft mit Booten in andere Länder zu reisen“, hieß es.

Laut UNHCR unternahmen im vergangenen Jahr 300 Rohingya die gefährliche Reise; davon seien 29 als tot oder vermisst gemeldet worden.

Anfang Dezember waren rund 200 Rohingya-Flüchtlinge auf einem Boot an der Küste Thailands gestrandet. Berichten zufolge trieb es mehrere Tage auf See, nachdem die Motoren ausgefallen waren. Die Menschen an Bord seien ausgehungert und stark dehydriert gewesen. Im Sommer 2017 hatte die Armee von Myanmar mehr als 750.000 Rohingya gewaltsam über die Grenze nach Bangladesch vertrieben.

UN-Kommission: Angriffe gegen Zivilisten in Myanmar massiv gestiegen

Die Zivilbevölkerung im militärisch regierten Myanmar ist laut einer Untersuchungskommission der Vereinten Nationen immer größerer Gewalt ausgesetzt. In diesem Jahr sei «ein dramatischer Anstieg» von Angriffen auf Zivilisten, Schulen, Krankenhäuser und Kirchen beobachtet worden, sagte Menschenrechtsexperte Nicholas Koumjian. Bei solchen Attacken könnte es sich um Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit handeln, sagte Koumjian, der den Unabhängigen Untersuchungsmechanismus für Myanmar (IIMM) leitet.

Der vom UN-Menschenrechtsrat in Genf eingesetzte IIMM erinnerte auch an das Massaker am 24. Dezember 2021, bei dem 30 Menschen im östlichen Bundesstaat Kayah getötet und danach verbrannt wurden.

In Myanmar hat im Februar 2021 das Militär die Macht übernommen. Regimekritiker werden seitdem brutal verfolgt. In vielen Teilen des südasiatischen Landes haben sich lokale bewaffnete Einheiten gebildet, um Widerstand gegen die Junta zu leisten. Schon vorher waren Hunderttausende Angehörige der muslimischen Minderheit der Rohingya vor Repressionen und Verfolgung im überwiegend buddhistischen Myanmar geflohen.

,

Menschenrechtler skeptisch: ASEAN ernennt Sonderbotschafter für Myanmar

brennpunkte

Yangon (KNA). Mehr als drei Monate nach dem ASEAN-Gipfel zur Lage in Myanmar hat der südostasiatische Staatenbund einen Sonderbotschafter für Gespräche mit der Militärregierung ernannt. Das Amt habe der Diplomat Erywan Pehin Yusof aus dem mehrheitlich islamischen Sultanat Brunei übernommen, teilte ASEAN am 4. August auf Twitter mit. Der Sonderbotschafter solle „Vertrauen und Zuversicht“ aufbauen und „Zugang zu allen beteiligten Parteien“ erhalten, hieß es.

Die Gruppierung „Asiatische Parlamentarier für Menschenrechte“ (APHR) reagierte skeptisch auf die Ernennung. Es sei „irritierend, dass ein Minister einer absoluten Monarchie, die sich nicht internationalen Menschenrechtsstandards verpflichtet fühlt, mit der Aufgabe betraut wurde, einer mörderischen Armee von der Achtung dieser Prinzipien zu überzeugen“, erklärte die APHR.

Der Staatenverband ASEAN, dem Myanmar angehört, hatte sich am 24. April auf dem Myanmar-Gipfel in Jakarta auf einen „Fünf-Punkte-Konsens“-Plan zur friedlichen Lösung des Konflikts in Myanmar geeinigt. Darin wird unter anderem das Ende der Gewalt gefordert. Myanmars Juntachef Min Aung Hlaing hatte dem Plan zugestimmt, distanzierte sich wenig später jedoch davon. Kurz nach dem Gipfel erklärte die Junta, zuerst müsse in Myanmar „Stabilität“ erreicht werden, bevor der Fünf-Punkte-Plan umgesetzt werden könne.

Die Ernennung eines ASEAN-Sonderbotschafters war laut Medienberichten lange durch Myanmar blockiert worden, da die Junta einen Diplomaten der vom Militär geführten Regierung Thailands bevorzugt habe. Die Junta hatte am 1. August, sechs Monate nach dem Putsch, den Ausnahmezustand um ein weiteres Jahr bis 2023 verlängert.

Nach Angaben der Gefangenenhilfsorganisation „Assistance Association for Political Prisoners – Burma“ (AAPPB) wurden seit dem Putsch mehr als 940 Demonstranten – darunter 75 Kinder – von Armee und Polizei erschossen.

5.444 Regimegegner wurden verhaftet und angeklagt. 229 seien bereits zu langen Haftstrafen und 26, darunter zwei Kinder, zum Tod verurteilt worden. Gegen weitere 39 seien in Abwesenheit Todesstrafen verhängt worden. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) warf der Junta am Wochenende „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ wie Mord, Folter und sexuelle Gewalt gegen Frauen vor.

, ,

„IZ-Begegnung“ mit dem Londoner Vertreter der Rohingya

(iz). In den Augen der UNO gehören sie zu den am meisten verfolgten Minderheiten: die Rohingya. Ihr Leid erregte – mit Ausnahme der massiven Übergriffe vom Sommer des Jahres, bei der bis zu mehrere tausend Muslime ermordet wurden – bisher kaum oder gar kein Interesse. Auch nicht in der muslimischen Welt. Diese hat seit Jahrzehnten wie gebannt auf den Nahen Osten geblickt, während die Entrechtung dieser burmesischen Volksgruppe ein Maß erreichte, dass ihr auch in der offiziellen Ver­­fassung nicht viel mehr Rechte als von klassischen Sklaven zugestanden wurde.

Die vermeintliche Demokratiebewegung Burmas, allen voran die in Sachen Arakan erschreckend passive „Demokratie-Ikone“ und Nobelpreisträgerin Aung San Kyi, schweigt entweder zum langsamen Genozid oder nimmt aktiv teil an der kompletten Vertreibung. Sämtliche Strukturen des Staates – bis zum amtierenden Präsidenten Thein Sein – schauen dem brutalen Rassismus nicht nur zu, sondern sind aktiv daran beteiligt. Einer der handfesten Gründe für die versuchte Auslöschung der Rohingya sind die erheblichen natürlichen Ressourcen ihrer Heimatprovinz; allen voran Erdöl und -gas.

Über das Thema dieser verfolgten Minderheit sprachen wir mit Tun Khin Zia ul-Gaffar. ­Er lebt in England und ist Vorsitzender der Burma Rohingya Organisation in the UK (BROUK), die sich für die Belange der Rohingya einsetzt. Tun Khin selbst trat mehrfach vor dem britischen Unterhaus, im US-Kongress und in Brüssel auf, um über die Lage der Rohing­ya zu informieren.

Islamische Zeitung: Lieber Tun Khin, wie sieht die Lage der Muslime in Ihrer Heimat, der burmesischen Provinz Arakan momen­tan aus?

Tun Khin ­Zia ul-Gaffar: Im Augenblick müssen 140.000 Menschen ohne Hilfe und Unterkunft überleben. Sie haben keinen ausreichenden Zugang zu Hilfsmitteln, Zelten, Lebensmitteln und medizinischer Hilfe. Dieser wird ihnen von gewalttätigen Banden, aber auch genauso von staatlichen Strukturen wie der Polizei verweigert.

Islamische Zeitung: Wie ist die Sicherheit der muslimischen Gemeinschaften? Ist sie besser – im Vergleich zu den Gewaltausbrüchen Mitte des Jahres?

Tun Khin ­Zia ul-Gaffar: Offenkundig haben diese heftigen Übergriffe nach einigen Tagen nachgelassen. Aber lassen Sie sich von dem vermeintlichen Bild der Ruhe nicht täuschen: Es gibt in Arakan keine Sicherheit für die Rohingya, weil die Regierung, gemeinsam mit Sicherheitskräften, hinter der Gewalt steht. In dem Fall kann es für uns keine Sicherheit geben. Die Gewalt kann jederzeit – ohne irgendwelche Beschränkungen – wieder aufflammen.

Insgesamt sitzen in Burma 200-300.000 Rohingya in einer Art Falle. Sie können nicht auf die Märkte gehen, um Lebensmittel einzukaufen, sie können sich nicht frei bewegen und nicht in die Schule gehen. Es kann passieren, dass jemand aus dem Haus geht, um etwas zu kaufen, und danach verprügelt oder getötet wird.

Islamische Zeitung: Es gab Berichte, wonach Muslime in einigen Gebie­ten von ihrem Land und aus ihren Häusern vertrieben wurden…

Tun Khin ­Zia ul-Gaffar: Genau. Dies geschieht gerade in Kyaukphyu. Viele Rohingya müssen ihre Dörfer und Städte verlassen. Die lokalen Behörden ­wollen uns loswerden und das freiwerdende Land an sich nehmen.

Islamische Zeitung: Lassen sich die Verhältnisse in Ihrer Heimat als „ethnische Säuberungen“ bezeichnen?

Tun Khin ­Zia ul-Gaffar: Nein, das sind keine „ethnische Säuberungen“. Es ist mehr als das, es ist ein Genozid. Die Absicht dafür ist vorhanden. Der ­jetzige Präsident von Burma [Thein Sein] erklär­te gegenüber dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR vor Zeugen: „Die Rohingya sind keine Bürger von Burma/­Myanmar. Sie sind illegal ­eingewanderte Bengalis, die in unser Land eingesickert sind. Wir müssen sie alle in Lagern konzentrieren und dann aus unserem Land werfen. Das ist die einzige Lösung.“ Das ist es, was sie in Wirklichkeit wolle! ­Diese Aussagen sind bei einem Treffen mit UN-Vertretern am 11. Juli 2012 ­gefallen!

Islamische Zeitung: Wie verhält sich die demokratische Opposition?

Tun Khin ­Zia ul-Gaffar: Unglücklicherweise hat die Ikone dieser Bewegung [die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi] vollkommen und total zu der, an den Rohingya begangenen Gewalt geschwiegen. Und das, obwohl sie die moralische Autorität gehabt hätte, ihre Stimme zu erheben. Aber sie schweigt. Wir sind alle sehr geschockt von ihrem mora­lischen Versagen.

Islamische Zeitung: Das heißt, es gibt in Ihrem Land eine einheitliche Front gegen die Muslime?

Tun Khin ­Zia ul-Gaffar: Ja, leider. Momentan wird das ganze Land von einer rassistischen, anti-muslimischen Kam­pagne gegen die Rohingya dominiert. Trotz einer vorherigen Absichtserklärung blockiert der Präsident die Eröffnung eines Büros der OIC [Organisation für Isla­mische Zusammenarbeit] in Burma. Die Behörden haben sogar die Öffentlichkeit zu Unmutsbekundungen bezüglich dieses Vorhabens angehalten. Und so gab es öffentliche Demonstrationen gegen die Eröffnung eines Büros der OIC.

Islamische Zeitung: Betrifft die Gewalt gegen die Rohingya auch andere muslimische Volksgruppen in anderen Teilen Burmas?

Tun Khin ­Zia ul-Gaffar: Ja, es sind auch die andere Muslime betroffen. Stellenweise hat sich die Gewalt auf andere Landesteile ausgebreitet.

Islamische Zeitung: Gelten die, von den diversen Militärregierungen beschlossenen Gesetze, die Ihr Volk zu einer rechtlosen Klasse Menschen erklärt hat, auch noch unter dem demo­kratischen Regime?

Tun Khin ­Zia ul-Gaffar: Nach der Befreiung Burmas von der japanischen Besatzung [am Ende des 2. Weltkriegs] und der Unabhängigkeit von den Briten 1948 wurden die Rohingya als gleichbe­rechtigte Volksgruppe des Landes durch die Verfassung anerkannt. 1962 riss das Militär die Macht das erste Mal an sich. Damals begann die anti-muslimische Kampagne gegen die Rohingya in Arakan. Diese Politik wurde fortgeführt. Als es 1988 nach einem Massenaufstand erneut ein Militärregime gab, wurde die Lage der Rohingya noch schlimmer. Die freie Bewegung der Muslime wurde unterbunden. Sie konnten nicht mehr ungehindert heiraten. Bereits diese Militär­regierungen forcierten eine Vertreibungs­politik, mit der sie die Rohingya aus ihrer Heimat zwingen wollten. Diese Situation hat sich bis heute fortgesetzt.

Islamische Zeitung: Für Außenstehende aus dem westlichen Ausland besteht der Eindruck, dass Nachbarländer wie Bangladesch Ihr Volk ebenfalls schlecht behandeln und nicht als Flüchtlinge anerkennen. Sind sie auch enttäuscht angesichts der muslimischen Länder in Südostasien?

Tun Khin ­Zia ul-Gaffar: Ja, das ist frustrierend für uns. Die Regierung von Bangladesch trägt dabei die Hauptschuld. Sie müsste der Behauptung entgegentre­ten, dass die Rohingya illegale Einwanderer aus ihrem Land sind. Andere Elemente der internationalen Gemeinschaft wie die UN, die EU oder die USA müssen sich ebenfalls für die Rohingya einsetzen und den Burmesen klar machen, dass wir ihre Landsleute sind. Momentan erzeugt Bangladesch den Eindruck, als wären die Rohingya tatsächlich aus diesem Land nach Burma eingewandert.

Islamische Zeitung: Wie ist die Lage der Flüchtlinge?

Tun Khin ­Zia ul-Gaffar: Herzzerreißend; sie leben stellenweise unter den elendigsten Bedingungen und manche haben nur alle zwei Tage eine Mahlzeit. Die individuelle Lage hängt von dem einzelnen Land ab. In Malaysia werden sie deutlich besser behandelt als in Bangladesch. Dort ist die Lage am ­schlechtesten.

Islamische Zeitung: Wie viele Rohingya sind in die benachbarten Länder geflohen?

Tun Khin ­Zia ul-Gaffar: Entsprechend unserer Informationen gibt es insgesamt 3,5 Millionen Rohingya. 1,5 sind wegen der anhaltenden Verfolgung geflo­hen. Wir gehen von zwei Millionen Rohingya aus, die noch in Burma ­verblieben sind, während die Regierung von höchstens 800.000 spricht.

Sie dürfen nicht vergessen, dass Statis­tik und Demographie selbst Mittel der Auseinandersetzung sind. So können wir davon ausgehen, dass bei den jüngsten Gewaltausbrüchen mehrere Tausend Menschen ermordet wurden. Diese Zahl beinhaltet auch Vermisste, die bei ihrer Flucht ums Leben kamen. In den Regie­rungsstatistiken werden immer nur die aufgefundenen Leichname erwähnt, aber es sind sehr viele Menschen verschwunden. Großfamilien wurden auf ein oder zwei Menschen reduziert. Oftmals rannten ganze Dörfer weg, weil der Mob oder Sicherheitskräfte kamen und die Ortschaften niederbrannten. Viele starben bei der Überquerung von Flüssen und wurden später tot aufgefunden.

Islamische Zeitung: Wie stehen Sie zur aktiven Beteiligung an der anti-muslimischen Gewalt durch buddhistische Würdenträger und Mönche?

Tun Khin ­Zia ul-Gaffar: Das ist ­leider eine traurige Tatsache. Die Regierung hat die buddhistischen Klöster als ein Mittel für die Gewalt gegen die ­Rohingya benutzt. Für viele Aktionen bedient sich die Regierung der willigen Elemente in der Öffentlichkeit, um nicht selbst als verantwortlich dazustehen.

Islamische Zeitung: Lässt sich ein strategischer und wirtschaftlicher Zusammenhang zu der Gewalt gegen die Rohingya herstellen? Manche sprechen von großen Erdölvorkommen in Ihrer Heimat…

Tun Khin ­Zia ul-Gaffar: Exakt, ­genau deshalb will man uns von unserem Land vertreiben. Der Hass auf die Rohingya und die Muslime wird durch die natürlichen Ressourcen noch weiter angeheizt. Nachdem China lange Jahre die Mili­tärregierung unterstützt hat, entdecken die USA jetzt – wegen der angeblichen Demokratisierung – Burma als potenziel­len Partner. Hinzu kommen Russland und Indien, die ebenfalls Interessen haben. Und Israel bildet Angehörige des Militärs und des Sicherheitsapparates aus.

Islamische Zeitung: Bis vor Kurzem nahm die Mehrheit der muslimischen Welt kaum oder keine Kenntnis von der Lage Ihres Volkes. Haben Sie das Gefühl, dass die Rohingya – im Vergleich zum Nahen Osten – alleine gelassen werden?

Tun Khin ­Zia ul-Gaffar: Ja, schon… Wir fühlen schon des Öfteren, dass der Sache der Rohingya nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird. Das macht uns natürlich traurig. In diesen Tagen ist es ein bisschen besser geworden, aber wir vermissen immer noch Aktionen von Seiten der muslimischen Welt und dass diese ihre Stimme für die Rohingya erhebt. Wenn in Gaza etwas mehr als hundert Leute getötet werden, dann wissen alle Medien der Welt darüber Bescheid, aber wenn in Arakan 4-5.000 Menschen ermordet werden, dann wird diese Information nicht verbreitet.

Die internationale Gemeinschaft muss wesentlich mehr tun. Sie legt so viel Wert auf die jetzigen Reformen und den demokratischen Prozess. Aber sie muss verstehen, dass es keine Reformen geben wird, wenn der Mord an den Rohingya andauert. Wenn ein Land Stabilität und Sicherheit will, muss es sich von Hass und Rassismus freimachen. Dazu gehört die komplette Abschaffung des Staatsbürgerschaftsgesetze von 1982. Das ist das schlimmste und diskriminierendste Gesetz der ganzen Welt. Obwohl wir seit Jahrhunderten in Burma leben, werden wir nicht als Bürger anerkannt.

Es gibt keine Freiheit in Burma, wenn nicht alle ethnischen Gruppen ebenso frei sind. Die internationale Gemeinschaft muss solange Druck auf die Regierung ausüben, sodass die Rohingya wieder volle Rechte erhalten. Wir brauchen humani­täre Hilfe und UN-Friedenstruppen, die die Menschen vor gewalttätigen Übergriffen schützen. Die Verantwortlichen dürfen ihrer gerechten Strafe nicht entgehen. Man müsste auch etwas dazu beitragen, dass es zu einer Versöhnungen beider Gemeinschaften – der buddhistischen und der muslimischen – kommt.

Islamische Zeitung: Es ist bemerkenswert, dass die Rohingya trotz der enormen Verfolgung, der sie ausgesetzt sind, niemals zu terroristischen Mitteln gegriffen haben…

Tun Khin ­Zia ul-Gaffar: Wir haben über Generationen friedlich mit unseren Nachbarn zusammengelebt. Was wir wollen, ist die volle Rückkehr unserer Staatsbürgerrechte und der Rechte als ethnische Gruppe. Wir sind ein friedlie­bendes Volk und haben niemals zum Mittel des Terrorismus gegriffen. Unglücklicherweise sind wir diesem Hass und diesem Rassismus ausgesetzt.

Die internationale Gemeinschaft muss so schnell wie möglich handeln. Andernfalls wird das gesamte Volk der Rohing­ya in Burma ausgelöscht werden. Die ethnischen Säuberungen laufen seit 1962 und sind heute fester Bestandteil der offiziellen Politik, solange die Welt dazu schweigt.

Islamischen Zeitung: Wir bedanken uns für dieses Gespräch!

Webseite:
bwww.bro-uk.org

,

Die Lage in Burma ist schon lange dramatisch. Von Abu Bakr Rieger

Die Regierung Burmas – in Person des zwielichtigen Präsidenten Thein Sein – hat im Juli nicht nur erneut ein sogenanntes Ausnahmerecht ausgerufen, sondern – wie der HRW Bericht zeigt – auch mit seinem militärischen Apparat aktiv zur weiteren Eskalation der Lage beigetragen.
(iz). „Die Regierung hätte es verhindern können.“: Unter dieser düsteren Überschrift behandelt ein Bericht der Organisation Human Rights Watch die jüngsten Vorkommnisse in Burma. Ende Mai hatten zunächst – nach Presseberichten – drei Muslime eine Vergewaltigung begangen. Nach der Verurteilung der Straftäter zum Tod töteten buddhistische Anwohner in einer willkürlichen Racheaktion 10 unbeteiligte Muslime. Das Muster von Gewalt und Gegengewalt, dass anschließend im Juni und Juli zwischen Muslimen und Buddhisten ausbrach, kann aber nicht von der grundsätzlichen Verantwortung der Regierung Burmas ablenken.
Nur wenig ist bisher über die Jahrzehnte der Verfolgung der armen Menschen bekannt. Auch der neue HRW-Bericht basiert nur auf der spärlichen Grundlage von 53 Interviews, spricht dabei von „nur“ 79 Toten nach den jüngsten Unruhen im Juli, während islamische Medien allein im letzten Monat von über tausend Opfern berichten. Auf YouTube gibt es zudem Vutzende Videos, die ausreichend Material für Untersuchungen über weitere Massaker hergeben dürften. Inzwischen fordert auch der UN-Repräsentant für die Region, Tomas Quintana, weitere unabhängige Untersuchungen über das eigentliche Ausmaß der Massaker.
Klar ist: Der asiatische Staat ist in diesem Konflikt Partei und nicht etwa neutraler Vermittler in einem regionalen Religionskonflikt. In Burma wurde 1982 hochoffiziell eine ganze Bevölkerungsgruppe entrechtet, ihre Bürgerrechte aberkannt und damit ein bis heute funktionierendes, „legales“ System der Apartheid errichtet. Die planmäßigen Aktionen des Staates gegen Muslime sind also nicht etwa neu. In den siebziger und neunziger Jahren wurden bereits hunderttausende Muslime auf brutale Weise vertrieben.
Die Regierung Burmas – in Person des zwielichtigen Präsidenten Thein Sein – hat im Juli nicht nur erneut ein sogenanntes Ausnahmerecht ausgerufen, sondern – wie der HRW Bericht zeigt – auch mit seinem militärischen Apparat aktiv zur weiteren Eskalation der Lage beigetragen. Am 12. Juli hatte Sein in einer skandalösen Rede sogar die weitere Verbringung der Muslime in Lager gefordert und ihre Ausreise verlangt. Für diese Ausfälle wurde der Präsident weder von den USA noch der EU kritisiert.
Es kann wenig Zweifel bestehen, dass es der Regierung um nichts anderes als der Vertreibung der Muslime aus dem rohstoffreichen Landesteil geht. Die Region ist für das Regime und seine Wirtschaftsinteressen strategisch überaus bedeutsam. An der Küste Arakans wurden milliardenschwere Gas-und Ölvorkommen gesichtet. In Sittwe soll ein neuer Tiefseehafen entstehen. Das Militärregime – nach westlicher Lesart auf dem (langen) Weg zu einer Demokratie – wandelt sich gerade mit Hilfe der Weltbank de facto in einen autoritären kapitalistischen Staat. Der faschistoide Umgang mit Minderheiten spielt bisher im Umgang mit dieser Regierung keine entscheidende Rolle.
Irritierend ist auch das Schweigen der buddhistischen Gelehrten zu der Verfolgung in Burma. Nach dem HRW-Bericht hatten sich buddhistische Mönche sogar aktiv an der diskriminierenden Propaganda gegen Muslime beteiligt. Eine Stellungnahme des Dalai Lama oder anderer Persönlichkeiten der Weltreligion sind bisher nicht bekannt. Das verbreitete Bild des Buddhismus als einer Religion der Friedfertigkeit leidet so unter den Bildern, die uns aus Burma erreichen.
Nicht einmal Aung San Suu Kyi, die weltbekannte Ikone der demokratischen Bewegung, die nun im Parlament sitzt, hat sich bisher klar zu den Ereignissen geäußert. Die EU hat im April die Lockerung ihrer Sanktionen gegen das Land beschlossen, die Fortschritte der Demokratisierung begrüßt, ohne aber gleichzeitig das Ende der systematischen Diskriminierung der Minderheiten zu fordern. Westliche Staaten fordern bisher auch nicht eine schnelle Aufklärung über die tatsächlichen Opferzahlen in den Massakern der letzten Wochen. In der islamischen Welt gilt diese Zurückhaltung als ein weiteres Beispiel für Inkonsequenz westlicher Menschenrechtspolitik.
Das Schicksal der „Rohingya“, der muslimischen Minderheit in dem Staat, nach Angaben der UN eine der „meistverfolgten“ Bevölkerungsgruppen der Welt, bestätigt so auf tragische Weise die viel diskutierte Analyse Giorgio Agambens. Der italienische Philosoph hatte in seinem Buch „Homo Sacer“ argumentiert, dass das Lager und das Hervorbringen des rechtlosen „nackten Lebens” nicht im Widerspruch zum Nomos der Moderne stehe.
Die Lage in Asien gibt diesen Thesen einige Nahrung. Im Süden Bangladeschs leben seit Jahrzehnten zehntausende Muslime aus der Region in Lagern, die „Orte ohne rechtliche Ordnung“ sind. Erschütternde Bilder aus der Region zeigen nun erneut Menschen, die als „Staatenlose“ keine Bürger mehr sind und sich mit kleinen Booten sogar auf das offene Meer flüchten müssen, allein um Tod und Verfolgung zu entgehen. Ihnen bleibt nur – wie es Agamben formuliert – das „nackte Leben“ zu retten.

,

Blutige Unruhen in Myanmar: „ethnische Säuberungen“ gegen Muslime? Von Ashfaq Yusufzai

Seit Wochen kommt es in Myanmar, am Golf von Bengalen, zu gewaltsamen Übergriffen auf das Volk der muslimischen Rohingya. Mit einem Überfall aufgebrachter Buddhisten begann eine Spirale der Gewalt. Menschen starben, Häuser wurden niedergebrannt. Die Regierung setzte Polizei und Militär ein, verhängte den Ausnahmezustand; internationale Hilfsorganisationen und die Vereinten Nationen zogen ihre Mitarbeiter ab. Die etwa 800.000 Rohingya in Rakhine gelten offiziell als staatenlos. Sie sind seit Jahrzehnten schwersten Diskriminierungen ausgesetzt – von der Verweige­rung von Ausweispapieren, über Heiratsverbote bis zur Vertreibung.
(IPS). Berichte von Gewalt in westlichen Landesteilen Myanmars (das ehemalige Burma) hat der Weltöffentlichkeit erneut das Leid der rund 800.000 muslimischen dortigen Rohing­ya vor Augen geführt. Die verfolgte Minderheit ist nach Ansicht regionaler Menschenrechtler einem „langsamen Völker­mord“ ausgesetzt. Bis zum 15. Juni führten Zusammenstöße zwischen Buddhisten aus dem Volk der Rakhine und Mus­limen (Rohingya) im überwiegend bud­dhis­tischen Myanmar zu 29 Toten geführt. 16 der Ermordeten waren Mus­lime. Rund 30.000 Menschen mussten laut Behörden wegen dem schlimmsten Gewaltausbruch seit Jahren aus ihren Häusern fliehen. Seit die Unruhen ausbrachen, wurden 2.500 Häuser, sieben Moscheen und neun buddhistische Klöster niedergebrannt.
Am 3. Juni stoppte ein Mob aus 300 Buddhisten einen Bus voller muslimischer Reisender und erschlug zehn von ihnen. Für Bürgerrechtsvereinigungen ist das Ereignis ein Symbol der rapide steigenden Feindschaft im Bundesstaat Rakhine – seit Jahrzehnten ein Brandherd ethnischer Spannungen. Der ­Funke für diese letzte Attacke auf die Rohing­ya war eine Geschichte, die sich in der Provinz ausbreitete. Demnach sei eine 27-jährige Frau der Rakhine in der Ortschaft Rambree von drei Muslimen ­vergewaltigt und getötet worden. Berich­te, wonach die Polizei drei Verdächtige verhaftet habe, führten nicht zu einem Ende der Gewalt. Vielmehr wurden diese durch Verteilung von Anti-Rohingya-Flugblättern angeheizt, die zur Rache an den „Kalar“ aufrufen; ein abfälliger, ­rassistischer Begriff für Menschen mit dunklerer Hautfarbe und südasiatischen ­Gesichtszügen.
„Mittlerweile erhalten wir täglich Anrufe von Rohingya, die in Angst leben und nicht wissen, was mit ihnen gesche­hen wird“, sagte die verzweifelte und im Londoner Exil lebende Rohingya-Politikerin Nurul Islam via Telefon. „In den Häusern der Rohingya wurden haufenweise Leichen gefunden. Viele gelten als vermisst.“ Die von der Reformregierung unter Präsident Thein Sein erlassene Ausgangssperre habe die Mobs nicht unter Kontrolle bringen können. Dies wird von der Muslimin Hitke bestätigt, die aus Rakhine stammt und sich nach Bangkok retten konnte. „Die Ausgangssperre dient nur dazu, dass Muslime zu Hause bleiben. Der Mob kann dies als Gelegenheit nutzen, ihre Häuser in Brand zu setzen.“
Aber der Terror auf den Straßen Ra­khines ist nicht alles, was die Rohingya ­erleiden müssen. Webseiten, Blogs und Facebook-Acounts in und außerhalb ­Myanmar sind voller Hasspredigten, die eine „ethnische Säuberung“ der ­Muslime verlangen. „Eines Tages, nachdem wir (unsere) politische Fragen gelöst haben, werden wir sie von unserem Land vertreiben und niemals wieder einen Fuß darauf setzen lassen“, schrieb ein online-Nutzer. Dieser Hassausbruch der Bud­dhisten in Myanmar, „die offen ausspre­chen, dass an Völkermord grenzende Handlungen akzeptabel seien“, überraschten sogar langjährige burmesische Menschenrechtsaktivisten.
„So schlimm war es im Internet noch nie“, gibt Debbie Stothard zu. Sie leitet die regionale Lobbyvereinigung Alternative ASEAN Network on Burma (ALTSEAN). „Einige Stimmen riefen zur Vergewaltigung von weiblichen Rohingya-Aktvistinnen auf. „Die Rohingya sind eine der bedrohtesten Gemeinschaf­ten weltweit“, fügte sie hinzu. „Ihre seit Jahrzehnten anhaltende Repression fällt in den Rahmen der Parameter, wie sie von der internationalen Konvention zum Schutz vor Völkermord vorgegeben ­werden.“
Der Anti-Rohingya-Ausbruch hat eine der düstersten Seiten der Politik in Myan­mar offengelegt. Diese könne sie nach Angaben von Richard Horsey, ­einem unabhängigem Beobachter, der viele Berichte über die Lage in dem Land veröffentlich hat, noch weiter verschlim­mern. „Spannungen gibt es in vielen Teilen Myanmars, aber der Bundesstaat Rakhine ist ein Gebiet, in dem diese am höchsten sind.“ Es gebe ein großes Risiko, wonach sich die Gewalt verschlimmern und auf andere Landesteile auswei­ten könne. „Die Regierung hat dies zur Kenntnis genommen. Aus diesem Grund spielt der Präsident eine so sichtbare Rolle in der Lösung des Problems.“
Aber die angeblichen Anstrengungen der Regierung zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und zur Beruhigung der internationalen Gemeinschaft, dass die seit mehr als einem Jahr anhaltende Reformpolitik fortgeführt wird, wird durch die immer größer werdende Liste der Diskriminierungen widerlegt, die die Rohingya zu ertragen haben. „Die Regierung hat bestehende Diskriminierungen bestätigt, die vom vorherigen Militärregime erlassen wurden“, sagt Chris Lewa vom Arakan Project. Die NGO setzt sich für die Rechte verfolgter Muslime ein. „Dies wurde deutlich, als auf einer Parlamentssitzung im März dieses Jahres, ein Abgeordneter, der den Rohingya angehört, von der Regierung wissen wollte, ob die seinem Volk auferlegten Beschränkungen aufgehoben werden. Er wurde informiert, dass diese beibehalten werden.“
Seit Langem verweigert die Regierung Myanmars den Rohingya die Anerkennung als eine offizielle Völkerschaft. Seit dem Militärputsch 1962 wurden sie von der Armee gewaltsam und systematisch verfolgt. Dies verursachte ­umfangreiche Ermordungen, Vergewaltigung und ­Folter von Zivilisten. In den 1980er Jahren entzog die Militärjunta den Muslimen die Staatsbürgerschaft, kassierte ihre Ausweise und machte aus ihnen de facto eine staatenlose Gemeinschaft.
Im letzten Januar informierte Lewa das UN-Komitee für Kinderrechte: „Myan­mar setzt als Teil seiner Unterdrückung einer staatenlosen Minderheit sogar Rohingya-Babies auf die Schwarze Liste.“ Der führende Rechercheur des Arakan-Projekts enthüllte, dass ­schätzungsweise 40.000 Kinder der Rohingya zu einem Leben in Zwangsarbeit verdammt seien. Ihnen wird der Zugang zum Gesundheitswesen und zum normalen Arbeitsmarkt verweigert. Sie dürfen nicht jenseits der Grenzen ihrer Dörfer reisen – ein Schicksal, das sie mit den Erwachsenen teilen. Rohingya-Paaren ist es verbo­ten, ohne vorherige staatliche Erlaubnis zu heiraten. 1978 begann das Militär seine Operation „King Dragon“, mit der mehr als 200.000 Rohingya aus Rakhine ins benachbarte Bangladesch flohen, wo sie seit Jahrzehnten ihr Dasein in elendigen Flüchtlingslagern fristen müssen. Zu einer vergleichbaren Kampagne kamzwischen 1991 und 1992, die 250.000 Menschen aus dem Land trieb. Die anhaltende Verfolgung hat die Menge der Diaspora-Rohingya, die in Saudi-Arabien, Pakistan, Indien, Malaysia und Bangladesch leben, auf 1,5 Millionen Personen erhöht.