Was ist Faschismus? Aiman Mazyek bespricht ein Buch von Paul Mason

faschismus

Faschismus ist laut Paul Mason die „organisierte Ablehnung des menschlichen Lebens“.

(iz). Paul Masons „Faschismus. Und wie man ihn stoppt“ (2022) ist ein interessantes Werk, das sich mit der dunklen Seite des menschlichen Bewusstseins auseinandersetzt.

Es ist ein Buch, das nicht nur die historischen und aktuellen Ausprägungen des Faschismus untersucht, sondern auch die philosophischen und moralischen Grundlagen, die ihn ermöglichen.

Foto: Barbara Niggl Radloff, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 4.0

Faschismus als „gefährliche Variante des Bösen“

Mason argumentiert, dass der Faschismus eine besonders gefährliche Variante des Bösen ist. Er ist nicht nur eine politische Bewegung, sondern auch eine Ideologie, die das menschliche Leben und die Freiheit ablehnt, gleichsam aber daherkommt gerade diese – aber eben nur scheinbar – zu verteidigen.

Der Faschismus ist, wie Mason es ausdrückt, die „organisierte Ablehnung des menschlichen Lebens“. Er ist eine Antimoral, die Menschen entmenschlicht und zu Objekten zu macht, die dann kontrolliert und ausgebeutet werden können.

Die Idee, dass der Faschismus eine Variante des Neokapitalismus ist, wird im Buch durch die Analyse der Beziehung zwischen Kapitalismus und Demokratie untermauert. Mason zeigt, wie Kapitalisten oft gegen die Schlüsselelemente der Demokratie waren, weil sie glaubten, dass sie den Kapitalismus bedrohen würde.

Dieser Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus wird durch die Beobachtung verstärkt, dass der Faschismus entstand, als der Liberalismus zum ersten Mal mit seinem wahren Feind konfrontiert wurde, der nicht der Sozialismus, sondern der Faschismus war.

Foto: momius, Adobe Stock

Zur Rolle des Internets

Die Rolle des Internets und der sozialen Medien in der Verbreitung des Rechtsextremismus wird ebenfalls hervorgehoben. Mason weist darauf hin, dass die Rechte in der digitalen Ära Vorteile hat, da sie nicht an Wahrheit, Besonnenheit und Rechtsstaatlichkeit gebunden ist.

Dies hat zu einem sinkenden Vertrauen in die Demokratie und einer Erosion ihrer Qualität geführt.

Mason zieht auch Parallelen zwischen dem Faschismus und anderen Ideologien und Philosophien. Er kritisiert Friedrich Nietzsche scharf und argumentiert, dass, obwohl Nietzsche heute oft als Rebell und Atheist gefeiert wird, er im Kern ein Rassist und frauenfeindlicher Imperialist sei. Nietzsche, so Mason, habe diese Vorurteile in ein kohärentes System des antirationalen Denkens eingebaut.

Die moralische Dimension der Abhandlung ist besonders eindrücklich. Mason argumentiert, dass ohne Normen, Moral, Moralphilosophie und Religion der Faschismus schwer zurückzudrängen ist. Er zitiert Hannah Arendt, die den Faschismus als „zeitweiliges Bündnis zwischen Elite und Mob“ bezeichnete und betont, dass das Böse – in Anlehnung an Arendts und philosophische Überlegungen aus Judentum und Islam – die Abwesenheit des Guten ist.

Foto: Breve Storia del Cinema, via flickr | Lizenz: CC BY 2.0

„Was würdest du tun?“

Über einen Ausflug einer Analyse von Filmen wie „Casablanca“, die die moralischen Herausforderungen und Entscheidungen in Zeiten des Faschismus darstellen werden die Ideale des Kampfes gegen den Faschismus (indem Fall Nazideutschland) aufgezeigt in der sich unausgesprochene Fragen an den Zuschauer und Betrachter immer wieder drängt: „Was würdest du tun?“ Diese Frage hat heute nichts an Aktualität eingebüßt.

Abschließend betont Mason die Notwendigkeit, den Faschismus nicht nur politisch, sondern auch moralisch zu bekämpfen. Der Marxismus hat dies – weil systemisch – sträflich vernachlässigt und deshalb taugt er nur bedingt im Kampf gegen den Faschismus.

Er fordert eine neue Form des antifaschistischen und demokratischen Ethos, das auf sozialer Gerechtigkeit basiert und sowohl den Liberalismus als auch die Moralphilosophie einbezieht.

* Paul Mason, Faschismus. Und wie man ihn stoppt, Suhrkamp, Berlin 2022, 443 Seiten, Preis: EUR 20,–

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Zum Jahreswechsel: Der Ausblick auf die Zukunft erfordert Mut

(iz). Im Jahr 1755 wurde Europa von einem Jahrhundertereignis erschüttert: das Erdbeben von Lissabon. Nach etwa vier Wochen hatten Berichte über den Tod von zehntausenden Menschen die Metropolen Hamburg und Berlin erreicht. Die Auswirkungen auf das, von der Aufklärung geprägte geistige Leben Europas waren erheblich. „Wie konnte Gott dies zulassen?“ Unter dem Eindruck der Zerstörungen beschäftigte das Theodizee-Problem die Gelehrten. Der zum Zeitpunkt des Ereignisses sechs Jahre alte Goethe verarbeitete das Erdbeben in seinen Erinnerungen „Dichtung und Wahrheit“: „Ja. Vielleicht hat der Dämon des Schreckens zu keiner Zeit so schnell und mächtig seine Schauer über die Erde verbreitet.“

Die Medienwelt des 18. Jahrhunderts wirkt aus heutiger Sicht idyllisch. Mit enormer Geschwindigkeit drängen sich heute negative Meldungen, die den Zustand der ökologischen Systeme betreffen, aus allen Erdteilen heran. Weltuntergangspropheten und Visionäre, die Science-Fiction-Lösungen anbieten, haben Konjunktur. Sicher ist: Der Mensch und sein technologischer Fortschritt haben die Verhältnisse unumkehrbar verwandelt. „Das Ökosystem schlägt zurück“, ist ein geläufiges Wort.

Der Wesenszug der modernen Technologie, die Natur immer mehr herauszufordern, beschreibt das Kernproblem des 21. Jahrhunderts. Zur Jahreswende sorgt uns nicht nur die, sich abzeichnende Klimakatastrophe, der dritte Weltkrieg, in Form einer atomaren Auseinandersetzung, ist in den kommenden Jahren eine durchaus denkbare Option. 

In diesem Kontext gilt der alte Aphorismus Nietzsches: „Auch der Mutigste von uns hat nur selten den Mut zu dem, was er eigentlich weiß.“ Die psychologischen Wirkungen, die der tägliche Blick in den Abgrund verursacht, zeigen sich in Depression und Erschöpfung. Wer sich nicht in das sogenannte Privatleben zurückzieht oder auf anderen Wegen die Augen verschließt, benötigt gute Nerven, den Ausblick in die Zukunft auszuhalten. „Hoffe auf das Beste und sei auf das Schlimmste vorbereitet“, riet mir einmal ein islamischer Gelehrter in Anbetracht der Wirrnisse unserer Zeit.

In das Negativszenario führt eine Analyse des Philosophen Thomas Fasbender unter der Überschrift „Das unheimliche Jahrhundert“ ein. Das Buch ist eine Diskussionsgrundlage. Aus Sicht des Autors verliert die europäische Welt an Bedeutung, ihr Wohlstandsversprechen ist in die Defensive geraten. Global setzen sich andere Wertmaßstäbe durch.

Den Techno-Optimismus, der den Glauben definiert, wonach Wissenschaft und Technologie die wesentlichen sozialen und Umweltprobleme unserer Zeit lösen, bietet der Philosoph ebenso wenig an. Sein Fazit ist ernüchternd: Der Klimawandel kommt, ob wir wollen nicht. Mindestens zwei Grad Erderwärmung ist in den nächsten Jahrzehnten garantiert, wenn wir fatalistisch oder passiv werden, ist sogar mehr möglich. Das Problem: Die Interessenlage auf dem Planeten ist zu unterschiedlich, um dieses Schicksal aufzuhalten. Die Idee der „Menschheit“, die unter den Maßstäben der Vernunft agiert, gehört für den Philosophen in das Reich der Phantasie.

Fasbender predigt keinen Fatalismus. Im Gegenteil: Jede Maßnahme gegen den Klimawandel ist für ihn geboten. Die Diagnose des Buches der Begleitumstände sich abzeichnender Veränderungen sind alarmierend: „Unsere Rationalität ist dem Unheimlichen nicht gewachsen“. Es kündigen sich radikal andere Verhältnisse an: Wohlstandsverlust, Kriege und große Wanderungsbewegungen. Das neue Jahrhundert droht zum Antipoden der bürgerlichen Ordnung zu werden. Die reale Lage wird nach der Einschätzung des Autors in der Gesellschaft eher verdrängt. „Wir haben das Heilige verbannt, wir werden auch das Unheilige verbannen, das Unheimliche“, stellt er fest. 

Der Klimawandel und die These der Politik „Wir schaffen das“, mit mehr Geld, mehr Schulden, mehr Technik ist aus dieser Sicht eine Illusion. Das Problem entzieht sich simplen Lösungen, denn „wir erleben in diesem Augenblick keine Weltrevolution, sondern eine geophysische Revolution“, wie es Ernst Jünger formulierte. Auf elementarer Ebene herausgefordert wird der Mensch um seine Humanität ringen. Fasbender fordert, einen Begriff zu reaktivieren, der „tief verschüttet unter dem Geröll des zynischen Zeitgeistes liegt“: Sittlichkeit. Es geht – so eine Pointe des Buches – um einen neuen Menschen, der zugleich Schöpfung ist und den Schöpfer vertritt. 

Zweifellos ist die Verbreitung von Hoffnung die entscheidende Intention aller Gläubigen. Dies schließt nicht aus, den Realitäten ins Auge zu sehen, die sich am Horizont abzeichnen. Dieser Realitätssinn führt zu einer Vertiefung des Glaubens. Religionen, die für sich Relevanz beanspruchen, sind mehr denn je gefordert, in diesem unheimlichen Jahrhundert Orientierung zu stiften. Von den Gelehrten und Theologen werden klare Positionierungen in der Frage des Klimawandels oder gegenüber den drohenden Gefahren, die sich aus dem Ukrainekrieg ergeben, erwartet.

Studiert man das Leben des Propheten, Friede sei mit ihm, begreift man schnell, dass die islamische Lebenspraxis nicht nur aus spiritueller Selbstoptimierung besteht. Die Perfektion des Charakters, der niveauvolle Umgang mit Anderen und die Etablierung von Moscheen und Marktplätzen, die Idee von Gerechtigkeit überhaupt, fügt den einzelnen Gläubigen in ein Gemeinwesen ein. Die Herausforderungen der Zukunft wird die Menschen zwingen, ihre Wertvorstellungen aktiv zu verteidigen. Die alte Weisheit, dass man nur gemeinsam stark und sicher ist, wird wieder in das kollektive Bewusstsein rücken.

* Thomas Fasbender, Das unheimliche Jahrhundert: Vor der Zeitenwende, Manuscriptum Verlagsbuchhandlung, 2022, 186 Seiten, ISBN-13 78-3948075491, Preis: EUR 26.– (gebundene Ausgabe)

„Nicht alles falsch“: Substantielle Medienkritik ist gerade aus der Sicht von Minderheiten wichtig

Dilemma Ukraine

„Eigentlich sind es aber die anderen Thesen des Buches, die aus Sicht der Minderheiten und der muslimischen BürgerInnen im Lande bedenkenswert sind. Unter dem Stichwort ‘Helikopterblick’ wird zum Beispiel die Berichterstattung in der Flüchtlingskrise kritisiert.“

(iz). Bücher über die Vierte Gewalt im Lande sind nicht neu. Der Philosoph Richard Precht und der Sozialpsychologe Harald Welzer sind keine Unbekannten in der Medienwelt und versuchen sich in diesem Jahr mit einem neuen Anstoß. Ihr Buch versucht zu zeigen, „wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“. Die Autoren sehen in ihrem Beitrag, wie sie auf der Veranstaltung bei der Buchmesse 2022 klarstellten, eine Aufforderung zum Diskurs und der Selbstreflexion. „Nicht alles falsch“, resümierte der Medienjournalist Stefan Niggemeier über das Werk. Er wies pauschal auf Fehler hin, beanstandete schlampige Recherchen, bis hin zur Verwechselung eines Twitter-Posts mit einem Instagramtext. Das mag zumindest in Einzelfällen korrekt sein, aber die wünschenswerte Debatte über die eigentlichen Thesen sollte der Vorwurf nicht abwürgen.

Die Veranstaltung verlief exemplarisch für eine Diskussionskultur, die sich eher mit den beteiligten Charakteren auseinandersetzt, als sich mit den vorgestellten Thesen beschäftigt. Auf der Bühne beklagte sich Precht lautstark, dass ihm unlautere Motive unterstellt werden, obwohl die Qualitätsmedien im Buch verteidigt werden. Und es stimmt: Ausdrücklich setzen er und sein Mitstreiter sich von der Logik der „Lügenpresse“-Ideologie ab. Die inhaltliche Kritik des Buches, so vermuten die Intellektuellen im Vorwort, wird nach ihrer Erwartung entweder ignoriert oder durch Personalisierung abgewehrt werden.

Sie rechnen damit, dass das Buch in eine Schablone gepresst und ihnen vorgeworfen wird, sie trügen zur Spaltung der Gesellschaft bei; genau das Gegenteil dessen, was sie beabsichtigen. Die Klage wird dann provokant in einer fundamentalen These zugespitzt: Medien entziehen sich aus ihrer Sicht der Kontrolle, ihre eigene Macht wird durch keine Mechanismen von „Checks und Balances“ eingebunden. Der Vorwurf im Kern: „Kritik von außen ist im leitmedialen System nicht vorgesehen.“

Tatsächlich hat das Duo Precht / Welzer einen heftigen Meinungsstreit ausgelöst. Über mangelndes Interesse der Medien an ihrem Werk können sich die Medienprofis nicht beklagen. Besonders ihre Positionen zum Ukrainekrieg werden diskutiert und sind umstritten. Im „Spiegel“ wird das populistische Thesenbuch, so wird im Heft das Werk tituliert, heftig kritisiert. Die vorgeschlagene „vielfältige Berichterstattung“ zum Krieg zu betreiben hieße aus Sicht des Journalisten Bernhard Pörksens: „immer neue Staubwolken der Pseudo-Ungewissheit produzieren, Vernebelung des Offensichtlichen, durch endloses Konfrontainment“. 

Die Autoren nutzen die Kommentierung des Ukrainekrieges um einige ihrer Argumente festzumachen. Ob das eine Stärke ihrer Argumentation oder eher eine Schwäche ist, sei dahingestellt. Es geht ihnen darum, an diesem Beispiel ein grundsätzliches Problem offen zu legen: „Dass die Grenze zwischen politischem Journalismus und politischen Aktivismus in den Leitmedien ohnehin immer fließender wird, ist eine der Hauptthesen dieses Buches.“

Nichtgewählte Journalisten schauen der Politik nicht nur auf die Finger, sondern sie gestalten sie mit. Precht und Welzer kritisieren das einheitliche Meinungsbild, insbesondere zu Beginn des Krieges und die (angebliche) de facto Übernahme der Regierungsnarrative. Inzwischen rudert Precht öffentlich zurück, gesteht zu, dass seine Erwartung eines schnellen Sieges Russlands und daraus resultierend, die Forderung nach einer Kapitulation der Ukraine, aus heutiger Sicht falsch war.

Dennoch bleiben ihre Vorwürfe der Übertreibung im Raum: „Und der gewaltige Schritt vom brutalen Angriff der russischen Armee auf die Ukraine zum Angriff auf Moldau, das Baltikum, Polen, Deutschland und den ganzen Westen erscheint nicht als absurd, sondern als zwingende Folge der Entfesselung eines unbegrenzten Bösen.“ Aus Sicht der Medienkritiker wird in der Öffentlichkeit eine Dialektik aufgebaut, ein simples pro oder contra, statt mit Hilfe des Journalismus und der Abbildung eines ausgewogenen Meinungsbildes zu differenzieren: „Man kann für die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine sein, aber trotzdem darauf drängen, dass der Westen möglichst schnell einen diplomatischen Friedensvorstoß wagen soll.“ Dabei setzten die Autoren selbst das Mittel der Polemik ein, zum Beispiel in einer Passage, in der die sogenannten NATO-Versteher und ihr Bezug zu Lobby-Gruppen angeprangert werden: „all diese Organisationen haben auf sicherheitspolitische Fragen immer dieselben Antworten: mehr Rüstung!“

Eigentlich sind es aber die anderen Thesen des Buches, die aus Sicht der Minderheiten und den muslimischen BürgerInnen im Lande, bedenkenswert sind. Unter dem Stichwort „Helikopterblick“ wird zum Beispiel die Berichterstattung in der Flüchtlingskrise kritisiert. Die Wort- und Meinungsführer der politischen Eliten treten nach der Analyse des Buches zu stark in Erscheinung. „Die eigentlichen Hauptakteure, die Helfergruppen, Einrichtungen, freie Träger und Initianden, die sich, viele freiwillig, in erster Linie um Flüchtlinge kümmerten, stellten nur rund 3,5% aller relevanten Personen, die in redaktionellen Beiträgen genannt werden.“ Durch diese Einseitigkeit, argumentieren die Autoren, sei ein sozial entleertes Geschehen präsentiert worden. Die Mahnung folgt mit erhobenem Zeigefinger: Der Auftrag an die Leitmedien sei „den Unterrepräsentierten zu ihrem Recht zu verhelfen und ihnen – gemäß der Idee des Vierten Standes – eine Stimme zu geben.“ Bei diesem Kritikpunkt dürften viele Muslime im Lande zustimmen, die immer wieder beklagen, dass die eigene Intelligenz in der Berichterstattung mit Bezug zum Islam und dem muslimischen Leben in Deutschland zu selten eine Rolle spielen. In der Debatte über die vierte Gewalt kommen die Minderheiten, folgerichtig im Sinne der These, kaum zu Wort.

Grundsätzlich monieren Precht und Welzer, dass bei allen fundamentalen Krisen, über die Coronakrise, die Flüchtlingskrise oder den Ukrainekrieg, die schreibende Zunft eine Art künstliche Mitte schafft, sich gegenseitig angleicht, ohne die Realität umfassend abzubilden. Der „Cursor-Journalismus“ (Precht), mit seiner Praxis der Herstellung von interner Übereinstimmung, ist in der Lage, eine dominante, mitunter aber nur scheinbare herrschende Meinung zu konstruieren, unabhängig davon, ob diese sich real ebenfalls abbildet. Die Konformität wird desto wahrscheinlicher, je scriptloser und unklarer eine Situation ist. Die Risiken in dieser Nachrichtenlage eine abweichende Meinung zu vertreten sind evident. Wer sich von dieser Mitte absetzt, ist nicht etwa wie in früheren Zeiten „unbequem“, sondern „umstritten“ und läuft Gefahr in das gesellschaftliche Abseits zu geraten. Für eine streitende Demokratie, die auf die Meinungsfreiheit setzt, keine akzeptable Situation. 

Ihr Argument weist damit indirekt die Logik der Verschwörungstheoretiker zurück, die agitieren, die Regierung kommandiere oder kontrolliere etwa die Medien. Das Gegenteil ist aus Sicht der Autoren der Fall, denn „Parteien und Politiker, haben sich, (…), in den letzten Jahrzehnten, mitunter bis zur Selbstaufgabe, den Spielregeln und Personalisierungen der Medien angepasst.“ 

Diese Dynamik wird durch die wachsende Bedeutung der Onlinemedien verstärkt. Hier hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Die altbewährten Zeitungen waren im Grunde redakteursgesteuert, während die neuen Medien lesergesteuert sind. Der Online-Journalismus ist in vielen Fällen von Klickzahlen stimuliert, die den eigentlichen Maßstab für die Bedeutung und Nutzbarkeit von Nachrichten anzeigt. Der Redakteur und der Reporter werden Dienstleister der User, zum Teil eines Algorithmus. Aus diesem Phänomen erklärt sich grundsätzlich der (uns Muslimen bekannte) Trend zum Erregungs- und Blaulicht-Journalismus.

Precht und Welzer setzen hier an:  „Je mehr die Vierte Gewalt selbst zum Akteur politischer Erregungssteuerung und Steigerung wird“, umso gefährlicher werde es für die Demokratie. Der Preis, den der Wesenswandel der Medienwelt mit sich bringt, ist hoch. Je stärker die Leitmedien sich der Wirkmechanismen von Direktmedien bedienen, um ihrem Publikum möglichst nahe zu sein, umso mehr schwindet dessen Vertrauen in sie. Die Rolle von Zeitungen und Rundfunk besteht darin – zumindest wenn sie Qualitätsmedien bleiben –, nicht etwa Stimmungen zu verstärken. Vielmehr haben sie die Aufgabe, die in vielfältigen Interessen differenzierte Gesellschaft abzubilden. 

In diesen Tagen bietet das Spektakel der Fußballweltmeisterschaften in Katar eine weitere Möglichkeit, einige Thesen über die Vierte Gewalt zu überprüfen. Nachdem seit 12 Jahren bekannt ist, dass das Sportereignis in dem Wüstenland stattfindet, überschlagen sich die Medien mit Kritik. Zu Recht: Die Menschenrechtslage und die Bedingungen für die Wanderarbeiter sind problematisch. Dennoch fehlt es an differenzierten Stimmen, an einer nüchternen Einordnung und an der Verhältnismäßigkeit der Debatte im Vergleich zu Ereignissen in China oder Russland zuvor. Wenig liest man darüber, warum die öffentlich-rechtlichen Sender trotz ihrer Kenntnis über die Lage in Katar hunderte Millionen Euros für die Übertragungsrechte eingesetzt haben. Ein wenig mehr Selbstkritik – hier stimmt man den Medienkritikern zu – wäre in jedem Fall angebracht. Fakt ist: Die Debatte über die Streitkultur und die Macht der Medien im Lande verdient breite Aufmerksamkeit. Nicht nur von den VertreterInnen der Mehrheitsgesellschaft.

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