Wolf D. Ahmed Aries – Nachruf auf einen der Veteranen der Muslime in Deutschland

Wolf D. Ahmed Aries nachruf

Mit Wolf D. Ahmed Aries ist einer der frühen Pioniere der Muslime in Deutschland und eine produktive Stimme verstorben.

(iz). „Inna Lillahi wa inna ilayhi raji’un“ („Wir gehören Allah, und zu Ihm kehren wir zurück.“) Al-Baqara, Sure 2, 156

Wir sind zutiefst bestürzt, mitteilen zu müssen, dass unser geliebter Wolf D. Ahmed Aries, heute am 22.01.2024 um ca. 7 Uhr morgens verstorben ist.

Ahmed Aries wurde 1938 in Hannover geboren. Er studierte Psychologie im Vorstudium und arbeitete danach in einem Forschungsprojekt der Pädagogischen Hochschule in Hannover. 1972 wurde er Leiter der VHS in Velbert und später der VHS in Gütersloh.

Wolf D. Ahmed Aries – einer der frühen „Konvertiten“

Er konvertierte 1953 zum Islam und engagierte sich fortan über 70 Jahre lang für die Verständigung der Kulturen und den interreligiösen Dialog. Seit 1980 war er Lehrbeauftragter für Islamfragen und unterrichtete u.a. an den Universitäten in Paderborn, Kassel und Bielefeld. Auch war er Mitglied des Beirates des Zentrums für Interreligiöse Studien der Universität Münster.

Foto: IZ Medien

Aries engagierte sich beim Aufbau des Islam-Archivs, half bei der Gründung des Islamrates und der Gesellschaft Muslimischer Sozial- und Geisteswissenschaftler (GMSG). Auch unterstützte er den Aufbau der Nurculuk-Bewegung in Deutschland.

Produktiver Autor und konstruktive Stimme

Aries schrieb Artikel für viele verschiedene Zeitschriften, wie für die „Islamische Zeitung“ oder seit der ersten Ausgabe für die „Ayasofya Zeitschrift“. Aries übersetzte und begleitete redaktionell die Übersetzungen der Bücher Said Nursis ins Deutsche. 

Zudem veröffentlichte er folgende Bücher: „Das Bild vom Menschen“, „Dietrich Bonhoeffer, Alfred Delp und Said Nursi: Christentum und Islam im Gegenüber zu den Totalitarismen“, „Gläubiger Bürger in der pluralen Gesellschaft – Muslime im Dialog“, „Muslimische Gläubigkeit in der europäischen Gegenwart: Das Nachdenken eines deutschen Moslems“, „Der christlich-islamische Dialog: Chancen und Grenzen“ und „Islam – ein widerständiger Glaube: Grundlegungen für Selbstverständnis und Verständigung“.

Ahmed Aries leistete unheimlich viel für die Gesamtgesellschaft und die Muslime in Deutschland. Er war stets ein freundlicher Mensch, der anderen aufrichtig zu hörte und der sich vor allem für Jugendliche und Studierende einsetzte und sie in ihrem Bildungsweg begleitete.

Wir wünschen Ihm Allahs Segen und seiner Familie und seinen Freunden viel Geduld.

Sinead O’Connor: Stolze Muslimin und Irin. Ein Nachruf

Sinéad O’Connor

Sinéad O’Connor: Im Alter von 15 Jahren wurde die Künstlerin auf einer Hochzeit von einem Musiker entdeckt.

(iz). Sinéad O’Connor wurde einem breiten Publikum außerhalb ihres Heimatlandes durch eine Coverversion bekannt. Sie nahm den Song „Nothing Compares 2 U“ ihrer Landsleute von U2 auf, mit deren Gitarristen sie 1988 zusammengearbeitet hatte.

Sinéad O’Connor: Im Alter von 15 Jahren entdeckt

Im Alter von 15 Jahren wurde die spätere Künstlerin, die mehrere musikalische Vorbilder hatte, auf einer Hochzeit von einem Musiker entdeckt. Im Laufe ihrer Karriere brachte sie 18 Studioalben heraus.

Nun ist die irische Sängerin im Alter von 56 Jahren eines natürlichen Todes gestorben. Das berichteten am 26. Juli verschiedene Medien, denen eine entsprechende Erklärung der Familie vorlag. „Mit großer Trauer geben wir den Tod unserer geliebten Sinead bekannt“, hieß es in einer Erklärung, aus der die Sender RTE und BBC zitieren.

„Ihre Familie und Freunde sind am Boden zerstört und bitten in dieser schweren Zeit um Privatsphäre.“ Ende Oktober 2018 machte sie öffentlich, dass sie zum Islam konvertiert sei. Und nannte sich fortan Shuhada Sadaqat, trat aber weiterhin als Sinéad O’Connor auf.

Aufgewachsen ist sie in einer katholischen Familie. Sie studierte Theologie am Milltown Institute der National University of Ireland in Dublin. 1992 zerriss sie live im US-Fernsehen ein Foto von Papst Johannes Paul II. aus Protest gegen Kindesmissbrauch in der Kirche.

Unter großer Anteilnahme islamisch beigesetzt

Am 8. August wurde die beliebte und bekannte Künstlerin unter großer Anteilnahme irischer Politiker und Künstler in ihrer Heimatstadt Bray in einer islamischen Zeremonie beigesetzt. Auf dem Weg dorthin nahmen unzählige Menschen Abschied von ihr.

Umar Al-Qadri, Islamgelehrter und leitender Imam des Islamischen Zentrums in Irland, leitete die Beerdigung und das Totengebet. „Sie war mit einer Stimme gesegnet, die eine ganze Generation junger Menschen bewegte und mit ihrer überirdischen Resonanz ihre Zuhörer zu Tränen rühren konnte“, sagte er.

„Wir sind traurig über den Tod von Schwester Shuhada Sadaqat, auch bekannt als Sinead O’Connor. Sie war eine zarte Seele, möge der barmherzige Gott ihr ewigen Frieden schenken. Inna lillahi wa inna ilayhi rajioon (Wir kommen von Allah und zu Allah kehren wir schließlich zurück)“, kommentierte der bekannte britische Sänger Yusuf Islam ihren Tod.

Foto: zioWoody, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0

Ein Weg zum Islam

Auf ihrem Weg zum Islam wandte sich O’Connor 2018 erstmals an Dr. Al-Qadri, um mehr über den Glauben zu erfahren und Fragen zu Theologie, islamischer Rechtsprechung und Musik zu stellen.

Der Imam sagte, sie habe andere Glaubenstraditionen studiert, aber als sie zum ersten Mal miteinander sprachen, habe sie einige falsche Vorstellungen über den Islam gehabt. Im Laufe der weiteren Gespräche entschied sich die Sängerin, den Islam anzunehmen, da er für sie „am meisten Sinn machte“ und die „vernünftigste Religion“ sei.

Der Imam, der Sinéad O’Connor bei ihrem Übertritt zum Islam unterstützte, beschrieb sie als „einzigartige Frau“, die „stolz irisch und muslimisch“ sei. Als sie sich zum ersten Mal trafen, wusste Dr. Al-Qadri nicht, dass er mit einer berühmten Sängerin sprach.

O’Connor hatte ihn gebeten, ihr Treffen nicht in den Medien zu erwähnen. Er solle ihren Namen aber später googeln. Erst dann habe er ihre Identität erfahren.

O’Connor selbst machte ihren Islam am 18. Oktober 2018 auf Twitter (heute: X) öffentlich. „Hiermit möchte ich bekannt geben, dass ich stolz darauf bin, Muslim geworden zu sein. Das ist die natürliche Schlussfolgerung auf dem Weg eines jeden intelligenten Theologen. Jedes Studium der Schriften führt zum Islam. Das macht alle anderen Schriften überflüssig.“

„Sie war keine Person, die nach Ruhm oder Reichtum strebte, sie war eine sehr einfache Person, eher eine Aktivistin. Sie war jemand, der sich mehr um Frieden, Gerechtigkeit und Gleichheit sorgte als um ihr Image und ihren Ruf“. 

* mit Material von: KNA, „Hyphen Online“ und Agenturen.

„Knacks-Welt“

(iz). In Krisenzeiten sind Brückenbauer nötig, gerade in diesen Zeiten werden sie aber auch schmerzlich vermisst. Mit einiger Bestürzung hat die Redaktion der ‘Islamischen Zeitung“ den Tod von Roger Willemsen vernommen. Mit ihm verliert Deutschland nicht nur einen Meister der deutschen Sprache, sondern auch einen politischen Kopf, der jenseits der dialektischen Grabenkämpfe unserer Zeit zu denken vermochte.
Ereignisse wie der 11. September erzeugen wohl, um es in der Sprache des brillanten Schriftstellers zu formulieren, einen Knacks. Bis heute haben der Terrorismus und seine Folgen das gesellschaftliche Leben in Deutschland erschüttert. Aus dem Anschlag ergaben sich intellektuelle Herausforderungen, die Roger Willemsen wie kaum ein anderer annahm, mit Abscheu gegenüber dem Terror, mit Empathie für die Opfer und mit einem ganz eigenen Gerechtigkeitssinn. Jeder, der nach den Anschlägen von New York nicht von „grauenhaften und durchgeknallten Muslimen“ sprach, war irgendwie politisch inkorrekt, erklärte damals Roger Willemsen im Interview mit der Deutschen Welle die Ausgangslage. Er war da ganz anders.
2006 veröffentlichte Willemsen mit „Hier spricht Guantanamo“ ein beeindruckendes Dokument seiner  Fähigkeit, den Dingen auf den Grund zu gehen. Willemsen, der in seiner Karriere Tausende Menschen interviewt hatte, scheute sich auch nicht vor den Begegnungen mit ehemaligen Lagerhäftlingen. Bevor Muslime auf die Idee kamen, den Rechtlosen und Schuldlosen eine Stimme zu geben, war Willemsen schon vor Ort. Er interviewte diese Menschen mit großer Unvoreingenommenheit und beschrieb damit für eine breite Öffentlichkeit erstmals ihr persönliches Schicksal.
Ich erlebte Willemsen im Jahr 2006, zusammen mit Eren Güvercin, im Rahmen der LitCologne in einem längeren Interview in Köln. Das Gespräch bleibt uns in unvergesslicher Erinnerung, da er wie kaum ein anderer Nachdenklichkeit, aber auch Witz und Elan, verkörperte. Er erzählte, um nur ein Beispiel zu nennen, an diesem Tag von einer Szene in Jordanien. Einer seiner Interviewten unterbrach das Gespräch, ging nach nebenan, breitete seinen Gebetsteppich aus und betete, kam zurück und sagte zu ihm: „Ich sagte vorhin, es war der 20. Juni 2000, ich muss mich korrigieren, es war der 21.“ Wir, so Willemsen zu uns, wüssten nicht einmal, ob es Juni oder Juli gewesen sei. „Die Verpflichtung auf die Wahrheit, und das aus dem Gebet zu entwickeln, empfand ich als beeindruckend“, schloss er damals diese Szene ab. Willemsen, der ein Leben lang gereist war, hatte tatsächlich einen unerschöpflichen Schatz solcher Begegnungen und Anekdoten. Bücher wie „Reisen an die Enden der Welt“ geben davon Zeugnis ab.
Natürlich hatte er auch auf dieser LitCologne in Köln wieder ein volles Programm. Er verlieh Karl May-Preise, las aus seinen Büchern vor, oder brillierte als Conferencier auf einer Literatur-Gala. Überhaupt war er ja nicht nur Buchautor, sondern Fernsehmoderator und Entertainer. Er erhielt unter anderem den Bayrischen Fernsehpreis und den Adolf Grimme Preis.
Aber Willemsen bot eben auch einen anderen Abend, in der „Kulturkirche“ an, zu dem er keine „gute Unterhaltung“ wünschen konnte. Er präsentierte auf seiner Veranstaltung ungerührt die Rechnung amerikanischer Freiheitsexportpolitik: Guantanamo. Viele Häftlinge seien unschuldig, stellt er fest. Aber, natürlich gäbe es auch wieder neunmalkluge Kommentare, so die Thüringer Allgemeine, die „Bushiger als Bush“ immer noch die Unschuld dieser entlassenen Häftlinge in Frage stellten. Wer zum Objekt des Sprachwitzes dieses Mannes wurde, musste sich immer auf etwas gefasst machen.
Der Abend lebte so von Willemsens Glaubwürdigkeit und Absichtslosigkeit. „Er habe nur einfache Fragen gestellt“ sagte er. Jeder von uns hätte sie stellen können. Nur, er hat es einfach getan. Warum? Im Nebensatz erwähnte er das Engagement von Beckett, der neben dem „Warten auf Godot“, viel Zeit und Feuer für Amnesty International verwandt habe. „Statt immer wieder neue Hitler-Poesiealben zu verfilmen, sollten wir wirklich etwas tun, um Guantanamo zu stoppen“, beschrieb Willemsen damals nüchtern das Aufgabenfeld.
Willemsen war in Sachen Menschenrechte grundsätzlich respektlos gegenüber der Macht. In einem IZ-Interview aus dem Jahr 2002 empörte sich Willemsen über einen Satz des ehemaligen Bundeskanzlers Schröder. „Das Ansprechen von Menschenrechten in China war ja immer nur ein Ritual“ zitierte er den Politiker. Willemsen berichte sodann von seinem Gespräch mit Wei Jingsheng, einem der wichtigsten Regimegegner Chinas, der gefoltert worden war, der dem Tod oft ins Auge geblickt hatte und ein gebrochener Mann wurde. Schonungslos verknüpfte Willemsen das Ritual des Politikers mit der menschlichen Wirklichkeit des Opfers. Wie, so Willemsen erschüttert, könne man einem solchen Mann sagen: „Weißt Du, wir haben im Westen immer nur so getan. Jetzt tun wir was für Eure Entlassung oder gegen Folter! Und dann sagen wir: Das war immer nur ein Ritual!“
Apropos Knacks. Ich erinnere mich an einen anderen typischen Abend mit Roger Willemsen. Seiner Arbeit, so las man damals im Programmheft des Bonner Beethovenfests 2010 von Insa Wilke, liege das Bedürfnis zugrunde, „die Ansicht der Welt immer wieder auf den neuesten Stand zu bringen“. In Bad Godesberg trat Willemsen zu einem dieser Versuche an. Nicht allein, sondern mit dem Komponisten Jan Müller-Wieland, der eines seiner wichtigsten Bücher, „Der Knacks“, vertont hatte.
Auf der schlichten Bühne fanden sich so ein Dirigent, ein Sprecher, achtzehn Streicher, ein Klavier und hunderte Zuschauer, die sich beinahe augenblicklich nicht mehr dem Bann der Stimme, der sprachlichen Vielfalt Willemsens entziehen konnten. Willemsen las Passagen aus seinem Buch vor und schuf eine Knacks-Welt. Der Zuhörer war einem ganzen Repertoire neuer Aussichten, Begegnungen, Unterbrechungen, Steigerungen ausgesetzt. Willemsen begegnete dem Tod, erzählte einen Kalauer, fächerte eigentlich alle existentiellen Fragen dieser und jeder Zeit auf, auch, das immer gleichzeitig drohende Ende im Auge, da es jederzeit möglich schien, dass mit einem Bruch auch der stille Blick in den Abgrund folgen könnte.
Der Knacks, so führte Willemsen zu Beginn ein, ist auch die Suche nach der Zeit, in der die Überzeugungen verloren gegangen sind, der Knacks sei unter anderem ein „Phänomen des Ausbleichens, der Materialermüdung, des Kapitulierens“. Die Finanzkrise, die draußen herrscht, gewöhne uns sogar an den Gedanken, kollektiv zu scheitern. „Der Knacks“, so Willemsen, „ist eine Annäherung an eine innere und äußere Mitte, keine Theorie“.
Sein Werk wurde so für mich und natürlich für viele andere Leser auch eine Art Sehschule, also das Lernen genau hinzuschauen, mit den Mitteln einer verfeinerten Sprache. Alle Gesten, Begegnungen, Beobachtungen, so lernte man es zumindest in seinen Büchern, sind immer auch Teil eines Prozesses. Nichts bleibt, wie es ist. Willemsen konnte so etwas meisterhaft beschreiben.
Bemerkenswert auch an diesem Abend wieder seine Abrechnung mit Guantanamo, ein Ort ohne Ordnung, der für den Schriftsteller eine stille Chronik der Verletzungen durch den Terror wurde. Der Spannungsbogen in das Hier und Jetzt war sofort spürbar: Was ist Terror? Was macht er mit uns? Das ist kein Spiel. Nicht nur theoretisch und nur einen Steinwurf weg von seiner Bonner Bühne war ja auch einige Jahre eine „radikal-islamistische“ Schulung. Bis eben der Knacks kam.
Auch die Religion kam übrigens an diesem Abend zur Sprache. Das Religiöse ist auf dem Rückzug, zurrt nur noch fest, stellt fest, wird zum System, war dabei der Tenor. Religion wird falsch, wenn sie zum Gegenüber, zum Hindernis für freie Erkenntnis und größere Erfahrung gleichermaßen wird. Die so definierte Religion hat weniger Kraft als der Knacks und muss, für den, dem es um das Ganze geht, zu Recht abgestoßen, weggeworfen werden. Symbolisch fielen dann den Musikern ihre Klangkörper, Dreiecke, die man auch als symbolische Erinnerung an die denkfeindliche Trinitätslehre verstehen könnte, aus der Hand.
Dann machte sich Willemsen auf zu den letzten Blicken, in die Welt des Offenen, Freien, der Grenzerfahrungen. Ein Sohn betrachtet den sterbenden Vater, zeichnet ihn und verliert sich im Kopieren. Als der Vater tot ist, bleibt ihm nur ein Fragment, er schließt ihm die Augen, er weint, dann regt sich Widerstand und er will dem toten Mann „wie eine Krankenschwester, die die Jalousie öffnet“, die Augen wieder öffnen. Die Frage bleibt im Raum und auf der Bühne als die Letzte zurück: Ist es wirklich das Nichts, der Blick eines Niemands, der da zurückblickt?
Im Jahr 2015 veröffentlichten wir unter dem Titel „Differenzierung schadet dem Absatz“ ein weiteres, leider das letzte Interview mit ihm. Es ging um PEGIDA, die Rolle der Muslime, das Spiel der Medien. Willemsen beklagte darin, dass er seine muslimischen Freunde dauernd in der Defensive sehe, die mit dem vorauseilenden „wir sind nicht so“ auftreten müssten. Willemsen fand das blamabel, aber nicht etwa für die Muslime, sondern für das Umfeld, das ihnen diese Form der Selbstrechtfertigung aufnötigt. Roger Willemsen fielen solche Dinge auf.

Publizist Peter Scholl-Latour im Alter von 90 Jahren gestorben

Bonn (KNA). „Matata am Kongo“ – so hieß das erste Buch von Peter Scholl-Latour, das 1961 auf den Markt kam. 2012 brachte er mit „Die Welt aus den Fugen“ eines seiner letzten Veröffentlichungen heraus. Dazwischen liegen zig Titel etwa zu den Konflikten in Afrika, Asien oder Arabien, die den Ruf des deutsch-französischen Journalisten als einer der erfolgreichsten Sachbuchautoren hierzulande begründeten. Am Samstag ist der umtriebige Publizist im Alter von 90 Jahren nach schwerer Krankheit gestorben.

Bis zuletzt saß Scholl-Latour regelmäßig am Schreibtisch, reiste um den Globus und deutete in Talkshows oder Kolumnen das Weltgeschehen. Die Arbeit an einem Buch, das die aktuellen Krisenherde im Nahen Osten und in der Ukraine in den Blick nimmt, habe er noch abschließen können, teilte der Ullstein Buchverlag mit.

Scholl-Latours Leben selbst bietet für eine Biografie Stoff in Hülle und Fülle. Geboren in unruhigen Zeiten am 9. März 1924 in Bochum, als französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet besetzt hielten, verbrachte der Arztsohn von 1936 bis 1940 einen Teil seiner Schulzeit am Jesuitenkolleg Sankt Michael im schweizerischen Freiburg. Sein Abitur legt er 1943 in Kassel ab – und geriet wenig später mitten hinein in die Wirren des ausgehenden Zweiten Weltkriegs. Bei dem Versuch, sich 1945 der Partisanenarmee des späteren jugoslawischen Staatschefs Josip Broz Tito anzuschließen, wurde er in der Steiermark von den Nazis aufgegriffen und in Haft gesteckt.

//2// Foto: Wikimedia Commons|GFDL

Eigentlich habe er niemals Sympathien für Tito und seine Kommunisten gehegt, bekannte Scholl-Latour 2007 in einem Gespräch mit dem Linken-Politiker Gregor Gysi. „Ich wollte einfach aus Deutschland raus!“ Den Drang in die Freiheit und die Fremde hätte der damals 21-Jährige jedoch beinahe mit dem Leben bezahlt. Im Wiener Gestapo-Gefängnis infizierte sich Scholl-Latour mit Flecktyphus. Von der Krankheit habe es geheißen: „Entweder man stirbt daran, oder man wird verrückt“, so der Publizist. „Ich habe eine dritte Lösung gefunden und bin gesund geworden.“

//3l//Krisenfest und kaltschnäuzig: Diese beiden Eigenschaften sollten für das deutsche Fernsehpublikum ab den 1960er Jahren zum Alleinstellungsmerkmal der Marke „PSL“ gehören. Zunächst für die ARD berichtete der promovierte Politologe, der zudem an der katholischen Sankt-Joseph-Universität in Beirut Arabistik und Islamkunde studierte, vor allem aus Afrika und Asien. 1963 eröffnete er dann das ARD-Studio Paris, das er bis 1969 leitete. Nachdem er 1971 zum ZDF wechselte, wurde Scholl-Latour neben anderen Funktionen erneut mit der Studioleitung in der französischen Hauptstadt betraut, diesmal für den Mainzer Sender.

Kongo-Krise, Vietnam-Krieg oder der Aufstieg des Ajatollah Khomeini im Iran: Scholl-Latour war bei vielen historischen Schlüsselmomenten zugegen – und brachte sie seinen Zuschauern und Lesern in Deutschland nahe. Dabei geriet der Reporter immer wieder in brenzlige Situationen. So etwa im August 1973, als er und sein Kamerateam in die Hände der vietnamesischen Guerilla-Organisation, des Vietcong, gerieten. In solchen Situationen brauche es einen gewissen Instinkt, hatte Scholl-Latour in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) gesagt. „Den erwirbt man mit der Zeit.“

//1//Es gab aber auch Kritiker, die Scholl-Latour, seine Analysen als stereotype Darstellungen im Kolonialromanstil bezeichneten. Zudem provozierte der Publizist gern.

Ob man angesichts aller Gewalt und allen Elends überhaupt an Gott glauben könne, beantwortete der Katholik im KNA-Interview so: Die christliche Lehre der Erbsünde sei ihm vertraut. „Der Mensch ist nicht von Grund auf gut.“ Und weiter: „Die Vorstellung, dass wir in einem ‘Tal der Tränen’ leben, trifft es ganz gut, finde ich.“ Auf die Frage, wie er in Erinnerung bleiben möchte, hatte er in dem Interview geantwortet, „mir sind, denke ich, ein paar ganz gute Bücher gelungen. Der Rest ist Staub“.