Die großen Erzähler – kann Thomas Mann helfen, Orientierung in der Informationsgesellschaft wiederzufinden?

Thomas Mann

Angesichts der Ruinen des zerstörten Deutschlands, betont Thomas Mann ausdrücklich, im politischen Sinne, die Daseinsberechtigung von Religion.

(iz). Die Wahrheit im emphatischen Sinne hat einen narrativen Charakter“, argumentierte der Philosoph Byung Chul Han vor zwei Jahren in einem Essay über die Folgen der Digitalisierung. Das Ende der großen Erzählungen, dass die Postmoderne einleitet, vollendet sich für Han in der Informationsgesellschaft. Im Gegensatz zu Diktaturen wie China oder Russland werden die Fakten nicht zensiert, sondern der Konsument eher mit ihnen überflutet. „Die zu verarbeitende Information ist so umfangreich geworden, dass sie die begrenzte Rationalität von Individuen übersteigt.“

Die Folgen sind dramatisch; es gelingt der Gesellschaft immer weniger, sich auf eine gemeinsame Fakten- und Diskussionsgrundlage zu einigen. Die von Arendt und Habermas als Ideal hochgehaltene Öffentlichkeit kommt, so analysiert Han, erst gar nicht mehr zustande. Im Ergebnis deutet der Philosoph den Verlust an den großen Erzählungen im Sinne einer Krise der Demokratie.

Thomas Mann

Foto: Bundesarchiv, Bild 183-R15883 / Unbekannt / CC-BY-SA 3.0

Thomas Mann oder die großen Narrative

Man sollte sich nicht täuschen: Jenseits der Tagespolitik bilden die großen Narrative, sei es über die deutsche Geschichte, die monotheistischen Religionen oder die abendländische Philosophie immer noch den geistigen Rahmen des Zusammenlebens. Die Vermittlung von Einsichten der Geisteswissenschaften an eine junge Generation, deren Erkenntnis vom schnellen Takt kurzer Überschriften in den sozialen Medien geprägt ist, wird dabei zunehmend zur Herausforderung.

Es herrscht im Grunde Konsens darüber, dass eine Integration neuer BürgerInnen nur gelingt, wenn das historische Phänomen Deutschland, zumindest im weitesten Sinne, verstanden wird. Genauso gilt dies für Landsleute, die sich heute wieder den Parolen des Nationalismus zuwenden.

Dieter Borchmeyer schrieb 2017 ein wichtiges Buch mit dem Titel „Was ist Deutsch?“, im letzten Jahr folgte die Werkmonografie „Thomas Mann“. Nimmt man die beiden Bände in die Hand, bleibt nur die Bewunderung für die akribische Arbeit des Literaturwissenschaftlers. Die Leserschaft wird bei der Lektüre gefordert, für eine erste Übersicht der Thematik bewältigt man tausende Seiten.

Nationalsozialismus oder eine Geschichte „des anderen Deutschlands“

Im Kern erzählt er in beiden Büchern eine Geschichte des anderen Deutschlands und klärt über die Möglichkeit auf, dass das konservative Denken nicht automatisch in den Nationalismus und Rassismus führt. 

Zentral behandelt wird von dem Autor die geistesgeschichtliche Auseinandersetzung mit der Ideologie und das Scheitern des Bildungsbürgertums gegenüber dem Rassenwahn der Nationalsozialisten. In einer Zeit, in der wir Antisemitismus und Fanatismus beklagen, erübrigt es sich die Relevanz dieser Themen zu betonen.

Die Absicht, junge Muslime über diese Erfahrungsräume aufzuklären, die sich aus der deutschen Geschichte ergeben, ist lobenswert; nur, man wird kaum erwarten, dass viele der gewünschten Adressaten sich durch tausende Seiten durcharbeiten. Es gehört zu den Dienstleistungen der Gelehrten und Erzähler, die größere Themen durchdringen und die Quintessenz ihrer Erkenntnis präsentieren, den Lesern Zeit und Mühe zu sparen.

Zuwanderung Jugendliche

Foto: Daniel M. Ernst, Shutterstock

Junge Muslime brauchen anschauliche Vermittlung

Entsprechende Lerneffekte sind leichter zu erreichen, wenn der Stoff nicht nur theoretisch, sondern ebenso anschaulich vermittelt wird. Die Stadt Weimar bietet nach wie vor eine einmalige Bühne, um junge Menschen in dieses Narrativ zumindest einzuführen. Die Grundlagen für derartige Erkundungen finden sich, um nur zwei Beispiele zu nennen, in der Biografie Rüdiger Safranskis über das Leben Goethes oder Michael Jaegers Essay, das die Aktualität des Global Player Faust aufzeigt. 

Dabei geht es weniger darum, die Identität des Dichterfürsten endgültig zu definieren, sondern vielmehr das „Wie“ einer offenen, ganzheitlichen Lebensform zu erklären. Inwieweit die Ideale der Weimarer Klassik tragen, gehört zu den kontroversen Fragen, die man auf derartigen Veranstaltungen immer wieder hört.

Zu einer Romantisierung der Zeitepoche wird es in keinem Fall kommen, denn ein aufmerksamer Gang durch die Stadt übersieht nicht die Spuren der Verbrechen des 20. Jahrhunderts, man denke nur an das Lager auf dem Ettersberg, ein Mahnmal des Rassenwahns und der Judenverfolgung. Junge Menschen, unabhängig von ihrer Konfession, verstehen auf diesen Stadtführungen recht schnell die Grenzlinie, die den Einsatz für Ideale und die Praxis von Ideologien trennt.

Thomas Mann und die Religion

Goethes Verhältnis zur Religion, Wissenschaft, Politik und Ökonomie ist heute ausführlich beschrieben. Mit seinem neuesten Beitrag eröffnet Borchmeyer den Zugang zu einem anderen, weiteren Kapitel: Thomas Mann. Der Schriftsteller, der vor den Nationalsozialisten ins Exil flüchtete, ist einer der wichtigsten Zeitzeugen der deutschen Erfahrung mit der Ideologie. In seiner Erzählung „Lotte in Weimar“ wandte sich Mann mit sanftem Humor gegen die verbreitete Tendenz, den Dichterfürsten auf das Podest zu heben.

Der Glaube an eine geschichtsmächtige Bildung war längst einem tiefen Pessimismus gewichen. In seiner „Meerfahrt mit Don Quijote“ schreibt er 1934: „Ach die Menschheit! Ihr geistig-moralischer Fortschritt hat mit ihrem technischen nicht Schritt gehalten, er ist weit dahinter zurückgeblieben, man sieht es hin und wieder, und der Unglaube daran, dass ihre Zukunft glücklicher sein könnte als ihre Vergangenheit nährt sich aus dieser Quelle.“

Foto: Steffen Schmitz (Carschten), via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 4.0

Sein Urteil über das Bildungsbürgertum, das die Ideale der Weimarer Klassik auf seine Fahne heftete und den Wahn des Nationalismus nicht verhinderte, ist eindeutig: „Es sei ein Irrtum deutscher Bürgerlichkeit gewesen (…) zu glauben, man könnte ein unpolitischer Kulturmensch sein“, schrieb er 1939 in seinem Essay „Kultur und Politik“. Seine Lehre aus der Vergangenheit ist klar: Jenseits der Bildung, der Konfession oder der Herkunft sind die BürgerInnen immer der Humanität und Moral verpflichtet.

Borchmeyer beschreibt den „ironischen Konservatismus“ des Nobelpreisträgers: „Wahre Politik ist immer ironischen Wesens, ihrer Natur nach kann sie niemals radikal sein, denn sie ist Klugheit und daher notwendig der Wille zur Vermittlung.“ Schon 1916 hatte Mann an Paul Amann geschrieben: „Wer die Wahrheit zu besitzen glaubt, kann kein Wahrheitsliebender sein.“ Die These ist leicht zu überprüfen: Religiöse und politische Fanatiker mit Humor, oder einer ironischen Selbstdistanz, sind heute wie früher nicht zu finden.

Nach dem Krieg besuchte Thomas Mann im Jahr 1949 Weimar und reklamierte das Erbe Goethes für den Geist einer Demokratie, im Sinne, wie Borchmeyer zusammenfasst, „(…) einer Lebensverbundenheit im Gegensatz zum Aristokratismus des Todes und als politischer Ausdruck des Christentums, eines Christentums freilich jenseits aller konfessionellen Schranken und als Erscheinung einer alle nationalen Grenzen überschreitenden Menschheitsreligion“.

Vor den Erfahrungen des Nationalsozialismus hatte Thomas Mann das Religiöse bisher nur mit der naiven Ehrfurcht eines Daseinsmenschen vor dem Unbekannten angesehen, angesichts der Ruinen des zerstörten Deutschlands, betont er ausdrücklich, im politischen Sinne, die Daseinsberechtigung von Religion. Dabei ist ganz in der Tradition von Goethe und Mann hier den Plural anzuwenden und von den Religionen zu sprechen.

Zu den faszinierendsten Passagen in der Werkmonografie gehört die im 8. Kapitel ausgeführte Erinnerung an das – wie namhafte Kommentare meinen – Hauptwerk Thomas Manns: „Joseph und seine Brüder“. „Tief sind die Brunnen der Vergangenheit“, heißt es am Beginn der zwischen den Jahren 1933 und 1945 veröffentlichten Roman-Trilogie. Über die biblische Geschichte las er bei Goethe: „Höchst anmutig ist diese natürliche Erzählung, nur erscheint sie zu kurz, und man fühlt sich berufen, sie ins Einzelne auszumalen.“

Der Schriftsteller folgte diesem Aufruf mit größtmöglichem Aufwand und recherchierte jahrelang über das Thema. Ein Geniestreich: Im amerikanischen Exil kontert Mann die Verfemung der Juden in der nationalsozialistischen Ideologie mit einer großen Erzählung, gewidmet dem, im Qur’an ausführlich erwähnten, Propheten. Das Werk behandelt eine bis heute bestehende Bildungslücke der Deutschen, nicht nur von jungen Muslimen, die das Judentum meist mit dem Palästina-Konflikt in Verbindung bringen.

Für Mann selbst ist die intensive Beschäftigung mit der Religion Teil einer Metamorphose, die er in einem Brief 1934 wie folgt beschreibt: „Tatsächlich ist in meinem Fall das allmählich zunehmende Interesse fürs Mythisch-Religionshistorische eine Alterserscheinung, es entspricht einem mit den Jahren vom Bürgerlich-Individuellen weg, zum Typischen, Generellen und Menschheitlichen sich hinwendenden Geschmack.“

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Suche nach Maß und Mitte

Die lebenslange Suche des Schriftstellers nach Maß und Mitte, angedeutet durch einen Konservativismus, der für Tradition und Reform offen und stets klar abgegrenzt von jeder Verführung zu einer religiösen oder politischen Ideologie ist, inspiriert aktuelle Debatten. Die Suche nach einer engagierten Lebensform, die liberale und konservative Elemente in Einklang bringt, sich jenseits von Esoterik oder Fanatismus verortet, prägt das Leben junger Muslime. Sie wünschen sich in ihrer Mehrheit gesellschaftliche Akzeptanz und stehen zu ihrem Bekenntnis zum Islam.

Man kann Byung Chun Han entgegenhalten, dass nicht nur eine Flut von Informationen, sondern ebenso die wachsende Zahl von Narrativen die Übersicht erschwert. In beiden Fällen ist es notwendig, Unterscheidung zu üben und vertrauenswürdige Quellen zu bemühen. Fakt ist, zum Bildungsauftrag islamischer Institutionen gehört die Sichtung wichtiger Themen, die Auswahl der prominenten ErzählerInnen und der Auftrag ihnen Gehör zu verschaffen. Nur in diesem Zusammenspiel, im niveauvollen Dialog, entsteht ein Kompass, der deutsche Muslimen eine klare Orientierung verschafft. 

Die Kenntnisse der Geschichte und die Erkundung ihrer historischen Stätten, das Lernen aus der historischen Erfahrung gehören zum Leben in Deutschland. Warum nicht öfters die Moscheegemeinden in derartigen Exkursionen an die angesprochenen Themen heranführen? Für Thomas Mann war der Wanderer die Symbolfigur des „Deutschen“ schlechthin.

1926 schrieb er an Gerhart Hauptmann: „Der Deutsche gelangt zu Gott auf dem Weg über die Zertrümmerung des Dogmas und durch die Wüste des Nichts, er gelangt zur Gemeinschaft durch alle Tiefen der Einsamkeit und des Individualismus; und zur Gesundheit gelangt er durch letztes Wissen von Krankheit und Tod.“

Muslime während des 2. Weltkriegs: Gelegentlich wird der propagandistische Eindruck erzeugt, Muslime hätten Menschheitsverbrechen mit zu verantworten

(iz). In unserer Januar-Ausgabe erinnerte Sulaiman Wilms in einem Essay an den mutwilligen Umgang mit Geschichte („Das Pippi-Langstrumpf-Syndrom“), insbesondere soweit es Muslime und den Islam betrifft. Der schwerwiegendste – und sicherlich fatalste – Vorwurf dieser nachträglichen Deutung von Geschichte ist, Muslime in verschiedenen Teilen der Welt hätten sich in ihrer Allgemeinheit zu Mittätern am Völkermord der Nazis während des 2. Weltkriegs gemacht. Vereinzelte (säkulare) politische Bewegungen des Nahen Ostens, der unrühmliche „Mufti“ von Jerusalem sowie muslimische SS-Einheiten von „Hilfswilligen“ ­werden mit einer Weltreligion und ihren Gläubigen gleichgesetzt. So entsteht der propagandistische wie falsche Eindruck, Muslime hätten dieses Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts mit zu verantworten. ­Laila Massoudi ordnet den ungerechten Anwurf ein.

„Das schließt Araber, um die es hier geht, und andere Angehörige afrikanischer und asiatischer Völker ein, die sich zwischen 1933 und 1945 im Herrschafts- und Einflussbereich des Nationalsozialismus befanden. Ihre Begegnungen mit ihm haben (…) im kollektiven Gedächtnis der Völker – auch der eigenen – keinen festen Platz gefunden; ihr Leiden unter ihm und auch ihr Kampf gegen ihn befinden sich gewissermaßen im ‘Schatten des Mondes’.“ (Prof. Dr. Gerhard Höpp, Im Schatten des Mondes)

Die Ereignisse vom 11.09.2001 waren eine Zeitenwende für die internationale Politik sowie die Einstellung gegenüber Interventionen und massiven Menschen­rechtsver­letzungen wie Folter. Sämtliche relevanten Bezüge zum Thema Islam und Muslime wurden von einer ideologisierten Islamkritik einer Instrumentalisierung unterzogen. Ein Bestandteil dieser Neubetrachtung war eine rückwärtsgewandte Neu-Interpretation von Geschichte – dazu gehört das Konstrukt eines „Islamofaschismus“. Diese beinhaltet Veröffentlichungen weniger Historiker und vieler Journalisten, die anhand von Einzelpersonen und individuellen Bewegungen beziehungsweise Ländern die haarsträubende These aufstellten, Muslime in ihrer Allgemeinheit hätten sich an den nazistischen Untaten beteiligt.

Wahn und Wirklichkeit
Eine solche These ist so stichhaltig wie die Behauptung, Länder wie Norwegen oder Dänemark hätten sich wegen der Aktivitäten einiger Kollaborateure in ihrer Gänze dem deutschen Vernichtungs­willen verschrieben. Die Absicht war klar: Die ideologische Auseinandersetzung mit dem Islam sollte durch Assoziationen mit dem dunkelsten Segment der deutschen und europäischen Geschichte eskaliert werden. Ideologisch begleitet wurde das Projekt durch Pamphlete, die einen theoretischen Zusammenhang zwischen ­Islam und dem Ungeist Hitlers herzustellen versuchten.

Vor wenigen Wochen jährte sich zum 68. Mal das Ende des 2. Weltkriegs (Japan folgte Monate später). Es lohnt sich ein Hinweis auf Max Hastings. Der britische Journalist (Augenzeuge des Falklandkrieges) und Autor platziert in ­seiner wegweisenden Abhandlung über den Zweiten Weltkrieg „Inferno: The World at War, 1939-1945“ den tödlichsten Konflikt der Menschheitsgeschichte in einem globalen Rahmen.

Nach der Lektüre von Hastings Buch wird klar, dass die vielen Muslime Asiens und des Nahen Ostens entweder Unbeteiligte oder Opfer des „tödlichsten Konflikts der Menschheitsgeschichte“ (Timo­thy Snyder) ­waren. Die historische Verzerrung war unter anderem auch deshalb möglich, weil alles ausgeblendet wurde, was nicht ins Bild passte. Solange es das unrühmliche Beispiel des „Muftis“ gab und man auf die Handschar-Einheiten (die sich auch deshalb Deutschland anschlossen, weil die bosnischen Muslime ins Kreuzfeuer von Tschetniks, Ustascha-Faschisten und Partisanen gerieten) verweisen konnte, war der Rest egal.

Kampf gegen Nazismus
In Europa gab es muslimische ­Soldaten der Sowjetarmee (die am Kampf gegen Hitlerdeutschland teilnahmen und deren Heimatregionen unter den stalinistischen Gewaltwellen litten). Zu nennen wären auch die muslimischen Kolonialeinheiten Frankreichs und Großbritanniens, die – aus den imperialen Kolonien Nordafrikas, Schwarzafrikas, Asiens und des Nahen Ostens kommend – in Nordafrika und in Europa gegen die nazistischen Armeen kämpften. Elemente der muslimischen Bevölkerung, sofern sie nicht direkt Opfer von Kampfhandlungen oder Zuschauer waren, stellten keine wesentlichen Akteure des Weltkrieges in Europa dar. Im Gegenteil: Es gab beispielsweise muslimische Partisanengruppen wie in Albanien, die sich ­gegen den Faschismus zur Wehr setzten.

Trotz der selektiven Zitatwahl der Islamkritik ging es den Muslimen unter Hitler nicht so, wie es die angeblichen Belege nahelegen. „Ich befürchte, da kommt man zu einem sehr traurigen Schluss. Wir Muslime waren unter dem Nazi-Regime nie vor Belästigungen seitens der Behörden sicher. Aber das hing von der politischen Großwetterlage ab. Wenn es dem Regime ins Konzept ­passte, etwa weil man sich aus politischen Gründen mit den Arabern gut stellen wollte, blieben wir unbehelligt, aber man ließ es uns durchaus immer fühlen, dass man uns als Angehörige einer ‘artfremden’ Religion betrachtete“, berichtete der musli­mische Veteran Muhammad Aman Hobohm vor einigen Jahren im Gespräch von seinen Erfahrungen während der Nazizeit. Und: Der Islam war auch kein Schutz für jene Mitglieder der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland, die jüdische Vorfahren hatten.

Es gab keinen Masterplan
Max Hastings macht deutlich, dass Hitlerdeutschland (anders als das Kaiserreich, das sich stark in der muslimischen Welt engagierte) trotz gegenteiliger, zusammenhangloser Aktionen (auf die sich die retroaktiven Autoren gerne stützen) kein echtes Interesse am Nahen Osten hatte. Plausible Pläne, die Briten aus Ägypten und von Erdölquellen des Nahen Ostens zu vertreiben, ­wischte das Nazi-Regime beiseite. Es gab isolierte Versuche, anti-britische und anti-franzö­sische Kräfte in der Region zu unterstützen, aber diese wurden niemals ernsthaft realisiert.

In Asien sah die Lage noch eindeutiger aus. Hier fanden – in den heutigen Staaten Burma, Malaysia und Indonesien – die Kampfhandlungen auf dem Rücken muslimischer Bevölkerungen statt. Dass einige Führer asiatischer Unabhängigkeitsbewegungen nichts dagegen einzuwenden hatten, ihre alten Kolonialherren loszuwerden (worauf Japan zu Beginn setzte), kann nicht als faschis­toide Geisteshaltung ausgelegt werden. Und nicht nur die Japaner missachteten jede Grundregel zum Schutz der Zivilbevölkerung. So ließen es die Briten zu, dass in Bengalen eine Hungersnot zehntausende, wenn nicht gar hunderttausende Todesopfer forderte. Dies erklärt auch das Scheitern von Briten, Franzosen und Niederländern, nach dem Krieg ihre alte Kolonialherrschaft wieder anzutreten.