Offene Vorstellungen von Deportationen: Wie Migranten auf die Vorstellung der AfD und ihres ideologischen Umfelds reagieren. (KNA). In der Kölner Keupstraße hielt man die Correctiv-Recherche zuerst für einen „Fake“. Der […]
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Katars Sehnsucht nach Olympia
WM-Gastgeber Katar könnte schon bald nach dem nächsten großen Preis im internationalen Sport greifen. Nach zwei vergeblichen Anläufen wird eine weitere Olympia-Bewerbung von Doha erwartet. Von Christian Hollmann
Doha/Berlin (dpa). Auf weitere olympische Lobbyarbeit bei IOC-Chef Thomas Bach müssen Katars Sportfürsten beim WM-Finale unplanmäßig verzichten. Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees hat die Reise zum Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft nach einer Corona-Infektion auf Anraten seiner Ärzte abgesagt. Möglich ist allerdings, dass der WM-Gastgeber schon bei Bachs Besuch beim Eröffnungsspiel mit Nachdruck hinterlegt hat, nun endlich auch Sommerspiele nach Doha holen zu wollen.
Zwei Versuche des Golfstaats hat das IOC durchfallen lassen, die gemeisterte WM aber dürfte den Ehrgeiz der Katarer weiter befeuern. „Wir haben unseren Willen und unsere Motivation gezeigt, es auszurichten. Ich denke, es liegt auf der Hand“, sagte WM-Chef Hassan al-Thawadi.
Schon wird spekuliert, Katar könne nach Olympia 2036 greifen und die Spiele dann wie die Fußball-WM in den Spätherbst verlegen. Als Pfund könnte das Emirat mit der für viele Milliarden erbauten WM-Infrastruktur wie den Stadien und der U-Bahn wuchern. Klimatisierte Arenen, vielleicht gar eine klimatisierte Marathon-Strecke – für das schwerreiche Katar kein Problem. Katars Emir Tamim bin Hamad Al Thani ist schon seit 2002 auch Mitglied des IOC.
Mit einer Reihe von Top-Ereignissen hat Katar in den vergangenen Jahren seine sportpolitische Strategie untermauert. Die Handball-WM 2015, die Rad-WM 2016, die Turn-WM 2018 und die Leichtathletik-WM 2019 richtete Doha bereits aus. Die vorläufige Krönung ist das Gastspiel der Fußball-Weltelite um Lionel Messi und Cristiano Ronaldo. Auch die Formel 1 und die Profi-Tennistour machen in den nächsten Jahren regelmäßig Station in Katar. 2024 kommt dann die Schwimm-WM nach Doha.
„Wir waren ein regionales Kraftzentrum im Sport und wir werden es bleiben“, sagte Nasser al-Khater, Turnier-Geschäftsführer der Fußball-WM. Neben Image-Gewinn und Strahlkraft will sich sein Land auch auf diesem Weg einen möglichst großen Einfluss und ein möglichst großes Netzwerk in der Welt verschaffen. Für 2030 sind bereits die Asien-Spiele an Doha vergeben. Das kontinentale Mega-Event war zuletzt schon mit rund 12 000 Teilnehmern in 465 Disziplinen größer als Olympische Spiele.
Der dritte Anlauf auf Sommerspiele wirkt da schon fast wie eine logische Konsequenz. Mit den Bemühungen um Olympia 2016 und 2020 war Katar schon in der Vorauswahl gescheitert. Die nächsten drei Ausgaben sind bereits an Paris 2024, Los Angeles 2028 und Brisbane 2032 vergeben. 2036 könnte dann wieder Asien an der Reihe sein, so das mögliche Kalkül in Katar. Erstmals Olympia in der arabischen Welt und in einem islamischen Land, auch damit könnte das Emirat beim für solche Argumente empfänglichen IOC werben.
Bei einer Bewerbung für 2036 könnte Katar neben Ländern wie Indien, Indonesien oder Südkorea auch auf einen deutschen Kandidaten treffen. Der Deutsche Olympische Sportbund will im nächsten Jahr mithilfe einer Stabsstelle eine Grundsatzentscheidung vorbereiten, ob und wann ein neuer Versuch gestartet wird. „Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich es begrüße, wenn Interesse in Deutschland bestehen würde“, sagte Bach in dieser Woche. In Katar dürften sie solche ermunternden Worte kaum noch benötigen.
Jeder Zweite sieht eine Gefahr in ihnen: Wer sind die Reichsbürger?
Am 7. Dezember hat die Polizei 25 Personen verhaftet. Nach weit mehr als 120 Hausdurchsuchungen wurde ihnen die Planung eines Putsches zur Last gelegt. Insgesamt laufen laut Behörden Ermittlungen gegen mehr als 50 mutmaßliche Mitglieder des Netzwerkes Ermittlungen. Von Claire Burchett
(The Conversation/iz/dpa). Die Gruppe wird beschuldigt, Heinrich XIII. Prinz Reuß (den Angehörigen eines alten Adelsgeschlechts) durch einen Staatsstreich an die Macht bringen zu wollen. Unter den Festgenommenen waren auch „Reichsbürger“. Hierbei handelt es sich um eine formlose Bewegung von Netzwerken und Einzelpersonen, von denen viele rechtsextreme Ansichten haben. Sie wurden schon früher von Gewalttaten abgehalten. Aber dieser jüngste Vorfall und sie haben größere Besorgnis ausgelöst.
Eine „ernste Gefahr“ für die Ordnung
Etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung glaubt, dass von sogenannten Reichsbürgern eine ernste Gefahr für die Demokratie und ihre Repräsentanten ausgeht. Bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov aus dem Jahre 2016 vertraten 53 Prozent der Teilnehmer diese Ansicht. 31 Prozent der Befragten sehen eine solche Gefahr nicht. 15 Prozent der Teilnehmer der repräsentativen Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur äußerten sich zu dieser Frage unentschieden.
Im Westen wird die Gefahr den Angaben zufolge etwas größer eingeschätzt als im Osten Deutschlands. Während im Westen rund 56 Prozent der Bevölkerung der Ansicht sind, dass diese Extremisten eine ernste Gefahr für die Demokratie und ihre Repräsentanten sind, glauben das in den neuen Bundesländern nur 44 Prozent der Menschen.
Dass Reichsbürger auch für sie selbst eine Bedrohung darstellen könnten, denkt nur eine Minderheit. 63 Prozent der Menschen in Deutschland sehen ein solches persönliches Risiko laut Umfrage nicht. Knapp jeder fünfte (19 Prozent) gab an, er fühle sich durch diese Extremisten etwas bedroht. Lediglich sieben Prozent der erwachsenen Bürgerinnen und Bürger sind der Meinung, dass Reichsbürger für sie persönlich sehr bedrohlich seien.
Ein Adliger und eine Richterin
Unter den Verhafteten befand sich eine frühere Bundestagsabgeordnete der AfD, die bis zu ihrer Verhaftung Richterin in Berlin war. Birgit Malsack-Winkemann vertrat die Partei von 2017 bis 2021. Darüber hinaus wurden mehrere ehemalige und aktive Soldaten im Zusammenhang mit Putschvorbereitungen verhaftet. Dies gibt den Ermittlungsbehörden Anlass zu großer Sorge, da solche Verbindungen gefährlichen Extremisten Zugang zu Waffen und ausgebildeten Personen verschaffen könnten.
Anfang 2022 wurde Reuß von Medien als der Reichsbürgerszene nahestehend und Anhänger von Verschwörungstheorien bezeichnet. Das veranlasste seine Familie, sich öffentlich von ihm zu distanzieren. Abgesehen von einer Rede im Jahr 2019 auf der WorldWebForum-Konferenz in der Schweiz, die eine antisemitische und geschichtsrevisionistische Botschaft enthielt, wurde er kaum bekannt. Die Beteiligung eines Aristokraten spricht für die monarchistischen Beweggründe einiger Reichsbürger, die wieder einen Kaiser als Staatsoberhaupt einsetzen wollen.
Keine zentralisierte Struktur, aber gemeinsame Überzeugungen
Die Reichsbürger haben keine zentralisierte Struktur, aber nach neuesten Zahlen mindestens 23.000 Anhänger. Ihre wichtigste Überzeugung ist, dass der derzeitige deutsche Staat sowie seine Institutionen und demokratisch gewählten Vertreter nicht legitim sind. Sie verweigern sich der Anerkennung staatlicher Autorität, wenn es beispielsweise um Steuern geht. In der Pandemie wurden sie berüchtigt, da sie sich der Einhaltung von COVID-19-Beschränkungen verweigerten.
Einige halten offizielle Dokumente wie Personalausweis und Reisepass für illegitim. Andere ziehen es vor, sich mit einem Staatsbürgerschaftsnachweis auszuweisen, während ein Teil illegale Reisepässe und Führerscheine fabriziert. 2021 wurde ein Beamter aus dem Dienst entfernt, nachdem er einen Reisepass beantragte, in dem das Königreich Bayern aus Geburtsort aufgeführt werden sollte.
BRD GmbH oder die Ablehnung des Staates
Die Mitglieder der Gruppe glauben mehrheitlich, dass eine frühere Version des deutschen Staates die rechtmäßige Form ist – es bestehen Unstimmigkeiten darüber, welche. Einige meinen, dass die wahre Form Deutschlands zwischen 1871 und 1918 bestand. Andere führen die Verfassung der Weimarer Republik in der Zwischenkriegszeit als die des eigentlichen Staates an. Ein Rest konzentriert sich auf das Jahr 1937, um zu zeigen, was sie als die legitimen Grenzen des Staatsgebiets ansehen, das damals das ehemalige Königreich Preußen, Teile des heutigen Polen und Russland, nicht aber Österreich umfasste, das 1938 annektiert wurde.
Ein verbindender Glaube aller ist, dass der gegenwärtige Staat keinerlei Souveränität besitze. Sie meinen, die westlichen Alliierten Frankreich, Großbritannien und die USA würden weiterhin die Kontrolle haben, obwohl ihre Besetzung Westdeutschlands 1955 endete. Daher betrachten sie die Bundesrepublik als „Marionettenregime“, die nicht den Interessen der Deutschen diene. Manchmal bezeichnen sie diese als BRD GmbH, die keine Macht beanspruchen könne.
Überschneidungen mit Rechtsextremen
Ein ähnlicher Revisionismus ist in der breiteren deutschen extremen Rechten verbreitet, insbesondere bei einigen Mitgliedern der populistischen AfD-Partei. Die Leugnung der Bedeutung des Holocaust und die Betonung „positiver“ Momente der Geschichte fördern die Relativierung des Mordes an den europäischen Juden und des Antisemitismus. Im Gegensatz zu dieser, die ihre Rhetorik an den politischen Mainstream angepasst hat, missachten einige Reichsbürger die geltenden Gesetze, die Holocaustleugnung und Nazi-Propaganda verbieten. Die Gruppe wird mit unverhohlenem Hass auf Juden und Verbreitung von antisemitischen Verschwörungstheorien sowie mit offener Holocaustleugnung in Verbindung gebracht. Im März 2020 beschlagnahmte die Polizei bei Razzien in Wohnungen einiger Anhänger Neonazipropaganda.
Gewalt wird attraktiv
Einige Reichsbürger beginnen offenbar, sich an politischer Gewalt zu beteiligen. Die jüngsten Festnahmen folgten auf mehrere andere Vorfälle. Im Jahr 2016 wurde ein Polizeibeamter bei einer Razzia wegen der illegalen Waffensammlung eines Mitglieds erschossen. Im August 2020 versuchten einige im Rahmen eines Protestes gegen COVID-19-Beschränkungen, in den Deutschen Bundestag einzudringen. Im Umfeld der Razzia sprach das Innenministerium von 21.000 Reichsbürgern. Zehn Prozent von ihnen sei gewaltbereit.
Die Gegenwart ehemaliger und aktiver Soldaten beziehungsweise Polizisten sowie einer ehemaligen Bundestagsabgeordneten (und aktiven Richterin) unter den jüngst Verhafteten legt nahe, dass sie nicht ganz ohne Einfluss sind. Die AfD hat lange jede Verbindung zu ihnen geleugnet, aber sich in den letzten Jahren kontinuierlich nach rechts bewegt. 2019 berichtete das Innenministerium von vereinzelten Verbindungen von Reichsbürgern und Partei.
Man könnte sie als Randgruppe betrachten, aber ihre Ideen sind offensichtlich für einige so attraktiv, dass sie davon überzeugt sind, ein Staatsstreich sei ein lohnendes Unterfangen. Und Verbindungen zu einflussreicheren Organisationen würden sie noch gefährlicher machen – weshalb diese Angelegenheit von den Behörden so ernst genommen wird.
* Veröffentlicht im Rahmen einer Creative Commons-Lizenz.
Große Pläne: Der große Nachbar Saudi-Arabien spielt weiter
Über Jahre schaute die Fußballwelt auf das Emirat Katar. Sportlich endet die WM für den Gastgeber enttäuschend. Saudi-Arabien spielt dagegen erfolgreich – und hat auch ansonsten ehrgeizige Ambitionen.
Doha (dpa/iz). Die saudischen Fans geben den Ton an, geradezu sprichwörtlich. Wo die Fangruppen aus dem Königreich in ihren grünen Trikots bei der WM in Katar auftauchen, sorgen sie für Stimmung. Sie singen, sie klatschen, sie feiern. Ihr Team beglückte sie zum Auftakt mit einem 2:1-Sensationssieg gegen Argentinien. Auch beim 0:2 am Samstag gegen Polen traten die Grünen Falken mit Wille und Leidenschaft auf, jede auch nur halbwegs erfolgreiche Aktion im Education City Stadion frenetisch bejubelt von ihren Anhängern.
Das Königreich träumt davon, die Weltmeisterschaft wie der kleine Nachbar ins eigene Land zu holen. Medien zufolge denkt Saudi-Arabien intensiv darüber nach, sich zusammen mit Ägypten und Griechenland für das Turnier 2030 zu bewerben. Es wäre der Höhepunkt einer Strategie, die das Land unter Führung von Kronprinz Mohammed bin Salman mit Wucht verfolgt. Formel-1-Rennen, Box-Weltmeisterschaften, eine eigene Golf-Serie, 2029 die Asien-Winterspiele – seit Jahren positioniert sich Saudi-Arabien als Ausrichter großer Sportveranstaltungen und baut seinen Einfluss auf der internationalen Sportbühne aus. „Jedes Land wäre sehr gerne Ausrichter der Weltmeisterschaft“, sagte der saudische Sportminister Abdulasis bin Turki al-Faisal der BBC.
Mittlerweile haben sich die Beziehungen zum jetzigen WM-Ausrichter Katar wieder entspannt. Beim ersten Spiel der „Grünen Falken“ zeigte sich Katars Emir Tamim bin Hamad Al Thani mit saudischer Flagge auf der Tribüne. „Wir stehen zusammen“, beteuert auch der katarische Wachmann im Trainingslager des einheimischen Teams, während er das saudische Spiel gegen Polen auf einem Handy schaut. „Wir sind Brüder.“ Tatsächlich bleibt das Verhältnis aber von Rivalität geprägt.
Im Sport kleckert Saudi-Arabien nicht, sondern klotzt. Im vergangenen Jahr übernahm der öffentliche Investmentfonds des Königreichs den Premier-League-Club Newcastle United. Saudi-Arabiens Sportminister hofft darauf, dass die zum Verkauf stehenden englischen Fußballvereine Manchester United und FC Liverpool von saudischen Investoren übernommen werden.
Dazu bemüht man sich auch um andere große Namen: Der derzeit vereinslose Fußball-Superstar Cristiano Ronaldo soll einem Medienbericht zufolge ein Angebot des saudischen Clubs Al-Nassr über drei Jahre mit einem Gesamtvolumen von 225 Millionen US-Dollar (etwa 216 Millionen Euro) vorliegen haben. Sein Rivale Lionel Messi ist das Gesicht einer Tourismus-Kampagne für Saudi-Arabien.
Interview: Imam Benjamin Idriz über die Zukunft der Community und seiner Pläne in München
(iz). In den letzten Monaten häuften sich Meldungen und Stellungnahmen über Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedern des Koordinationsrates der Muslime. Dabei ging es nicht nur um Personalien oder Einzelinteressen, sondern auch um Grundfragen der zukünftigen Ausrichtung.
Wir sprachen mit Imam Benjamin Idriz über Fragen der muslimischen Selbstorganisation, zukünftige Möglichkeiten der deutschen Community sowie sein Großprojekt in München. Idriz ist seit Längerem Imam der erfolgreichen, multikulturellen Gemeinde im bayrischen Penzberg und plant derzeit den Bau eines großen Zentrums in der Landeshauptstadt München.
Islamische Zeitung: Lieber Benjamin Idriz, heute, mehrere Jahre nach Einweihung der beeindruckenden Moschee im bayrischen Penzberg, streben Sie und Ihr Team den Bau eines wesentlich größeren Zentrums in der Landeshauptstadt München an. Wo steht das Projekt derzeit und was sind die größten Hindernisse, die Sie überwinden möchten?
Benjamin Idriz: Zunächst einmal sind es nicht die Hindernisse, sondern die Unterstützung, die das Projekt erfährt, die ich für ausgesprochen bemerkenswert halte. Diese Unterstützung kommt nämlich nicht nur von Muslimen (wo sie selbstverständlich sein sollte), sondern aus der ganzen demokratischen Gesellschaft, aus verschiedenen Religionsgemeinschaften, aus Verbänden, von den Medien und aus allen Fraktionen des Münchner Stadtrats.
Nachdem eine extremistisch-islamfeindliche Minipartei über mehrere Jahre hin versucht hat, Unterschriften gegen das Projekt zu sammeln um damit einen Volksentscheid dagegen herbeizuführen, hat der Stadtrat dies als unzulässig abgelehnt, weil die islamfeindlichen Hetzer nachweislich mit falschen Behauptungen gearbeitet hatten. In derselben Sitzung hat der Stadtrat stattdessen eine Resolution „Solidarität mit den Muslimen in unserer Stadt“ beschlossen!
Das derzeit einzige Hindernis liegt in der Finanzierung. Es wäre natürlich schön, ein solches Projekt mit Spenden von Muslimen (und Nichtmuslimen) aus Deutschland zu realisieren. Für die Grundstücks- und Baukosten wird es aber, wie es scheint, nicht ohne einen oder mehrere Großspender aus der Golfregion gehen. Unsere Anfragen laufen in mehreren Ländern (Oman, Katar, VAE) – hier brauchen wir jetzt dringend baldige Antworten – sonst wird die Chance auf ein repräsentatives und zentral gelegenes Grundstück vergeben.
Islamische Zeitung: In der Vergangenheit haben Sie den Gedanken entwickelt, mit einem eventuellen Zentrum in München auch die Möglichkeit einer, mit anderen europäischen Einrichtungen vernetzt, Ausbildung einheimischer Imame anzubieten. Steht dieser Punkt noch im Blickpunkt Ihrer Bemühungen?
Benjamin Idriz: Das war von Anfang an einer der Hauptgedanken bei diesem Projekt. Dass inzwischen in Deutschland universitäre Zentren für islamische Theologie eingerichtet worden sind, ist eine ausgesprochen positive Entwicklung und entspricht dem, was wir die ganze Zeit befürwortet haben, auch wenn bisher dort ja noch keine Ausbildung für Imame stattfindet. Mit solchen Zentren, und falls möglich auch mit anderen europäischen Einrichtungen, wird unser „Münchner Forum für Islam“ gerne kooperieren – zum gegenseitigen Nutzen. Denn Imam wird man nicht allein durch Bücher und in Hörsälen. Hier braucht es die Einbindung in das „richtige Leben“ einer Gemeinde, die Erdung durch die tagtägliche Praxis. Das MFI könnte hier zum Beispiel die Möglichkeit von Praktika anbieten, die die universitäre Ausbildung (wenn es sie einmal für Imame geben wird) ergänzen.
Islamische Zeitung: Im Rahmen der aktuellen Debatte zur muslimischen Gemeinschaft wurde auch gefordert, Finanzierungen aus dem Ausland, analog zum österreichischen Gesetz, abzuschaffen. Ganz unabhängig davon, dass das sicherlich nicht beim Kampf gegen Radikalisierung helfen dürfte, lässt sich ein Riesenprojekt wie Ihres überhaupt ohne ausländische Hilfe realisieren?
Benjamin Idriz: Hier muss man unterscheiden, für den Erwerb des Grundstücks und für die Baukosten wird es, wie gesagt, ohne ausländische Großspender nicht gehen. Was aber dann den Betrieb des Zentrums angeht, werden Einflussnahmen von außen ausgeschlossen. Es ist ein wesentlicher Bestandteil des Selbstverständnisses dieses Projekts, dass Islam am Hier und Jetzt orientiert sein soll, also da, wo Menschen sich entschlossen haben, ihr Leben zu verbringen und die Zukunft ihrer Kinder und Enkel liegt. Die Bindung an Herkunftsländer war eine notwendige Phase in den ersten Jahrzehnten muslimischer Einwanderer in Deutschland. Aber jetzt muss etwas Neues entstehen, sonst blockieren wir die Zukunft des Islam in Deutschland.
Islamische Zeitung: Gibt es einen Druck auf öffentlich auftretende Gelehrte wie Sie, Rhetorik und Inhalte eines politisch-korrekten Diskurses zu übernehmen?
Benjamin Idriz: Meine Rhetorik und die Inhalte dessen, wofür ich stehe, was ich denke, sage und lebe, entstammen dem Qu’ran und der Sunna. Es geht darum, unsere Quellen in unsere heutige Wirklichkeit zu übertragen und uns ununterbrochen zu fragen: was bedeutet diese oder jene Aussage für uns hier und heute? Daraus resultiert eine sehr weitgehende Übereinstimmung zwischen dem Islam und den Werten einer demokratischen Gesellschaft. Mit Druck von woher auch immer hat das nichts zu tun.
Was wir allerdings schon spüren, ist der ständige Druck, sich gegenüber den nicht enden wollenden Verbrechen zu distanzieren, die im Namen unserer Religion begangen werden. Hier ist es schmerzlich, dass Politik und Gesellschaft nicht wahrhaben, dass uns als Muslime diese Verbrechen genauso selbstverständlich entsetzen, wie andere auch; oder sogar noch mehr, denn es ist schließlich unsere Religion, die von den Verbrechern missbraucht wird. Das eigentliche Problem ist dabei aber nicht der Druck sich zu distanzieren – sondern die Tatsache, dass solche Verbrechen immer wieder verübt werden.
Islamische Zeitung: Sind Sie mit der Rolle zufrieden, die Gelehrte heute in der innermuslimischen Debatte spielen? Es ließe sich ja kaum behaupten, dass diese – und ihr Wissen – einen nennenswerten Einfluss auf die Entscheidungsbildung hätten…
Benjamin Idriz: In den letzten drei Jahren können wir Muslime durchaus ein starkes religiöses Autoritätsdefizit wahrnehmen. Die traditionellen Azhar-Gelehrten sind entweder entmachtet oder stehen unter politischem Druck, wie die Persönlichkeiten Al-Qaradawi oder Al-Tayyib. Hier in Europa war der ehemalige Großmufti von Bosnien Mustafa Ceric eine Stimme, auch er ist nicht mehr in der Position, in der er war. In Syrien ist Said Ramadan Al-Bouti grausam ermordet worden, und so sind in den letzten Jahren die bekanntesten Gelehrten von der Weltszene verschwunden. Leider gehen positive Stimmen, wie die von Mehmet Görmez, dem Religionsoberhaupt der Türkei, in dem großen Trubel unter.
Wo keine Autorität – dort herrscht Chaos. Und dieses Vakuum füllen heute selbsternannte Pseudo-Gelehrte. In Deutschland stehen wir nicht anders da. In dem Maß, in dem neu ausgerichtete Zentren wie eben unser MFI in Deutschland entstehen werden, kann auch das, was an den Universitäten stattfindet, viel mehr an die Basis und in die Gemeinden dringen. Diese Entwicklung kommt gerade erst in Gang, aber sie ist, glaube ich, auf die Dauer sicher nicht aufzuhalten.
Islamische Zeitung: In der Vergangenheit haben Sie sich skeptisch in Sachen des „organisierten Islam“ geäußert. Was hat Ihren Sinneswandel, den Beitritt zum Zentralrat der Muslime, hervorgerufen?
Benjamin Idriz: Meine Gemeinde in Penzberg ist multiethnisch und hat aus dem Zusammenwirken von Menschen mit unterschiedlichen Wurzeln ungeheuer profitiert. Genau das möchte der Islam ja von uns! Deshalb kann sich die Gemeinde als Ganzes keinem ethnisch oder national orientierten Verband anschließen. Der Zentralrat vertritt meines Erachtens eine Ausrichtung, die dem entspricht.
Organisierte Strukturen für die Muslime in Deutschland habe ich schon immer befürwortet; in dem von mir mit herausgegebenen Buch „Islam mit europäischem Gesicht“ wird ein entsprechendes Modell entworfen. Es sollte aber nicht aus mehreren parallelen und womöglich konkurrierenden Verbänden bestehen, sondern aus einer umfassenden, anerkannten Institution.
Islamische Zeitung: Nachdem der KRM an die Wand gefahren scheint, sehen Sie Alternativen für die Zukunft? Wenn ja, welche?
Benjamin Idriz: Wir haben in den letzten Monaten erlebt, dass endlich eine muslimische Stimme in Deutschland sehr viel mehr wahrgenommen wurde, als das früher der Fall war. Das haben wir Muslime doch seit langem ersehnt und auch gefordert. Sollten wir nicht dankbar sein, dass das jetzt zu gelingen scheint und alle gemeinsam den- oder diejenigen nach Kräften unterstützen, die sich mit Erfolg darum bemühen?
Wenn manche diese Entwicklung gerade jetzt torpedieren, ist das ein verheerendes Signal an die Politik und an die Öffentlichkeit: Ihr könnt die Muslime weiterhin ignorieren, ihr braucht sie weiterhin nicht ernst zu nehmen und nicht einzubinden, sie werden sich auf absehbare Zeit selbst blockieren. Hier müssten wirklich alle muslimischen Entscheidungsträger ihre Verantwortung ernster nehmen, als ihre jeweiligen Einzelinteressen.
Islamische Zeitung: Es gibt eine Vielzahl von Aspekten, die im Denkschemata des politisch organisierten Islam nicht vorhanden sind – was sich auch als „muslimische Zivilgesellschaft“ bezeichnen ließe. Wie könnte diese Zivilgesellschaft zukünftig angemessen Beachtung finden?
Benjamin Idriz: Viele Muslime halten sich von Moscheen fern, weil deren Ausrichtung oder Orientierung an andere Ländern sie nicht anspricht. Hier brauchen wir neue Angebote. Diese Angebote können und sollten aber über die Gebete hinausgehen. Seit wir in München einen provisorischen Sitz für das MFI eröffnet haben, ist aus dem Stand eine sehr vitale Gemeinde entstanden, die Muslime anspricht, die teilweise seit vielen Jahren auf so etwas gewartet haben. Dazu gehören nicht nur die Freitagsgebete, sondern soziale Angebote, Vorträge und Diskussionen, die kritisch und offen gehalten werden, sodass sich auch solche angezogen fühlen, die der Religion bisher vielleicht eher noch distanziert gegenüber stehen.
Islamische Zeitung: Ihre Penzberger Gemeinde ist seit Jahrzehnten multikulturell geprägt und bietet umfassende Aktivitäten an. Handelt es sich dabei um das Modell der Zukunft?
Benjamin Idriz: Es wird wohl auch in Zukunft solche Muslime geben, die emotional an der Bindung an frühere Herkunftsländer festhalten wollen, und das kann ja auch sehr wertvolle Aspekte beinhalten. Aber die Zukunft des Islam in Deutschland wird nicht dominant türkisch, bosnisch oder arabisch sein – sonst wäre er tatsächlich kein Teil Deutschlands. Der Prophet Muhammad hat nicht Mekka nach Medina verpflanzt, sondern nach der Hidschra in Medina etwas Neues geschaffen.
Islamische Zeitung: Lieber Imam Benjamin, wir bedanken uns für das Gespräch.
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Münchner Moschee-Projekt: Benjamin Idriz drängt
München (KNA). Der Penzberger Imam Benjamin Idriz drängt auf Entscheidungen beim Plan für eine repräsentative Moschee in der Münchner Innenstadt. Er könne nicht noch zehn Jahre investieren, sagte Idriz der „Süddeutschen Zeitung“ (Donnerstag). „In einer absehbaren Frist“ müsse es Fortschritte geben. Dem scheidenden Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) hielt der Imam vor, das Projekt zwar unterstützt, aber nie zur Chefsache gemacht zu haben. Nach seinen Worten sind Sponsoren bereits gefunden, die wissen wollten, wie das Projekt aussehe. „Aber ohne Grundstück kann kein Architekt einen Entwurf machen.“
Seit 2007 setzt sich Idriz für eine Moschee in München ein. Dazu sollen ein Gemeindezentrum, eine Islam-Akademie mit Imam-Ausbildung, ein Museum und Bibliothek kommen. Doch bisher gibt es noch nicht einmal einen Standort. Ein zunächst ins Auge gefasstes städtisches Grundstück kommt inzwischen nicht mehr in Frage.
Der Imam bedauerte, dass viel Zeit verloren gegangen und viel Energie investiert worden sei. Herausgekommen sei nichts außer „hyperventilierende Rechtspopulisten“. Idriz spielte damit auf regelmäßige Demonstrationen und Unterschriftensammlungen in der Münchner Innenstadt durch die Partei „Die Freiheit“ an, die das Projekt mit einem Bürgerentscheid zu Fall bringen will.
Idriz setzt nun alle Hoffnung auf den neuen Münchner Oberbürgermeister, der im März gewählt wird. Auch auf die Europawahl im Mai werde man wohl noch Rücksicht nehmen müssen, bis eine Entscheidung falle.
„Wir Muslime leiden unter dem, was in der islamischen Welt schief läuft“, sagte der Imam. Islamophobie habe viel Gründe, die Muslime leider mitverursachten. Das Münchner Projekt könnte aber dazu beitragen, das Image der Muslime zu verbessern, so seine Vision. „Wir müssen unser Islamverständnis hinterfragen. Das geht nur in einer Einrichtung, in der frei diskutiert wird und jeder erlebt, dass Islam und die Werte unserer freien und modernen Gesellschaft sehr wohl zueinander passen.“
Einen neuen Namen hat das Projekt bereits: Es heißt nicht mehr „Zentrum für Islam in Europa“ (ZIEM), sondern „Münchner Forum für Islam“ (MFI).