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Zwischenbericht der Polizei-Studie 2023: Wie verbreitet sind Vorurteile?

Polizei Gewalt

Was ist los in der Polizei? Wie verbreitet sind Vorurteile, etwa gegenüber Obdachlosen oder Ausländern? Ein erster Zwischenbericht zu der großen Polizeistudie, die 2021 in Angriff genommen wurde, liegt jetzt vor. Alle Fragen beantwortet er noch nicht.

Berlin (dpa). Die Unplanbarkeit von Dienstzeiten und Mängel in der Ausstattung gehören zu den Belastungsfaktoren, über die Beamte der Bereitschaftspolizei laut einer Studie besonders häufig klagen.

Foto: Pixabay.com | Lizenz: CC0 Public Domain

Erste Ergebnisse zur Lage bei der Polizei

Wer bei der Kriminal- oder Schutzpolizei arbeitet, erlebt als Stressfaktoren dagegen besonders häufig Personalmangel und den Umgang mit Opfern von Straftaten. Das geht aus einer vom Bundesinnenministerium beauftragten Studie zum Alltag und zu den Einstellungen bei der Polizei hervor.

Als belastend wird der Kontakt mit Opfern insbesondere dann erlebt, wenn es sich dabei um Kinder handelt oder um Menschen, die den Angehörigen der Polizei zuvor bekannt waren. „Unzufriedenheit mit dem Justizsystem, insbesondere im Hinblick auf die Strafverfolgung“, wurde in allen Einheiten der Polizei häufig als Problem benannt.

Bei einer breit angelegten Befragung von Polizisten im Bund und in den Ländern stellte sich zudem heraus, dass jeder fünfte Teilnehmer im zurückliegenden Jahr mindestens einmal erlebt hatte, dass ein Kollege oder eine Kollegin die Erfüllung dienstlicher Pflichten verweigerte.

29 Prozent der Teilnehmer der Befragung berichteten über von ihnen beobachtete Verletzungen von Dienstpflichten. Mehrheitlich positiv wurde das Verhältnis zu den Kollegen beurteilt.

Foto: Henning Schacht, Deutscher Bundestag

Menschenfeindlichkeit auch bei den Beamten

In dem am Montag veröffentlichten Zwischenbericht zu der noch unter dem früheren Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bei der Deutschen Hochschule der Polizei in Auftrag gegebenen Studie, heißt es: „Menschenfeindliche Positionen, so lässt sich bisher zusammenfassend festhalten, lassen sich wie in der Gesamtbevölkerung auch in der Polizei feststellen.“

Etwas stärker als in der Gesamtbevölkerung finden sich bei der Polizei laut Studie Vorurteile gegenüber Wohnungslosen sowie muslimfeindliche Einstellungen.

Auf gesellschaftliche Debatten um die Frage, ob es in der Polizei institutionellen Rassismus gebe oder eine professionelle Fehlerkultur erschwert werde, reagierten Führungskräfte und Polizeivollzugsbeamte im Gespräch mit den Forschern laut dem Bericht häufig mit der Aussage, „es könne sich in solchen Fällen lediglich um bedauernswerte Einzelfälle handeln, die fern der eigenen Organisationseinheit zu finden seien“.

„Stereotypisierungen“, beispielsweise, dass über angebliche generelle Eigenschaften von Menschen aus Bulgarien gesprochen wurde, seien aber bei teilnehmenden Beobachtungen im Polizeialltag durchaus festgestellt worden.

Foto: Kay Fochtmann, Adobe Stock

Geringere Diskriminierungstendenzen bei Jüngeren

Bei jüngeren Mitarbeitern und Polizisten mit weniger Dienstjahren seien die Diskriminierungstendenzen geringer als bei Älteren, heißt es in dem Zwischenbericht. Inwiefern hier das Lebensalter oder die Erfahrungen im Berufsalltag als Faktoren ausschlaggebend sind, muss nach Einschätzung der Forscher jedoch noch genauer untersucht werden.

Die Online-Befragung fand in den verschiedenen Bundesländern sowie bei der Bundespolizei und beim Bundeskriminalamt in unterschiedlichen Zeiträumen statt. Sie begann im November 2021 und wurde im Oktober 2022 abgeschlossen.

Die Aufforderung zur Teilnahme richtete sich an alle Beschäftigten. Die Teilnahme war freiwillig. In Baden-Württemberg und Hamburg konnte nach Angaben der Autoren keine standardisierte Befragung durchgeführt werden. Der Anteil der verwertbaren Fragebögen in Relation zu allen Mitarbeitenden der jeweiligen Polizeibehörde variierte zwischen sechs und 33 Prozent.

Die Studie war schon bevor der erste Fragebogen dafür erstellt wurde ein Politikum. Seehofer stellte sich damals gegen Forderungen, eine Untersuchung zu Rassismus in der Polizei in Auftrag zu geben.

Am Ende einigte man sich auf eine Studie, die sowohl die Motivation als auch den Arbeitsalltag und die Einstellungen von Polizisten und Polizistinnen beleuchten sollte.

Foto: Shutterstock

60 Prozent sehen sich als „Mitte“

Der von den Autoren konzipierte Fragebogen beinhaltet auch eine politische Selbsteinschätzung auf einer Links-Rechts-Skala, bei der sich etwa 60 Prozent in der Mitte verorten.

Allerdings dürfte die Aussagekraft hier womöglich begrenzt sein, da einige der Beamten bei der Beantwortung dieser Frage hier das für sie geltende Neutralitätsgebot im Blick gehabt haben dürften.

Immerhin 14 Prozent stimmten laut Studie der dem Bereich der Verschwörungserzählungen zuzuordnenden Aussage zu, es gebe „geheime Organisationen, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben“.

Etwa jeder fünfte Befragte stellte sich hinter die Aussage, Demonstrationen seien „oft nur ein Deckmantel für Menschen, die Krawall machen wollen“.

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Amnesty: Behörden müssen gegen Extremismus in eigenen Reihen vorgehen

verfassungsschutz

Berlin (Amnesty/iz). Anlässlich der Razzien in der Reichsbürgerszene, zu denen auch Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen ein Mitglied des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr und mehrere Reservisten der Bundeswehr gehören sollen, fordert Amnesty International in Deutschland die Behörden auf, sich aktiv gegen Rassismus, Antisemitismus und andere menschenfeindliche Ideologien in den eigenen Reihen einzusetzen.

Zu den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft sagt Beate Streicher, Expertin für Polizei und Menschenrechte bei Amnesty International in Deutschland: „Die heutigen Festnahmen zeigen die Gefährlichkeit von rassistischen, antisemitischen und anderen menschenfeindlichen Ideologien. Dabei ist besonders besorgniserregend, dass nach Medienberichten ein erheblicher Teil der Gruppe aus aktiven oder ehemaligen Soldaten besteht, darunter auch Männer mit militärischer Spezialausbildung.“

Der deutsche Staat sei nach den Menschenrechten dazu verpflichtet, alle Menschen vor rassistischer, antisemitischer und weiterer menschenfeindlicher Gewalt zu schützen. Diese Schutzpflicht werde katastrophal verfehlt, wenn aktive und ehemalige Staatsbedienstete, die im Umgang mit Waffen geschult sind, menschenfeindliche Ideologien in die Tat umsetzen wollten. 

„Der Handlungsbedarf ist akut. Es braucht eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Rassismus und menschenfeindlichen Ideologien in den eigenen Reihen der staatlichen Behörden.“ Dabei müssten die zugrundeliegenden, menschenfeindlichen Ideologien benannt und angegangen werden.

„Nach dem Grundgesetz und der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sind alle Menschen gleich an Würde geboren. Diesen menschenrechtlichen Anspruch zu verteidigen, muss Ziel aller sein, sowohl der staatlichen Einrichtungen als auch der gesamten Gesellschaft.“

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Berlin: Expertenkommission veröffentlicht Handlungsempfehlungen für „ein Miteinander ohne Diskriminierung“

Kopftuch

(iz). Nach den Angriffen auf MuslimInnen und MigrantInnen in Hanau richtete der Senat eine „Expert*innenkommission antimuslimischer Rassismus in Berlin“ ein, die sich auf ihrer letzten Sitzung im Juni 2023 auflöste. […]

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Der Tod eines jugendlichen Geflüchteten hat Debatten über die Polizei erneuert

Hassverbrechen

(iz). Am 12. August fand in der Dortmunder Abu Bakr Moschee unter Anwesenheit von muslimischen Vertretern und des Oberbürgermeisters der Stadt das Totengebet für Mohammed D. statt. Fünf Tage zuvor […]

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Köln und die ­Konsequenzen

(iz). Nach der Silvesternacht in Köln ist das Vertrauen in Sicherheitsbehörden und Politik erschüttert. Die Verantwortlichen stehen nun unter Zugzwang, das verlorengegangene Vertrauen zurückzugewinnen. Das Jahr 2016 begann gleich mit […]

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Gesetzestreue ist ein Grundpfeiler

(iz). Die kriminellen Vorgänge am Silvesterabend vor dem Kölner Hauptbahnhof haben die Debatte um das Thema Flüchtlinge, Zuwanderung und das Frauenbild von muslimischen Männern erneut massiv angeheizt. Bei den wohl […]

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Spirale der Gewalt in Jerusalem

(KNA). Jerusalem brodelt. Seit im Sommer Jugendliche beider Seiten durch Radikale ermordet wurden, kommt die Stadt nicht zur Ruhe. Fast täglich kommt es zu Zusammenstößen zwischen jungen Palästinensern und israelischen […]

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IZ-Begegnung mit Dr. Xhabir Hamiti über die Kraft der gemäßigten Tradition

(iz). Genau wie bei uns in Deutschland sorgen sich verschiedene muslimische Gemeinschaften Eu­ropas um die Radikalisierung anfälliger, junger Menschen. Sie wird auch durch die Aktivitäten extremistischer Personen oder Gruppierungen hervorgerufen […]

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US-Muslime diskutieren den anhaltenden Rassismus

(islamicommentary.org/IZ). Anders als in den muslimischen Gemeinschaften Westeuropas, stellen in den USA einheimische Muslime einen nicht zu übersehenden Block dar. Vor allem, aber nicht nur, sind das schwarze Muslime, die […]

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„Die IZ-Blogger“ – wieso die Türkei wieder in Turbulenzen steckt

(iz). Der bekannte Strategiefachmann und Geheimdienstexperte Prof. Mahir Kaynak vermutet hinter den turbulenten Vorkommnissen in der Türkei vor allem außenpolitische Gründe. Seiner Meinung nach hätten US-Neokonservative, Teile der Europäer und „die globale Finanzelite“ aufgrund des außenpolitischen Richtungswandels der Türkei ein großes Interesse am Sturz von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan; das berichten die „deutsch-tuerkisch-nachrichten“.

Ministerpräsident Erdoğan, der am 4. Februar zu Regierungskonsultationen in Berlin erwartet wird, hat das Land im letzten Jahrzehnt wirtschaftlich, politisch und sozio-kulturell verändert: Für die Einen zum Positiven, für die Anderen zum Negativen.

Wirtschaftliche Turbulenzen bis zu den Kommunalwahlen
Die Türkei hat derzeit unter den größten Wirtschaftsmächten den 17. Rang inne. Zum 100-jährigen Bestehen der Republik, also bis zum Jahr 2023, hat die Regierung sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, zu den zehn größten Ökonomien der Welt zu gehören.

In den letzen Wochen herrschte jedoch Panik an den türkischen Börsen. Ausländische Investoren ziehen ihr Kapital aus den Märkten ab. Dollar und Euro klettern auf ihre historischen Höchststände. Wirtschaft hat gleichwohl sehr viel mit Psychologie zu tun. Und diese Psychologie wird sich ehestens nach den Kommunalwahlen im März wieder normalisieren.

Eine sagenhafte Entwicklung in der letzten Dekade
Die Türkei entwickelt seit einigen Jahren zahlreiche eigenständige Projekte, so in den Sektoren Rüstung, Wissenschaft, Raumfahrt und Energie. Der Bauboom der Türkei nimmt atemberaubende Züge an. Wer nach längerer Zeit wieder dort war, berichtet, dass das Land und die Städte kaum noch wieder zu erkennen sind. Außerdem scheinen die Menschen vom Bau der Straßen und der, die Berge durchziehenden Tunnelanlagen beeindruckt zu sein. In den letzten zehn Jahren wurden 500.000 staatlich geförderte neue Wohnungen (TOKİ) gebaut. Die 19 Jahre davor seien indes 43.000 neue Quartiere errichtet worden sein.

Angemerkt seien jedoch auch die protzig-glänzenden Einkaufszentren, von denen es mehrere in fast jeder Stadt gibt, und die den mittelständigen Unternehmen großen Schaden zufügen. Aber dennoch: Bis zum Jahr 2002 beschränkte sich die Länge von mehrspurigen Straßen (Schnellstraßen, die den deutschen Autobahnen ähneln) in der Türkei auf gerade mal 6.000 km. Zwischen 2002 und 2012 wurde dieses Netz, das bis dato lediglich sechs große Städte miteinander verbunden hatte, auf über 21.227 km erweitert und führt seit dem 74 Städte zusammen.

Noch vor zwölf Jahren konnten Studenten nur an 70 Universitäten im Land studieren. Im Jahre 2012 wurden hingegen schon 172 errichtet. Heute gibt es keine Provinz mehr ohne Universität. Die Türkei, die knapp 80 Jahre lang auf vielen Gebieten stagnierte, übersprang in kürzester Zeit mehrere Klassen und sorgte bei vielen Menschen für unglaubliche Blicke sowie neidvolles Erstaunen.

Von den Riesenprojekten wie dem Bau des dritten Flughafens in Istanbul, der als der größte der Welt in Planung ist und damit das globale Flugverkehrssystem auf den Kopf stellen wird, einer neuen Meerenge (ein neuer Bosporus), gigantischen Schienen- und Transportwegen durch die Meere ganz zu schweigen. Auch kolossale Staudammprojekte werden zweifellos einige neidische Blicke auf sich gezogen haben. Was aber das Fass zum überlaufen bringen könnte, sind die seit 200 Jahren außerordentlich bedeutsamen Energieressourcen und Energierouten, die Erdöl und Erdgas aus den Nachbarländern in die Türkei bringen werden.

Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft für den Nahen- und Mittleren Osten
Daher ist es enorm wichtig, für eine dauerhafte und friedvolle Lösung der Konflikte in der Region. Eine Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft im gesamten Nahen- und Mittleren Osten, ähnlich wie die Europäische Union, mit eigenständiger Entscheidungsgewalt und Ressourcenmacht könnte die Region zu der reichsten und prosperierendsten der Welt machen. Es ist erstaunlich, dass gerade die rohstoffreichen Staaten in der Region kaum zur Ruhe kommen.

Die Türkei scheint seit einigen Jahren in ihrer unmittelbaren Umgebung selbst Regie führen zu wollen. Das wiederum führt nach Expertenmeinungen dazu, dass das Land diszipliniert und eingefangen werden muss. Immer öfter wird vom „Neo-Osmanismus“ geschwafelt und ein Bedrohungsszenario gemalt. Die Türkei hat sich von einem „Osmanismus“ vor fast 100 Jahren verabschiedet und wird sich auf so ein Abenteuer nicht einlassen.

Konfliktlinien, deren Lösung nicht mehr in der Ferne liegen
Um jedoch außenpolitisch im Konzert der Mächte gleichberechtigt und eigenständig agieren zu können, gilt, – wenn man es mit den Worten des Historikers Eckart Kehr sagen möchte – das „Primat der Innenpolitik“. Der Fortbestand der gesellschaftlich-politischen Entwicklung der letzten Jahre hängt u.a. auch von der Lösung des jahrzehntelang andauernden so genannten Kurdenkonflikts ab. Ein lang ersehnter Frieden unter den verfeindeten Ethnien sorgte kürzlich auf der einen Seite für Erleichterung. Seit vielen Monaten sterben keine Menschen mehr. Das Blutvergießen ist vorerst gestoppt. Das ist ein wichtiger Schritt.

Für andere wiederum erweiterten sich die Sorgenfalten in den Gesichtern. Die gesamtgesellschaftliche Entschlossenheit zur konfessionellen Eintracht zwischen Sunniten und Aleviten sollte der nächste Punkt für eine dauerhaft stabile Türkei sein. Auch in diesem Punkt gab es in den letzten Monaten gute Entwicklungen.

Ein weiterer Punkt wird nach Einschätzungen die verständnisvolle Partnerschaft mit den nicht-muslimischen Minderheiten sein. Die Türkei unternimmt große Anstrengungen, die Herzen der Armenier, die in der Vergangenheit als „Millet-i Sadıka“ („Das treue Volk“) bezeichnet wurden, der jüdischen, yezidischen, zoroastrischen und christlichen Geschwister zu gewinnen. Christliche Kirchen, jüdische Synagogen, yezidische Glaubenszeremonien werden nicht mehr als Bedrohung angesehen, wie es zu dunklen Zeiten der Republikgeschichte teilweise der Fall war.

Gezi 2.0?
Was diese Tage in der Türkei politisch abläuft, schätzen einige Beobachter als Fortsetzung der Gezi-Proteste ein. Experten wie Prof. Mahir Kaynak gehen davon aus, dass Erdoğan bis zu einem möglichen Rückzug aus der Politik damit zu rechnen hat, dass solche – scheinbar innenpolitischen – Turbulenzen fortbestehen werden.

Eine neue und unabhängige Türkei scheint derzeit nicht gewollt, sodass Erdoğan noch lange mit den Wölfen tanzen muss.

Informationen zum Autor: Yasin Baş ist Politologe, Historiker, Autor und freier Journalist. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?“ sowie „nach-richten: Muslime in den Medien“. Die Themenschwerpunkte von Yasin Baş sind: Türkisch-Deutsche Beziehungen, Ethnomarketing, Integrations-, Migrations- und Sicherheitspolitik und Deutsche Geschichte (nach 1871).