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Viel mehr antisemitische und islamfeindliche Straftaten

Solingen Feuer Brandstiftung islamfeindlich

Der Terror vom 7. Oktober und 30.000 getötete Zivilisten in Gaza wirken auch in Deutschland nach. Antisemitische und islamfeindliche Verbrechen nehmen zu.

Berlin (dpa). Die Zahl der antisemitisch motivierten Straftaten ist in den vergangenen Monaten enorm angestiegen. Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Frage des Unionsabgeordneten Christoph de Vries (CDU) hervorgeht, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, haben sich die islamfeindlichen Straftaten im gleichen Zeitraum mehr als verdoppelt.

Antisemitische und islamfeindliche Straftaten als Kriegsfolge

Hintergrund für beide Entwicklungen dürften der terroristische Angriff der Hamas in Israel am 7. Oktober und der kurz darauf begonnene Krieg im palästinensischen Gazastreifen sein.

Die Polizei registrierte in Deutschland demnach im Jahr 2023 bundesweit 5154 Taten, bei denen ein antisemitisches Motiv vermutet wird – deutlich mehr als im Jahr zuvor. 2022 war die Zahl der erfassten antisemitischen Delikte um knapp 13 Prozent auf 2641 Straftaten gesunken.

Polizeischutz vor einer Synagoge in Berlin. (Foto: Tobias Arhelger, Shutterstock)

In den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden den Angaben zufolge 765 antisemitische Straftaten gemeldet.

Als islamfeindlich wurden 2023 bundesweit 1464 Straftaten klassifiziert – nach 610 islamfeindlich motivierten Taten im Vorjahr. Im ersten Quartal 2024 zählte die Polizei 137 islamfeindliche Straftaten.

Statistiken haben noch vorläufigen Charakter

Die Bundesregierung wies in ihrer Antwort darauf hin, dass die Polizeistatistik zur Politisch motivierten Kriminalität für 2023 und das laufende Jahr noch vorläufigen Charakter haben, weil sich durch Nachmeldungen beziehungsweise neue Erkenntnisse noch Änderungen ergeben können.

Blickt man auf, die Zahl der Menschen, die bei antisemitisch oder islamfeindlich motivierten Straftaten verletzt wurden, zeigt sich, dass zwar deutlich mehr antisemitische als islamfeindliche Taten registriert wurden. Die Zahl der Verletzten war im vergangenen Jahr jedoch in beiden Fallkonstellationen ähnlich.

Faeser DIK Rechtsextremisten Geld

Foto: Deutscher Bundestag / Leon Kügeler / photothek

So wurden 2023 laut Statistik 56 Menschen bei antisemitischen Taten verletzt. Im ersten Quartal dieses Jahres gab es sieben Verletzte. Bei islamfeindlichen Straftaten gab es im vergangenen Jahr 53 Verletzte in Deutschland. In den ersten drei Monaten dieses Jahres zählte die Polizei hier neun Verletzte.

„Die Bekämpfung des Antisemitismus erfordert ganz konkrete Maßnahmen und nicht die ständige Wiederholung hohler Phrasen ohne jede gesetzgeberische Konsequenz“, sagte Innenpolitiker de Vries. „Unser Ziel ist ein parteiübergreifender Maßnahmenkatalog mit den Ampel-Fraktionen.“

Die Union hatte in der vergangenen Woche mehrere Anträge gestellt, die aus ihrer Sicht der Bekämpfung von Antisemitismus dienen. Unter anderem schlug die Fraktion vor, die sogenannte Sympathiewerbung für kriminelle und terroristische Vereinigungen wieder unter Strafe zu stellen.

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Eva Lezzi: „Ohne das Gelingen der Flucht meiner Mutter wäre ich nicht hier“

eva lezzi

Die Kinderbuchautorin Evi Lezzi über jüdische und muslimische Vielfalt in ihren Büchern und die Reaktionen junger LeserInnen.

(KNA). Eva Lezzi ist Kinder- und Jugendbuchautorin und schreibt in ihren Büchern über jüdischen Alltag in Deutschland. Ihre Mutter kam aus Berlin, hat den 9. November 1938 als Dreijährige miterlebt. Kurz vor Kriegsausbruch 1939 wurde sie mit Fluchthelfern nach Frankreich geschickt, später gelang ihr die Flucht in die Schweiz.

Eva Lezzi wurde in New York geboren und wuchs in Zürich auf. Später kam sie zum Studium nach Berlin – in die ursprüngliche Heimat ihrer Mutter – und wurde hier Germanistikdozentin an der Universität Potsdam, bevor sie sich dem fiktionalen Schreiben widmete.

Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit ihr in Berlin über jüdische Kinderbücher, den Nahost-Konflikt – und warum ihr Herz für Geflüchtete schlägt.

Eva Lezzi: Kinderbücher über jüdisches Leben

Frage: Frau Lezzi, Sie schreiben Kinderbücher über jüdisches Leben in Deutschland. Wie kam es dazu?

Eva Lezzi: Bevor im Jahr 2010 unser erstes Buch erschien, gab es im deutschsprachigen Raum kaum etwas dazu. Es gab zwar Kinderliteratur über den Holocaust oder biblische Geschichten, aber nur sehr wenige Bücher über jüdisches Leben im heutigen Deutschland, über jüdischen Alltag.

Dann kam hinzu, dass bei meinem Sohn in der Schule der Holocaust thematisiert werden sollte. Da dachte ich, ich schreibe lieber selbst etwas über Juden und Judentum.

Frage: Zum Beispiel über Beni und die Bat Mitzwa oder Beni und Pessach…

Eva Lezzi: Ja, eine Bilderbuchreihe für Grundschülerinnen und -schüler von sechs bis zwölf, die von der Künstlerin Anna Adam illustriert wurde: Wir wollten uns dem jüdischen Alltag nicht nur über das Wort, sondern auch über Bilder, über Kunst nähern. Es ist wichtig, dass man Kinder aus verschiedenen Ecken abholt.

Frage: Sind Ihre Bücher für jüdische oder nicht-jüdische Kinder?

Eva Lezzi: Ich versuche, für jüdische und nicht-jüdische Kinder zu schreiben. Jüdische Kinder sollen dadurch vor allem Zugang zu ihren Lebenswelten haben, sich wiederfinden. Aber meistens lese ich – in Schulen zumindest – eher vor nicht-jüdischem Publikum. Deshalb gibt es auch in allen unseren Büchern ein Glossar: von Challe (Hefezopf) bis Jesus oder Skateboardtricks. Das zeigt, dass nicht nur das Jüdische erklärungsbedürftig ist.

Kinder reagierten interessiert

Frage: Wie reagieren die Kinder auf Ihre Bücher?

Eva Lezzi: Sehr interessiert. Manche fragen auch, ob ich berühmt bin. Das bin ich – aber nur in jüdischen Kreisen. (lacht)

Frage: Thematisieren Sie auch Antisemitismus?

Eva Lezzi: Mein Ansatz in den Kinderbüchern und an Grundschulen ist etwas anders. Ich gehe klar als jüdische Autorin mit jüdischen Themen in die Schulen. Aber ich versuche eher grundsätzlich, Neugier für andere Lebenswelten zu wecken und auch selbst neugierig für die Lebenswelten der Schüler und Schülerinnen zu bleiben.

Mein Ethos ist die Offenheit. Ich gebe auch Schreibworkshops an Schulen. Und dann geht es nicht darum, dass sie nachher schreiben, was ist Antisemitismus und was ist ein Jude? Sondern: Was heißt es, anders zu sein, was heißt es, ich selber zu sein, was sind Vorurteile? Mein Ziel ist, Empathie zu wecken.

Frage: Was wissen die Schüler und Schülerinnen übers Judentum?

Eva Lezzi: Das ist sehr unterschiedlich. In Berlin etwa merkt man schon, dass es einen großen religionsfernen Anteil in der Schülerschaft gibt. In anderen Regionen Deutschlands ist das anders.

Viele sind aber noch nie einem Juden oder einer Jüdin begegnet. Was manchmal durcheinander geht, ist, dass jüdisch mit israelisch gleichgesetzt wird. Manche glauben, dass jeder Jude hebräisch spricht. Da muss man einiges zurechtrücken.

Thema Nahostkonflikt

Frage: In Ihrem Jugendbuch „Die Jagd nach dem Kidduschbecher“ geht es um den Nahostkonflikt: Sie behandeln das Thema aus der unterschiedlichen Perspektive zweier Berliner Freundinnen, Rebecca und Samira, die eine ist Jüdin, die andere Muslimin. Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern sät Misstrauen zwischen ihnen.

Eva Lezzi: Ich habe das Buch als Reaktion auf die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und Gaza im Jahr 2014 geschrieben. Der Fokus liegt jedoch auf Deutschland. Ich thematisiere in diesem Buch auch Antisemitismus auf dem Schulhof oder islamfeindliche Einstellungen. Das Buch ist für elf- bis 14-Jährige, in diesem Alter sind Kinder und Jugendliche sehr gesprächsoffen.

Wenn ich das Buch in Schulen lese, kann ich mir der Aufmerksamkeit vor allem seitens der muslimischen Schüler sicher sein: Sie sehen sich gespiegelt, hören sich aber auch die andere Seite an. Hinzu kommt, dass in unseren Schulen sehr selten Bücher gelesen werden, in denen es um migrantisches Leben geht. Deshalb nehmen die muslimischen Schüler mich und meine Bücher mit Begeisterung auf.

Frage: Das war allerdings vor dem Angriff der terroristischen Hamas auf Israel am 7. Oktober…

Eva Lezzi: Ja, seitdem bin ich noch nicht wieder für Lesungen an Schulen eingeladen worden. Es gibt eine große Verunsicherung seitens der Schüler- und Lehrerschaft und auch viel Angst. Gerade ist einfach alles schmerzhaft aktuell; alle verfolgen am Handy, was im Nahen Osten passiert.

Frage: Wie beurteilen Sie die Situation in Israel und hierzulande?

Eva Lezzi: Der Krieg von 2014 war schlimm, aber schlimmer ist es jetzt. Und zwar sowohl in Israel aufgrund des Terrorangriffs der Hamas, als auch in Gaza aufgrund der Bombardierungen durch das israelische Militär.

Es ist eine wahnsinnige Katastrophe. Bei uns und weltweit ist der Antisemitismus unvergleichlich größer als 2014, wahrscheinlich weil er durch die Sozialen Medien noch verstärkt wird. Aber auch die Islamfeindlichkeit ist hier in Deutschland größer, angeheizt durch populistische Aussagen.

Frage: Inwiefern?

Eva Lezzi: Wenn in einer solchen Situation noch Rhetoriken von Politikern dazukommen, die Abschiebungen im großen Stil fordern, ist das kontraproduktiv. Es gibt einen von bestimmten muslimischen Gruppen ausgehenden Antisemitismus auf den Straßen hierzulande, der ist bedrohlich und muss strafrechtlich sanktioniert werden. Das steht außer Zweifel.

Aber es gibt auch einen politischen Diskurs, der etwas daraus schlägt, wogegen ich mich heftig wehre – nämlich ein gegeneinander Ausspielen von jüdischen und muslimischen Minderheiten und Positionen.

Deutschland ist eine Einwanderungsgesellschaft und damit müssen – oder besser gesagt: dürfen wir – immer weiter umgehen. Ich halte Diversität für wichtig und möchte eine Spaltung zwischen jüdisch und muslimisch nicht unterstützen. Im Gegenteil.

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Nahostkonflikt: M. Asseburg und J. Busse haben eine kompakte Darstellung geschrieben

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Mit „Der Nahostkonflikt“ hat das Autorenduo eine knappe Darstellung des Konflikts, seiner Ursachen und Kernelemente veröffentlicht. (iz). Auch mehr als sechs Wochen nach dem Terror der Hamas und dem anschließenden […]

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Islamkonferenz im Schatten Krieges

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Die Islamkonferenz ist seit 2006 die zentrale Plattform für das Gespräch zwischen Muslimen und dem Staat. Diese Woche tagt sie erneut.

Berlin (KNA, iz). Seit Beginn des Nahostkriegs ist der öffentliche Blick auf den Islam in Deutschland skeptischer geworden. Jubel für Terror oder Hetze gegen Juden heizen Misstrauen an. Der kritische Austausch zwischen Muslimen und Mehrheitsgesellschaft war vielleicht nie wichtiger als in diesen Tagen.

Pressefoto: © Henning Schacht / Bundesinnenministerium

Islamkonferenz im Schatten des Krieges

Das betrifft auch die Deutsche Islamkonferenz (DIK), das zentrale Forum für den Dialog zwischen Staat und Muslimen, bei ihrer diesjährigen Fachtagung am Dienstag und Mittwoch in Berlin. Ihr Motto: „Sozialer Frieden und demokratischer Zusammenhalt: Bekämpfung von Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit in Zeiten gesellschaftlicher Spaltung“.

Das Treffen soll neue Impulse für eine „vielfältige und tolerante Gesellschaft“ geben, wie das Bundesinnenministerium (BMI) als Gastgeber ankündigte. Neben Ministerin Nancy Faeser (SPD) spricht dazu auch Altbundespräsident Christian Wulff, der 2010 mit dem Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ teils hitzigen Widerspruch ausgelöst hatte.

Pressefoto: © Henning Schacht / Bundesinnenministerium

Eingeladen sind neben muslimischen Vertreterinnen und Vertretern auch Akteure aus dem jüdischen Leben, aus Politik, Kirchen, Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Allerdings sitzen diesmal bei den drei Diskussionspodien zu Muslimfeindlichkeit, Antisemitismus und „religionsgruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ vor allem Diskutanten aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft auf der Bühne, keine Vertreter der großen Moschee-Dachverbände wie die DITIB, der Islamrat oder der Zentralrat der Muslime.

Mehrheit der Moscheen nimmt über ihre Dachverbände nicht teil

Als Träger der meisten Moscheen repräsentieren sie das eigentliche muslimisch-religiöse Leben im Land und spielten deshalb seit Gründung der DIK 2006 eine führende Rolle als Ansprechpartner des Staates bei der Integration.

Zuletzt standen sie unter scharfer Kritik wegen des Umgangs mit dem Terror. Das BMI lud im Oktober eigens führende Verbandsvertreter zum Gespräch und drängte sie zu einer gemeinsamen Erklärung gegen die Hamas-Gräuel.

Den „Expertenkreis Politischer Islamismus“ ihres Amtsvorgängers löste Faeser 2022 auf. Bei der DIK-Tagung vor einem Jahr betonte sie, der Extremismus sei nicht Sache der Konferenz, sondern der Sicherheitsbehörden. Schon damals setzte sie den Kampf gegen Muslimfeindlichkeit ganz oben auf die DIK-Agenda.

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Foto: Shutterstock.com

Der Bericht eines „Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit“ im Auftrag des BMI schien ihr im vergangenen Juni Recht zu geben: Musliminnen und Muslime litten in Deutschland unter weit verbreiteter Diskriminierung, hieß es darin.

2023 endet das DIK-Förderprogramm „Moscheen für Integration“ zur besseren Vernetzung muslimischer Gemeinden mit Kommunen und Mehrheitsgesellschaft. Spannend ist, ob Faeser am Dienstag ähnlich konkrete Schritte vorstellen wird.

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Der globale Süden zum Krieg: Kritik an Israel

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Der globale Süden sieht den Gaza-Konflikt etwas anders. In der Region werden zahlreiche gegenteilige Stimmen laut.

Kapstadt/Buenos Aires (dpa). Der Terrorangriff der Hamas auf Israel und der Krieg im Gazastreifen haben die Welt tief gespalten. Vor allem im globalen Süden wird der Konflikt deutlich anders bewertet als in den Regierungszentralen von Washington, Berlin oder London. Von Kristin Palitza und Denis Düttmann

Aufgrund ihrer eigenen Geschichte sehen viele Menschen in Afrika und Lateinamerika die Ereignisse durch eine postkoloniale Brille: Für sie sind die Palästinenser vor allem Opfer der israelischen Besatzungspolitik.

Siedlergewalt Nahost

Foto: GRAPHIC DESIGN BLOG

Globaler Süden: Den Konflikt durch die postkoloniale Brille gesehen

„Viele Entwicklungsländer sehen in der Haltung des Westens in der Israel-Palästina-Frage den Beweis dafür, dass er internationale Regeln und Normen selektiv anwendet – je nach geopolitischen Interessen und nicht auf universelle Weise“, schreibt der deutsch-brasilianische Politikwissenschaftler Oliver Stuenkel in der Fachzeitschrift „Foreign Policy“.

Viele afrikanische Staaten haben das israelische Bombardement des Gazastreifens als Reaktion auf die Angriffe der Hamas verurteilt. Besonders in überwiegend muslimischen Ländern herrscht große Solidarität mit den Palästinensern.

Neben einigen Statements, die ausdrücklich von Israel als „Unterdrücker“ sprechen, fordern viele Regierungen ein Ende der Gewalt gegen Zivilisten und die Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung. Die Afrikanische Union hatte „die Verweigerung der Grundrechte des palästinensischen Volkes“ als „Hauptgrund“ des Konflikts bezeichnet.

Allen voran nimmt Südafrika – eines der wirtschaftsstärksten und modernsten Länder Afrikas und damit Vorbild und Sprachrohr für viele Staaten des Kontinents – eine „radikale und äußerst kritische“ Haltung gegenüber Israel ein, sagte Ran Greenstein, politischer Analyst der Universität zum Witwatersrand im südafrikanischen Johannesburg, der Deutschen Presse-Agentur.

Naledi Pandor: Kollektivbestrafung der Palästinenser

Außenministerin Naledi Pandor bezeichnete Israels Reaktion auf den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober als „Kollektivbestrafung“ der Palästinenser, die eine „fortwährende Tötung von Kindern und unschuldigen Zivilisten“ einschließe. Südafrika spricht von Kriegsverbrechen durch israelische Streitkräfte, will seine Diplomaten aus Israel zurückrufen und droht mit einer möglichen Ausweisung des israelischen Botschafters.

Südafrikas Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC), die sich seit vielen Jahren für ein „freies Palästina“ ausspricht, zählt oft Hamas-Vertreter zu ihren Gästen bei politischen Konferenzen. Gleichzeitig lebt in Südafrika nach Angaben des Jüdischen Weltkongress mit mehr als 75 500 Juden die größte jüdische Gemeinde Afrikas und die zwölftgrößte der Welt.

Foto: Islamic Relief Worldwide

Ein strategischer Balanceakt

Südafrika – und vielen anderen Ländern des globalen Südens – gehe es letztendlich um einen strategischen Balanceakt, sagt Priyal Singh, Analyst des Instituts für Sicherheitsstudien (ISS).

Einerseits habe man sich einer anti-kolonialen, anti-imperialistischen Weltsicht verschrieben; andererseits wolle man die guten wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen zu westlichen Nationen, die Israel in dem Konflikt unterstützen, wie Deutschland, die USA oder Großbritannien, nicht gefährden. „Es ist ein heikler Tanz zwischen Ideologie und Pragmatismus“, so Singh.

Auch in Lateinamerika wird viel Kritik an dem israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen laut. Die brasilianische Regierung verurteilte das Massaker der Hamas an Zivilisten in Südisrael vor gut einem Monat zwar, rief aber gleichzeitig „alle Parteien auf, größtmögliche Zurückhaltung zu üben, um eine Eskalation der Situation zu verhindern“.

Eine von Brasilien im UN-Sicherheitsrat eingebrachte Resolution scheiterte am Veto der USA, weil sie Israels Recht auf Selbstverteidigung nicht erwähnte.

Argentinien verurteilte die Angriffe der israelischen Streitkräfte auf zivile Infrastruktur und mahnte die Wahrung des humanitären Völkerrechts an. Jüdische Verbände in dem südamerikanischen Land kritisierten diese Position. Mit 175 000 Menschen ist die jüdische Gemeinschaft in Argentinien die größte in Lateinamerika.

Klar auf der Seite der Palästinenser stehen die linken autoritären Regierungen von Kuba, Venezuela und Nicaragua. Sie kritisieren den israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen und relativieren die Gewalt der Hamas.

Das kubanische Außenministerium bezeichnete den Konflikt als „Folge von 75 Jahren permanenter Verletzung der unveräußerlichen Rechte des palästinensischen Volkes und der aggressiven und expansionistischen Politik Israels“. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro warf Israel vor, ein System der Apartheid errichtet zu haben und im Gazastreifen Völkermord zu verüben.

Bolivien brach nach Beginn der Angriffe auf den Gazastreifen die diplomatischen Beziehungen zu Israel ab. Chile und Kolumbien beorderten ihre Botschafter zu Konsultationen zurück. Wie auch Südafrika bezeichnet Chile Israels Bombardierungen als „kollektive Bestrafung der palästinensischen Zivilbevölkerung“. In dem südamerikanischen Land lebt die größte palästinensische Diaspora außerhalb des Nahen Osten.

„Ein schwerer Schlag“

Die Standpunkte der Länder des globalen Südens sind ernst zu nehmen, sagte Greenstein: „Ihre Haltung ist ein schwerer Schlag für Israels Versuch, seine Beziehungen zur arabischen Welt und den islamischen Ländern zu normalisieren“. 

Vor Beginn des Gaza-Konflikts habe Tel Aviv noch daran gearbeitet, die Beziehungen mit Saudi-Arabien zu verbessern, was zu besseren Verhältnissen mit anderen islamischen Ländern wie Malaysia und Indonesien geführt haben könnte. „Das alles ist nicht mehr möglich. Der Konflikt verursacht bleibende Schäden, von denen es nahezu unmöglich sein wird, sich zu erholen“, sagte Greenstein.

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Differenzierung in der Debatte: Erste Stimmen warnen vor Generalverdacht

Differenzierung

Differenzierung im jetzigen Klima angemahnt. Mahnende Stimmen warnen vor Generalverdacht gegen Muslime. Ein Überblick

Berlin (dpa, KNA, iz). Der Berliner Rabbiner Andreas Nachama hat gemahnt, Muslime nicht pauschal als gewaltbereit abzustempeln. Viele Bilder und Filme in den Tagen seit dem Angriff der Hamas auf Israel seien sehr verstörend, sagte er dem „Tagesspiegel“ (Samstag). Gewaltbereitschaft betreffe nicht pauschal alle Muslime, sondern eine bestimmte Szene.

Differenzierung: „In einen Dialog treten“

„Wir müssen versuchen, mit diesen Menschen in einen Dialog zu treten. Dazu sind wir verpflichtet, denn wir leben gemeinsam in dieser Stadt“, sagte der Sohn jüdischer Holocaust-Überlebender und ehemalige Direktor des Erinnerungsorts Topographie des Terrors.

So schwer das für beide Seiten sein möge, es sei zum Wohle des Ganzen. „Ich habe in der muslimischen Community viele Freunde und appelliere an alle, einen Weg zur Geschwisterlichkeit und Partnerschaft zu finden.“

Foto: Schalom Alaikum

„Der rechtsradikale, hier verankerte Antisemitismus und der nahöstliche geben sich auf unheilvolle Weise die Hand“, sagte Nachama, der auch Mitgründer des House of One ist, einem auf Dialog zwischen Christen, Juden und Muslimen ausgerichteten Projekt in Berlin-Mitte. Die Bedrohungslage sei ernst.

„Gleichzeitig sollten wir bei gewaltverherrlichenden Personen nicht den Eindruck erwecken, sie hätten damit Erfolg“, sagte Nachama. Letztlich sei die jüdische Gemeinschaft gewöhnt, mit Drohungen von außen umzugehen. „Ich erinnere an den Anschlag auf die Synagoge in Halle, zugleich aber auch an die rechtsextremen Morde von Hanau, die Muslimen galten“, sagte der Rabbiner.

„Ich halte es für extrem wichtig, eine Erkenntnis zu vermitteln: Muslime und Juden sitzen im gleichen Boot. Wir werden von Rechtsextremen gleichermaßen antisemitisch oder antirassistisch bedroht. Wir sollten miteinander für eine tolerante Gesellschaft eintreten.“

Foto: , via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-2.0

Aufrufe zur Besonnenheit

Vertreter von Juden und Muslimen rufen mit Blick auf den Krieg im Gazastreifen zu Besonnenheit auf. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, sagte am Freitagabend in den ARD-Tagesthemen, er mache sich große Sorgen über die Lage in Deutschland.

Auf den Straßen seien derzeit Hass, Gewalt und Antisemitismus zu sehen. Das verurteile er ganz klar und deutlich. Das Vorgehen der Hamas bezeichnete er als einen „schlimmen Terroranschlag“.

Mazyek betonte, er verhehle nicht, dass es auch Muslime gebe, die antisemitisch seien – und das müsse man bekämpfen. Rassismus sei im Islam eine Sünde. Gerade die deutschen Muslime hätten eine besondere Verantwortung – auch gegenüber Juden und Israel.

Muslime und Juden in Deutschland dürften sich nicht auseinanderdividieren lassen. Gerade die Religion biete Möglichkeiten und Formen, Verbindendes und Anteilnahme zu bekunden, beispielsweise durch gemeinsame Friedensgebete. Deshalb habe er am Freitag eine Synagoge besucht.

Foto: © Raimond Spekking, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 4.0

Grünen-Chefin Lang: kein Pauschalverdacht gegen Muslime

Die Grünen-Parteivorsitzende Ricarda Lang warnt davor, Muslime pauschal zu verdächtigen. „Wir sollten uns davor hüten, alle Muslime unter Generalverdacht zu stellen. Viele Muslime in Deutschland verurteilen den Hamas-Terror ebenfalls“, sagte sie der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Samstag).

Es gebe viele Stimmen aus der muslimischen Community, die sich eindeutig gegen die Hamas positioniert hätten, fügte sie hinzu. Sie hätte sich aber ein „klareres Statement vonseiten der Islamverbände gewünscht“. Diese hätten eine Verantwortung, Antisemitismus entgegenzutreten.

Am Donnerstag hatte sich die Dachorganisation muslimischer Verbände, der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland, vom „terroristischen Anschlag gegen die Zivilbevölkerung in Israel durch die Hamas“ distanziert. Dieser Angriff sei nicht zu rechtfertigen.

Lang wies Forderungen nach aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen für Antisemiten zurück. „Der Rechtsstaat ist handlungsfähig, er hat die Instrumente, die er braucht, in der Hand. Jetzt geht es darum, sie konsequent anzuwenden. Unsere Sicherheitsbehörden machen hier gerade einen tollen Job“, sagte Lang. Wenn eine Person straffällig werde, die keinen dauerhaften Aufenthaltstitel hat, gebe es bereits die Möglichkeit der Ausweisung.

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Dschenin: Nur Verlierer nach Einsatz

Dschenin nahostkonflikt

Dschenin: Der Angriff war eine der größten Militäraktionen Israels in den besetzten Gebieten seit langem. Er endete mit Tod und Verwüstung. (KNA/IZ). Knappe 45 Stunden dauerte der israelische Angriff auf […]

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Geschichte: Vor 75 Jahren stimmten die UN für eine Teilung Palästinas

1947 hätte es die Möglichkeit für die Gründung jeweils eines jüdischen und eines arabischen Staates zwischen Jordan und Mittelmeer gegeben. Dazu kam es bekanntlich nicht. Von Kriegen, vertanen Chancen, Mauern und Zäunen.

Jerusalem/Bonn (KNA). Hier sind die Warteschlangen lang, und die Sperrmauer ragt in die Höhe: Wer den Checkpoint Qalandia überquert, gelangt von Jerusalem in Richtung Ramallah, wo die Palästinensische Behörde ihren Sitz hat. Die Passage durch diesen und andere Kontrollpunkte kann für Palästinenser langwierig und umständlich sein – und mitunter gefährlich, für beide Seiten, was immer wieder teils tödlich endende Zusammenstöße zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften gezeigt haben.

Der Checkpoint sieht mit seinen Ampeln, bewaffnetem Personal und Wachhäuschen wie ein regulärer Grenzübergang zwischen zwei Staaten aus. Was er freilich nicht ist, denn das besetzte Westjordanland ist nicht Palästina im Sinne eines souveränen Staates. Lediglich das sogenannte A-Gebiet, das einen Minderheitenteil des Landstriches und vor allem die großen Städte umfasst, fällt offiziell komplett unter palästinensische Verwaltung.

Eine Chance auf zwei eigenständige Staaten gab es vor 75 Jahren im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina: Am 29. November 1947 nahm die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Resolution 181 (II) an – gegen die Voten unter anderem der arabischen Staaten. Der Teilungsplan erhielt 33 Ja-, 13 Nein-Stimmen und 10 Enthaltungen.

In dem Dokument heißt es, dass das Mandat für Palästina spätestens am 1. August 1948 enden solle. Und: „Zwei Monate nach Abschluss des Abzugs der Streitkräfte der Mandatsmacht, in jedem Fall spätestens am 1. Oktober 1948, entstehen in Palästina ein unabhängiger arabischer Staat und ein unabhängiger jüdischer Staat sowie das (…) vorgesehene internationale Sonderregime für die Stadt Jerusalem.“

Eine Wirtschaftsunion sollte die Staaten verbinden. Auch gab es Regelungen zu Transit, Menschenrechten oder den Umgang mit religiösen Stätten. Ausführlich beschreibt der Text die Grenzverläufe. Die Pläne sahen 43 Prozent des Gesamtgebietes für den arabischen und 56 Prozent für den jüdischen Staat vor. 1947 lebten rund 600.000 Juden und etwa 1,2 Millionen Araber in Palästina.

Ein Blick zurück: Bei der San-Remo-Konferenz von 1920 mit den Siegermächten des Ersten Weltkriegs war Großbritannien das Mandat für Palästina übertragen worden, nach der Niederlage des Osmanischen Reiches. Der Völkerbund bestätigte das Mandat 1922. Im Zuge der zionistischen Bewegung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, Pogromen in Osteuropa und später der NS-Verbrechen wanderten Juden nach Palästina ein – sofern die Briten sie ließen.

Immer wieder kam es zu teils heftigen jüdisch-arabischen Kämpfen um Besiedlung und Vorherrschaft – und auch schon vor dem UN-Plan zu Überlegungen zur Teilung Palästinas. Ein UN-Sonderausschuss empfahl schließlich die Gründung zweier Staaten, um Konflikte zu befrieden. Dazu kam es nicht, auch wenn die UN die Resolution 181 annahmen. Während die jüdische Seite weitgehend einverstanden war, lehnte die arabische Seite eine Teilung unter diesen Bedingungen ab.

Die Auseinandersetzungen ebbten nicht ab. Nach der Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 brach der erste arabisch-israelische Krieg aus: Arabische Länder der unmittelbaren Umgebung griffen den jungen Staat an. 1949 kam ein Waffenstillstandsabkommen unter UN-Vermittlung zustande. Gleichwohl gab es weitere Kriege, 1979 und 1994 dann Friedensverträge mit Ägypten und Jordanien. Ab 2020 folgte zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen das Abraham-Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Marokko und Sudan.

Die Waffenstillstandslinie von 1949, „Grüne Linie“ genannt, trennte seinerzeit auch Ortschaften und Familien. Jenseits dieser Linie befinden sich die von Israel im Sechs-Tage-Krieg von 1967 eroberten Golanhöhen und das Westjordanland.

2002 begann Israel im Zuge der zweiten Intifada, eines gewaltsamen palästinensischen Aufstandes, mit dem Bau von Sperranlagen entlang der palästinensischen Gebiete, die als Schutz gedacht sind. Mehrere hundert Kilometer Zaun und Mauer sind bisher fertiggestellt – und hoch umstritten, teils auch in Israel. Mauer und Umzäunungen sind in Ostjerusalem in Sichtweite, ebenso entlang des weiteren Westjordanlandes und Gazastreifens. Gleichwohl sind die Sperren auch durchlässig: Es gibt Palästinenser, die mit Passierscheinen legal in Israel arbeiten, und solche, die illegal dort arbeiten.

Ganz nah am weitgehend von Israel und teilweise Ägypten abgeriegelten Gazastreifen liegt Sderot. Wenn es Raketenalarm gibt, bleiben den Menschen dort nur wenige Sekunden, um sich in Sicherheit zu bringen. Deswegen gibt es – anders als im Gazastreifen – an vielen Stellen der Stadt und an Bushaltestellen Schutzunterstände. Mauer und Umzäunung sind ebenfalls präsent. Angesichts dieser Anlagen kann man ähnlich wie in Qalandia im Norden die Illusion von zwei Staaten bekommen.

Eine Lösung des Konflikts ist weit entfernt – zu groß sind Hindernisse wie der israelische Siedlungsbau in den besetzten Gebieten, die Frage des Rückkehrrechts von Palästinensern und Radikale auf beiden Seiten. Kurz vor der Wahl am 1. November, aus der Benjamin Netanjahu (Likud) als designierter Ministerpräsident hervorging, hatte der damalige Ministerpräsident Jair Lapid vor der UNO-Vollversammlung in New York eine Zwei-Staaten-Lösung befürwortet.

Eine Umfrage des Israel Democracy Institutes kurz danach ergab, dass eine Mehrheit der Israelis (57,5 Prozent) dagegen ist. Mitte September, vor Lapids Äußerungen, führte das Palestinian Center for Policy and Survey Research eine Umfrage im Westjordanland und im Gazastreifen durch: Demnach waren um die 60 Prozent gegen eine Zwei-Staaten-Lösung – als größtes Hindernis sah eine Mehrheit der Befragten israelische Siedlungen an.

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Leben in Gaza – Arbeiten in Israel

Tausende Arbeiter aus dem Gazastreifen überqueren täglich die Grenze nach Israel. Die dortige Regierung will mit wirtschaftlichen Anreizen mehr Sicherheit schaffen. Reicht das für ein Ende der Gewaltspirale? Von Christina Storz und Saud Abu Ramadan

Gaza (dpa). Als Masen Madhun aus Gaza vor einem halben Jahr seine Arbeitsgenehmigung bekam, gab es ein großes Fest. Seither macht sich der 52-Jährige jeden Tag um 4.00 Uhr in der Früh auf den Weg nach Israel. Im 90 Kilometer entfernten Aschkelon arbeitet er auf einer Baustelle. „Das ist exzellente Arbeit mit einem guten Lohn“, freut er sich bis heute. Abends geht es zurück zur Frau und den neun Kindern.

Er sei glücklich, dass er nun wieder die Möglichkeit zur Arbeit in Israel habe. Als 14-Jähriger habe er dort schon einmal viel gearbeitet. „Damals war das noch einfach, doch dann kam die Sperre.“ Nachdem die islamistische Hamas 2007 in Gaza die alleinige Macht an riss, verhängte Israel wegen Sicherheitsbedenken eine Blockade über den Küstenstreifen, die auch von Ägypten mitgetragen wird. Wer das Gebiet verlassen will, braucht eine Genehmigung.

Wirtschaft für Sicherheit

Rund die Hälfte der 2,2 Millionen Menschen in Gaza ist heute arbeitslos. Unter Hochschulabsolventen ist die Rate besonders hoch. Mehr als 60 Prozent der Bewohner sind nach Angaben des UN-Nothilfebüros (Ocha) auf Hilfsgüter angewiesen. Sauberes Wasser ist Mangelware, Strom gibt es nur wenige Stunden am Tag.

Mit der neuen israelischen Regierung kam vergangenes Jahr eine Kehrtwende. Das Motto: wirtschaftliche Anreize im Tausch für mehr Sicherheit. Dazu gehörte auch die Ausstellung mehrerer Tausend Arbeitsgenehmigungen, was dann Stück für Stück aufgestockt wurde. Vor ein paar Tagen genehmigte Verteidigungsminister Benny Gantz eine weitere Anhebung auf 15.500.

Das macht sich auch an der Grenze bemerkbar: Im Juli erlaubten die israelischen Behörden 40.500 Menschen die Ausreise – nach UN-Angaben so vielen wie noch nie seit 2005. Vor rund 20 Jahren waren es noch zehn Mal mehr. Neben der Arbeit können auch medizinische Notfälle ein Grund für eine Einreisegenehmigung sein.

Hoffen auf die Erlaubnis

Fida Abu Drah wäre gerne einer von den „Glücklichen“. Seit einem Jahr kommt der 34-Jährige jeden Tag zum Verbindungsbüro in Gaza Stadt, das die Genehmigungen ausgestellt. „Das Schlimme ist das Warten“, sagt er. „Als ich hörte, dass es wieder mehr Genehmigungen gibt, hatte ich Hoffnung.“ Auf einer App zeigt er seinen Status: „Wird geprüft.“ Wie lange noch? Keine Ahnung. Fotografieren lassen will er sich nicht – zu groß die Sorge vor einer Absage. Um ihn herum stehen fünf andere Männer, die Ähnliches berichten.

Der palästinensische Wirtschaftsexperte Mohammad Abu Dschaijab schätzt, dass insgesamt 90 000 Palästinenser aus Gaza auf eine Antwort warten. „Wenn die Zusage kommt, wird gefeiert wie bei einer Hochzeit – mit Dessert für alle.“ Der häufigste Grund für eine Absage seien Sicherheitsbedenken.

Beide Seiten profitieren

Ein erster Erfolg der Maßnahmen für Israel war Experten zufolge beim jüngsten Konflikt Anfang August zu beobachten. Anders als die Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad beteiligte sich die militärisch stärkere Hamas dieses Mal nicht an den Kämpfen. Sie sieht sich auch für das Wohl der Zivilbevölkerung verantwortlich. „Die Menschen in Gaza können keinen weiteren Konflikt ertragen“, sagt Jochanan Zoref, Experte für israelisch-palästinensische Beziehungen vom Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS). Das wisse auch die Hamas.

Während ein Arbeiter in Gaza zwischen 20 und 50 Schekel am Tag (6 bis 15 Euro) verdient, kann er in Israel bis zu 400 Schekel bekommen (150 Euro). „Geld, das in Gaza dringend benötigt wird – auch, um die Kaufkraft anzukurbeln“, sagt Wirtschaftsexperte Abu Dschaijab. Dass durch die Arbeiter direkt Druck auf die Hamas ausgeübt wurde, bezweifelt er. Dafür sei die Zahl noch zu gering. „50 000 würden vielleicht etwas verändern, auch mit Blick auf die vielen Familienmitglieder, die an deren Einkommen hängen“.

Aber auch der Arbeitsmarkt in Israel profitiere, sagt der Wirtschaftsforscher Haggay Etkes vom INSS. „Fachkräfte werden dringend benötigt.“ Der Arbeitsmarkt sei sehr angespannt. Arbeiter aus Gaza seien zuverlässig und gut ausgebildet. Die meisten arbeiten auf dem Bau, weitere in der Landwirtschaft, aber auch in anderen Bereichen.

Abhängigkeit von Israel

Wie schnell die Zahl der Arbeitsgenehmigungen wieder reduziert und die Grenzen geschlossen werden können, zeigte sich in den vergangenen Monaten. Gantz hatte bereits im Juli die Erhöhung angekündigt, setzte sie nach einem Raketenbeschuss wieder aus. Er machte die Hamas für den Angriff verantwortlich. Sie müsse auch die Konsequenzen tragen.

Kurz darauf riegelte Israel nach der Festnahme eines Führers des Dschihads aus Angst vor Angriffen die komplette Grenzregion ab. Eine Woche lang konnte kein Arbeiter die Grenze überqueren. Auch die Einfuhr von Hilfsgütern wurde untersagt.

Masen Madhun und seine Familie verloren ein Viertel des Einkommens. „Wir saßen zuhause und haben gewartet“, sagt er. Andere steckten dagegen während der Zeit in Israel fest, berichtet der Händler Mohammad Nasser. Man bekomme dann einen Anruf, dass man bleiben solle, wo man gerade ist. Wenn die Grenze dann wieder auf ist, gehe es zurück zur Familie nach Gaza.

Frankreichs Nationalversammlung für Anerkennung Palästinas

Jetzt stimmen auch Frankreichs Parlamentarier für die Anerkennung eines Staates Palästina. Das zwingt die Regierung aber nicht, dem zu folgen. Sie setzt zunächst noch auf eine baldige Verhandlungslösung.

Paris (dpa). Die französische Nationalversammlung hat für eine Anerkennung eines Staates Palästina neben Israel gestimmt. Mit 339 gegen 151 Stimmen riefen die Abgeordneten die linke Regierung auf, diesem politischen Schritt zu folgen.

Die Entscheidung der Kammer ist nur symbolisch und für die Regierung unter Staatspräsident François Hollande nicht bindend. Der Entschließungsantrag dazu war von der Parlamentsmehrheit der Sozialisten eingebracht worden. Sie setzte die Resolution auch gegen den Widerstand des konservativen Lagers durch.

Frankreich will Palästina nach den Worten von Außenminister Laurent Fabius dann als Staat anerkennen, wenn es nicht in naher Zukunft eine Verhandlungslösung im Nahostkonflikt gibt. Paris unterstütze Pläne der Vereinten Nationen für einen weiteren Verhandlungsspielraum von zwei Jahren, hatte er während einer Debatte der Nationalversammlung gesagt: „Wenn diese Anstrengungen scheitern, und wenn dieser letzte Versuch für eine Verhandlungslösung keinen Erfolg hat, dann wird Frankreich seine Verantwortung mit der unverzüglichen Anerkennung des Staates Palästina wahrnehmen“. Fabius fügte hinzu: „Wir sind bereit.“

Befürworter erhoffen sich von der Anerkennung einen Beitrag zur Lösung des Nahostkonflikts. Der sozialistische Fraktionschef Bruno Le Roux hatte es unakzeptabel genannt, dass der Weg zum Frieden zwischen Israelis und Palästinensern täglich schmaler werde: „Palästinensische und israelische Politiker müssen ihre Verantwortung übernehmen.“ Über die Palästina-Resolution soll am 11. Dezember der Senat abstimmen.

Bisher haben weltweit 135 Länder Palästina als souveränen Staat anerkannt. Die Parlamente in London und Madrid votierten ebenfalls für einen Staat Palästina; auch dort ist dies keine Verpflichtung für die Regierungen. Die meisten westlichen Länder vertreten wie die USA oder Deutschland die Auffassung, dass ein palästinensischer Staat erst nach einer Friedenslösung anerkannt werden sollte.