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Schnellschüsse aus der Hüfte

(iz). Längst sind das Internet und seine Kommunikationsformen zu einer Arena des Politischen geworden. Hier finden die Politik sowie ihre Themen ihren Widerhall. Alles, was früher den Wählern beziehungsweise jeweils […]

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Muslime im Fokus

Das Thema Muslime in den Medien – im Sinne einer Aufklärung über die Lebenswirklichkeit und Gestalt der Lebenspraxis von Muslimen – wird im Moment wieder lebhaft diskutiert. Muslime tauchen in den Debatten in unterschiedlichem Kontext auf, wenn auch selten als deutsche BürgerInnen und überhaupt nur ausnahmsweise mit positiver Tonierung, aber immer öfter im Kontext von „Flucht“, „Terror“ oder „Immigrationsproblemen“.
Medien folgen heute bei der Berichterstattung über „heiße“ Themen einem „Sofortismus“ (Bernhard Pörksen) und sortieren spektakuläre Ereignisse, wie die schändlichen Angriffe auf Frauen in Köln, immer schneller ein. Soll das Zusammenleben in Deutschland aber weiter funktionieren, gilt es im medialen Umgang mit den Millionen von Muslimen im Lande insbesondere die Kräfte der Differenzierung zu stärken.
Für uns Muslime ist es dabei wichtig, nicht nur die Klage über Grobheiten im medialen Umgang mit uns zu betreiben, sondern das Thema des Umgangs mit den  Medien in einen geschichtlichen, philosophischen und technologischen Kontext zu setzen. Nur so können wir die aktuelle Dynamik der Informationsverbreitung besser einordnen, ihr konstruktiv begegnen und uns hoffentlich besser an den Auseinandersetzungen um die öffentliche Meinung beteiligen.
Am Beispiel der Entstehungsgeschichte von „Zeitungen“ wird klar, dass wir uns bei der historischen Einordnung moderner Medien zunächst mit dem geschichtlichen Kontext der Aufklärung beschäftigen müssen. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts gab es in Europa vor allem eine Anwesenheitskommunikation. Rudolf Schlögl beschreibt dieses Phänomen in seinem wichtigen Aufsatz „Politik beobachten“ wie folgt: „Wenn die Gemeinde der Bürger sich gegenüber dem Rat artikulierte, indem sie vor dem Rathaus zusammenlief, mit dem Sturm auf das Rathaus drohte und einen Ausschuss bildete, der mit dem Rat verhandelte, dann wurde Politik nicht beobachtet, sondern es wurde Politik gemacht.“
Dieser direkte Austausch an der Basis wurde bald selten. Neue Drucktechniken stellten Kommunikationsmedien zur Verfügung, mit deren Hilfe die Reichweite von Herrschaft sich beträchtlich erweitern ließ, weil sie von der Anwesenheit der Herrschenden entkoppelt werden kann. Es entstand nicht nur eine neue Distanz zwischen Herrschenden und Beherrschten, sondern auch eine ganz neue Perspektive, die beobachtende Öffentlichkeit.
Die Zeitschriften und Journale, die seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts in wachsender Zahl gegründet wurden, sahen zunächst darin eine wichtige Aufgabe, dem Leser Orientierung in der Fülle der zahlreichen neuen Buchtexte zu verschaffen. Dies hatte in den periodischen Printmedien naturgemäß eine Säkularisierung des Weltbezuges zur Folge. Das heißt, Medien beförderten mit Macht den „Rückzug der biblischen Prophetie“, stellten die alten religiösen Erklärungsmodelle in Frage und boten dagegen einen diskursiven Freiraum des Politischen an.
Medienkritik begleitete dabei übrigens die Zeitungen seit ihrer Einführung. Der Gelehrte und Sprachwissenschaftler Casper Stieler merkte am Ende des 17. Jahrhunderts an, „dass man in Zeitungen generell mit Nachrichten über wahre und vermeintlich wahre Dinge“ zu tun habe und die Zeitungsnachricht deswegen keinen anderen Status habe als das Gerücht.
Natürlich veränderten „Zeitungen“ auch das politische Feld. So informierten sich europäische Staaten beispielsweise nicht mehr nur mit dem Mittel der Anwesenheitskommunikation über ihre jeweiligen Absichten, sondern man las zunehmend in überregionalen Zeitungen übereinander. Zeitungen schafften so eine permanente Öffentlichkeit, die sich nicht mehr vor Ort informierte. In diesem Kontext zeigten sich auch innerhalb der Staaten die Möglichkeiten von Freiheit und Unfreiheit: Die Öffentlichkeit beobachtete den Staat, der Staat beobachtete die Zeitungen (Zensur).
Als problematisch zeigte sich im 19. Jahrhundert insbesondere das Verhältnis von Medien und Ideologie. Natürlich eigneten sich die neuen Techniken nicht nur für die Verbreitung bestimmter Überzeugungen, sondern im schlimmsten Fall auch zur Steigerung radikaler Subjektivität, bis zur Förderung radikaler Parteiungen. Philosophisch kann man wohl sagen, dass Medien nicht nur Informationen verbreiten, sondern auch einem bestimmten Willen zur Macht dienen können. Der Wille zur Macht ist dabei nicht etwa ein Wille zur Wahrheit, sondern ein Wille zum Schein, und zeigt sich auch gerade in dem Vermögen, subjektive Positionen mit absolutem Wahrheitsfuror zu verbreiten.
Heute wird dieses Phänomen der Einseitigkeit durch die Nutzung von Suchmaschinen und ihren Algorithmen verstärkt. Der individualisierte Medien­rezipient wird oft automatisch nur noch mit solchen Medienbotschaften beliefert, die zu seinen Vorlieben passen und ihm somit jede kognitive Dissonanz ­ersparen.
Natürlich suchten Philosophen wie Nietzsche, ganz im Gegensatz zum Typus des modernen Agitators, immer noch nach höherer, übermenschlicher Wahrheit. Nietzsche stellte über die Machenschaften des Journalismus eher spöttisch fest: „Mit Zeitungen, selbst den wohlgemeintesten, kann und darf ich mich nicht einlassen: — ein Attentat auf das gesamte moderne Presswesen liegt in dem Bereiche meiner zukünftigen Aufgaben.“
Auch Goethe sieht bereits die typische Gefahr der Politisierung der Gesellschaft durch Medien: „Wenn man einige Monate die Zeitungen nicht gelesen hat, und man liest sie alsdann zusammen, so zeigt sich erst, wieviel Zeit man mit diesen Papieren verdirbt. Die Welt war immer in Parteien geteilt, besonders ist sie es jetzt, und während jedes zweifelhaften Zustandes kirrt der Zeitungsschreiber eine oder die andere Partei mehr oder weniger und nährt die innere Neigung und Abneigung von Tag zu Tag, bis zuletzt Entscheidung eintritt und das Geschehene wie eine Gottheit angestaunt wird.“
Die Mahnung des Dichterfürsten klingt auch heute, wo in den Debatten schnell ein Extrem das Andere ablöst, hochaktuell. Tatsächlich sorgte sich schon im 19. Jahrhundert eine Elite, dass die Medien – vor allem, wenn sie in keine friedliche Philosophie eingebettet sind – letztlich die Freund-Feind-Verhältnisse schüren, verstärken und so auch harte Konflikte vorbereiten können.
Wenn man heute modernen Medien oft einseitige Berichterstattung über die Kriege unserer Zeit vorwirft, sollte man nicht vergessen, dass sich die Zeitungskultur gerade auch flächendeckend durchsetzte, weil sie die großen Schlachten des 18. Jahrhunderts begleitete. Dabei prägte ihre subjektive Darstellungsform eine bestimmte Perspektive. Die Berichterstattung erfolgte gewissermaßen vom Posten des Feldherrn und gewöhnte den Leser daran, die Welt aus der Sicht des Herrschers wahrzunehmen. Der Lyriker Christian Friedrich Hebbel (1813-1863) mahnte insoweit: „Zeitungen sind die einzige dem Schießpulver analoge Erfindung, und eine noch gefährlichere als diese, denn sie dienen nur einer Partei.“
Es wäre ein weiteres Thema, die spätere Politisierung der Medien im Zeitalter der Herrschaft des Nationalsozialismus zu untersuchen. Technologische Innovationen, ideologische Positionierungen und die Dialektik gegen die Gegner (und ihre „Lügenpresse“) schafften unter anderem den öffentlichen Raum für die politische Perversion der Nationalsozialisten. Im Dritten Reich war es zudem noch möglich, Rundfunk, Fernsehen und Printmedien einem politischen Willen zu unterwerfen.
Als eine der Erfahrungen aus der Überwindung der Ideologien sollte sich in der Bundesrepublik auch die Rolle der Medien verändern. Sie sollen, als eine Art „Vierte Gewalt“, zwar keine eigene Gewalt haben, aber die Macht zur Änderung der Politik oder zur Ahndung von Machtmissbrauch besitzen und so durch eine freie Berichterstattung die öffentliche Diskussion und das politische Geschehen beeinflussen können. Die eigentlichen Herausforderungen für diese neue Freiheit der Medien sind in der Nachkriegszeit weniger politischer, sondern ökonomischer und technischer Natur. Ein Problem ist dabei die immer größere Abhängigkeit der großen Medien vom Kapital und die Tendenz zur Medienkonzentration.
Die Rolle neuer Technologien verändert heute die Medienlandschaft dramatisch. Der Anteil der Menschen in Deutschland, die sich in einer (Print-) Zeitung über das aktuelle Geschehen informieren, ist seit 2005 von 51 auf nur noch 36 Prozent gefallen. Das Durchschnittsalter des Spiegel-Online-Lesers, so liest man bei Telepolis, liegt heute bei 53 Jahren, bei der Printausgabe sogar noch deutlich höher. Das Internet bietet gleichzeitig auch muslimischen Medien ihre Nischen und Möglichkeiten, das herrschende Bild der Mainstream-Medien zu verändern.
Natürlich müssen wir uns auch gerade in den Onlinemedien mit tendenziöser Berichterstattung und grundsätzlich fragwürdigen Techniken der Berichterstattung beschäftigen. Gerade die neuen Medien bieten auch spezifisch neue Möglichkeiten der Schädigung des politischen Gegners. Wie schon an anderer Stelle in der IZ ausgeführt, geht es hier um „Assoziationstechniken“, Fragen der Definitionshoheit, die Markierung von Andersdenkenden als „Islamisten“ und natürlich auch hier um die Ablehnung paradoxer Wortschöpfungen wie den „islamischen“ Terrorismus.
Der eindeutige Trend der Jugend hin zu den sozialen Medien als die primäre Informationsquelle wird unsere Wahrnehmung von Öffentlichkeit und Privatheit jedenfalls weiter radikal ändern. Die Internetpräsenz der großen Medienhäuser verschärft gleichzeitig den Kostendruck, da die Ausgaben für einen Qualitätsjournalismus gleich bleiben, aber die Werbeeinnahmen nur für sehr erfolgreiche Portale lukrativ sind. Vielen Medien ist der ökonomische Druck, der sich in oberflächlicher und plakativer Berichterstattung zeigt, bereits deutlich anzumerken. Gerade in der Berichterstattung über strittige Themen wie den Islam, entscheiden auch profane Verkaufszahlen über den Tenor der Berichterstattung. Hinzu kommt, dass muslimische Terroristen die mediale Wirkung als Teil ihrer Strategie begreifen. Sie nutzen für sich die Asymmetrie zwischen der eigenen realpolitischen Bedeutung und der öffentlichen Wirkung.
Der Philosoph Peter Sloterdijk beschrieb nach dem 11. September, sicher auch eine Zeitenwende in Bezug der Berichterstattung über die Muslime, ein grundsätzliches Phänomen. Der Terrorismus wird aus Sicht des Denkers bei uns geradezu sakralisiert und Medien nutzten dabei ihre Macht der Vergrößerung. „Nadelstichgroße Effekte im Realen werden “ so Sloterdijk „durch unsere Medien bis auf das Format von interstellaren Phänomenen vergrößert.“
Zweifellos gehört es zur Macht von Medien Ereignisse zu verstärken, manchmal auch quasi zu vermarkten. Muslime werden heute in den Medien nicht zufällig eher als „Täter“, seltener aber als „Opfer“ dargestellt. Gegen diesen Eindruck kann man, wenn man will, allerdings auch Fakten setzen. Natürlich gibt es Journalisten, die – gegen den aktuellen Trend – eine differenzierte Position gewissenhaft recherchieren und auch verbreiten. Diesen Versuch zur Differenzierung unternahm zum Beispiel Rüdiger Scheideges vom „Handelsblatt“. In seinem Artikel weist er nach, dass die größten Opferzahlen des globalen Terrorismus Muslime sind. Auch die schnelle Verknüpfung von Terror und Islam sieht er skeptisch. So mahnt er:  „2014 sind weltweit rund 33.000 Menschen durch Terrorismus (nicht durch Kriege!) vernichtet worden. In westlichen Ländern aber ist der islamische Fundamentalismus entgegen unserer Wahrnehmung nicht die Hauptursache für Terrorismus: 80 Prozent aller Getöteten standen nicht im Fadenkreuz von Dschihadisten, sondern sind Opfer von Einzeltätern, die politische oder religiöse Extremisten, Nationalisten oder Rassisten waren.“
Das Phänomen des IS/Daesh stellt nochmals eine Steigerung der Begriffsverwirrung und der Verbreitung dunkler Assoziationsketten dar. Die Debatte über die Muslime in den Medien hat sich seit dem IS-Terror nochmals deutlich verschärft. Die NGO „Mediatenor“ hat für eine Studie nach eigenen Angaben alle 265.950 Berichte über Akteure sowie 5.141 Berichte über den Islam, die katholische und evangelische Kirche in 19 deutschen TV-, Radio- und Printmedien ausgewertet. Christian Kolmer, Leiter für Politik bei Mediatenor, bringt die Lage auf den Punkt: „Der Islamische Staat katapultiert das Medien-Image des Islam in einen katastrophalen Zustand.“ Gleichzeitig bringt der Experte die künftigen Herausforderungen für uns Muslime auf den Punkt: „Wie das Image des Islam sich aus diesem absoluten Tiefstand erholen soll und in welchem Zeitraum das möglich ist, muss alle Kräfte der Integration mit größter Sorge erfüllen“.

Der Gewinner ist die AfD

Es hat sich eingebrannt, das Holzkreuz, angemalt in Schwarz-Rot-Gold. Eine neue Studie zeigt jedoch, dass die Mehrheit der Pegida-Demonstranten nicht nur konfessionslos ist, sondern den Kirchen sogar misstraut.
Bonn (KNA) Von falscher Symbolik sprach vor kurzem der evangelische Bischof Gerhard Ulrich. Der katholische Erzbischof Ludwig Schick mahnte wiederholt, Christen sollten dort nicht mitmachen: bei Pegida, der Protestbewegung, die seit Herbst 2014 wöchentlich in Dresden demonstriert. Wer einem Kreuz in Nationalfarben folge, „hat nicht verstanden, aus welcher Geschichte und Kultur er selber kommt“, sagte Ulrich der „Zeit“-Beilage „Christ und Welt“.
Nun zeigt sich, dass Geschichte und Kultur den Pegida-Anhängern ohnehin eher Mittel zum Zweck sind. Eine Mehrheit bringt den Kirchen nämlich kaum Vertrauen entgegen. Das geht aus einer am Sonntag vorgestellten Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung hervor. Knapp zwei Drittel der Befragten (65,2 Prozent) gaben demnach an, wenig oder gar kein Vertrauen in die Kirchen zu haben; nur 6,6 Prozent sprachen von vollstem oder viel Vertrauen.
Die Forscher um den Politologen Franz Walter hatten nach eigenen Angaben im November Print-Fragebögen mit frankierten Rückumschlägen auf einer Demonstration verteilt. Von 1.800 Bögen erhielten sie 610 zurück. Die Studie sei also nicht im strengen Sinne repräsentativ, sondern Baustein eines Forschungsprojektes, schreibt das Team in einem Blogeintrag auf der Homepage des Instituts.
Die Zahl der Konfessionslosen unter den Umfrage-Teilnehmern überwiege indes „deutlich“, wie das Forscherteam auf Spiegel Online erläutert. Und: Die Islamfeindlichkeit hat sich konkretisiert. „Der“ Islam stehe „nicht mehr nur als Chiffre für einen amorphen kulturellen und gesellschaftlichen Verfall und die Bedrohung durch ein vermeintlich ‘Fremdes’“, betonen die Forscher in ihrem Blog.
Es gehe den Demonstranten um die tatsächliche Religionsgemeinschaft, „die praktizierenden Moslems bzw. deren ‘nordafrikanisch-arabischen Kulturkreis’“. Dies bezeugten handschriftliche Anmerkungen auf den zurückgesandten Fragebögen – die vor den Gewalttaten der Silvesternacht ausgefüllt wurden.
Auch an der Positionierung zur Flüchtlingsdebatte werde die Haltung gegenüber dem Islam deutlich: „Grundsätzlich äußern viele Befragte eine gewisse Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen – ausgenommen denjenigen aus islamischen Regionen.“ 45 Prozent forderten hier „eine klare Differenzierung“.
Die parteipolitische Gewinnerin dieser Entwicklung ist die AfD. Ein Drittel der Pegida-Anhänger wählte die Partei bereits bei der letzten Bundestagswahl; aktuelle Umfragen sehen sie bei 12 Prozent. Für Aufsehen sorgte am Wochenende die Äußerung von Parteichefin Frauke Petry, die Polizei müsse an der Grenze „notfalls“ Schusswaffen gegen Flüchtlinge einsetzen.
Vertreter der anderen Parteien äußerten sich entrüstet, doch bei den Pegida-Anhängern trifft Petry womöglich auf offene Ohren. Deren Ton habe sich im Vergleich zu Vorjahresbeginn verschärft, konstatieren die Göttinger Wissenschaftler. 41 Prozent der Befragten sprachen allen Menschen das Recht auf Asyl in Deutschland ab. 94 Prozent der Demonstranten plädierten für autoritäre Krisenlösungen, 82 Prozent forderten die „Befestigung und Verteidigung“ der deutschen Grenzen.
Die Studie hebt noch einen weiteren Aspekt hervor, der in der öffentlichen Debatte oft untergeht – fordern Politiker doch immer wieder Verständnis für die besorgten Bürger, die um ihre Jobs oder die hart erarbeiteten Ersparnisse fürchten. Dabei, so die Studie, hat rund ein Viertel der Pegida-Anhänger einen Universitäts- oder Hochschulabschluss, ein Drittel einen Berufsschulabschluss. Die Mehrheit ist zudem berufstätig (52 Prozent) oder in Rente (34 Prozent).
Von den sozial ausgegrenzten Schichten finde sich, so die Forscher, „kaum eine Spur“: 45 Prozent der Befragten schätzen ihre individuelle Lage als gut bis sehr gut ein, nur etwa 12 Prozent als schlecht bis sehr schlecht. Es sei also gut möglich, dass sich der Rechtspopulismus auch in Deutschland sozialstrukturell erweitert habe, schreiben die Forscher auf Spiegel Online: „Die Zivilgesellschaft hat Zuwachs im Engagementbereich erhalten – aber anders, als die Theoretiker und Festredner der Bürgergesellschaft und der Selbstinitiative sich das stets gewünscht und naiverweise erhofft hatten.“
Photo by opposition24.de

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Zweifel an Verfassungstreue von Petry & Co.

Auf Flüchtlinge an der Grenze schießen lassen – steht jemand, der das fordert, noch auf dem Boden der deutschen Rechtsordnung? Mancher Politiker hat da seine Zweifel. Und hält die AfD für einen Fall für den Verfassungsschutz.
Berlin (dpa) – Die Kritik an der AfD wegen Äußerungen ihrer Führung zum Schusswaffeneinsatz gegen Flüchtlinge an der Grenze ebbt nicht ab. „Die AfD zeigt einmal mehr ihr wahres Gesicht“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Max Straubinger, in Berlin. Mit Schusswaffen gegen Flüchtlinge an der Grenze vorzugehen, sei an Zynismus nicht zu überbieten. „Es sind Einlassungen wie diese, die das gesellschaftliche Klima in Deutschland vergiften und das radikale Gedankengut der AfD offenbaren.“
Die Vorsitzende der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland, Frauke Petry, hatte dem „Mannheimer Morgen“ gesagt, Polizisten müssten illegalen Grenzübertritt verhindern, und dabei „notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen. So steht es im Gesetz“.
Ihre Stellvertreterin Beatrix von Storch legte später auf Facebook nach. „Wollt Ihr etwa Frauen mit Kindern an der grünen Wiese den Zutritt mit Waffengewalt verhindern?“, wurde sie in dem sozialen Netzwerk gefragt. Storch antwortete knapp mit „Ja“, ruderte später aber etwas zurück: „Gegen Kinder ist der Schusswaffeneinsatz richtigerweise nicht zulässig. Frauen sind anders als Kinder verständig.“
Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet sagte „Spiegel Online“, die AfD verletze Prinzipien wie die Würde des Menschen, die Verhältnismäßigkeit der Mittel und den Respekt vor dem Leben. „Sie entwickelt sich zu einer Partei, die das Grundgesetz, die Werte unseres Landes und der Zivilisation verrät.“
Unionsfraktionschef Volker Kauder warf der AfD-Führung in der „Süddeutschen Zeitung“ (Montag) eine „unmenschliche Haltung“ vor: „Die Äußerungen von Frau Petry sind rundum entlarvend: Sie zeigen die wahre Gesinnung der AfD-Führung, ihre ganze Verachtung für die Menschen, die vor Krieg und Vertreibung bei uns Zuflucht suchen.“
Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach sagte der „Rheinischen Post“ (Montag): „Der Einsatz von Schusswaffen gegen die Flüchtlinge an der Grenze wäre völlig absurd und nicht rechtens.“
Aus Sicht der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt muss der Verfassungsschutz tätig werden. „Der Verfassungsschutz sollte prüfen, inwieweit Teile der AfD die Voraussetzung einer Beobachtung erfüllen“, sagte sie „Spiegel Online“. „Es ist äußerst fraglich, ob eine Partei, die Flüchtlinge an der Grenze erschießen will und Rassentheorien in die Welt posaunt, ein Teil unseres demokratischen Systems sein kann und sein will.“ Der Grünen-Innenpolitiker Volker Beck argumentierte in der „Welt“ (Montag) ähnlich: „Das sind Feinde des Rechtsstaates.“
Auch der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hatte am Wochenende dafür plädiert, die AfD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Dafür erntete er Kritik aus den Reihen der Linkspartei: „Das ist mal wieder typischer Gabriel-Aktionismus“, sagte Linken-Fraktionsvize Jan Korte der „Welt“. „Sinnvoller wäre es, wenn der Vizekanzler nicht jede Woche eine Forderung der AfD wie beim jüngsten Anti-Asylpaket erfüllen würde.“
Photo by Metropolico.org

Keine einhellige Zustimmung

Hameln (dpa). Vizekanzler Sigmar Gabriel hat seine Forderung bekräftigt, die rechtspopulistische AfD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. „In der Vergangenheit sind wir gut beraten gewesen, uns solche Gruppen anzugucken“, sagte der SPD-Parteivorsitzende am Montag beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft in Hameln. „Da gab es am Wochenende sich überbietende Vorschläge der AfD, wo man sich die Frage stellt: Ist das überhaupt ernst gemeint? Aber leider ist es ernst gemeint“, sagte Gabriel. Als Beispiel nannte er Äußerungen zum Schusswaffeneinsatz gegen Flüchtlinge.
Gabriel warnte davor, dass die Partei nach einem möglichen Einzug in Landesparlamente auf Kosten des Steuerzahlers auch Mitarbeiter einstellen werde. „Ich möchte schon wissen, wen die da beschäftigen und welche Skinheads und Rechtsradikalen sich dort Zugang verschaffen zu öffentlichen Einrichtungen.“
Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen hatte Mitte November erklärt, die AfD werde von seiner Behörde nicht als extremistisch eingeschätzt und stelle keine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung dar. Allerdings schaue sich der Verfassungsschutz so wie bei der Pegida-Bewegung in Dresden sehr genau an, ob Rechtsextremisten Einfluss nehmen.
Photo by Metropolico.org
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Wunsch nach Unruhe?

(iz). Die Übergriffe von Kriminellen und Dieben auf Frauen während der Silvesternacht in Köln und anderen Städten hat eine neue Debatte über Kriminalität und Migration hervorgerufen. Als Reaktion haben sich […]

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Mit ihrer Unterstützung für das „Muslimische Forum Deutschland“ überschreitet die Konrad-Adenauer-Stiftung Grenzen der politischen Intervention

„Das erweckt das Zeichen der Spaltung der Community, weil der Eindruck erweckt wird, man sei besser, man sei liberaler und demokratiefähiger. Damit wird im Grunde den anderen unterstellt, man sei […]

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Der KRM scheint vor der Auflösung – ist das Teil eines Problems, oder eher die Lösung?

(iz). Vor jeder Reflexion oder Kritik am organisierten Islam in Deutschland, muss natürlich für alle beitragenden Akteure zunächst die Selbstkritik stehen. Salopp gesagt, „nobody is perfect“ und es ist für den neutralen Beobachter immer leichter zu kritisieren, als selbst aktiver Teil einer positiven Lösung zu sein. Natürlich ist es aber auch für uns Muslime legitim, sich an den inhaltlichen Debatten zu beteiligen und auch öffentlich auf diverse Widersprüche hinzuweisen. Kein Verband darf sich heute noch ernsthaft über dieses Phänomen beklagen, gerade auch, weil sich viele Verbandsvertreter selbst inzwischen gerne in den Medien positionieren. Eine ganz andere Frage ist es, ob eine echte innerislamische Debatte – im Vergleich zum kühlen Austausch von Pressemitteilungen – immer noch der bessere Weg wäre, um gemeinsam auf dem Teppich zu bleiben.

Wer sollte aber so einen konstruktiven Austausch organisieren? Beinahe ironisch klingt es heute, wenn man hier zunächst an einen „Koordinationsrat der Muslime“ denken sollte. Mit diesem Anspruch, eine Vertretung der Muslime zu sein – und großen Hoffnungen – ist der KRM 2007 an den Start gegangen. Der erste KRM-Sprecher, Ayyub Axel Köhler, erklärte damals selbstbewusst der „Mitteldeutschen Zeitung“: „Wir vertreten viel mehr Leute, als bei uns Mitglied sind.“ Der damalige Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, pries ausdrücklich die „Handlungsfähigkeit“, welche die Muslime mit der Gründung des KRM bewiesen hätten. Das war gestern. Die Macher zeichnen sich in diesen Tagen eher durch Wortkargheit gegenüber ihrer eigenen Basis aus und klären kaum öffentlich auf, was die Lage des Rates wirklich ist.

Heute, einige Jahre nach der vollmundigen Ankündigung einer neuen Einheit der Muslime, scheint der KRM nach internen Querelen jedenfalls kaum noch handlungsfähig. Vielleicht wird er künftig nur noch den jährlichen Ramadankalender und eine Pressemitteilung zum Eid-Fest veröffentlichen. Will man verstehen, warum das so ist, muss man sich zunächst über die Konstruktionsfehler des Über-Verbandes klar werden. Tatsächlich ist das Scheitern des zentralen Koordinierungsgremiums der Muslime auf Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners nicht wirklich überraschend. Dies hat weniger mit den involvierten Persönlichkeiten zu tun, sondern eher mit den oft unreflektierten Techniken der Macht, an die uns der politische Islam über die Jahre gewöhnt hat.

Es wäre tatsächlich ein Feld für sich, über Phänomene wie „islamischer“ Staat und „islamischer“ Verein und den aus diesen Formen entstehenden Habitus grundsätzlich nachzudenken. Hierher gehört auch die Historie der beteiligten Verbände; oft von Immigranten gegründet, die im deutschen Vereinsrecht zunächst die einzige mögliche Organisationsform für ihre muslimischen Anliegen vorfanden. Es ist keine Nebensächlichkeit, dass das eigentlich zentrale Anliegen politischer Formation im Islam, die lokale und unmittelbare Verteilung der Zakat, in dieser Rechtsform gerade nicht nach altem Vorbild umgesetzt wurde. Über Jahrhunderte war die Erhebung und gerechte Verteilung der Zakat die Legitimationsbasis politischer Führung überhaupt. Den organisierten Islam interessierte die korrekte, dezentrale Umsetzung dieser Säule des Dins weniger. Er strebte durch Mitgliedsbeiträge, Zakat-Zahlungen ins Ausland und durch die Mehrung der Vereinsmitglieder in erster Linie nach dem profanen Machtzuwachs, der mittels Vereinsrecht erreichbar schien. Das unterschwellige Machtkalkül der Verbände stellte aber auch die Idee einer echten Einheit der Muslime von Beginn an in Frage.

Da muslimische Vereine sich gerade ihrer inneren Struktur nach und nur über die eigene Machtsteigerung definieren, war die Idee einer politischen Einheit der Verbände von jeher fragil. Bisher war es für jede Organisationen unausgesprochen klar, dass eine Zeitung, die Schule oder die Moschee die „eigene“ sein müsse.

Die Idee einer offenen Infrastruktur dagegen – zum Beispiel Stiftungen, die den Muslimen an sich gewidmet ist und außerhalb der eigenen Machtstruktur verortet wird – blieb diesem Denken naturgemäß fremd. Im Organisationsmuster wurde die Lehre dem politischen Willen der Verbände untergeordnet und die „ökonomischen Akteure“ – zum Beispiel die erfolgreichen muslimischen Geschäftsleute – organisatorisch ausgegrenzt.

Es gab aber noch andere Probleme, die der Koordinationsrat von Beginn an nicht überwinden konnte. Die unterschiedlichen Mitgliederzahlen der Beteiligten hätten jeden demokratischen Prozess in dieser politischen Einheit ad absurdum geführt. Die Folge war ein lähmendes Vetorecht des größten beteiligten Verbandes, der DITIB. Eine starke, gar den Verbänden übergeordnete Führungsebene des Koordinationsrates war aber auf dieser Grundlage des Politischen von vornherein undenkbar; hätte sie doch von einer übergeordneten Ebene aus agieren können. Unter diesen Umständen durfte der KRM weder finanziell, noch personell wirklich erstarken.

Vielleicht wäre es immer noch möglich, etwas guten Willen vorausgesetzt, diese Konstruktionsprobleme durch eine kleinere, aber effektive Agenda zu überwinden. Natürlich könnte zum Beispiel eine würdige Repräsentanz der Muslime in Berlin wünschenswert sein. Nach wie vor gibt es einigen Koordinationsbedarf und nach wie vor gilt das Argument, dass ein Untergang des KRM letztlich auch die gesellschaftlichen Ansprüche der Muslime schwächen würde. Es ist schon jetzt absehbar, das kleinere Verbände leichter gegeneinander ausgespielt werden können. Tatsächlich scheint diese pragmatische Möglichkeit einer pro forma Einheit nun auch durch persönliche Konflikte erschwert.

Der Streit um den agilen, an sich aber relativ kleinen „Zentralrat“ der Muslime (ZMD) unter Führung seines Vorsitzenden, Aiman Mazyek, zeigt hier das aktuelle Dilemma. Seine Stärke sind weniger die großen Mitgliedszahlen, als das „symbolische Kapital“, das sich der Vorsitzende Mazyek über jahrelange Medienarbeit hart erarbeitet hat. Während die türkischen Verbände nur langsam und mühsam eine Sprache für den Diskurs fanden, hat Mazyek längst schon viele unterschiedliche Themenfelder auf öffentlicher Bühne besetzt.

Nicht immer ist der Entscheidungsprozess dabei transparent und oft wirkt es für Außenstehende, als würde hier sogar im Namen aller Muslime gesprochen. In der letzten Pressekonferenz des ZMD – aufgeschreckt durch Angriffe der Partnerverbände, die den Vorwurf lanciert hatten, der ZMD würde sich auf Kosten aller Muslime profilieren – stellte Mazyek dann klar, dass man keinen Anspruch auf Vertretungsmacht aller Muslime stelle und sich zunächst eben alleine entwickeln wolle. Und – etwas gönnerhaft – fügte die Vizechefin des ZMD Soykan hinzu, es könnten ja auch die anderen Verbände die öffentliche Bühne suchen.

So tritt Mazyek weiter auf, hält Festreden auf der Dresdner Opernbühne, diskutiert mit dem DFB, bekommt das „Seniorensiegel“ verliehen und ist so beinahe täglich in den Medien präsent. Spätestens seit seinem Ausflug mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, einem Duzfreund Mazyeks, in die Golfregion, begegnet dem umtriebigen ZMD-Chef dabei auch des Öfteren Neid und Missgunst. Sachlicher wirkt die Kritik, dass er – übrigens ähnlich wie SPD-Chef Gabriel – recht sprunghaft Positionen und Themen wechselt. So war bei seinem heftig kritisierten Vorstoß für ein Islamgesetz nach österreichischem Vorbild schnell nicht mehr klar, ob er denn ursprünglich dafür oder dagegen war. Allerdings wirkte sein Seitenhieb gegen die Fremdfinanzierung türkischer Imame dann schon wie das bewusste Durchtrennen der Freundschaftsbande mit den türkischen Partnern.

Es ist keine Frage, dass Aiman Mazyek immer wieder die muslimische Sache wortgewaltig vertritt. Sein Gespür für die Situation, zum Beispiel bei der Organisation der Berliner Mahnwache gegen den Terrorismus, die er mit Unterstützung großer Parteien perfekt inszenierte, rechtfertigt noch keine Ablehnung. Er hat auch Recht, wenn er postuliert, dass Muslime in Deutschland endlich ankommen müssen. Es wäre sogar logisch und für alle Muslime naheliegend, dass er mit seinen Talenten auch dem Koordinationsrat etwas mehr Leben verleiht. Nur, auch hier holt ihn eben die Logik der Machtansprüche wieder ein.

Die türkischen Verbände fürchten, dass ein agiler KRM-Sprecher oder selbstbewusster Generalsekretär inhaltliche Fakten schaffen könnte. Gleichzeitig hört man aus den Reihen der DITIB, dass man an einem zentralen Verband sowieso wenig Interesse habe; man befürchte eine Art kirchliche Struktur, die dem pluralen Charakter des Islam eben nicht entspreche. So sagt man wohl in diplomatischen Worten Adieu zu den Bemühungen, übergeordnete Koordination weiter gedanklich zuzulassen.

Im Ergebnis wird wohl jeder wieder für sich bleiben und ZMD-Boss Mazyek wird so künftig – wie bereits angekündigt – in erster Linie den Ausbau des Zentralrats vorantreiben. Im schlimmsten Fall wird er dabei als geschickter ­Stratege, und mit entsprechender Medienunterstützung, das Markenzeichen „liberal“ für seinen Verband beanspruchen und die antiquierte Dialektik „Konservative gegen Liberale“ für sich und seine Organisation nutzen. Die so überfällige wie mühsame Einebnung der des­truktiven Logik von „Liberalen gegen Konservative“ wäre damit „politisch“ wieder aufgehoben.

Was also tun? Vielleicht ist es de facto einfach ehrlicher, die plurale Struktur unserer Gemeinschaften zu akzeptieren. Zumindest das Ausloten gemeinsamer Interessen sollte dies natürlich nicht ausschließen. Es droht damit die weitere Verödung der innerislamischen Diskussionen, schon jetzt drehen sich die Verbände viel zu sehr um sich selbst. Andererseits, ist es vielleicht auch einfach an der Zeit, die gewohnte Bevormundung durch politische Vereine und den facettenreichen politischen Islam an sich in Frage zu stellen. Es erinnern sich viele schließlich an die zeitlose islamische Weisheit: „Wer die Macht für sich will, ist dafür am Wenigsten geeignet.“

Für nicht wenige Muslime sind es bereits heute die anderen, unverzichtbaren Elemente islamischen Zusammenlebens – wie Stiftungen, NGOs und unabhängigen Gemeinden –, die Querverbindungen zwischen den Muslimen herstellen, sich bewusst dem Machtspiel entziehen und wichtiger geworden sind, als der ewige Tanz um die Macht.

Eine anderer Trend kündigt sich ­ebenso an. Viele junge Muslime an der Basis können mit dem Zentralismus der 1980er Jahre wenig anfangen. Sie sind in Deutschland zu Hause und leben auch nicht mehr mit der Logik ethnischer Trennlinien. Sie wollen etwas vor Ort tun, keine Bürokratie aufbauen und nicht nur Befehlsempfänger sein. Als Organisationsmodell der Basis, die den höchsten gemeinsamen Nenner sucht, wie die Zakat, bietet sich von jeher das Umfeld lokaler Moscheegemeinden an. Den jungen Leuten geht es dort weniger um Repräsentation, als um die alltäglich gelebte und immer mögliche Erfahrung der Einheit im Rahmen überzeugender Wissensvermittlung. Wenn sie Parteiatmosphäre erleben wollen, dann gehen sie eben gleich in die Politik. Eine starke, „verjüngte“ Basis wird auch ohne Mühe die Verhältnisse umkehren; also von unten nach oben ermächtigen, statt von oben nach unten dominiert zu werden.

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Ersin Özcan: „Ich halte die Diskussionen für sehr unglücklich“

(iz). Die Debatten rund um das Islamgesetz in Österreich haben in den letzten Wochen auch Muslime und Politik in Deutschland beschäftigt. Forderungen nach einem ähnlichen Gesetz wurden auch hier laut. […]

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Am Freitag setzten hunderte Moscheen ein deutliches Zeichen

„Natürlich wird es von muslimischer Seite nicht genügen, sich medial als ‘die Guten’ zu inszenieren. Auch innermuslimisch gilt es, die Debatte über die unheimliche Hochzeit von Muslimen mit den Abgründen moderner Ideologie weiter fortzuführen.

Berlin (iz). Die Arbeit der muslimischen Verbände in Deutschland wird immer wieder kritisiert. „Sie seien zu phlegmatisch, je nach Sicht zu konservativ oder zu liberal und noch immer an ethnischen Trennlinien orientiert“, heißt es dann. Am Freitag erleben wir nun auch eine andere Seite.

Unter Regie des Koordinationsrates der Muslime (KRM) und nicht zuletzt Dank des Einsatzes des sehr präsenten Zentralratsvorsitzenden, Aiman Mazyek, wollen hunderte Moscheen in Deutschland ein deutliches Zeichen gegen den IS-Terror setzen. Ohne einen bestimmten Grat von Organisation geht so etwas nicht. Auch die Teilnahme prominenter Politiker zeigt, dass auch das politische Leben der Bundesrepublik den Impuls aufnimmt und parteiübergreifend keine Ausgrenzung von Muslimen oder gar eine feindliche Stimmung gegen sie will.

Natürlich hat das Projekt auch eine heikle Seite. Ob die De-Assoziierung tatsächlich gelingt oder im schlimmsten Fall die Assoziierung der Muslime mit Gewalt und Terror gerade zementiert wird, kann noch niemand genau vorhersagen. Wer mit jungen, hier in Deutschland geborenen Muslimen spricht, erfährt schnell, dass der Druck der Bilder auf sie täglich zunimmt. Erwartet werden von Ihnen Aussagen der Distanzierung von einem Phänomen, mit dem 99,9 Prozent der hier gebürtigen Muslime de facto wenig zu tun haben. Die Macht der Bilder verbindet die Gewalt mit Symbolen des Islam. Viele junge Leute fühlen sich ohnmächtig, manchmal auch überfordert, sich für Taten rechtfertigen zu müssen, die jenseits ihres Horizonts liegen.

//2//Gewiss ist diese Lage auch ein Fest der Assoziationstechniker. Mit Gegnern wie den „IS-Kämpfern“ oder „Scharia-Polizisten“ hat das Feuilleton einen idealen Feind gefunden. Die Tendenz der Argumentation läuft oft genug nach dem beliebten Motto „wir sind so gut, weil sie so böse sind“. Diese Logik, auch in der Form der Überheblichkeit, erleben wir Muslime übrigens auch im alltäglichen Gespräch.

Wir müssen beinahe selbstverständlich kollektive Verantwortung übernehmen, während das Individuum, dass uns stellt, diese genauso selbstverständlich nur für sich selbst übernimmt. Die Machenschaften von Banken, Rüstungs- und Ölfirmen sind von echter Verantwortungsübernahme ojnehin längst ausgeschlossen. Hinzu kommt eine verbreitete Geschichtslosigkeit. Wer erinnert sich beispielsweise noch – in der Atmosphäre von „Breaking News“ – an den Tod zehntausender Kinder zu Zeiten des UN-Embargos, das über den Irak verhängt wurde?

Natürlich wird es von muslimischer Seite nicht genügen, sich medial als „die Guten“ zu inszenieren. Auch innermuslimisch gilt es, die Debatte über die unheimliche Hochzeit von Muslimen mit den Abgründen moderner Ideologie weiter fortzuführen. Im Fall der Abgrenzung zur maskierten Grausamkeit der IS ist dies eher eine leichte Übung, schwieriger wird es schon, den Muslimen die Distanzierung von der Ideologie der Hamas – von ihrem Vernichtungswillen bis zu ihrer totalen Opferbereitschaft – gerade in Krisenzeiten abzuverlangen. Die völlige Ächtung von Selbstmordattentaten und selbstmörderischer Kriegsführung an jedem Ort gehört auf jeden Fall ebenso hierher. Diese Frage ist besonders akut, weil die Sorge der Sicherheitsbehörden vor heimkehrenden, verrohten Radikalen vollkommen berechtigt ist.

Wenn der „perfekte Muslim“ kein isoliertes, rechtloses Individuum ist, sondern ein sozialer und solidarischer Mensch, dann werden die Muslime immer den gemeinsamen Weg bevorzugen und auch gemeinsam den Extremen die Stirn bieten. Nötig für diesen Zusammenhalt ist eine so aktive wie auch überzeugende Lehre, die auch intellektuell die spezifischen Anforderungen unserer Zeit erfüllt. Einerseits heißt dies, die Geschichte der politische Begriffe, die wir heute anwenden, zu verstehen und andererseits die Substanz unsere Rechtslehre, zum Beispiel die Definition, wann legitimer Widerstand zum zynischen Terror wird, zu verbreiten. Hier fehlt es bei dem aktuellen KRM-Programm noch an eindeutigen Positionierungen.

Klar ist: Die Gesellschaft wird auf Dauer nicht nur wissen wollen, gegen wen wir sind, oder was der Islam nicht ist; sondern auch wissen wollen, für was wir stehen. Ohne diese Ergänzung bleibt unsere Realität von Extremisten bestimmt. Eine Lehre, die sich substantiell vom Terror abwendet, wird sich auch genauso engagiert und glaubwürdig für ihre positive Substanz einsetzen müssen. Gerade hier, wenn wir die Ganzheitlichkeit des Islam betonen und damit gerade seine völlige Politisierung der letzten Jahrzehnte ablehnen (man denke nur an das Islamische Wirtschafts- oder Stiftungsrecht), ergibt sich auch eine andere Aktualität. Nur dann bleibt für uns Muslime auf Dauer nicht nur die reaktive Rolle.